Alpenbrevet Extra 338,5 km / 10078 Hm
Zentralschweiz, Lepontinische Alpen, Urner Alpen, Alpen, Valle Levantina, Berner Oberland, Berner Alpen, Wallis, Uri, Tessin, Bern
Redaktionell bestätigte Tour von tortenbäcker
Von tortenbäcker –
Eine Kollegin brachte mich letztes Jahr noch auf die Idee, mal einen vollen Tag radzufahren, will heissen 24 Stunden. Ob ihr dabei bewusst war, dass sie damit ein kleines Feuer entfachen würde, weiss ich nicht (Angie?). Auf jeden Fall lässt mich die Vorstellung einer Freinacht auf dem Rad nicht mehr los. Geht das überhaupt? Falle ich da nicht einfach irgendwann vom Rad? In dieser Zeit sollte sich auch die magische 10000 Höhenmeter-Grenze knacken lassen, falls die Beine nicht vorher irgendwann auseinanderbrechen. An einem der 24 Stunden Rennen teilzunehmen reizt mich allerdings weniger. Zu flach, zu viele Leute und dann diese immer wiederkehrenden Runden. Es soll eine irrsinnige Etappe in den Alpen sein, die ich wohl alleine angehen muss, da sich kaum weitere Verrückte finden lassen, die an einem derartigen Hirngespinst teilnehmen würden. Und wenn es welche gäbe, so müssten sie ja auch noch dasselbe (langsame) Tempo fahren, denn Anpassung liegt bei einer derartigen Tour kaum drin. Ein Begleitfahrzeug braucht es nicht, die ganze Aktion soll möglichst clean verlaufen, nur Fahrer, Rennrad, Muskelkraft, Berge und sonst nichts.
Das vor kurzem absolvierte Platin Alpenbrevet kann man als eine Art Hauptprobe sehen und es war in einigen Aspekten lehrreich: Etwas Koffein ist für allfällige mentale Durchhänger bereitzuhalten. Zudem sollte man lange, zermürbende Rolleranstiege tunlichst vermeiden, wenn man viele Höhenmeter sammeln will. Damit fällt der Lukmanier schon mal weg. Allzu hart dürfen die Pässe dann aber auch nicht sein, da ich sonst auch in meiner kleinsten Übersetzung nicht mit rundem Tritt hochkomme. Damit darf leider auch die Grosse Scheidegg nicht auf dem Speiseplan auftauchen. Schade. Es gibt viele denkbare Varianten. Zusammengefasst meine Bedingungen an die Strecke:
• An keinem Punkt der Strecke wird eine 180 Grad Umkehr vollzogen
• Kein Pass soll zweimal von derselben Seite befahren werden
• Möglichst wenig flache Meter
• Keine Rolleranstiege
• Keine krassen Anstiege
• Alle Pässe sollte ich schon gut kennen
Es war von Anfang an klar, dass die zentralen Alpenpässe vor meiner Haustüre zumindest einen Teil der Strecke abdecken würden. Schliesslich komme ich von der Idee ab, am Anfang oder Ende der Tour noch in andere Regionen vorzustossen.
Amüsanterweise hat man bei einer 24 Stunden Fahrt das Problem des schwindenden Tageslichts nicht: Egal wie man es auch anstellt, man fährt offensichtlich zu jeder Tageszeit genau einmal, die Startzeit spielt so gesehen keine Rolle. Allerdings möchte ich die Nacht noch frisch angehen und nicht allzu spät am anderen Abend aufhören, damit ergibt sich eine Startzeit im Bereich 17:00.
Bei den Marathon Tips in Büchern und im Internet wird immer Even Pacing gepredigt, will heissen jeden Kilometer gleichmässig schnell laufen. Viele Anfänger (genau wie ich) laufen aber die erste Hälfte viel schneller als die zweite und verschenken damit massenhaft Zeit. Man schätzt, dass wenn man einen Kilometer um X Sekunden schneller läuft als zum schnellstmöglichen Even Pace Tempo, dass man dann auf den restlichen Kilometern 4*X an Zeit verliert.
Ich möchte Even Pacing bei meiner Alpenetappe anwenden, also den letzten Pass im gleichen Tempo wie den ersten fahren (abhängig von Steigung, klar). Da muss man wohl für den ersten Pass schon fast ein Bierfass auf den Rücken binden. Aber ich mag Bier ja gar nicht sonderlich und verwerfe diese Massnahme wieder.
Unterschätzt werden bei solchen Aktionen leicht die Nebenschauplätze: Handgelenke, Nacken, Magen, Sitzfläche, Rücken etc, die nach ausreichend vielen Stunden zu streiken beginnen können. Die Platin-Runde hat mich in der Richtung hoffentlich gut vorbereitet. Vieles spielt sich bei solchen Etappen im Kopf ab. Wenn der Kopf will, kann man praktisch immer noch weiter machen. Man stelle sich die Situation vor, bei der einem eine Million angeboten wird für die nächsten 50 Höhenmeter. Egal wie erschlagen man ist, man wird sich aufraffen und diese Million abholen. Dermassen nahe an die Grenze kommt man einfach kaum, dass dies nicht mehr gehen würde. (Ich weiss, es gibt berühmte Gegenbeispiele, z.B. Julie Moss im absolut legendären Triathlon 1982). Ein völlig anderes Bild präsentiert sich da beim Sportklettern, da fällt man in der Regel aus der Wand, weil man sich nicht mehr festhalten kann. Muskelversagen. Monetäre Anreize ändern an der Lage überhaupt nichts.
Bei Radtouren ab einigen Stunden Länge habe ich zu Beginn jeweils das Gefühl, eine kleine Reise anzutreten. Je länger die Tour, desto ausgeprägter dieses Empfinden. Den Alltagsstress lässt man tief unten im Tal zurück, wenn es in die Berge geht.
Bei meiner geplanten Etappe kommt noch der Reiz des Abenteuers hinzu, da ich nicht genau weiss, wie mein Körper auf die Belastung reagieren wird. Meine letzte Freinacht ist schon etwa 15 Jahre her, ich bin Schlafentzug eigentlich nicht gewohnt. Aber Herausforderungen sind für mich nun mal das Salz des Lebens, oder wie ein bekannter amerikanischer Kletterer mal sagte: Pick a goal and go for it. Ohne solches Salz wäre mir das Leben etwas fade.
Knapp zwei Wochen nach dem Platin Alpenbrevet habe ich in einer Ferienwoche Zeit für das Abenteuer. Ich möchte Montag losfahren. Doch ich habe nicht mit dem recht harmlosen Infekt gerechnet, der mich am Sonntag heimsucht. Am Montag ist davon immer noch ein wenig spürbar, und ich bin hin- und hergerissen, ob ich die Etappe angehen oder doch verschieben soll. Die Ereignisse von Paris lassen mich schliesslich verschieben, ich brauche einfach hundert Prozent Fitness, 95 Prozent reichen nicht. Und dabei wäre das Wetter perfekt. Ich verfolge am Abend den Wetterradar und die einschlägigen Webcams. Weit und breit keine Gewitter – selten in letzter Zeit. Solches Wetter hätte ich gebraucht! Aarrrghh! Besänftigt werde ich dann aber am anderen Morgen, als doch noch eine Gewitterfront zumindest in Luzern vorbeizieht.
Es gibt noch eine zweite Chance in dieser Woche, am Donnerstag soll es auch freundlich sein. Ich hoffe darauf, dass der Regen am Mittwoch zeitig aufhört und ich am Abend loslegen kann. Und tatsächlich, schon am Mittwoch mittag scheint es zu bessern. Viel zu spät bereite ich alles vor. Bei der Inspektion des Kuota Kharmas stelle ich fest, dass der hintere Pneu unbedingt ausgewechselt werden muss. Damit steht noch ein Gang zum Rennradhändler an, Radwechsel inklusive. Ich verfluche mich innerlich, dass ich das nicht alles schon früher genau überprüft habe, Zeit dazu hätte ich ja ewig gehabt. Damit wird es jetzt recht knapp mit der geplanten Zugverbindung. Zu allem übel kann ich auch nur einen Beinling finden, keine Ahnung, wo der zweite geblieben ist. Vor kurzem habe ich die Wohnung aufgeräumt, ist ja klar, dass man danach nichts mehr findet, logisch. Ich mache mich also auf dem Weg zum Händler. So schnell ich kann wechsle ich da das Rad und schwitze dabei schon vor der Tour zum ersten Mal. Als ich den Laden verlasse bleiben mir 6 Minuten. Das reicht noch, denke ich, Glück gehabt. Los geht’s Richtung Bahnhof und nach den ersten 10 Metern merke ich, dass jetzt das Vorderrad platt ist! Die Situation ist so urkomisch, dass ich gar nicht fluchen kann, ich muss leise lachen. Die ganze Hetzerei für nichts. Also zurück zum Laden. Das Personal ist erstaunt, dass ich so schnell wieder auftauche. In ein paar Minuten ist dann auch der Schlauch des Vorderrades ausgetauscht. Fängt ja richtig vielversprechend an. Natürlich verpasse ich damit meine Zugverbindung und so nehme ich den nächsten Zug, der Richtung Göschenen fährt.
Am Bahnhof Göschenen möchte ich meinen kleinen Rucksack in einem Schliessfach verstauen, dummerweise gibt es tatsächlich keine Schliessfächer hier. Naja, ich kann den Rucksack ja sonstwo verstecken. Schliesslich versenke ich ihn in einem Brennnesselfeld unweit des Bahnhofs. Wird wohl kaum entdeckt werden. Im Laufe der Tour werde ich nochmals vorbeikommen und Proviant nachrüsten.
So starte ich einige Minuten nach 18:00 am 15. Juli zum Alpenbrevet Extra. Die ersten Kilometer sind gleich die unangenehmsten, die Schöllenenschlucht ist leider recht verkehrsreich um diese Tageszeit. Ab Hospental dann aber kaum mehr Verkehr, den Furka erlebe ich in wundervoller Abendstimmung. Mein Zieltempo ist 700 Höhenmeter pro Stunde, wenn es einigermassen bergauf geht. Das entspricht ungefähr 60% meines ich-fahr-die-Kiste-an-die-Wand Tempos. Puls im Bereich 150 oder darunter.
Nach gut zwei Stunden erreiche ich die Passhöhe und ziehe alles an für die Abfahrt nach Ulrichen. Beim folgenden Aufstieg zum Nufenen wird es langsam Nacht. Zu Beginn im Waldstück kämpfe ich gegen heftigen Gegenwind und befürchte Übles für das ausgesetzte Mittelstück. Doch erstaunlicherweise lässt der Wind mit der Zeit etwas nach, passt gut für mich. Es fängt leicht mit regnen an, doch schon bald hört dies wieder auf. Zum Start der Schlussrampe auf 2000m schalte ich das Rücklicht an, es ist jetzt bald 22:00. Gut eine halbe Stunde später stehe ich an der verlassenen Passhöhe. Wieder das gleiche Spiel, alles anziehen, etwas essen und ab geht’s zur ersten Nachtabfahrt. Natürlich kann man im Licht der (erstaunlich hellen) Stirnlampe nicht Vollgas geben. 50 km/h erreiche ich wohl dennoch an manchen Stellen. Nach All Acqua kreuzt ein Reh die Strasse. Es hat aber genauso wenig Interesse an einer Kollision wie ich und verschwindet in der Böschung. So bleibt die Elchtest-Tauglichkeit meines Renners ungeprüft. In Airolo startet die Südrampe des Gotthards. Ich schone Handgelenke, Sitzfleisch und Kraft, indem ich nicht die Tremola wähle. Es ist sternenklar, weit entfernt im Süden scheint es aber zu gewittern. Für mich beunruhigender ist allerdings, dass sich auch der Nachthimmel im Norden in unregelmässigen Abständen kurz erhellt. Entweder das in der Gegend im Übermass vorhandene Schweizer Militär tut sein Möglichstes beim Verschleudern von Steuergeldern oder aber es gewittert ebenso auf der Nordseite. Wie dem auch sei, die Lichteffekte hören glücklicherweise bald wieder auf. Man schreibt bereits den 16. Juli, als ich die Passhöhe erreiche. Als nächstes geht es jetzt zurück zu meinem Proviantlager in Göschenen. Die Luft ist wärmer geworden, die Abfahrt gestaltet sich angenehm. Mein Rucksack ist wie erwartet unentdeckt geblieben und ich fülle die Trikottaschen mit süssen Kalorien. Zudem streiche ich nochmals reichlich Sonnencreme ein. Wie lang hält eigentlich Sonnencreme, wenn angeschrieben steht, dass sie Schutz für den ganzen Tag bietet? 24 Stunden sind wohl kaum damit gemeint…
Mein Hausberg, der Susten, ist als nächstes dran. Noch selten bin ich ihn dermassen langsam hochgerollt, mit 1:47h treffe ich mein Zieltempo ziemlich genau. Nach der mittlerweile eingespielten Umzieh-Aktion folgt die lange Abfahrt nach Innertkirchen. Ich bin froh über meine guten Ortskenntnisse, ohne diese möchte ich die kurvenreiche Abfahrt lieber nicht in der Nacht bewältigen. Trotz heller Lampe ist eine solche Fahrt nicht ganz ungefährlich. Im Aufstieg war zum Beispiel ein Stein in der Grösse eines Toasters auf der Strasse. Ob man ein solches Hindernis im Licht der Stirnlampe genug schnell erkennt ist ungewiss.
Beim anstehenden Grimsel wird die Nacht ihr Ende finden, und ich bin nicht unglücklich darüber. Ich kurble los, aber irgendwie ist der Druck in den Pedalen recht spärlich plötzlich. Ich habe mich ja vor der Tour gefragt, wann und wie sich der Schlafentzug zu Wort melden wird, sind das jetzt die ersten Vorboten? Und dabei habe ich doch erst etwa 5000 Höhenmeter hinter mir. Der Puls ist nur noch bei 140, ich leiste wohl weniger. Die bekanntlich in Zürich hochgepriesene und gelebte Sublesse lässt sichtlich zu wünschen übrig. Vielleicht gar nicht so unüblich bei einem Rennradfahrer, der beim Wort Rolle nur an eine Turnübung denkt. In Guttannen auf 1000m entscheide ich mich für einen kurzes Nickerchen (Powernap auf Denglisch) auf einer Parkbank. Ich stelle den Timer meines iPhones auf 15 Minuten ein und döse anschliessend vor mich hin. Bei langen Autofahrten haben sich solche Pausen bereits als sehr effektiv erwiesen. Etwas benebelt steige ich danach wieder aufs Rad. Als weitere Massnahme werfe ich eine Koffein-Ampulle ein, liefert etwa ein doppeltes Red Bull.
Um 7:00 bin ich schliesslich oben. Der Himmel ist blau und ich versuche, die traumhafte Kulisse mit der Kamera einzufangen. Die anschliessende Furka Westrampe ist noch vollständig im Schatten, als ich diese nach der kurzen Abfahrt nach Gletsch in Angriff nehme. Der Pass Nummer sechs fällt damit mit Pass Nummer eins zusammen, allerdings bei unterschiedlichen Seiten. Ich habe etwas wenig Flüssigkeit dabei und entscheide mich, beim Hotel Belvédère kurz vor der Passhöhe einen Halt einzulegen. Einen halben Liter Milch und ein Croissant scheinen meinem Magen gut zu bekommen, jedenfalls geht es mir danach prima. Die Krise des Grimsels scheint vollständig überwunden, als ich an der Furka Passhöhe aus dem Schatten herausfahre und die Sonne wieder die Umgebung direkt beleuchtet. Wahrscheinlich auch ein psychologisches Phänomen.
Der nächste anvisierte Pass ist kurz, die Gotthard Nordrampe weist gerade mal 630 Höhenmeter auf. Ich fühle mich gut und pedaliere mit dem schnellsten Tempo des Tages hoch. Bereits 46 Minuten nach Hospental stehe ich an der Grenze zum Tessin. Die Abfahrt via Südrampe ist toll zu fahren, da der Belag gut und die Strasse sehr breit ist. Dass ich damit nicht die Handgelenk-vernichtende Tremola meine, versteht sich wohl von selbst.
Ich fürchte danach die Hitze beim Anstieg zum Nufenen, aber diese erweist sich als halb so wild. Weil es mir bereits einmal geholfen hat, genehmige ich mir nochmals einen halben Liter Milch, dies in All Acqua, dem letzten Ort an der Ostrampe. Schliesslich stehe ich über 14 Stunden nach meiner ersten Nufenenüberquerung wieder am Dach meiner Tour. Im Restaurant muss eine Aprikosenschnitte her, danach folgt ein Gang aufs Klo und da schliesse ich kurz die Augen. Grosser Fehler, natürlich nicke ich prompt ein! Dies war eigentlich nicht so geplant, hat aber wohl gut getan. Schliesslich ist die 35 Minuten dauernde Pause auf knapp 2500m Höhe die längste der gesamten Tour. Mit meinem Zeitlimit von 24 Stunden ist es mittlerweile klar, dass ich nicht noch Grimsel mitsamt Susten fahren kann. Da der Grimsel alleine knapp für 10000 Höhenmeter reicht, bin ich aber auch damit zufrieden.
Bei der Abfahrt Richtung Ulrichen folgen unerwartet ein paar Schreckminuten: Bauarbeiter sind gerade daran, ein Teilstück mit neuem Belag auszustatten, eigentlich ja eine löbliche Massnahme. Die eine Strassenseite ist noch dampfend frisch, diese ist entsprechend abgesperrt. Aber auch die verbleibende Seite ist alles andere als trocken. Beim Befahren dieser kleben plötzlich haufenweise kleine Steinchen an meinen Rädern. Wenn sich diese jetzt in meine Pneus bohren, dann ist das hier das bittere Ende kurz vor dem Ziel. Am Ende der Baustelle kann ich nicht anders als über diese #(@?§/$@ Bauarbeiter fluchen, die es nicht auf die Reihe kriegen, zu jeder Zeit eine Seite gut fahrbar zu halten.
Ich sondiere meine Pneus genau und entferne in mühsamer Detailarbeit alle Steinchen. Einen Ersatzschlauch habe ich dabei, mehr aber nicht. Hoffentlich ist nichts passiert.
In Oberwald angekommen bin ich guter Hoffnung, mit dem Schrecken davongekommen zu sein. Der Druck am Hinterrad scheint allerdings etwas weniger geworden zu sein, dies könnte aber von der langen Ausfahrt her rühren, vermute ich.
Etwas überraschend kann ich auch den letzten Pass des Tages in meinem Even Pace Tempo fahren, scheinbar habe ich diesbezüglich meine Möglichkeiten korrekt eingeschätzt. Ich werde ein paar Mal überholt, natürlich stört mich das nicht im Geringsten. Mit dem guten Gefühl, etwas Ausserordentliches geleistet zu haben, erreiche ich den Grimsel um 15:15. Im Gegensatz zum Morgen sind jetzt haufenweise Touristen am Start.
Anfang Jahr habe ich mir die Frage gestellt, ob ich die 10000 Höhenmeter packen könnte und mir vorgenommen, dies zu probieren, wenn die Form im Sommer ausreichend scheint. Nun ist es Tatsache geworden, ein berauschendes Gefühl.
In gemächlichem Tempo lasse ich bei der Abfahrt Richtung Innertkirchen die Bergkulisse an mir vorbeiziehen. Die einzige richtige Krise hatte ich hier am Morgen, jetzt stehen alle Indikatoren auf hellgrün. Hätte ich glücklicher sein können?
In Meiringen beende ich die Tour nach über 22 Stunden. Da steige ich in den unsäglich heissen unklimatisierten Zug ein, und schwitze bei bestimmt 40 Grad das letzte Mal so richtig auf dem Rückweg nach Luzern. Der Schaffner fragt mich nach meiner Tour und ich erzähle ihm davon. Er mag es kaum glauben…
Einige Bemerkungen:
• Schliesslich hat der Eindruck nicht getäuscht, das Hinterrad hat spätestens nach dem Nufenen ganz langsam Luft gelassen, am Tag nach der Tour herrschte nur noch Druck von weniger als 2 Bar.
• Von allen denkbaren Problemen bei einer solchen langen Tour hatte ich eigentlich nur akzeptable Sitzbeschwerden gegen Ende, neben zeitweise etwas eigenartigem Gefühl im Magen.
• Es erstaunt mich, wie wenig mich der fehlende Schlaf währende der Tour tangiert hat. Die allermeiste Zeit hätte ich anhand der Symptome nicht auf eine Freinacht schliessen können.
• Zur Vervollständigung der Runde fehlt eigentlich noch der Susten als Abschluss mit Fahrt nach Göschenen.
• Der kleine Rucksack samt spärlichem Inhalt ist im Brennnesselfeld der Tour zum Opfer gefallen, ein Verlust von verkraftbarem Ausmass. Wenn ich das nächste Mal in Göschenen bin, werde ich ihn bergen beziehungsweise wohl entsorgen.
• 24 Stunden ist wohl mein Zeitlimit, länger radfahren werde ich vermutlich auch in Zukunft nicht probieren.
• Wettermässig hatte ich grosses Glück. Bereits zehn Stunden nach meiner Tour ist eine heftige Gewitterfront mit Hagel und Starkniederschlag über die Schweiz gefegt.
• Anstatt viele Bilder habe ich ein Video zu bieten.
Das vor kurzem absolvierte Platin Alpenbrevet kann man als eine Art Hauptprobe sehen und es war in einigen Aspekten lehrreich: Etwas Koffein ist für allfällige mentale Durchhänger bereitzuhalten. Zudem sollte man lange, zermürbende Rolleranstiege tunlichst vermeiden, wenn man viele Höhenmeter sammeln will. Damit fällt der Lukmanier schon mal weg. Allzu hart dürfen die Pässe dann aber auch nicht sein, da ich sonst auch in meiner kleinsten Übersetzung nicht mit rundem Tritt hochkomme. Damit darf leider auch die Grosse Scheidegg nicht auf dem Speiseplan auftauchen. Schade. Es gibt viele denkbare Varianten. Zusammengefasst meine Bedingungen an die Strecke:
• An keinem Punkt der Strecke wird eine 180 Grad Umkehr vollzogen
• Kein Pass soll zweimal von derselben Seite befahren werden
• Möglichst wenig flache Meter
• Keine Rolleranstiege
• Keine krassen Anstiege
• Alle Pässe sollte ich schon gut kennen
Es war von Anfang an klar, dass die zentralen Alpenpässe vor meiner Haustüre zumindest einen Teil der Strecke abdecken würden. Schliesslich komme ich von der Idee ab, am Anfang oder Ende der Tour noch in andere Regionen vorzustossen.
Amüsanterweise hat man bei einer 24 Stunden Fahrt das Problem des schwindenden Tageslichts nicht: Egal wie man es auch anstellt, man fährt offensichtlich zu jeder Tageszeit genau einmal, die Startzeit spielt so gesehen keine Rolle. Allerdings möchte ich die Nacht noch frisch angehen und nicht allzu spät am anderen Abend aufhören, damit ergibt sich eine Startzeit im Bereich 17:00.
Bei den Marathon Tips in Büchern und im Internet wird immer Even Pacing gepredigt, will heissen jeden Kilometer gleichmässig schnell laufen. Viele Anfänger (genau wie ich) laufen aber die erste Hälfte viel schneller als die zweite und verschenken damit massenhaft Zeit. Man schätzt, dass wenn man einen Kilometer um X Sekunden schneller läuft als zum schnellstmöglichen Even Pace Tempo, dass man dann auf den restlichen Kilometern 4*X an Zeit verliert.
Ich möchte Even Pacing bei meiner Alpenetappe anwenden, also den letzten Pass im gleichen Tempo wie den ersten fahren (abhängig von Steigung, klar). Da muss man wohl für den ersten Pass schon fast ein Bierfass auf den Rücken binden. Aber ich mag Bier ja gar nicht sonderlich und verwerfe diese Massnahme wieder.
Unterschätzt werden bei solchen Aktionen leicht die Nebenschauplätze: Handgelenke, Nacken, Magen, Sitzfläche, Rücken etc, die nach ausreichend vielen Stunden zu streiken beginnen können. Die Platin-Runde hat mich in der Richtung hoffentlich gut vorbereitet. Vieles spielt sich bei solchen Etappen im Kopf ab. Wenn der Kopf will, kann man praktisch immer noch weiter machen. Man stelle sich die Situation vor, bei der einem eine Million angeboten wird für die nächsten 50 Höhenmeter. Egal wie erschlagen man ist, man wird sich aufraffen und diese Million abholen. Dermassen nahe an die Grenze kommt man einfach kaum, dass dies nicht mehr gehen würde. (Ich weiss, es gibt berühmte Gegenbeispiele, z.B. Julie Moss im absolut legendären Triathlon 1982). Ein völlig anderes Bild präsentiert sich da beim Sportklettern, da fällt man in der Regel aus der Wand, weil man sich nicht mehr festhalten kann. Muskelversagen. Monetäre Anreize ändern an der Lage überhaupt nichts.
Bei Radtouren ab einigen Stunden Länge habe ich zu Beginn jeweils das Gefühl, eine kleine Reise anzutreten. Je länger die Tour, desto ausgeprägter dieses Empfinden. Den Alltagsstress lässt man tief unten im Tal zurück, wenn es in die Berge geht.
Bei meiner geplanten Etappe kommt noch der Reiz des Abenteuers hinzu, da ich nicht genau weiss, wie mein Körper auf die Belastung reagieren wird. Meine letzte Freinacht ist schon etwa 15 Jahre her, ich bin Schlafentzug eigentlich nicht gewohnt. Aber Herausforderungen sind für mich nun mal das Salz des Lebens, oder wie ein bekannter amerikanischer Kletterer mal sagte: Pick a goal and go for it. Ohne solches Salz wäre mir das Leben etwas fade.
Knapp zwei Wochen nach dem Platin Alpenbrevet habe ich in einer Ferienwoche Zeit für das Abenteuer. Ich möchte Montag losfahren. Doch ich habe nicht mit dem recht harmlosen Infekt gerechnet, der mich am Sonntag heimsucht. Am Montag ist davon immer noch ein wenig spürbar, und ich bin hin- und hergerissen, ob ich die Etappe angehen oder doch verschieben soll. Die Ereignisse von Paris lassen mich schliesslich verschieben, ich brauche einfach hundert Prozent Fitness, 95 Prozent reichen nicht. Und dabei wäre das Wetter perfekt. Ich verfolge am Abend den Wetterradar und die einschlägigen Webcams. Weit und breit keine Gewitter – selten in letzter Zeit. Solches Wetter hätte ich gebraucht! Aarrrghh! Besänftigt werde ich dann aber am anderen Morgen, als doch noch eine Gewitterfront zumindest in Luzern vorbeizieht.
Es gibt noch eine zweite Chance in dieser Woche, am Donnerstag soll es auch freundlich sein. Ich hoffe darauf, dass der Regen am Mittwoch zeitig aufhört und ich am Abend loslegen kann. Und tatsächlich, schon am Mittwoch mittag scheint es zu bessern. Viel zu spät bereite ich alles vor. Bei der Inspektion des Kuota Kharmas stelle ich fest, dass der hintere Pneu unbedingt ausgewechselt werden muss. Damit steht noch ein Gang zum Rennradhändler an, Radwechsel inklusive. Ich verfluche mich innerlich, dass ich das nicht alles schon früher genau überprüft habe, Zeit dazu hätte ich ja ewig gehabt. Damit wird es jetzt recht knapp mit der geplanten Zugverbindung. Zu allem übel kann ich auch nur einen Beinling finden, keine Ahnung, wo der zweite geblieben ist. Vor kurzem habe ich die Wohnung aufgeräumt, ist ja klar, dass man danach nichts mehr findet, logisch. Ich mache mich also auf dem Weg zum Händler. So schnell ich kann wechsle ich da das Rad und schwitze dabei schon vor der Tour zum ersten Mal. Als ich den Laden verlasse bleiben mir 6 Minuten. Das reicht noch, denke ich, Glück gehabt. Los geht’s Richtung Bahnhof und nach den ersten 10 Metern merke ich, dass jetzt das Vorderrad platt ist! Die Situation ist so urkomisch, dass ich gar nicht fluchen kann, ich muss leise lachen. Die ganze Hetzerei für nichts. Also zurück zum Laden. Das Personal ist erstaunt, dass ich so schnell wieder auftauche. In ein paar Minuten ist dann auch der Schlauch des Vorderrades ausgetauscht. Fängt ja richtig vielversprechend an. Natürlich verpasse ich damit meine Zugverbindung und so nehme ich den nächsten Zug, der Richtung Göschenen fährt.
Am Bahnhof Göschenen möchte ich meinen kleinen Rucksack in einem Schliessfach verstauen, dummerweise gibt es tatsächlich keine Schliessfächer hier. Naja, ich kann den Rucksack ja sonstwo verstecken. Schliesslich versenke ich ihn in einem Brennnesselfeld unweit des Bahnhofs. Wird wohl kaum entdeckt werden. Im Laufe der Tour werde ich nochmals vorbeikommen und Proviant nachrüsten.
So starte ich einige Minuten nach 18:00 am 15. Juli zum Alpenbrevet Extra. Die ersten Kilometer sind gleich die unangenehmsten, die Schöllenenschlucht ist leider recht verkehrsreich um diese Tageszeit. Ab Hospental dann aber kaum mehr Verkehr, den Furka erlebe ich in wundervoller Abendstimmung. Mein Zieltempo ist 700 Höhenmeter pro Stunde, wenn es einigermassen bergauf geht. Das entspricht ungefähr 60% meines ich-fahr-die-Kiste-an-die-Wand Tempos. Puls im Bereich 150 oder darunter.
Nach gut zwei Stunden erreiche ich die Passhöhe und ziehe alles an für die Abfahrt nach Ulrichen. Beim folgenden Aufstieg zum Nufenen wird es langsam Nacht. Zu Beginn im Waldstück kämpfe ich gegen heftigen Gegenwind und befürchte Übles für das ausgesetzte Mittelstück. Doch erstaunlicherweise lässt der Wind mit der Zeit etwas nach, passt gut für mich. Es fängt leicht mit regnen an, doch schon bald hört dies wieder auf. Zum Start der Schlussrampe auf 2000m schalte ich das Rücklicht an, es ist jetzt bald 22:00. Gut eine halbe Stunde später stehe ich an der verlassenen Passhöhe. Wieder das gleiche Spiel, alles anziehen, etwas essen und ab geht’s zur ersten Nachtabfahrt. Natürlich kann man im Licht der (erstaunlich hellen) Stirnlampe nicht Vollgas geben. 50 km/h erreiche ich wohl dennoch an manchen Stellen. Nach All Acqua kreuzt ein Reh die Strasse. Es hat aber genauso wenig Interesse an einer Kollision wie ich und verschwindet in der Böschung. So bleibt die Elchtest-Tauglichkeit meines Renners ungeprüft. In Airolo startet die Südrampe des Gotthards. Ich schone Handgelenke, Sitzfleisch und Kraft, indem ich nicht die Tremola wähle. Es ist sternenklar, weit entfernt im Süden scheint es aber zu gewittern. Für mich beunruhigender ist allerdings, dass sich auch der Nachthimmel im Norden in unregelmässigen Abständen kurz erhellt. Entweder das in der Gegend im Übermass vorhandene Schweizer Militär tut sein Möglichstes beim Verschleudern von Steuergeldern oder aber es gewittert ebenso auf der Nordseite. Wie dem auch sei, die Lichteffekte hören glücklicherweise bald wieder auf. Man schreibt bereits den 16. Juli, als ich die Passhöhe erreiche. Als nächstes geht es jetzt zurück zu meinem Proviantlager in Göschenen. Die Luft ist wärmer geworden, die Abfahrt gestaltet sich angenehm. Mein Rucksack ist wie erwartet unentdeckt geblieben und ich fülle die Trikottaschen mit süssen Kalorien. Zudem streiche ich nochmals reichlich Sonnencreme ein. Wie lang hält eigentlich Sonnencreme, wenn angeschrieben steht, dass sie Schutz für den ganzen Tag bietet? 24 Stunden sind wohl kaum damit gemeint…
Mein Hausberg, der Susten, ist als nächstes dran. Noch selten bin ich ihn dermassen langsam hochgerollt, mit 1:47h treffe ich mein Zieltempo ziemlich genau. Nach der mittlerweile eingespielten Umzieh-Aktion folgt die lange Abfahrt nach Innertkirchen. Ich bin froh über meine guten Ortskenntnisse, ohne diese möchte ich die kurvenreiche Abfahrt lieber nicht in der Nacht bewältigen. Trotz heller Lampe ist eine solche Fahrt nicht ganz ungefährlich. Im Aufstieg war zum Beispiel ein Stein in der Grösse eines Toasters auf der Strasse. Ob man ein solches Hindernis im Licht der Stirnlampe genug schnell erkennt ist ungewiss.
Beim anstehenden Grimsel wird die Nacht ihr Ende finden, und ich bin nicht unglücklich darüber. Ich kurble los, aber irgendwie ist der Druck in den Pedalen recht spärlich plötzlich. Ich habe mich ja vor der Tour gefragt, wann und wie sich der Schlafentzug zu Wort melden wird, sind das jetzt die ersten Vorboten? Und dabei habe ich doch erst etwa 5000 Höhenmeter hinter mir. Der Puls ist nur noch bei 140, ich leiste wohl weniger. Die bekanntlich in Zürich hochgepriesene und gelebte Sublesse lässt sichtlich zu wünschen übrig. Vielleicht gar nicht so unüblich bei einem Rennradfahrer, der beim Wort Rolle nur an eine Turnübung denkt. In Guttannen auf 1000m entscheide ich mich für einen kurzes Nickerchen (Powernap auf Denglisch) auf einer Parkbank. Ich stelle den Timer meines iPhones auf 15 Minuten ein und döse anschliessend vor mich hin. Bei langen Autofahrten haben sich solche Pausen bereits als sehr effektiv erwiesen. Etwas benebelt steige ich danach wieder aufs Rad. Als weitere Massnahme werfe ich eine Koffein-Ampulle ein, liefert etwa ein doppeltes Red Bull.
Um 7:00 bin ich schliesslich oben. Der Himmel ist blau und ich versuche, die traumhafte Kulisse mit der Kamera einzufangen. Die anschliessende Furka Westrampe ist noch vollständig im Schatten, als ich diese nach der kurzen Abfahrt nach Gletsch in Angriff nehme. Der Pass Nummer sechs fällt damit mit Pass Nummer eins zusammen, allerdings bei unterschiedlichen Seiten. Ich habe etwas wenig Flüssigkeit dabei und entscheide mich, beim Hotel Belvédère kurz vor der Passhöhe einen Halt einzulegen. Einen halben Liter Milch und ein Croissant scheinen meinem Magen gut zu bekommen, jedenfalls geht es mir danach prima. Die Krise des Grimsels scheint vollständig überwunden, als ich an der Furka Passhöhe aus dem Schatten herausfahre und die Sonne wieder die Umgebung direkt beleuchtet. Wahrscheinlich auch ein psychologisches Phänomen.
Der nächste anvisierte Pass ist kurz, die Gotthard Nordrampe weist gerade mal 630 Höhenmeter auf. Ich fühle mich gut und pedaliere mit dem schnellsten Tempo des Tages hoch. Bereits 46 Minuten nach Hospental stehe ich an der Grenze zum Tessin. Die Abfahrt via Südrampe ist toll zu fahren, da der Belag gut und die Strasse sehr breit ist. Dass ich damit nicht die Handgelenk-vernichtende Tremola meine, versteht sich wohl von selbst.
Ich fürchte danach die Hitze beim Anstieg zum Nufenen, aber diese erweist sich als halb so wild. Weil es mir bereits einmal geholfen hat, genehmige ich mir nochmals einen halben Liter Milch, dies in All Acqua, dem letzten Ort an der Ostrampe. Schliesslich stehe ich über 14 Stunden nach meiner ersten Nufenenüberquerung wieder am Dach meiner Tour. Im Restaurant muss eine Aprikosenschnitte her, danach folgt ein Gang aufs Klo und da schliesse ich kurz die Augen. Grosser Fehler, natürlich nicke ich prompt ein! Dies war eigentlich nicht so geplant, hat aber wohl gut getan. Schliesslich ist die 35 Minuten dauernde Pause auf knapp 2500m Höhe die längste der gesamten Tour. Mit meinem Zeitlimit von 24 Stunden ist es mittlerweile klar, dass ich nicht noch Grimsel mitsamt Susten fahren kann. Da der Grimsel alleine knapp für 10000 Höhenmeter reicht, bin ich aber auch damit zufrieden.
Bei der Abfahrt Richtung Ulrichen folgen unerwartet ein paar Schreckminuten: Bauarbeiter sind gerade daran, ein Teilstück mit neuem Belag auszustatten, eigentlich ja eine löbliche Massnahme. Die eine Strassenseite ist noch dampfend frisch, diese ist entsprechend abgesperrt. Aber auch die verbleibende Seite ist alles andere als trocken. Beim Befahren dieser kleben plötzlich haufenweise kleine Steinchen an meinen Rädern. Wenn sich diese jetzt in meine Pneus bohren, dann ist das hier das bittere Ende kurz vor dem Ziel. Am Ende der Baustelle kann ich nicht anders als über diese #(@?§/$@ Bauarbeiter fluchen, die es nicht auf die Reihe kriegen, zu jeder Zeit eine Seite gut fahrbar zu halten.
Ich sondiere meine Pneus genau und entferne in mühsamer Detailarbeit alle Steinchen. Einen Ersatzschlauch habe ich dabei, mehr aber nicht. Hoffentlich ist nichts passiert.
In Oberwald angekommen bin ich guter Hoffnung, mit dem Schrecken davongekommen zu sein. Der Druck am Hinterrad scheint allerdings etwas weniger geworden zu sein, dies könnte aber von der langen Ausfahrt her rühren, vermute ich.
Etwas überraschend kann ich auch den letzten Pass des Tages in meinem Even Pace Tempo fahren, scheinbar habe ich diesbezüglich meine Möglichkeiten korrekt eingeschätzt. Ich werde ein paar Mal überholt, natürlich stört mich das nicht im Geringsten. Mit dem guten Gefühl, etwas Ausserordentliches geleistet zu haben, erreiche ich den Grimsel um 15:15. Im Gegensatz zum Morgen sind jetzt haufenweise Touristen am Start.
Anfang Jahr habe ich mir die Frage gestellt, ob ich die 10000 Höhenmeter packen könnte und mir vorgenommen, dies zu probieren, wenn die Form im Sommer ausreichend scheint. Nun ist es Tatsache geworden, ein berauschendes Gefühl.
In gemächlichem Tempo lasse ich bei der Abfahrt Richtung Innertkirchen die Bergkulisse an mir vorbeiziehen. Die einzige richtige Krise hatte ich hier am Morgen, jetzt stehen alle Indikatoren auf hellgrün. Hätte ich glücklicher sein können?
In Meiringen beende ich die Tour nach über 22 Stunden. Da steige ich in den unsäglich heissen unklimatisierten Zug ein, und schwitze bei bestimmt 40 Grad das letzte Mal so richtig auf dem Rückweg nach Luzern. Der Schaffner fragt mich nach meiner Tour und ich erzähle ihm davon. Er mag es kaum glauben…
Einige Bemerkungen:
• Schliesslich hat der Eindruck nicht getäuscht, das Hinterrad hat spätestens nach dem Nufenen ganz langsam Luft gelassen, am Tag nach der Tour herrschte nur noch Druck von weniger als 2 Bar.
• Von allen denkbaren Problemen bei einer solchen langen Tour hatte ich eigentlich nur akzeptable Sitzbeschwerden gegen Ende, neben zeitweise etwas eigenartigem Gefühl im Magen.
• Es erstaunt mich, wie wenig mich der fehlende Schlaf währende der Tour tangiert hat. Die allermeiste Zeit hätte ich anhand der Symptome nicht auf eine Freinacht schliessen können.
• Zur Vervollständigung der Runde fehlt eigentlich noch der Susten als Abschluss mit Fahrt nach Göschenen.
• Der kleine Rucksack samt spärlichem Inhalt ist im Brennnesselfeld der Tour zum Opfer gefallen, ein Verlust von verkraftbarem Ausmass. Wenn ich das nächste Mal in Göschenen bin, werde ich ihn bergen beziehungsweise wohl entsorgen.
• 24 Stunden ist wohl mein Zeitlimit, länger radfahren werde ich vermutlich auch in Zukunft nicht probieren.
• Wettermässig hatte ich grosses Glück. Bereits zehn Stunden nach meiner Tour ist eine heftige Gewitterfront mit Hagel und Starkniederschlag über die Schweiz gefegt.
• Anstatt viele Bilder habe ich ein Video zu bieten.
7 gefahrene Pässe
Furkapass, St. Gotthardpass, Grimselpass, Sustenpass, Nufenenpass, Aareschlucht, SchöllenenschluchtStrecke
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren
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