SPFrankreich 2000 quäldich.de Andy Jan Till Tim Tobi Walter
29.7. - 5.8.2000
Vorbereitung Annecy - Aime Aime - St. Michel de Maurienne St. Michel de Maurienne - Guillestre Guillestre - Isola Isola - Plan Du Var Plan Du Var - Monte Carlo Geschafft
St. Michel de Maurienne - GuillestreTélégraphe - Galibier - Izoard116 km / 3139 Hm

Auch am heutigen dritten Tag war das Wetter mit uns. Als wir gerade noch im Schatten St Michel de Mauriennes auf die Beendigung der Abfahrtsvorbereitungen warteten, fuhr eine Gruppe Radfahrer zügig an uns vorbei, gut ausgerüstet mit Storck-Rädern, was Till in der Hoffnung, diese Gruppe würde auch wie wir der D902 in Richtung Süden zum Télégraph und Galibier folgen, zu der Aussage verleitete: "Hm, das ist jawohl was für Tobi."
Aber kaum hatten wir den Ort verlassen, standen sie schon wieder da an der rechten Straßenseite und ließen uns an sich vorüberziehen. "Von hinten sticht die Biene", schienen sie sich zu sagen, denn schon waren sie wieder an Andy, Tim und Till vorübergezogen, die leicht hinter Tobi und mich zurückgefallen waren. Till sah die drei zügig an sich vorbei auf uns zufahren, musste aber bald seine Auffassung fallenlassen, hier würde es sich um schnelle Radler handeln, als sie trotz des trockenen Kommentars ("viel Spaß dann noch", es waren Deutsche aus Kassel) nach wenigen Metern bereits ihre ruhige Sitzhaltung aufgaben und sich nun entschlossen, Tobi und mir à la Escartin näherzukommen.
Bei uns kamen sie auch allesamt an, wovon sich Tobi kaum beeindrucken ließ und sich nach einer kurzen Willkommensphase seiner Spielchen hingab: Da wurde mal vorweggefahren, mal neben ihnen, und selbstverständlich die ganze Zeit geredet. Den zwei Schwächeren fiel dann bald ein, dass sie doch mal nach der zurückgefallen Vierten im Bunde gucken mussten und zügelten ihren Aufwärtsdrang. Tobi kam aber gerade in Fahrt und fuhr jetzt schneller, so dass auch der Dritte sich bald damit begnügen musste, sich nur noch mit mir zu unterhalten. Aber nicht lange, denn schon fuhr uns Till von hinten auf. Der hatte sich schon überlegt, dass die zwei Schwächeren nicht weit gekommen sein konnten nach ihrem Angriff unten am Fuße des Berges, hatte allerdings mich bei ihnen vermutet und den Dritten dann kurz darauf bei mir gefunden und nicht bei Tobi, wie vermutet. Meine Frage, ob er denn nun noch Tobi angreifen wolle, beantowrtete er mit einem lockeren "mal sehen", was den Kasseler sichtlich imponierte. Nun unterhielten sich vorne Till und der Kasseler, ich fuhr an deren Hinterrädern. Nun schwieg der Kassel, sein Vorderrad sank von Tills Vorderrad immer weiter ab, verlor den Kontakt zu Tills Hinterrad und war bald neben mir, was ich freudig als Anlass zur Konversation verstand. Nach einer knappen Antwort orientierte sich der Kasseler in Richtung seiner Gefährten und war bald nicht mehr zu sehen.
So weit war ja alles nach Planung geschehen, aber plötzlich konnte man in der Ferne immer wieder Tobis weißes Trikot zwischen den Bäumen aufblitzen sehen. Unser Ehrgeiz war gepackt. Als es mir zu knapp wurde, schlug ich alle Warnungen Tills in den Wind und fuhr los, Tills Gezeter hinter mir lassend. Kurz vor dem Col du Télégraph (1566m) fuhr ich Tobi auf, der sich wirklich zweimal umdrehen musste um zu verstehen, wer da kommt. Nun ging es im Sprint mit knapp dreißig Sachen dem pass entgegen. Ich war aber vollkommen alle und konnte leider seinen gegenangriff nicht mehr abwehren, und gab eine Kurve vor dem Pass im Nichtwissen um diesen Umstand auf. Auf der Ziellinie schlug mich auch noch der bestätigte Till. War halt doch zu früh attackiert. Aber die Stunde des Teams Bonn sollte noch kommen, da war die Gewitterbewölkung im Team schnell verzogen.
Doch dies war nur der erste, und zwar der weitaus leichteste Teil des Tages. Denn es waren von St Michel de Maurienne gerade mal 11,5 km und 854 Hm gewonnen, es hatte also noch einiges zu kommen. Zunächst einmal war da die nächste Sprintwertung am Ortseingang von Valloire, die nach einem Fehlsprint seitens Tim dann von mir im Alleingang gewonnen wurde, weil auf der schnellbefahrenen Straße an den Autos nur für einen, nämlich den ersten, ein Vorbeikommen an den Autos war. Also ein weiteres Kapitels des Buches: Wie fährt man Sprints NICHT an, das sich langsam aber sicher füllte.
Valloire (1400 m) ist nur ein Skiort zwischen Télégraphe und Galibier, und nur über einen der Pässe zu erreichen.
o.l.: Tim liegt am Galibier in Führung; o.r.: wir bummeln hinterher; r.: Tal in Richtung Galibier
Nun ging es also an die 17 km lange Anfahrt zum Galibier (2645 m), die zeitweise Steigungen von 14 Prozent aufweist. Und durch was für ein Zuckertaleinschnitt man hier nach oben geführt wird. Schnell gibt es rechts und links nur noch Geröllhalden, unten im Tal hat sich am Bach noch ein einzelner Baum gehalten. Tim hatte seine Ambitionen, den höchsten Berg der Tourwertung zu gewinnen, den der Galibier darstellte, da wir den Bonnette morgen geschlossen fahren wollten, schon in Valloire offengelegt und war mit strammem Tritt vorgefahren, und wollte unsere arrogante Einschätzung der Situation partout nicht bestätigen, dass er nämlich früher oder später ohnehin einbrechen werde. Dies führte dazu, dass Tobi, Till und ich ab Plan-Lachat (1961 m), kurz bevor die ersten Serpentinen mit bis zu 14 Prozent einsetzten, den Angriff auf Tim einläuteten. Das Bild rechts zeigt den Schauplatz dieses Angriffs. Noch waren es 8 km bis zum Gipfel, aber die hatten es in sich. Auch ohne Tim vor uns wären sie eine Strapaze gewesen, aber so musste alles raus, was ging. Im hochroten Bereich weit überm Limit sah ich, dass wir Tim nicht wirklich näherkamen und bis die Zähne für die weitere Tempoverschärfung zusammen, die Tobi und Till vorlegten. Kurz, bevor die Straße aus der ersten Serpentinengruppe auf die rechte Seite des Kessels vor dem Pass heraustritt, dem sie etwas flacher als zuvor in einer weiten Linkskurve folgt, fuhren wir Tim dann schließlich auf. Ich, am Ende meiner Kräfte, musste erstmal den einzigen Energiebeutel zu mir nehmen, den ich für Notsituationen gekauft hatte. Ein würdiger Einsatz dieses Notbeutels.

Der Kessel vor dem Galibier aus Passrichtung gesehen
Der Nachteil dieses Manövers war, dass wir die faszinierende Natur nur nebenbei wahrnehmen konnten. Und nirgends ist die Wildheit der Felszinnen beeindruckender als hier, in diesem Kessel vor dem Galibier, nirgends sonst die Somersonne gnadenloser, die die Hitze hier stauen lässt; und nirgends sonst lächelt der Pass hämischer und weiter sichtbar von seinem Wall herab, den es nach all diesen Strapazen nun noch in Serpentinen zu erklimmen gilt - nocheinmal verlangen 14 Prozent Steigung den schon geschwächten Beinen alles ab.
Umso schöner und genussvoller ist es dann, oben zu sein und die Aussicht zu beiden Seiten genießen zu können, nach Norden ins Tal, aus dem wir kamen, nach Süden auf das Massif des Ecrins und davor auf die Abfahrt, auf die man weit vorwegblicken kann. Auch auf die aufsteigenden radler, unter denen sich so manche Tragödie abspielte. Höhepunkt war ein völlig verausgabter Mountainbiker, der auf dem letzten Kilometer zum Galibier sicherlich eine dreiviertel Stunde brauchte, drei Pausen einlegte, unterwegs einmal vor Langsamkeit und Erschöpfung umfiel und oben von seinen Kameraden begrüßt wurde, die augenscheinlich eine andere Möglichkeit wahrgenommen hatten, den Galibier zu erreichen. Bei dieser Gelegenheit wäre er beinahe noch den Abhang hinuntergestürzt, als er sich vom Rad seinen Kameraden in die Arme werfen wollte, seine Beine allerdings unerklärlicherweise eine eigene Anschauung darüber zeigten, welche Richtung einzuschlagen sei. Er torkelte dem Abgrund entgegen, und wurde glücklicherweise durch ein Verkehrsschild aufgehalten, an dass er sich nun dankbar klammerte.
Die Abfahrt vom Galibier hat nach den anfänglichen Serpentinen noch zwei tückische Kurven zum Abgrund hin, ist aber sonst einfach zu fahren. Auf einer der Schnellpassagen jagten wir an den Kasselern vorbei, die rechter Hand am Hang standen, und uns auf Nachfrage erzählten, dass die Frau im Bunde, die den Galibier nur völlig ermattet und in Stößen keuchend erreicht hatte, hier ohne fremdes Zutun und nur aus Erschöpfung und dadurch Unkonzentriertheit gestürzt sei. Wir hatten schon den Krankenwagen gehört und Walter fuhr die beiden Zurückgelassenen zur Passhöhe zurück, von wo aus sie leichter den Heimweg antreten konnten. Zum Glück waren die Verletzungen zwar schwer, aber nicht lebensbedrohlich.
Wir fuhren zum Lautaret weiter, einen Vorpass des Galibier, über den die vielbefahrene und gutausgebaute N91 von Grenoble nach Briancon führte. Hier trafen wir Arslane zum zweiten Male und ließen uns auch endlich seine Adresse geben. Zukunftsfahrten sind geplant, zumindestens in den Vogesen.
Die Abfahrt nach Briancon bot ich ihm an, mit uns zu fahren, aber Arslanes Fallschirm einer Windjacke ließ mich mein Vorhaben vergessen, denn ich wollte lieber mit 72 km/h gen Tal rollen. Und das tat ich auch. Den Sprint nach Villeneuve gewann Tim; Till und ich dachten, der Sprint sei in Briancon. Hm.
In Briancon gibt es eine wahre Rampe, die wirklich an San Fransisco erinnert, aber glücklicherweise fuhren wir die nicht hinauf, sondern folgten wieder der D902 in Richtung Col d'Izoard, den dritten Pass des Tages, und mit 2360 Metern noch einer der höheren. Von Briancon (1321 m) geht es die ersten 12 km am Fluß Cerveyrette recht beschaulich zu. Erst wenn sich das Tal bei Cervières teilt und man dem rechten Einschnitt folgt, obwohl der linke, der weiter der Cerveyrette folgt, wahrscheinlicher anmutet, wird es auf den weiteren 9,5 km steiler. Hier hätte sich ein Blick zurück auf den Sommet des Anges gelohnt, wie wir später durch die Bilder erfuhren, die Walter mit seinem todsicheren Instinkt von diesen Schroffen Felseinschnitten gemacht hatte. Das eine ist so gut, das könnt ihr links sehen.
Die Auffahrt entpuppt sich als wahnsinnig gut asphaltiert, immerhin war hier dieses Jahr die Tour de France runtergebraust. In manchmal recht steilen Serpentinen und mitten in diesen über eine schier endlose Gerade ging es dann zum Izoard, auf dem uns ein unwirtliches Wetter empfing.

o.l.: letzte Rampe am Izoard; o.r.: An der Passhöhe am Izoard
u.l.:Südansicht Izoard; u.r.: Chateau Queyras

Doch kaum drunter wurde es wieder heiß, so heiß, dass der weiche Teerbelag geschmolzen auf der Straße stand, was uns stark herunterbremste, weil der Belag so sehr klebte. Immer weiter hinunter ging es auf der D902, nun schon unserem Ziel Guillestre so nah. Dennoch gestatteten wir uns einen kurzen Blick auf das Chateau Queyras, das wir an einer T-Kreuzung, links liegen sahen, wir aber der Straße nach rechts folgen mussten. Ein sehr beeindruckendes Bollwerk vergangener Zeiten, vielleicht sogar noch in einem der Weltkriege von tragender Bedeutung.
Heute abend konnten wir uns einmal mehr bei Walter bedanken, denn der hupte uns noch in der Daluis-Schlucht in Richtung Guillestre an, als wir schon an unserer Bleibe vorbeigefahren waren. So kamen wir früher als gedacht in Guillestre an; Vor uns allerdings schon eine 30-köpfige Radgruppe aus St Georgen, bei denen auch Michael mitfuhr, den Tobi schon auf der Deutschlandtour kennengelernt hatte und der am morgigen Tag eine zentrale Rolle in unserem Bergwertungskrimi spielen sollte. Doch nach einem kurzen Spaziergang mit dem hoteleigenen Hund beendeten wir ersteinmal den heutigen schönen, erlebnisreichen und spannenden Tag und freuten uns auf morgen, nicht wissend, dass am ersten Pass Col de Vars der heißeste Kampf der Tour entstehen sollte.

o.: Die Combe Queyras in Richtung Guillestre

SPFrankreich 2000 Andy Jan Till Tim Tobi Walter
29.7. - 5.8.2000
Vorbereitung Annecy - Aime Aime - St. Michel de Maurienne St. Michel de Maurienne - Guillestre Guillestre - Isola Isola - Plan Du Var Plan Du Var - Monte Carlo Geschafft
11.09.2000 quäldich.de Jan Sahner