SPFrankreich 2000 quäldich.de Andy Jan Till Tim Tobi Walter
29.7. - 5.8.2000
Vorbereitung Annecy - Aime Aime - St. Michel de Maurienne St. Michel de Maurienne - Guillestre Guillestre - Isola Isola - Plan Du Var Plan Du Var - Monte Carlo Geschafft
Guillestre - IsolaVars - Larche - Lombarde129 km / 3230 Hm

Die St Georgener Radgruppe machte schon am Frühstück laut auf sich aufmerksam, als die genauen Planungen des Tages besprochen wurden. Abfahrtszeit wurde auf 9.05 h festgelegt. Als wir allerdings unsere Räder um 9 h auf den Hof geschoben hatten (Tills Rad rief verdattertes Schweigen hervor), waren die meisten St Georger bereits in den Sätteln und fieberten der Abfahrt entgegen, die - entgegen aller Vorwarnungen - eigenmächtig um 5 Minuten vorverlegt wurde.
Michael hatte sich entschieden, mit uns zu fahren in der Hoffnung, endlich mal Leute gefunden zu haben, die mit ihm mithalten konnten, denn er war regelmäßig zwei Stunden vor seiner Gruppe am Zielort und erwartete sie zumeist mit besoffenem Kopf in der nächsten Kneipe. Den Col de Vars wollten wir zusammenfahren, denn hier überschnitten sich unsere Routen. Danach jedoch sollte es für uns dem Bach Ubayette hinauf zum italienischen Grenzpass Col de Larche gehen, während sie der Ubaye nach Barcelonette folgen wollten.
Doch zunächst ging es für uns sechs die malerische Combe du Queyras entlang, die Schlucht, entlang derer wir gestern bereits an unserem Hotel vorbeigerauscht waren. Die D902 begleitete uns nun schon den zweiten Tag, und wieder folgten wir ihr Guillestre rechts liegen lassend am Kreisel am Ortseingang nach links, wo wir schon die ersten St Georger stellten, die sich hier ihrer langen Kleidung entledigten.
Hier sahen Andy, Tim und ich auch Tobi, Till und Michael zum letzten Mal, die sich hier zeigen woltlen, wer die Hosen am Berg an hat. Tobi und Till hatten eine Taktik abgesprochen, und tatsächlich sah es gut um sie bestellt aus, denn Tobi fuhr vor Till und vor Michael in den Berg hinein.
Ich fuhr ohne Ambitionen in den Berg, und auch so überholten wir ständig irgendwelche Leute der St Georgener Radgruppe, die sich gestern noch abschätzig uns gegenüber geäußert hatten. Einige versuchten mitzuhalten, aber ohne viel Erfolg.

Ein Blick zurück eröffnete die Aussicht auf die flache Talsohle, in der Guillestre lag. Sternförmig gingen von dort aus die Täler aus: Das breite Tal der Durance von Norden nach Südwesten, die Combe de Queyras nach Osten und der Chagne entlang nach Süden, der wir zum Col de Vars folgten.
Ein drahtiger, ca 50 kg schwerer und sicher fünfzigjähriger Franzose zog in exstatischem Wiegetritt langsam an uns vorbei, und schweren Herzens ließ ich ihn ziehen, weil ich doch mit Andy und Tim hochfahren wollte. Als aber nach einiger Zeit sich ein weiterer St Georger vor mich setzte, nachdem ich ihn überholt hatte, konnt ich nicht mehr an mich halten und fuhr ihn in Grund und Boden, um dann endlich nach langem Auffahrmanöver zum drahtigen Franzosen aufzuschließen. Uns gegenseitig immer schneller peitschend fuhren wir dann in Vars (1673 m) ein, nach 9,5 km Steigung von Guillestre aus. Hier wird es knackig steil, und so konnte ich ihn abschütteln und hiernach mehr Augen für die Landschaft haben: Recht lieblich ist es hier. Bis zur Passhöhe zieht sich die Straße in einem sehr offenen Trichter durch moosgrüne Matten, die mit einzelnen Felssteinen und wenig hohen Kiefern durchzogen sind. Ab und zu sieht man kleine Tümpel, die das Wasser der feuchten Wiesen sammeln.
Wahrscheinlich ein Eindruck, der bei Tobi und Till nicht hängengeblieben ist. Denn die lieferten sich eine wahre Schlacht mit Michael um die Bergfahrerehre am Col du Vars. Tobi zeigte heute bald erste Schwächen, so dass Till, als er der Strategie folgend ausbrach und Tobi und Michael hinter sich ließ, nicht Tobi hinter sich auftauchen sah, sondern Michael, der nachsetzte und Tobi abreißen lassen musste. In Vars, der mit 12% steilsten Stelle des Passes, hieß es dann attackieren bis zum Umfallen, und tatsächlich hatte Till bald hundert Meter auf Michael gutgemacht. Da hieß es, bloß keine Schwäche zu zeigen, immer im sitzen fahren, nie schwer atmen. Die Atemnot, den Schmerz hinter einer egalen Miene zu verbergen. Durch die Nase atmen. Tief im anaeroben Bereich. Bergpsychologie.
Kurz vor dem Pass der Schock für Till: Es wurde flacher. Nun musste Michael ja an ihm vorbei fahren, Traum ausgeträumt. Aber nein, die letzte Kraft ließ den Vorsprung zwischen ihnen nicht mehr größer werden, Till hatte seinen Berg gewonnen und die Ehre des Teams Darges verteidigt. Vivat Bräuning!

Weiter ging es Richtung Tal, bis die D902 auf der D900 endet, im Schutze des Fort de Tournoux zur Linken, einer weiteren Befestigungsanlage des ersten Weltkrieges. Wir folgten der Ubayette Bergan auf die 17 km des Auftsiegs zum Col de Larche, der mit nur 661 Hm flachste Pass bisher. Auch die Steigung war flach, und so ging es locker bergan bis nach Larche (1691 m), wo Walter bereits den lokalen Lebensmittelhändler aus dem Mittagsschlaf geklingelt hatte und wir somit einkaufen konnten, ein Einfall, der sich als überaus glücklich erweisen sollte. Heute war der Tag des Teams Bonn. Schon vor dem Laden hatte ich Till darauf aufmerksam gemacht, dass ich 2 km vor dem Pass angreifen werde und habe mit ihm eine genaue Kilometerzahl abgemacht. Kaum dort forcierte Till das Tempo, Tobi ging mit, ich ließ mich leicht zurückfallen, bis Till das Tempo drosselte, Tobi auch froh war, dass es nun wieder lockerer wurde und sich Tills Tempo anpasste. Nun gab es keinen Weg mehr zurück, ich griff an und fuhr mit dreißig an Tobi und Till vorbei, so dass Tobi von 17 km/h weg auf über dreißig beschleunigen musste und sich vor mich setzte. Ein kurzer Moment des Zweifels war für mich gekommen: Jetzt nachsetzen oder hinter Tobi hängen? Nachsetzen. Ich fhr weiter, und zu meiner Beruhigung gab Tobi den Pass schnell verloren. Davon ließ ich mich nicht beruhigen; vom Rudern kannte ich das Gefühl zu gut, auf der Ziellinie abgefangen zu werden. Völlig platt, aber meinen Pass (oder soll ich sagen: Hügel) in der Tasche.


Der Col de Larche ist (1991 m) ein wenig attraktiver Berg, zumindest von unserer Seite. Die andere Seite führt an einem netten Bergsee vorbei, den man auch auf allen Karten des Passes sehen kann. Dunkle Regenwolken drängten auf schnelle Weiterfahrt, und runter ging es erst durch einige Serpentinen, in denen wir lange Lastzüge gekonnt in den Innenkurven überholen konnten und durch einige Orte, in denen wir uns einmal den Weg freipfeifen mussten, als sich eine verwirrte Oma vor uns aufmachte, die Straße zu überqueren. Und in Pietraporzio, wie man sind wir jetzt in Italien, überraschte uns der Regen. Und Luxusurlauber wie wir sind, machten wir dann ersteinmal Mittagspause, im trockenen Sprinter. Schuldbewusst sahen wir einige durchnässte Radfahrer an uns vorüberziehen.
Auf der noch feuchten Straße ging es durch Nebelschwaden weiter ins Tal, wo wir das Kiesbett des Stura di Demonte auf einer Höhe von 898 m nach Pratolungo überquerten und der Santa Anna folgten, die sich das Bett vom Kloster Santa Anna durch einen engen Taleinschnitt gesucht hat. Schön liegt die schmale Straße zwischen Hang und Bach gezwängt, der mal nah an der Straße, mal einige zehn Meter unter ihr verläuft. Rechts und links sind Geröllhänge, in denen sich manche Kieferbestände gehalten haben. Oberhalb des Hanges sorgen schroffe Felsen zu einer Abhärtung des kargen Bildes.
Das Kloster Santa Anna liegt am rechten Hang, während man für den Col de la Lombarde (2350 m) von der Straße auf den linken Hang abbiegen muss, um nach weiteren 9 km den Col de la Lombarde (2350 m) zu erreichen; eine Abzweigung, die man nicht unbedingt sieht.
Fortsetzung von Tobis Bergdesaster des heutigen Tages: Speichenbruch im ersten Teil des Lombarde, voller Tatendrang und Revanchegelüsten in Führung liegend. Dies gab einige diplomatische Verwicklungen, die weitreichende Folgen für den morgigen Tag am Col de la Cayolle nach sich zogen. Sportlich fair warteten Tim und Till auf Tobi, die sämtlich auf die Bergwertung dieses Berges fuhren, während Andy und ich (nach der Verausgabung am Larche hatte ich alle Kohlen verfeuert) froh waren, überhaupt oben anzukommen und weiterfuhren.
Was für ein schöner Berg dies war. Die Straße und die Witterung ließen Tobi und mich beide an den Passo di Manghen denken, den letzten Pass unserer 1999er Sommertour. Kurz unter dem Pass warteten wir auf Tobi und Till, die als einzige noch um die Bergwertung am Lombarde fuhren, nachdem Tim sich auch entschlossen hatte, lieber Andy und mich aufzufahren und den Kampf den beiden Streithähnen zu überlassen, und das, obwohl seine Beine am heutigen Tage ganz klar Favoriten-Qualität besaßen.

Oben am Col de la Lombarde (2350 m) war es zugegebenermaßen arschkalt und Tobi zog mal wieder alles an, was ging. Die Abfahrt war geil; erst durch schnelle, enge Serpentinen, dann durch noch schnellere, weite Serpentinen rasten Andy, Tobi und ich Isola 2000 entgegen, einer häßlichen Retortenstadt an einer Zuckerstraße. Weitere 17 km später erreichten wir Isola, schon viel schöner, aber durchaus unbedeutend. Bemerkenswert ist die Breite des Bachbetts der Guerche, die hier schnurgerade senkrecht zum Hang verläuft und augenscheinlich im Frühling gewaltige Wassermassen des Lombardes mit sich führt, denn rechts und links ragten die Mauern fünf Meter empor. Rettungschancen dann wahrscheinlich eher gering.
Beruhigt ging ich zu Bett, stolz ging Till zu Bett, enttäuscht ging Tobi zu Bett, aber nicht ohne Rachegelüste. Ich musste nicht mehr den letzten Minipass gewinnen, den ich mir eigentlich ausgesucht hatte, Till hatte einen wahrlich stolzen Pass gewonnen und Tobi plante, morgen seine Hoheit am Berg wiederherzustellen. Doch die heute eingeleiteten diplomatischen Verwicklungen sollten dies morgen Verunmöglichen: Der Bonette war als Krone der Alpen ohnehin außerhalb der Bergwertung, und der Cayolle sollte vorbehalten sein für ein Schauspiel der besonderen Art.

SPFrankreich 2000 Andy Jan Till Tim Tobi Walter
29.7. - 5.8.2000
Vorbereitung Annecy - Aime Aime - St. Michel de Maurienne St. Michel de Maurienne - Guillestre Guillestre - Isola Isola - Plan Du Var Plan Du Var - Monte Carlo Geschafft
11.09.2000 quäldich.de Jan Sahner