Von Jan –
Heute morgen in Sulmona starten wir wieder um halb neun - es soll heiß werden! Bei fast bedecktem Himmel fahren wir entspannt durch Ovids Geburtsstadt. Über Kopfsteinpflaster und an den Resten des Aquädukts vorbei ist dieser antike Boden einfach beeindruckend.
Die von uns gewählte Auffahrt nach Pacentro erweist sich als gesperrt, zumindest für die Auffahrt. Wir ignorieren die halbseitige Straßensperre, denn wir wissen schon vom ersten Tag, dass es für Radfahrer fast immer doch geht. Heute hätte es zwar auch eine Alternative gegeben, anders als vorgestern, aber wir sind sehr froh über keine weiteren Umwege, denn das Blockhaus am Nachmittag nötigt uns gewaltig Respekt ab. Schnell sind wir in Pacentro, wo uns quäldich-Kulturattaché und Abruzzenkenner AP über seine Passo San Leonardo-Beschreibung einen Besuch des Städtchens sehr ans Herz gelegt hat. Wir folgen den Hinweisschildern zum Ortszentrum und finden uns sogleich am Hauptplatz mit der größten der vielen Kirchen wieder. Die Bar hat geöffnet, der Caffè ist gut und schnell getrunken (wir sind bei Km 10 der heutigen Etappe). Eine Polin aus New York weist uns darauf hin, dass man im Unterdorf einen fantastischen Blick über das Tal von Sulmona hätte. Durch schmalste Gassen gleiten wir hinab und finden mit etwas Glück und Mut zur Einbahnstraßenignoranz sogleich die Panoramaterrasse. Nach dieser gelungenen Lebensart- und Neugiereinlage können wir nun die Hörner zum Angriff blasen, denn natürlich sind wir schon ans Ende des Pelotons durchgereicht worden und sammeln jetzt in regelmäßiger Folge eine Kleingruppe nach der nächsten ein, was sehr nett ist. Nett ist für diesen Anstieg allerdings eine Untertreibung: er ist wunderschön, auch damit hat AP recht, der ihn als Kleinod bezeichnet. Besonders schön für mich: hier fahren wir direkt westlich zum Monte-Amaro-Massivs hinauf, der uns vorgestern noch in weiter Ferne vom ersten Mittagessenspunkt unterhalb des Valico di Monte Bovi begrüßt hat. Und nun sind wir hier!
Marco fragt mich, ob ich die Abfahrt kenne. Nö, aber ich gehe davon aus, dass der Belag genauso gut ist wie in der Auffahrt. So ist es auch. Eine rauschende Abfahrt liegt vor uns. Rauschend und wunderschön, denn nun liegt wiederum das Gran Sasso-Massiv in seiner ganzen Pracht vor uns. Der Corno Grande mit seiner unverwechselbaren Trapezform thront über allem. Es geht weiter, immer weiter nach Norden, immer weiter bergab. Wir riechen förmlich schon das Meer: wir sind in der Provinz Pescara, und die unter uns fließende Orta entwässert über die Pescara nun nur noch ca 70 km nordöstlich von uns in Pescara in die Adria.
In Roccamorice wartet Eva mit ihrem fantastischen Mittagsbuffett, und schon sind wir im Anstieg zum Blockhaus, dem Scharfrichter des Tages und der ganzen Tour. 1500 Höhenmeter auf 19 km. Ein echtes Brett Ende Mai, zumindest von den bloßen Zahlen ein echtes Monument. Und kurz danach wissen wir: auch der landschaftliche Reiz des Anstiegs ist monumental! Bei stets knapp zweistelligen Steigungsprozenten durchfahren wir zunächst eine weite Almfläche, mit fantastischen Rückblicken auf die relativ flache Ebene vor dem Gran-Sasso-Massiv am Horizont. Bald kann man, obwohl es recht diesig ist, die Küstenlinie ausmachen, auch wenn man das Meer nicht als solches erkennen kann. Es ist hart, und heiß. Ein wunderschöner Buchenwald mit maifrischem Grün sorgt für willkommene Abkühlung, bevor sich der Blick auf das Majella-Massiv vor uns öffnet, an dessen Hang die ersten Antennen im Skigebiet sichtbar werden. Am Abzweig zur Stichstraße 6,2 km vor dem Hochpunkt nimmt die Steigung etwas ab, wie auch, glücklicherweise nur für kurze Zeit, der landschaftliche Reiz, denn die hier verbauten Asphaltmassen sind atemberaubend. Unzählige von der kürzlichen Girobefahrung liegen gelassenen Kabelbinder (im Nationalpark!) bringen uns nah an die Kotzschwelle. An einem wenig pittoresken Antennenwald verjüngt sich dann plötzlich wieder die Straße, ab hier herrscht Fahrverbot für KFZ! Das schmale Asphaltband folgt jetzt dem Grat in Richtung Majellamassiv mit den weiten Kiefernwäldern und den hohen, schneebedeckten Felsmassiven darüber. Traumhafte Blicke nach vorne links, traumhafte Blicke aber auch nach rechts und hinten tief hinab bis zum Meer und quer hinüber ins Gran Sasso. Wahnsinn
Vier Schneefelder müssen wir umgehen, umfahren und überschreiten, bevor wir auf 2068 m Höhe an einem unscheinbaren Metallherz ankommen. Wer ein Blockhaus erwartet, wird enttäuscht. Alle anderen sind begeistert! Wir legen uns (relativ fertig) ins Gras und feiern uns. Nach und nach kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Gruppen 2 und 3 an, fast alle fahren ganz hoch, nur eine nicht näher benannte Weißschuhfraktion zieht es vor, vor dem Schneefeld zu ruhen.
Und nun folgt die heißeste Saunaabfahrt meiner langen Radfahrkarriere. Unglaublich, wie heiß es auf einmal ist. Ende Mai in den Abruzzen.
Der Rest des Tages fällt leider etwas ins Chaos, mit einem Sturz (glücklicherweise ist E.s Schulter wohl nur geprellt und nicht das Schlüsselbein gebrochen, wie ein Krankenhauscheck mittlerweile ergeben hat) und verstreuten Gruppenmitgliedern, aber nach einem sehr guten Abendessen mit Tortelloni an Trüffel-Steinpilzsauce sind sich alle einig: das Brockhaus war all unsere Strapazen, jeden Schneemarsch und jede Hitzewelle wert.
Kaum zu glauben, dass es morgen, am Campo Imperatore, noch schöner werden soll!
(die Bilder laden bei Redaktionsschluss noch hoch)
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Das Blockhaus steht hin und wieder als Bergankunft auf dem Speisezettel des Giro d'Italia, und wegen seines deutschen Namens bleibt es auch im Gedächtnis. Tatsächlich handelt es sich um einen (ehemaligen) Außenposten der italienischen Staatsmacht im wilden Niemandsland des heutigen Majella-Nationalparks auf ca. 2100 m Höhe. Zuvor überqueren wir noch den schönen Passo San Leonardo, der Kennern als Geheimtipp gilt. Da das Blockhaus eine Stichstraße ist, kehren wir wieder um und steuern den Etappenort Scafa an.
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Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren