Von Flugrad –
Was scheren uns schon die Vorhersagen vom Vortag? Nachts regnete es wie versprochen, doch ein erster morgendlicher Blick aus dem Fenster machte klar, dass dieser Zustand nicht mehr lange Bestand haben würde. Also doch probieren? Die einzige Gegenstimme kam von des Autors rohem Sitzfleisch, und das war nicht stimmberechtigt. Also brachen wir nach dem Frühstück auf. Der Weg ins benachbarte Klingenthal war schon fast wieder abgetrocknet. Über einen kleinen Hubbel wechselten wir hinüber ins Bruche-Tal und verließen die dortige Talstraße nach wenigen km, um über Nieder- und Oberhaslach auf den Col des Pandours zu fahren. Von der Burgruine Nideck, die wir fast umkreisten, konnten wir wenig erkennen. Überhaupt war die Motivation beim Chronisten etwas getrübt, verbrachte er nun schon mehr als 30 km im Stehen auf dem Rad. Sitzen war auf dem dafür benötigten Penaten-bedeckten Körperteil kaum möglich. Nach der im Wald versteckten Passhöhe kam der spannendste Streckenabschnitt: zunächst ging es flott bergab nach Wangenbourg mit seinen (in Reihenfolge) Ortsteilen Wolfsthal, Schneethal und Engenthal. Letzteres war auch der nördlichste Punkt unserer Tour. Danach hieß es: ab in den Wald. Unser Ministräßchen, auf den ersten 7 km noch als D 224 klassifiziert, schlängelte sich ordentlich ansteigend entlang der munter plätschernden Mossig hinauf ins Unbekannte. Durch Wegweiser haben wir immerhin von einer Kneipe erfahren, die uns vielleicht nach diesen 7 km erwarten würde. In Windsbourg, einem winzigen 4-Häuser-Weiler auf einer Waldlichtung, existierte dieses Wirtshaus tatsächlich, noch dazu mit sehr freundlichen Wirtsleuten und einer landesüblichen Küche. Die drei Herren konnten dieser Verlockung nicht widerstehen und wählten die schwer verdauliche aber hervorragende Vesperplatte. Wer weiß, wann es wieder etwas Essbares geben würde, zumindest sollte man uns nicht mit leeren Mägen finden. Auf die Frage, ob der vorgesehene Weg für uns und unsere Räder machbar sei, fiel die Antwort etwas indifferent aus, insbesondere für den zweiten Teil, auf der Karte als "Route Privée" bezeichnet. Wir fuhren los. Unser Sträßchen ab der Grenze Elsass/Lothringen nun eine route forestière, wurde noch etwas einspuriger und war laut Beschilderung von 19 bis 6 Uhr gesperrt, ebenso bei Schneefall. Traf beides nicht zu. Nach zwei Kehren dann: Sperrung wegen Waldarbeiten. Machte nichts, die drei Herren lieben ja unsere Freundin Route Barrée von ganzem Herzen. Wir fuhren also vorsichtig den Geräuschen nach und machten uns den Waldarbeitern bemerkbar, die mit großem Gerät und rumänischen Autokennzeichen am Werke waren. Sie ließen uns selbstverständlich passieren. 25 km Waldeseinsamkeit lagen nun noch vor uns. Bald schon hatten wir den höchsten Punkt erreicht, das ehemalige Forsthaus Hengst, immerhin auf 888 m Höhe gelegen. Nach den üblichen Passbildern im Moorgebiet ging es an die Abfahrt - zunächst noch mit nur wenig Höhenmeterverlusten. Dann kamen wir an eine Kreuzung mit schönen handgesägten Wegweisern in die nächsten Ortschaften ("Abreschwiller 18 km", "Walscheid 18 km"). Die Direktverbindung zum Donon war leider nicht asphaltiert, was eine rasche Entscheidung zugunsten der folgenden rasanten Abfahrt bedeutete - immer in der Hoffnung, dass es doch noch einmal asphaltiert links ab gehen könnte. Kam aber kein Abzweig, dafür bald wieder ein munter rauschendes Bächlein, genannt "La Zorn Jaune"-der gelbe Zorn! Wir genossen die endlose Talfahrt, unterbrochen nur von einem quer über dem Forstweg liegenden Baum, den wir überklettern mussten. Am nächsten Abzweig war dann klar: wir mussten ganz runter ins Tal bis kurz vor Abreschwiller - und dann wieder ganz hinauf zum Donon. Das war der nicht ganz freiwillige bonus-trak des Tages. Und die Forststraßenerbauer setzten auch noch einen kleinen Zwischenpass in den Weg, den Col de Breschpunkt. Nun aber ging es endgültig und flott bergab. Und wie fast nicht anders zu erwarten: in dieser völligen Einsamkeit parkte in einer Ausweiche ein holländisches Wohnmobil - woraufhin die Waldesstille vom allfälligen Schlachtruf Jürgens zerrissen wurde, den er beim Erblicken eines jeden gelbschwarzen Nummernschildes von sich zu geben pflegte: "ohne Holland fahr'n wir zur EM..."
Nun, bald darauf hatten wir wenigstens eine Spur von Zivilisation wieder: den Weiler Grand Soldat mit 5 Häusern und dem Endpunkt einer schmalspurigen Museumsbahn, kümmerlicher Rest eines einstmals 75 km großen Waldbahnnetzes im Forêt d'Abreschwiller. 2 km weiter erreichten wir wieder das reguläre Straßennetz, 600 hm tiefer als vorgesehen. Hieß natürlich: wieder 600 hm bergauf. Das war aber kein Grund zur Gram. Die folgende Auffahrt zum Col du Donon zählte zu den schönsten der Tour: immer entlang der Roten Saar, deren reich sprudelnde und schmackhafte Quelle sich fast ganz oben am Pass befindet. Am eigentlichen Hochpunkt (Col de l'Engin), noch 2 km vor der offiziellen Donon-Passhöhe, fand sich wie so häufig ein Soldatenfriedhof. Da dessen Tote aber schon vor 50 Jahren auf einen anderen Friedhof umgebettet worden waren, sah der Chronist kein moralisches Hindernis, hinter den Mauern seine Sitzflächen zu kühlen und penatisieren, bis Michael oben ankam.
Am offiziellen Pass suchte und fand der Chronist das nächste Forststräßchen. Diesmal führte es wirklich nur über einen kleinen Hubbel, den Col de Prayé, und dann steil bergab ins Val de Senones, das Pays Salm. Dort landeten wir in einem großen Sägewerk mit zugehörigem Ort, Moussey. Leider hatten sowohl örtliches Hotel als auch Gîte ihren Betrieb längst eingestellt, so wie etwa jedes zweite Wohnhaus auch. Die Lothriger Seite der Vogesen ist hier ganz anders als die Elsässer. Wir fuhren weiter in den nächsten Ort, La Petite-Raon, und fanden, was wir nun wirklich nicht vermisst hatten: LKW-Kolonnen. An der Kreuzung im Ort dann eine Überraschung: die dortige einen etwas morbiden Eindruck machende Kneipe glänzte mit einem Zollerhof-Wirtshausschild! Heimatbier vom Sigmaringer Zollerhof in Lothrigen, man glaubt es nicht. Ob es auch tatsächlich im Ausschank war, konnten wir aufgrund der sehr eingeschränkten Öffnungszeiten leider nicht überprüfen. Mit Übernachtung war aber auch in diesem Ort nichts, also weiter nach Senones. Dort fanden wir dann auf Anhieb mitten im Städtchen das Hotel "Au Bon Gîte". Und es war gut so: die beste Küche der Tour samt sehr zuvorkommenden Wirtsleuten. Nach dem Abendessen machten wir noch einen Spaziergang durchs Städtchen und die ehemalige Benediktinerabtei. Bedrückend, in welchem Zustand des Zerfalls die Barockgebäude dieser einstmals bedeutenden Abtei sind, in der zumindest laut der Infotafel auch schon Voltaire einige Zeit der Besinnung verbracht hatte. Einsetzender Nieselregen, der erste des vermeintlich "verregneten" Tages, beendete unseren Verdauungsspaziergang.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren