Mittleres Alpenbrevet 1999 158,0 km / 3320 Hm
Nachdem ich schon zwei Jahre zuvor das Alpenbrevet des
Schweizerischen Radfahrerbundes Swiss Cycling
auf der kürzesten angebotenen
Strecke, (104 km, 3 Pässe, 3100 Hm) absolviert hatte, habe
ich mir im Sommer 1999 vorgenommen, auch noch die mittlere
Strecke (158 km, 3 Pässe, 3320 Hm) zu fahren.
Die Eckdaten der mittleren Strecke:
Gotthard | 2108 m | 960 Hm ab Airolo | 8% Steigung, maximal 11 % |
Oberalp | 2044 m | 600 Hm ab Andermatt | 6% Steigung |
Lukmanier | 1972 m | 890 Hm ab Disentis | 5% Steigung mit der Rampe Disentis-Curaglia, 10% |
Airolo | 1175 m | 870 Hm ab Biasca | 2.5 % |
Alle Strecken des Alpenbrevets haben es in sich. Die kurze
Strecke wurde anlässlich der Tour de Suisse '2000 als "Alpen-Kriterium"
gefahren, mit Start und Ziel in Ulrichen.
Die längste Strecke mit 212 Km, 4 Pässen und bescheidenen 4776
Höhenmetern ist ein Leckerbissen für top-trainierte Burschen (und
Mädels) mit eisernem Willen und einer gewissen Resistenz gegen
Wadenkrämpfe.(und ist auch schon von Andy, Jan, Tobi und Tim hier auf der Seite beschrieben, siehe Bericht)
Da ich nicht zu dieser Sorte Menschen gehöre, ist für mich die
mittlere Strecke schon Herausforderung genug.
Die Vorbereitung mit vielen relativ flachen Kilometern, und im August noch mit ein paar Touren in den Jura, welcher kurze, aber recht steile Aufstiege bietet, war recht gut verlaufen, und nachdem der Wetterbericht für das erste Septemberwochenende, an dem das Alpenbrevet traditionellerweise stattfindet, gutes Wetter versprochen hatte, sollte eigentlich alles gut gehen.
Alles ist gutgegangen, hier ein Tagebuch:
- 03.45 der Wecker läutet
- 04.45 Nach dem Frühstück, Abfahrt ab Wiedlisbach mit dem Auto. Ein sterneklarer Himmel verspricht einen schönen Tag. Die Autobahn Richtung Gotthard ist leer, nur ab und zu fährt ein Auto mit Velos auf dem Dach und bunt gekleideten Insassen in den Süden. Ich fahre nach Airolo, dieser Startort ist für mich ideal, weil auf allen Strecken die langen und steilen Anstiege zu Beginn der Tour zu absolvieren sind.
- 06.30 in Airolo eingetroffen, das zweite Frühstück, ein Sandwich, habe ich mir schon auf der Fahrt durch den Gotthardtunnel genehmigt. Der Start ist auf dem Gelände der Tessiner Schaukäserei, direkt bei der Bergbahn ins Ski- und Wandergebiet von Airolo.
-
06.45 Die Startkarte ist abgeholt, der Bidon gefüllt und
ich bin unterwegs. Von Airolo auf den Gotthardpass führen
zwei Strassen. Eine moderne, gut ausgebaute
Fernverkehrsstrasse, welche die fast 1000 Höhenmeter mit
lediglich 6 Kurven überwindet, und die alte Strasse
durch die Tremolaschlucht, welche um 1830 für die
Postkutsche gebaut wurde.
Ich entscheide mich für die Tremolastrecke. Diese Strasse mit 35 Haarnadelkurven ist auf ihrer ganzen Länge mit Kopfsteinen gepflastert. Die Pflästerung ist sehr gut erhalten, aber trotzdem nur zum bergauf fahren empfohlen. Ich bin vor Jahren einmal mit dem Rad runtergefahren, dabei hat es ganz anständig gerüttelt. Der Himmel ist unterdessen bewölkt, aber zum Bergauffahren in der malerischen Schlucht ist das Wetter ideal. - 08.20 Auf der Gotthard-Passhöhe, der Wettergott hat Freudentränen, es beginnt zu regnen.
- 08.50 nach einer mühsamen Abfahrt auf nasser Strasse
komme ich durchfroren und durchnässt am Hauptstartort
Andermatt an.
Ein Stempel in die Karte, einen Becher heisse Bouillon in den Magen. Die Frage nach einem grossen Schnaps überhört die nette Dame am Kontrolltisch geflissentlich. - 09.00 Der Regen hat aufgehört, durch die Wolken
schimmert ein Hauch von Sonne. Ich mache mich auf den Weg.
Der Oberalppass ist nicht so steil, dazu schön ausgebaut, ein kleiner Hügel, und die Kleider trocknen wieder etwas. Auf der Abfahrt nach Sedrun ist die Strasse wieder trocken, und das ganze beginnt wieder Spass zu machen. - 10.50 in Disentis beginnt der Aufstieg zum Lukmanierpass,
die zweite Kontrolle in Sedrun ist vorbei, die Sonne drückt
durch die Wolken.
Das erste Stück des Lukmaniers, die Medelser Schlucht zwischen Disentis und Curaglia, ist mörderisch steil. Ich mache zwischendurch mal eine kleine Pause. Weiter oben im "Flachen", ist gegen die Passhöhe eine Nebelwand sichtbar, aus der ein steifer Süd(gegen)wind bläst. Mit dem Gegenwind ist auch die geringe Steigung mühsam und ich komme nicht sehr gut voran. - 12.50 kurz vor der Passhöhe, es beginnt wieder leicht zu
regnen.
Ich ziehe mir den Regenschutz über, die Strecke geht bis zum Lukmanier-Hospiz durch eine Lawinengalerie. Am Ende der Galerie erwartet mich ein Wasserfall. Zuerst denke ich, dass mir jemand einen Kessel Wasser an den Kopf wirft. Strömender Regen hat eingesetzt, die Temperatur beträgt vielleicht noch 5 Grad.
Die 40 Km lange Abfahrt mit 1600 Höhenmetern wird zum totalen Murks. Die nasse Strasse ist glatt, die Bremsen sprechen kaum noch an, Dauerbremsen ist angesagt. Die Hände schlafen ein, die Füsse stehen im Wasserstrom des Vorderrades, die Zähne klappern, die Stimmung könnte besser nicht sein!?
Ich habe nur einen Gedanken: "Idiot, wieso tust du dir sowas an? In Biasca steigst du in einen geheizten Zug und lässt dich nach Airolo fahren!" - 14.20 Biasca, letzte Kontrolle. Bouillon in den Magen, es geht wieder etwas besser. Der Gedanke an den Zug ist im Hinterkopf immer noch vorhanden, aber was soll's, es regnet etwas weniger und ich bin eh schon nass, dafür ist es ein paar Grad wärmer geworden.
- 14.50 Das Velo will weiter, nur noch 40 Km und 870 m Höhendifferenz, let's go.
- 16.00 Ich komme gut voran, die Rampe vor Faido, welche
von der Gotthardbahn mit 2 Kehrtunnels überwunden wird
ist bezwungen (warum machen die Bahningenieure
Kehrtunnels und die Strassenbauer 10%-Rampen??)
Nach einem kurzen Zwischenstück zur Erholung gibt es nach Faido nochmals eine ähnliche Rampe. - 17.20 Airolo: die Strecke ist geschafft, und siehe da,
die Sonne scheint wieder durch die Wolken.
Ich ziehe mich um, hole meine Medaille und das Diplom ab und gehe in der Schaukäserei ein Alpenkäsli einkaufen. - 18.00 Abfahrt über den Gotthardpass, diesmal mit dem
Auto auf der modernen Strasse. Vor dem Strassentunnel
staut sich der Verkehr.
Mit dem Auto gehts zu Passhöhe auf der neuen Strasse in 10 Minuten (warum hatte das Velo 1,5 Stunden?) - 20.20 Nachdem ich das Verkehrschaos überwunden habe, wieder zu Hause, die nasse Kleider in die Waschküche, ein Bier mit einem Stück Alpkäse (mmhhh!) Duschen und ins Bett.
- Sonntag: die Beine schmerzen, am Velo sind die Bremmsgummis verschliessen und die Schuhe sind trotzdem ich sie mit Papier ausgestopft habe, immer noch nass.
- Montag: die Beine tun nicht mehr weh, die Schuhe sind immer noch feucht und die Bremmsgummis sind noch keinen müden Mikrometer nachgewachsen.
Fazit: der Homo Sportivus ist einiges besser regenerierbar als ein Bremmsgummi. - Und: Die Schmerzen zeigen Dir, dass Du noch lebst; wenn sie vorbei sind, geht es an die Planung der nächsten Verrücktheiten.
3 gefahrene Pässe
St. Gotthardpass, Oberalppass, Passo del LucomagnoIch bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen