Eine Tagesfahrt in ein nichtbenachbartes Bundesland 252,8 km / 3727 Hm
Redaktionell bestätigte Tour von Uwe
Von Uwe –
1. Die Idee
Nachdem Benni und ich gelegentlich von unserem Wohnort Soest in Nordrhein-Westfalen Tagestouren machen, die in unser Nachbarbundesland Hessen führen, kam Benni mit der Frage, ob man denn auch innerhalb einer Etappe in ein nichtbenachbartes Bundesland fahren könne. "Muss ich mal rechnen." war die kurze Antwort.
2. Grundsätzliche Überlegungen
Eine Reise nach Norden kommt nicht in Frage, wenn auf dem Trikot steht: "Hauptsache bergauf", also war erst einmal die Frage zu klären, ob Thüringen oder Bayern ein Ziel sein könnte.
Eine Berechnung, möglichst günstig jeweils bis an die Grenze zu kommen, ergab für beide Bundesländer eine Strecke von ca. 250 km. Wobei wir auch bedenken mussten, dass wir unterwegs nicht allzu viel Zeit in Streckenplanung und Orientierung stecken wollten. So kam (für dieses Mal...) Thüringen nicht in Frage, da wir dorthin schon relativ bald in uns unbekanntes Gebiet vorstoßen würden und durch Streckensuche unser Rhythmus sehr früh zunichte würde, was dann ein Ankommen angesichts unserer begrenzten Kondition gefährden würde.
Außerdem klingt Bayern für einen Bewohner NRWs schon sehr weit weg, was sich somit positiv auf die Motivation auswirkt.
Für uns beide war klar, dass wir noch nie eine vergleichbare Aktion gewagt hatten und ca. ab Kilometer 150 in neue Erfahrungen vorstoßen sollten. Noch nie, heißt für mich: nicht in den letzten über 20 Jahren, denn in 1985 hatte ich als junger Kerl einmal eine Tagestour über 300 km aus dem Wittgensteiner Land, meiner geliebten alten Heimat (auch NRW) bis in den Odenwald gemacht. Auch klar war, dass wir nach der Tour so platt sein würden, dass der weitere Verlauf der Saison ein großes Loch bekommen würde. Was sich für mich auch bestätigte, aber aus einem anderen Grund, denn als ich einige Ruhetage später wieder ins Geschehen einsteigen wollte, stürzte ich auf nasser Straße und musste dadurch einige Wochen leise treten. Es war auch klar, dass wir beide in der Nacht nach der Tour nicht schlafen würden und am nächsten Tag keine längere Tour einplanen konnten, so dass auf jeden Fall "Untenehmen Zukunft" ausnahmsweise eine kleine Finanzspritze unsererseits bekommen sollte und uns als Gegenleistung eine Leistungsprobe abliefern durfte.
3. Die Planung
Also standen die Eckpunkte fest, was passieren sollte.
Als möglicher Termin fand sich Freitag, der 22.05.2009, also eine Feiertagsbrücke. Der Donnerstag, eben der Feiertag selbst war schon ohne Radtour verplant. Am Freitag sollte das Unternehmen starten, am Samstag noch eine kleine Etappe mit anschließender Bahnrückreise und am Sonntag wieder ein Ruhetag zuhause, damit am Montag wieder das normale Wochenprogramm in der Firma starten kann.
Start in Soest sollte um 05:00 Uhr sein, somit war keine Beleuchtung notwendig. Ankunft, wenn möglich auch noch bei Tages(rest)licht.
Als Ziel fand sich ein imaginäres Schild im Spessart: "Freistaat Bayern", Übenachtung in der nahegelegenen Jugendherberge in Linsengericht-Geislitz in Hessen.
Da die ersten ca. 100 km der Strecke wohlbekanntes Terrain sind und die ersten 80km im Quaeldich-Tourenplaner sowieso schon in ordentlicher Qualität integriert waren, konnte Kollege (G)Armin etwas länger schlafen, denn sein Akku macht nur 14 Stunden unter günstigen Bedingungen. Es gab sogar schon Überlegungen, ein Akkupack zu bauen und Garmin mit einer externen Stromquelle über dir Runden zu helfen, aber dafür waren wir zu spät, bzw. wäre das Teil etwas groß und schwer ausgefallen.
Ab Frankenberg im Hessen würde uns eine längere unbekannte Strecke erwarten, die aber hoffentlich ohne Probleme zu finden wäre, dann im Vogelsbergkreis sollte wieder Strecke befahren werden, die in den 1980er Jahren gelegentlich mein Terrain waren, und im Main-Kinzig-Kreis wäre die Sache selbsterklärend, bzw. auch schon grob bekannt, da Benni 2007 schon mal in der JH Geislitz war.
4. Die Tat
Nach nervöser Nacht (schaffe ich das? was ist, wenn wir total schlapp machen, wenn wir die JH nicht erreichen, wenn wir die JH erreichen, aber kein Bett bekommen...) starten wir pünktlich um 05:00 Uhr in Soest. Über gut bekannte Feldwege geht es zum Möhnesee, dann ins Sauerland nach Meschede. Inzwischen haben wir unseren Rhythmus gefunden und ich rechne alle 30 Minuten im Kopf den Schnitt aus. "Benni, wir sind zu schnell!" "Stell den Tacho auf maximal 25 km/h ein." usw.
Von Meschede bis Winterberg führt die Strecke fast immer leicht bergauf, von einigen kleinen Zwischenhöhen einmal abgesehen. In Winterberg angekommen, besuchen wir ein Café und frühstücken gründlich. Das haben wir uns schon verdient! Die Kunden, die heute morgen hier ihre Brötchen holen, sind gerade erst aufgestanden, aber wir haben schon 70 km mit ca. 1250 Hm in den Beinen.
Nach dem Frühstück wird Garmin geweckt, damit er den weiteren Verlauf der Tour aufzeichnet. Da ich überzeugter User meines organischen Navis mit Papierschnittstelle bin, hat Garmin bei uns nur Dokumentationsaufgaben und gar keine Karte installiert. Aber Doku ist wichtig!
Von Winterberg geht es in rauschender Fahrt über die B 236 nach Züschen und auf einer ehemaligen Bahntrasse (gut asphaltiert, sehr empfehlenswert) weiter nach Hallenberg. Dort biegen wir über Somplar nach Frankenberg ab.
Bis hierhin war alles alt bekannte Straße, aber die weiteren Ortsnamen habe ich teilweise bei der Vorbereitung der Tour zum ersten Mal gelesen. Als wir Frankenberg verlassen haben, kommen wir durch dünn besiedelte Gegend mit viel Wald und wir müssen nur gelegentlich die Karte auskramen.
Bald erreichen wir Kirchhain bei Marburg, wo wir nach einiger Suche auch einen gastronomischen Betrieb finden, der so aussieht, als sollte es hier wirklich etwas zu essen geben. Etwas früh ist es noch, aber nach einiger Warterei nimmt Oma uns doch zur Kenntnis und setzt uns ein leckeres Schnitzel vor. Sie ist schon Ende 80 und führt den Betrieb schon lange alleine, erzählt sie uns. Und dass sich ausgerechnet heute jemand zu ihr verirrt, damit hat sie nicht gerechnet.
Mit vollem Magen geht die Fahrt weiter, zuerst flach durch das Ohmtal, meist auf Nebenwegen mit irgend einer Radwegbeschilderung. Bald erreichen wir die ersten Ausläufer des Vogelsbergs und es steigt allmählich deutlicher an. Jetzt machen sich die ersten Müdigkeitserscheinungen bemerkbar und die Kette krabbelt langsam aber sicher immer weiter nach links. Vor Ulrichstein ist die Kette ganz links angekommen (30/27...) und die Kurbel dreht sich fast nicht mehr. Es liegt auch nicht an der geringen Steigung, ich bin platt! Benni sagt auch nichts mehr und kämpft mühsam an meinem Hinterrad. Wir müssen unbedingt zusammen bleiben, und wenn wir zusammen sterben, deshalb fahre ich vor ihm, damit ich sein Hinterrad nicht verliere und irgendwo in den Straßengraben versacke. Benni glaubt auch nicht mehr, dass wir nach Bayern finden oder überhaupt noch irgendwohin, aber er weiß, dass er jetzt nicht sprechen darf...
In Ulrichstein finden wir am Ortseingang einen kleinen Lebensmittelladen mit Backtheke, wo wir uns niederlassen und einige Stücke Gebäck vernichten. Auch Getränke kippen wir nach und es geht uns wieder etwas besser. Jetzt darf Benni auch wieder sprechen und er verrät, dass er "etwas" müde ist. Für meinen Zustand hat die deutsche Sprache keine Vokabeln, aber der Wille ist noch da und so sparen wir uns die Diskussion zum Thema Abbruch.
Nur noch ca. 10 km bergauf, auch nur gut 200 Hm - das muss noch gehen, auch in unserem Zustand. MUSS GEHEN!
Irgendwie schaffen wir es auch, die Kreuzung am Hoherodskopf zu erreichen und freuen uns auf die weitere Strecke, die jetzt "nur noch bergab" geht. Naja...
Einige Zwischenanstiege müssen wir doch noch schaffen, es geht auch. Dann erzähle ich Benni, dass es hier irgendwo in der Gegend eine Straße gibt, die schnurgerade mit 12 % Gefälle den Berg hinunter führt und gegenüber genau so steil durch ein Dorf wieder aufwärts geht. Dummerweise habe ich vergessen, wo es genau ist, da ich nur in 1985 einmal mit dem Rad dort war und jetzt werde ich schon lange alt... Aber in Sichenhausen und dann weiter nach Herchenhain haben wir die Gelegenheit, mein Gedächtnis wieder aufzufrischen. In Sichenhausen geht es etwas verwinkelt und holprig steil bergab und dann kommt die Hammersteigung. Mit immerhin Spitzen von 13 % geht es schnurgerade den Berg hinauf, ein Höhenunterschied von ca. 130 Hm wird dabei überwunden und zu allem Überfluss gibt es hier auch die anderen Zweiradfahrer, die an solchen Stellen zeigen müssen, was ihr Stinktier kann. Wir stinken auch inzwischen und pfeifen auch schon lange auf dem letzten Loch...
Die Südseite des Vogelsbergs ist dann wieder angenehm zu fahren, da es überwiegend leicht bergab führt. Dann noch einige kleine Wellen und eine kleine Gegensteigung und wir stürzen uns bei Wächtersbach ins Kinzigtal. Dort nehmen wir die rechte Talseite des Kinzigtals nach Gelnhausen, denn auf der linken Seite habe ich mich in 1982 einmal mit dem Rad auf die Autobahn verirrt...
In Gelnhausen finden wir trotz Baustellen einen Weg Richtung Spessart und fahren erst einmal an Geislitz, wo wir uns inzwischen telefonisch in der Jugendherberge angemeldet haben, vorbei und müssen noch einmal richtig bergauf fahren, um besagtes Bayernschild zu erreichen. Wat mutt, dat mutt, sagen die Westfalen. Diese 3 km machen mir nochmal so richtig zu schaffen, aber Benni ist übermotiviert und fährt mir davon, jetzt darf er es auch!
Den Anstieg zur Jugendherberge schaffen wir auch noch, nachdem wir uns gegen eine leckere Pizza in Geislitz entschieden haben. Benni kennt hier eine Pizzeria, aber die ist im Dorf und die JH oben am Wald. Also zuerst JH aufsuchen. Ich entscheide mich gegen die Pizzeria, denn den Weg zurück werde ich nicht schaffen, zu Fuß gehen möchte ich nicht (Look-Platten...), ein Taxi ist zu teuer...
Zuerst macht die JH-Wirtin noch flotte Sprüche über unseren Zustand, gesteht aber, dass ihre Söhne auch solche Aktionen machen und dass sie es eigentlich o.k. findet, wenn jemand so unterwegs ist (das sind auch ihre potentiellen Gäste...). Dann bietet sie uns noch ein Abendessen an und sogar mit Bier, Erdinger Weizenbier! Auf der Terrasse genießen wir noch unser Abendessen und der Wirt zeigt uns am Horizont die Skyline von Mainhatten und den Funkturm auf dem Großen Feldberg im Taunus.
Dann beginnt die Nacht. So schrecklich wie erwartet. Rückenschmerzen, Puls zu hoch zum Schlafen, Krämpfe in den Waden... Selbst schuld!
Am nächsten Morgen fahren wir nach gutem Frühstück ca. 60 km auf wunderschönen Straßen weiter durch den Spessart nach Lohr am Main, wo wir in der Altstadt noch einmal gründlich und ausgiebig Pizza und Eis usw. verspeisen und dabei in aller Gemütlichkeit in Bennis Handy den Bahnfahrplan studieren.
Nach dem Essen müssen wir uns sogar noch fast beeilen, dass wir pünktlich zum Bahnhof kommen.
Über den weiteren Verlauf des Tages könnte man jetzt auch ein Buch schreiben, denn an einem Feiertagsbrückenwochendende mit dem "Schönen Wochenende Ticket" in Bummelzügen mit Fahrradtransport zu reisen, ist eins der letzten Abenteuer, die man in Deutschland erleben kann.
Die Bahn hat für unseren Rückweg ein Drittel der Zeit benötigt, die wir für den Hinweg gebraucht haben. 6 mal umsteigen, alle Züge überfüllt, die Radabteile sowieso, Verspätungen, unfreundliche, fast böse Schaffner(Innen), verärgerte Fahrgäste, stickige Luft..... Kurz: alles, was man nicht haben muss, aber bei der Bahn inklusive bekommt. Ein Fahrgast mit Rad brachte es auf den Punkt: Ich hasse Bahnfahren!
5. Fazit
Ähm ja...
Benni sagt: Wieder machen.
Ich sage: Ähm ja... Junge, du hast recht.
Der Verstand sagt... Sprechverbot!
Radfahren kann süchtig machen!
Nach dieser Tour war klar: Einige Ruhetage (eine Woche Rufbereitschaft in der Firma, sowieso keine Radtouren), dann wieder einige Tage mit harmlosen Fahrten, dann wieder steigern und die Vorbereitung auf die Alpen konkretisieren.
Leider kam dann mein Sturz dazwischen, wo ich zwar "nur" eine große Schürfwunde davon trug, und sogar selbige Tour nicht abbrechen musste und noch 80 km durch den Regen weiter fuhr. Aber da die Wunde an einer nicht öffentlichen Körperstelle war, die man auch in dieser Größe nicht sinnvoll abkleben konnte, hatte ich mit meiner beruflichen Tätigkeit schon genug Mühe. Im Büro sitzen, wenn das dazu notwendigste Körperteil unbrauchbar ist, macht keinen Spass...
Mitte Juli kam dann der Sommerurlaub in Graubünden, wo dann die Wunde wieder verheilt war und wieder einige kleine Touren ihren Weg auf den Tacho gefunden hatten.
Nachdem Benni und ich gelegentlich von unserem Wohnort Soest in Nordrhein-Westfalen Tagestouren machen, die in unser Nachbarbundesland Hessen führen, kam Benni mit der Frage, ob man denn auch innerhalb einer Etappe in ein nichtbenachbartes Bundesland fahren könne. "Muss ich mal rechnen." war die kurze Antwort.
2. Grundsätzliche Überlegungen
Eine Reise nach Norden kommt nicht in Frage, wenn auf dem Trikot steht: "Hauptsache bergauf", also war erst einmal die Frage zu klären, ob Thüringen oder Bayern ein Ziel sein könnte.
Eine Berechnung, möglichst günstig jeweils bis an die Grenze zu kommen, ergab für beide Bundesländer eine Strecke von ca. 250 km. Wobei wir auch bedenken mussten, dass wir unterwegs nicht allzu viel Zeit in Streckenplanung und Orientierung stecken wollten. So kam (für dieses Mal...) Thüringen nicht in Frage, da wir dorthin schon relativ bald in uns unbekanntes Gebiet vorstoßen würden und durch Streckensuche unser Rhythmus sehr früh zunichte würde, was dann ein Ankommen angesichts unserer begrenzten Kondition gefährden würde.
Außerdem klingt Bayern für einen Bewohner NRWs schon sehr weit weg, was sich somit positiv auf die Motivation auswirkt.
Für uns beide war klar, dass wir noch nie eine vergleichbare Aktion gewagt hatten und ca. ab Kilometer 150 in neue Erfahrungen vorstoßen sollten. Noch nie, heißt für mich: nicht in den letzten über 20 Jahren, denn in 1985 hatte ich als junger Kerl einmal eine Tagestour über 300 km aus dem Wittgensteiner Land, meiner geliebten alten Heimat (auch NRW) bis in den Odenwald gemacht. Auch klar war, dass wir nach der Tour so platt sein würden, dass der weitere Verlauf der Saison ein großes Loch bekommen würde. Was sich für mich auch bestätigte, aber aus einem anderen Grund, denn als ich einige Ruhetage später wieder ins Geschehen einsteigen wollte, stürzte ich auf nasser Straße und musste dadurch einige Wochen leise treten. Es war auch klar, dass wir beide in der Nacht nach der Tour nicht schlafen würden und am nächsten Tag keine längere Tour einplanen konnten, so dass auf jeden Fall "Untenehmen Zukunft" ausnahmsweise eine kleine Finanzspritze unsererseits bekommen sollte und uns als Gegenleistung eine Leistungsprobe abliefern durfte.
3. Die Planung
Also standen die Eckpunkte fest, was passieren sollte.
Als möglicher Termin fand sich Freitag, der 22.05.2009, also eine Feiertagsbrücke. Der Donnerstag, eben der Feiertag selbst war schon ohne Radtour verplant. Am Freitag sollte das Unternehmen starten, am Samstag noch eine kleine Etappe mit anschließender Bahnrückreise und am Sonntag wieder ein Ruhetag zuhause, damit am Montag wieder das normale Wochenprogramm in der Firma starten kann.
Start in Soest sollte um 05:00 Uhr sein, somit war keine Beleuchtung notwendig. Ankunft, wenn möglich auch noch bei Tages(rest)licht.
Als Ziel fand sich ein imaginäres Schild im Spessart: "Freistaat Bayern", Übenachtung in der nahegelegenen Jugendherberge in Linsengericht-Geislitz in Hessen.
Da die ersten ca. 100 km der Strecke wohlbekanntes Terrain sind und die ersten 80km im Quaeldich-Tourenplaner sowieso schon in ordentlicher Qualität integriert waren, konnte Kollege (G)Armin etwas länger schlafen, denn sein Akku macht nur 14 Stunden unter günstigen Bedingungen. Es gab sogar schon Überlegungen, ein Akkupack zu bauen und Garmin mit einer externen Stromquelle über dir Runden zu helfen, aber dafür waren wir zu spät, bzw. wäre das Teil etwas groß und schwer ausgefallen.
Ab Frankenberg im Hessen würde uns eine längere unbekannte Strecke erwarten, die aber hoffentlich ohne Probleme zu finden wäre, dann im Vogelsbergkreis sollte wieder Strecke befahren werden, die in den 1980er Jahren gelegentlich mein Terrain waren, und im Main-Kinzig-Kreis wäre die Sache selbsterklärend, bzw. auch schon grob bekannt, da Benni 2007 schon mal in der JH Geislitz war.
4. Die Tat
Nach nervöser Nacht (schaffe ich das? was ist, wenn wir total schlapp machen, wenn wir die JH nicht erreichen, wenn wir die JH erreichen, aber kein Bett bekommen...) starten wir pünktlich um 05:00 Uhr in Soest. Über gut bekannte Feldwege geht es zum Möhnesee, dann ins Sauerland nach Meschede. Inzwischen haben wir unseren Rhythmus gefunden und ich rechne alle 30 Minuten im Kopf den Schnitt aus. "Benni, wir sind zu schnell!" "Stell den Tacho auf maximal 25 km/h ein." usw.
Von Meschede bis Winterberg führt die Strecke fast immer leicht bergauf, von einigen kleinen Zwischenhöhen einmal abgesehen. In Winterberg angekommen, besuchen wir ein Café und frühstücken gründlich. Das haben wir uns schon verdient! Die Kunden, die heute morgen hier ihre Brötchen holen, sind gerade erst aufgestanden, aber wir haben schon 70 km mit ca. 1250 Hm in den Beinen.
Nach dem Frühstück wird Garmin geweckt, damit er den weiteren Verlauf der Tour aufzeichnet. Da ich überzeugter User meines organischen Navis mit Papierschnittstelle bin, hat Garmin bei uns nur Dokumentationsaufgaben und gar keine Karte installiert. Aber Doku ist wichtig!
Von Winterberg geht es in rauschender Fahrt über die B 236 nach Züschen und auf einer ehemaligen Bahntrasse (gut asphaltiert, sehr empfehlenswert) weiter nach Hallenberg. Dort biegen wir über Somplar nach Frankenberg ab.
Bis hierhin war alles alt bekannte Straße, aber die weiteren Ortsnamen habe ich teilweise bei der Vorbereitung der Tour zum ersten Mal gelesen. Als wir Frankenberg verlassen haben, kommen wir durch dünn besiedelte Gegend mit viel Wald und wir müssen nur gelegentlich die Karte auskramen.
