Von majortom –
Der Tag beginnt, wie der gestrige aufgehört hat: mit einem Blick aus dem Fenster. Alles ist nass draußen, die momentane Niederschlagsqualität ist irgendwo zwischen Niesel und leichtem Regen. Die Vercors-Berge liegen natürlich im Nebel. Alles in allem aber kein Problem, denke ich. Das ist das für heute angekündigte Zwischentief, war also zu erwarten. Weiter im Süden soll es laut Wetterbericht besser sein, also möglichst schnell möglichst weit nach Süden. Die heutige Planung sieht vor, den Vercors auf direktem Weg zu durchqueren (da ich ja im vergangenen Herbst bereits die sensationellen Schluchten abgeklappert habe) und dann im Diois noch ein paar Pässe mitzunehmen.
Kurz darauf stehe ich also vor dem Hotel und stelle fest, dass es morgens auf knapp 1000 m Höhe ziemlich kalt sein kann. Die ersten paar hundert Meter führen mich ins Stadtzentrum, wo ich in einer Bäckerei im Stehen frühstücke und dabei beobachte, wie der Regen in Schnee übergeht. Die Temperaturanzeige an der Apotheke gegenüber meldet zwei Grad. Traumhafte Bedingungen also, aber da keine Besserung in Sicht ist, bleibt nur die Flucht nach vorne.
Kurze Abfahrt durch den ersten Teil der Bourne-Schlucht, kalte Finger, kalte Füße, ansonsten geht es eigentlich. Aus dem Schnee wird wieder Regen. Dann leichter Anstieg nach Saint-Julien, der Niederschlag lässt ein wenig nach, und mir wird es wieder wärmer. Einsame Straße, vermutlich herrliche Landschaft hinter dem Nebeldunst, die mich trotz (oder vielleicht gerade wegen) des Dauerregens in ihren Bann zieht. Was will man in so einer Situation schon machen, außer weitertreten und trotzdem Spaß daran haben, den Widrigkeiten zu trotzen?
Meine Route führt schnurstracks nach Süden, hügelig bis wellig, aber ich habe Druck auf dem Pedal und cruise durch den mal mehr, mal weniger starken Regen. Dann geht es wieder berauf, zwei Serpentinen, zwei lange Geraden bis zum Col de Rousset. Hier komme ich deutlich über 1000 Meter, und wieder geht der Regen in Schnee über. Schon bald überzieht der Neuschnee die Bäume rechts und links, kurz vor der Passhöhe auf 1250 m Höhe liegt auch etwas Schneematsch auf der Straße. Leicht surreal, das ganze. Der Schock kommt dann allerdings erst, als ich den Scheiteltunnel durchfahre und mir auf der anderen Seite auch noch eiskalter, böiger Wind ins Gesicht pfeift. Ich kenne die Abfahrt vom letzten Herbst und habe sie da sehr genossen, was heute wohl eher nicht wiederholt wird.
Die Finger, mit denen ich bremse, spüre ich schon bald nicht mehr, der Wind droht mich immer wieder vom Rad zu pusten, und irgendwo nach der Hälfte der Abfahrt hören die Zähne dann auch nicht mehr auf zu klappern. Einzige Hoffnung: je weiter ich ins Drome-Tal komme, desto heller wirkt es um mich herum. Und tatsächlich ist kurz vor Die die Straße wieder trocken und es ist auch deutlich wärmer. Durchgefroren bin ich natürlich trotzdem, und ich entscheide, mich in Die mit einem heißen Tee aufzuwärmen, was aufgrund der nassen Kleidung nur bedingt gelingt. Also wieder die Flucht nach vorne, raus auf die Straße, der Fahrtwind wird mich schon trocknen.
Und so ist es dann auch. Es bleibt trocken im Drome-Tal, das ich flussaufwärts befahre; hier hat es wohl den ganzen Tag über nicht geregnet. Die Wolken hängen nur im Vercors links und im Diois rechts. Bald bin auch ich wieder trocken, der Rückenwind treibt mich das Tal hinauf, und die Temperaturen sind erträglich. In Luc-en-Diois halte ich zum Mittagessen, was mir einen kurzen Plausch mit einem Tourenradler-Ehepaar am Nachbartisch einbringt. Sie wollen über den Col de Menée nach Norden, sind auf einer Tour von der Provence bis irgendwo ins Burgund, wo sie wohnen. Wir versichern uns gegenseitig, dass die Wetteraussichten für morgen besser seien.
Ein Blick nach Süden zeigt, dass in den Bergen immer noch die Wolken hängen. Es sieht nach Regen aus dort, und ich beglückwünsche mich dazu, die eigentlich geplante Zusatzschleife über den Col de Prémol in Gedanken schon gestrichen zu haben. Also weiter das Drome-Tal hinauf, das sich kurz nach Luc einmal schluchtartig verengt, der Talgrund weitet sich jedoch wieder und gibt ein ähnliches Bild ab wie vorher. Schließlich verlasse ich die Hauptstraße, die über den Col de Cabre ins Buëch-Tal führt. Ich folge weiter der Drome flussaufwärts bis Valdrome, um den Parallelpass über den Col de Carabes zu nehmen, von dem ich mir weniger Verkehr und schönere Landschaft versprochen habe.
In beiderlei Hinsicht werde ich nicht enttäuscht. Die Straße ist knapp einspurig und führt ins absolute Niemandsland, die Landschaft ist dunkelgrün bewaldet und idyllisch. Bis auf eine kurze Rampe ist sie auch sehr gut zu fahren, auch wenn die Asphaltqualität im oberen Teil etwas zu wünschen übrig lässt. Auf der unspektakulären Passhöhe erwartet mich ein völlig überdimensioniertes Passschild, sowie der Hinweis, dass ich die Grenze der Region Provence-Alpes-Côte-d'Azur überquere. Also bin ich in der Provence angekommen, ein gutes Gefühl, auch wenn sie mich auf den ersten Metern der Abfahrt mit Regen empfängt. Was allerdings bei den sich verdichtenden, tief hängenden Wolken auch zu erwarten war.
Also die zweite Regenabfahrt des Tages, allerdings wiederum eine sehr schöne. Die Südseite mit markanten Felsformationen ist eindeutig die Schokoladenseite des Passes, was ich jedoch nur bedingt würdigen kann. Und dann das gleiche Spiel wie zuvor am Rousset: Regen in der Abfahrt, kein Regen im Tal. Und nur noch weniger Kilometer bis in meinen Etappenort Serres – aufgrund der ausgelassenen Prémol-Schleife bin ich ziemlich früh dran.
Was schade ist, denn die Rezeption des Hotels ist erst ab 17 Uhr 30 besetzt. Telefonisch kann ich die (sehr bemühte) Besitzerin noch auf 16 Uhr 30 runterhandeln, und ich verziehe ich mich erstmal in eine Bar, wo ich die Wartezeit bei einem Tee und zwei Bier verbringe. Noch ein anderer Rennradler sucht hier Zuflucht und zeigt sich verwundert, dass ich ein paar Kilometer von hier nass geworden bin – in Serres sei es den ganzen Tag trocken gewesen. Wie auch immer, gegen 17 Uhr macht mir im Hotel tatsächlich die Tante der Besitzerin auf, die die beiden Kinder hütet. Von der Besitzerin nach wie vor keine Spur (ich bin schon ziemlich sauer), aber mit vereinten Kräften schaffen es Tante und Kinder, herauszufinden, welches Zimmer für mich vorgesehen ist. Und nach einer heißen Dusche und einer aufrichtigen Entschuldigung des Besitzerehepaars mache ich auch meinen Frieden mit der Hotel-Equipe – mit diesem Regentag sowieso, denn die Etappe war so oder so ein Erlebnis.
Redaktioneller Hinweis: Im Regen leidet leider der Drang, Fotos zu machen. Deshalb gibts keine vom heutigen Tag.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren