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29.7. - 5.8.2000 |
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Aime - St. Michel de Maurienne | Madeleine - Glandon - Croix de Fer | 138 km / 3361 Hm |
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Was für klangvolle Berge standen heute an - Madeleine, Glandon und Croix de Fer.
Monate der Vorfreude waren vorbei; jetzt ging es richtig los. Der Tag fing gemütlich
an - auf der N90 ging es erstmal 22 km ins Tal hinab bis
nach Aigueblanche, von wo aus wir über Doucy den Madeleine (1993 m) erfahren wollten.
Allerdings stellte sich diese Auffahrt als gesperrt heraus, also fuhren wir
auf schmalen Wegen abseits der breiten N90 weitere 6 km an der Isère entlang,
um nun von 411 m.Ü.d.M. den Aufstieg auf der D94 zu beginnen, der noch zwei Kilometer länger
ist als der über Doucy.
Kein Wölkchen zeigte sich am Himmel, die Sonne brannte gnadenlos auf uns
herab; schweißgebadet zogen besonders Till und Tobi die Fliegenschwärme an,
was Till letztendlich dazu bewegte, mit Vollgas dem Gipfel entgegenzufahren
in der Hoffnung, diese abzuschütteln. Vorher hatten Till, Andy und ich das
heutige Grupetto gebildet, Tobi hatte den Gipfel gewonnen, aber Tim hatte
sich den zweiten Platz gesichert mit über zehn Minuten Vorsprung auf uns.
Aber schöner als die Bergwertung war heute die Bergkulisse: Kurz nach
la Thuile, wo auch die Straße über Doucy sich unserem Weg anschloss,
sah man langsam den Mont Blanc sich hinter dem Bergsattel erheben, der
uns gegenüber auf der anderen Seite der Isère lag. Langsam schob er sich höher
und höher und begleitete uns wachsam auf dem Weg zum Madeleine, und auch später,
auf dem Anstieg zum Glandon, guckte er uns über die Passhöhe des Madeleine
wie vor zwei Jahren beim
Anstieg auf den Iseran bei unseren
Strapazen zu.
Auch die unmittelbare Umgebung wusste uns zu beflügeln: die anfänglichen Kuhweiden rechts
und links der Straße, durch die sich recht vielfältige Büsche und Fichten
zogen, wurden immer mehr abgelöst von kargen, gerölllastigen Grasflächen,
bis man schließlich, im Kessel vor dem Pass, an dessen Rand es in Serpentinen mit über zehn Prozent Steigung
nach oben geht, auf tiefe Erosionstrichter und auf die felsigen Zinnen
des Cheval Noir zur Linken blickt.
Der Pass selbst ist himmlisch gelegen. Nach Norden blickt man auf den
Mont Blanc, den man jetzt schon recht weit über dem Bergrücken sehen kann, nach Süden kann
man von der Terrasse des Gasthauses die gesamte Auffahrt auf den Col du Glandon
einsehen (siehe oben rechts), einschließlich der Serpentine, die knapp unterhalb des Gipfels das letzte,
knackige Steilstück einleitet. Wir hielten uns hier für Tills Empfinden viel zu lange auf,
legten uns faul in die Sonne (ich oben ohne, Tobi in Winterjacke, wie typisch) und mussten noch
Tobis Reinigungsaktion auf dem Klo abwarten, die unverhofft nötig geworden war.
Gemeinsam nebeneinander auf der breiten Passstraße ging es dann in einer schnellen Abfahrt am
Retortendorf St Francois Longchamp vorbei ins Tal nach la Chambre (441 m), wo wir nach nur kurzem Warten auf
Walter (wie machte er das bloß?) uns gleich auf die D927 und damit auf den 22 km langen Anstieg zum Col du
Glandon (1924 m) machten, der vermeintlich schwersten Prüfung unserer Tour.
Der Anstieg führte zunächst durch einen bewaldeten, engen Taleinschnitt, der sich dann
oberhalb des Ortes St Colomban des Villard öffnet und den Weg durch einen weiten Kessel auf die
rechts zu sehende Schlusssteigung heranführt, die unter einer zerfurchten Felsenerhebung mit der Serpentine eingeläutet
wird, die wir schon vom Madeleine aus gesehen haben.
Von Anfang an tobte hier ein Kampf bis aufs Messer zwischen Tobi und Till, die einmal mehr der Tatsache Ausdruck verliehen,
dass es im Radsport keine Cousins gibt. Doch das überlasse ich ihnen besser selber zu erzählen.