Bald erreichen wir Kirchhain bei Marburg, wo wir nach einiger Suche auch einen gastronomischen Betrieb finden, der so aussieht, als sollte es hier wirklich etwas zu essen geben. Etwas früh ist es noch, aber nach einiger Warterei nimmt Oma uns doch zur Kenntnis und setzt uns ein leckeres Schnitzel vor. Sie ist schon Ende 80 und führt den Betrieb schon lange alleine, erzählt sie uns. Und dass sich ausgerechnet heute jemand zu ihr verirrt, damit hat sie nicht gerechnet.
Mit vollem Magen geht die Fahrt weiter, zuerst flach durch das Ohmtal, meist auf Nebenwegen mit irgend einer Radwegbeschilderung. Bald erreichen wir die ersten Ausläufer des Vogelsbergs und es steigt allmählich deutlicher an. Jetzt machen sich die ersten Müdigkeitserscheinungen bemerkbar und die Kette krabbelt langsam aber sicher immer weiter nach links. Vor Ulrichstein ist die Kette ganz links angekommen (30/27...) und die Kurbel dreht sich fast nicht mehr. Es liegt auch nicht an der geringen Steigung, ich bin platt! Benni sagt auch nichts mehr und kämpft mühsam an meinem Hinterrad. Wir müssen unbedingt zusammen bleiben, und wenn wir zusammen sterben, deshalb fahre ich vor ihm, damit ich sein Hinterrad nicht verliere und irgendwo in den Straßengraben versacke. Benni glaubt auch nicht mehr, dass wir nach Bayern finden oder überhaupt noch irgendwohin, aber er weiß, dass er jetzt nicht sprechen darf...
In Ulrichstein finden wir am Ortseingang einen kleinen Lebensmittelladen mit Backtheke, wo wir uns niederlassen und einige Stücke Gebäck vernichten. Auch Getränke kippen wir nach und es geht uns wieder etwas besser. Jetzt darf Benni auch wieder sprechen und er verrät, dass er "etwas" müde ist. Für meinen Zustand hat die deutsche Sprache keine Vokabeln, aber der Wille ist noch da und so sparen wir uns die Diskussion zum Thema Abbruch.
Nur noch ca. 10 km bergauf, auch nur gut 200 Hm - das muss noch gehen, auch in unserem Zustand. MUSS GEHEN!
Irgendwie schaffen wir es auch, die Kreuzung am Hoherodskopf zu erreichen und freuen uns auf die weitere Strecke, die jetzt "nur noch bergab" geht. Naja...
Einige Zwischenanstiege müssen wir doch noch schaffen, es geht auch. Dann erzähle ich Benni, dass es hier irgendwo in der Gegend eine Straße gibt, die schnurgerade mit 12 % Gefälle den Berg hinunter führt und gegenüber genau so steil durch ein Dorf wieder aufwärts geht. Dummerweise habe ich vergessen, wo es genau ist, da ich nur in 1985 einmal mit dem Rad dort war und jetzt werde ich schon lange alt... Aber in Sichenhausen und dann weiter nach Herchenhain haben wir die Gelegenheit, mein Gedächtnis wieder aufzufrischen. In Sichenhausen geht es etwas verwinkelt und holprig steil bergab und dann kommt die Hammersteigung. Mit immerhin Spitzen von 13 % geht es schnurgerade den Berg hinauf, ein Höhenunterschied von ca. 130 Hm wird dabei überwunden und zu allem Überfluss gibt es hier auch die anderen Zweiradfahrer, die an solchen Stellen zeigen müssen, was ihr Stinktier kann. Wir stinken auch inzwischen und pfeifen auch schon lange auf dem letzten Loch...
Die Südseite des Vogelsbergs ist dann wieder angenehm zu fahren, da es überwiegend leicht bergab führt. Dann noch einige kleine Wellen und eine kleine Gegensteigung und wir stürzen uns bei Wächtersbach ins Kinzigtal. Dort nehmen wir die rechte Talseite des Kinzigtals nach Gelnhausen, denn auf der linken Seite habe ich mich in 1982 einmal mit dem Rad auf die Autobahn verirrt...
In Gelnhausen finden wir trotz Baustellen einen Weg Richtung Spessart und fahren erst einmal an Geislitz, wo wir uns inzwischen telefonisch in der Jugendherberge angemeldet haben, vorbei und müssen noch einmal richtig bergauf fahren, um besagtes Bayernschild zu erreichen. Wat mutt, dat mutt, sagen die Westfalen. Diese 3 km machen mir nochmal so richtig zu schaffen, aber Benni ist übermotiviert und fährt mir davon, jetzt darf er es auch!
Den Anstieg zur Jugendherberge schaffen wir auch noch, nachdem wir uns gegen eine leckere Pizza in Geislitz entschieden haben. Benni kennt hier eine Pizzeria, aber die ist im Dorf und die JH oben am Wald. Also zuerst JH aufsuchen. Ich entscheide mich gegen die Pizzeria, denn den Weg zurück werde ich nicht schaffen, zu Fuß gehen möchte ich nicht (Look-Platten...), ein Taxi ist zu teuer...
Zuerst macht die JH-Wirtin noch flotte Sprüche über unseren Zustand, gesteht aber, dass ihre Söhne auch solche Aktionen machen und dass sie es eigentlich o.k. findet, wenn jemand so unterwegs ist (das sind auch ihre potentiellen Gäste...). Dann bietet sie uns noch ein Abendessen an und sogar mit Bier, Erdinger Weizenbier! Auf der Terrasse genießen wir noch unser Abendessen und der Wirt zeigt uns am Horizont die Skyline von Mainhatten und den Funkturm auf dem Großen Feldberg im Taunus.
Dann beginnt die Nacht. So schrecklich wie erwartet. Rückenschmerzen, Puls zu hoch zum Schlafen, Krämpfe in den Waden... Selbst schuld!
Am nächsten Morgen fahren wir nach gutem Frühstück ca. 60 km auf wunderschönen Straßen weiter durch den Spessart nach Lohr am Main, wo wir in der Altstadt noch einmal gründlich und ausgiebig Pizza und Eis usw. verspeisen und dabei in aller Gemütlichkeit in Bennis Handy den Bahnfahrplan studieren.
Nach dem Essen müssen wir uns sogar noch fast beeilen, dass wir pünktlich zum Bahnhof kommen.
Über den weiteren Verlauf des Tages könnte man jetzt auch ein Buch schreiben, denn an einem Feiertagsbrückenwochendende mit dem "Schönen Wochenende Ticket" in Bummelzügen mit Fahrradtransport zu reisen, ist eins der letzten Abenteuer, die man in Deutschland erleben kann.
Die Bahn hat für unseren Rückweg ein Drittel der Zeit benötigt, die wir für den Hinweg gebraucht haben. 6 mal umsteigen, alle Züge überfüllt, die Radabteile sowieso, Verspätungen, unfreundliche, fast böse Schaffner(Innen), verärgerte Fahrgäste, stickige Luft..... Kurz: alles, was man nicht haben muss, aber bei der Bahn inklusive bekommt. Ein Fahrgast mit Rad brachte es auf den Punkt: Ich hasse Bahnfahren!
5. Fazit
Ähm ja...
Benni sagt: Wieder machen.
Ich sage: Ähm ja... Junge, du hast recht.
Der Verstand sagt... Sprechverbot!
Radfahren kann süchtig machen!
Nach dieser Tour war klar: Einige Ruhetage (eine Woche Rufbereitschaft in der Firma, sowieso keine Radtouren), dann wieder einige Tage mit harmlosen Fahrten, dann wieder steigern und die Vorbereitung auf die Alpen konkretisieren.
Leider kam dann mein Sturz dazwischen, wo ich zwar "nur" eine große Schürfwunde davon trug, und sogar selbige Tour nicht abbrechen musste und noch 80 km durch den Regen weiter fuhr. Aber da die Wunde an einer nicht öffentlichen Körperstelle war, die man auch in dieser Größe nicht sinnvoll abkleben konnte, hatte ich mit meiner beruflichen Tätigkeit schon genug Mühe. Im Büro sitzen, wenn das dazu notwendigste Körperteil unbrauchbar ist, macht keinen Spass...
Mitte Juli kam dann der Sommerurlaub in Graubünden, wo dann die Wunde wieder verheilt war und wieder einige kleine Touren ihren Weg auf den Tacho gefunden hatten.
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