Tobi erzählt
Kaum war die Arc im Tal überquert, da wurde in St Etienne de-Cuines aller Ballast ins Begleitfahrzeug gepackt,
und der Bergpreis eröffnet. Tobis Tempodiktat vermochte nur Till zu folgen. Die Gruppe war gesprengt -
Jan blieb bei Andy, der sich wieder bravourös durchbiss und Tim musste den ständigen Beschleunigungen
der groupe de tête Tribut zollen und fiel alsbald zurück
Auf einem stark gewundenen, schmalen und steilen Sträßchen gewannen die beiden Bergziegen schnell an Höhe.
Um den Berg bereits unten für sich zu entscheiden, fuhr Tobi lauter Kurzintervalle, ohne Till jedoch
abschütteln zu können. Vielmehr zeigte dieser keine Schwäche.
Wissend, wie viele Berge bis Monaco noch bevorstanden, schlug Till vor, erst auf den letzten Kilometern zu attackieren,
um nicht bereits am zweiten Tag allzu viele Körner zu verbrauchen. In der Summe waren sie nun schneller und Kräfte sparender unterwegs - so
schnell, dass sich bei Till Konzentrationsschwächen einschlichen und er sich zweimal auf
einen Ausflug neben die Straße einließ. Arslane (rechts im Bild) wurde überholt und die Baumgrenze rascht erreicht.
Bei großer Hitze, weit aufgerissenen Trikots und herunter tropfendem Schweiß war es nur noch eine Frage der Zeit, wann der erste
seinen Angriff lancieren würde. Es war Tobi, der Meter um Meter zwischen sich und Till brachte.
Dieser hielt wacker dagegen, konnte die aufgerissene Lücke jedoch nicht mehr zufahren. Der zweite harte Kampf war entschieden.
Auf den letzten Kilometern mit 15 Prozent Durchschnittssteigung musste sogar Tobi das 25er Ritzel auflegen.
Einen Platz in der Top Five der härtesten Berge hat der Glandon sicher.
es erzählte Tobi
Andy, Tim und ich zuckelten hintendrein und hatten so Zeit,
uns mit Arslane zu unterhalten, einem Radfahrer, den wir schon auf dem Madeleine gesehen haben, und der heute 200 km
über Madeleine und Glandon fahren wollte. Er war langsamer als wir unterwegs, hatte aber alles, was er brauchte, dabei -
und zwar ausschließlich in einer Lenker- und in seinen Trikottaschen. Also hatte er ungefähr noch weniger
dabei als wir vor zwei Jahren und vertrat die alte Entdeckerphilosophie, die doch mit Begleitfahrzeug
wenig zu spüren ist. Respekt, Arslane. Wir sollten ihn morgen nach dem Galibier auf dem Lautaret noch einmal sehen und, nur als Kopf aus einem
vorbeibrausenden LKW am fünften Tag in Entrevaux.
Der Anstieg lag herrlich in der Sonne, Andy, Tim und ich kämpften, ohne viel Sinn für die Umgebung,
gegen die Steigung an, den Blick qualvoll gesenkt, nur mit uns beschäftigt; siehe unten.
Am Col du Glandon, nach der knallharten Endsteigung, wo sogar Tobi unter 9 km/h sackte, allerdings auch nur
wegen des grausamen Kampfes, den er sich zuvor mit Till geliefert hatte, gab es mannigfaltige Fotos von skurril über surreal bis hin zu gewaltig,
vom Einbeinigen Und Dem Frosch, vom Wartenden Beduinen Am Pass und vom Mont Blanc Überm Madeleine.
Weiter ging es die kurze Anfahrt zum Croix de Fer hoch und danach im Bergsee baden, wie damals schon die Abfahrt runter,
der D926 nach St Jean de Maurienne folgend. Allerdings empfiehlt sich diese Straße eher zur Anfahrt,
wie wir vor zwei Jahren feststellen konnten, die uns allen als DAS Highlight in Erinnerung ist.
Von St Jean de Maurienne ging es dann an der N566 entlang nach St Michel de Maurienne -
ein Teilstück, vor dem es uns wegen des zu erwartenden Verkehrsaufkommens zurecht gegraust hat.
Der unattraktivste Abschnitt der Tour. In St Michel de Maurienne hatten wir nach dem Abendessen noch
Muße, einen kleinen Bummel durch den Ort zu machen, bei dem Tobi und ich uns in das Befinden eines
Achtung-Kinder-Schildes hineinversetzten, das auf die Straße gedruckt war, indem wir kurzfristig seine Aufgabe als lebende Warnung sicherlich viel wirksamer übernahmen.