Von hagen306 – Klassikeralarm im Baskenland! Natürlich legen wir die Runde durch einen der interessantesten spanischen Radsport-Hotspots auch 2022 wieder auf. Zeit, Deine Legende zu schreiben!
Das Motto: "Hay de todo": Es gibt von allem - und zwar reichlich. Die bekannten Anstiege aus den spanischen Rundfahrten und Eintagesklassikern. Einsame Landstriche und urbanes Leben in Bilbao (nebst dem weltbekannten Guggenheim-Museum) und San Sebastián. Pintxos (die baskische Version der tapas). Und vor allem ein sehr offenes, radsportverrücktes Völkchen. Kleine Auswahl der gut zwei Dutzend teils unaussprechlichen Berglegenden der Rundfahrt? Bitteschön: Jaizkibel, La Reineta, Bezi, Laiseka, Alto de Ubal, Puerto del Asón, Portillo de la Sía, Portillo de la Lunada, El Caracol, Puerto de Braguía, Puerto de las Estacas de Trueba, Monte Oiz (der Anglirú des Baskenlands), Karabieta, Puerto de Oñati, Otzaurte, Puerto de Lizarraga, San Miguel de Aralar, Uitzi, Puerto de Usateguieta, Puerto de Archiulegui, Igeldo... der Spaß hört niemals auf!
quäldich-Reise Baskenland-Rundfahrt – die Klassiker in Spaniens Norden
Von hagen306 – Eben noch in Andalusien, sind wir schon wieder in Spaniens hohem Norden: Unsere Baskenland-Rundfahrt startet! Natürlich kann es auch hier nur heißen: "Hauptsache bergauf". Wobei sich unser Torsten heute morgen gleich für die barrierefreie Variante entschieden hat - Rollttreppen führen hier in Bilbao die Straßen hinauf. hoffen wir mal, dass das die kommenden Tage nicht auch auf all unseren baskischen Klassiker-Anstiegen der Fall ist ;-) - wir melden uns in Kürze mit den wie gewohnt nicht allzu ernst zu nehmenden Weisheiten unserer Tage hier in der Wiege des spanischen Radsports!
...übrigens: das haben wir vor heute:
Natürlich darf, wer die Anreise hinter sich hat, sogleich aufs Rad. Wir haben eine kleine Runde zusammenegestellt: Entlang des Nervión, vorbei am weltbekannten Guggenheim-Museum und an der Hängebrücke nach Getxo, zum Caféstop am Strand von Gorliz, durch die Hügel des Hinterlands und zum Schluss über Kleinststraßen zurück nach Bilbao. Y ya está - der Auftakt ist geschafft! noch ein, zwei, drei pintxos und der Tag ist komplett!
Von hagen306 – Es geht los: Am Ostufer des Río Nervión entlang verlassen wir Bilbao, setzen in Portugalete, kurz vor Getxo mit seinen Stränden, über und dann ist es auch schon soweit: Waren wir bislang im städtischen Umfeld unterwegs, verlassen wir dieses nun auf dem kürzesten Wege - BERGAUF! In herrlichen Kehren geht es immer parallel zur Zahnradbahn rauf nach La Reineta und oben auf kleinsten Straßen weiter nach Muskiz. Der große Rest des Tages ist geprägt von sattem Grün und den typischen kleinen baskischen Nadelstichen: Kaum einer ist höher als 600m - das Tempo macht den Unterschied. Nach der finalen Abfahrt nach Ramales - nun schon in Kantabrien - beziehen wir im kleinen Palacio in Ruesga nebst den nahegelegen ehemaligen Stallungen der edlen Rösser Quartier.
Von hagen306 – Ulaub dient der Erholung. Dafür gibt es ja sogar eigens das Bundesurlaubsgesetz. Ein Schelm, wer dabei an die täglichen Etappen unserer Reisen dankt - nennen wir die täglichen 120km, diversen Pässen und Windkantenpassagen also "aktive Erholung".
Nicht anders ist es im Baskenland - wie erholen uns sehr aktiv. Zwar rollen wir auf unserer heutigen Etappe noch gemütlich die Uferpromenade des Nervión hinaus aus Bilbao, doch sind wir alsbald mittendrin in den baskischen Hügeln. Derer viele sind mit Blick auf den nahenden Grand Depart der Tour de France schon hübsch geschmückt mit neuen Schildern nur fürs Rennrad: Verbleibende Strecke bis oben, durchschnittliche Steigung usw. Und natürlich werden die motoriserten Teile der Weltöffentlichkeit fortlaufend daran erinnert, 1,5m Abstand zu halten. (Wie einfach das doch ist - stellen wir mal wieder fest!).
Eine weitere neue Erfahrung: Auch hier gibt es mittlerweile einige freilaufende Hunde; natürlich erfolgt der Überfall ausschließlich, wenn wir bergauf fahren. - Einer muss sich opfern: Michi ruft die 6 Kläffer mit einem gehörigen Brunstschrei zu sich hin, sie wollen ihn zwacken, kommen dabei der Socke gefährlich nah und lassen ab...
Von hinten nähert sich derweil eine weitere Jägerin: Anna trainiert gerade für irgendwelche Ultra-Rennen wie transiberica und Co. und hatte Hals über Kopf ihren Kaffestop beendet, als wir vorbeifuhren. Denn der mit der Guidetasche unterm Sattel könnte ja auch ein Ultracyclist sein. Der Anstieg vergeht somit recht schnell.
Zuverlässig hat am Sonntag hier in der Kantabrischen Kordillere wirklich jede Bar offen: Heute kehren wir wieder mal bei Rosi ein. In Lanestosa hat sie sich aus unerklärlichen Gründen direkt gegenüber der Kirche angesiedelt und ein Teil der Stühle steht sogar unter dem Vordach des Gotteshauses. Trinkt der Pfarrer etwa mit?
Weiter geht´s, die Triebwerke laufen heiß, nur der Alto de los Tornos als direkter Übergang über die Kantabrische Kordillere will noch bezwungen werden. Oben steht bereits das hier zu sehende Ehrenschild für uns: "máquinas trabajando" (Maschinen bei der Arbeit). Wie war das doch gleich mit dem Urlaubsgesetz?
Doch halt, die schnelle Garde hat doch tatsächlich den Zusatzbuckel ausgelassen - was ist los? Nun: Wir haben einen Borussia-Dortmund-Fan unter uns. Bereits gestern ertönte ein unüberhörbarer Jubelschrei in Bilbaos Gassen, als das Ergebnis des Bayern-Spiels bekannt ward. Und heute: Muss er pünktlich im 17:30 zum Anpfiff im Palast, ähem Hotel sein. Die Karenzzeit rückt gefährlich nahe - da kann ein Berg schon mal warten. Aufgrund des allbekannten Ergebnisses gibt es dann auch eine gehörige Saalrunde für alle. Wollen wir also mehr Fußball als "schönste Nebensache der Welt"? Nö, wir wollen noch mehr Berge morgen in der Kantabrischen Kordillere!
Der Plan war dieser:
Gegenüber der Normalvariante hängt die Langvariante noch fast den gesamten Anstieg zum Alto de los Tornos in der Kantabrischen Kordillere hintendran, bevor wir auf feinster Straße nach Ramales hinuntercruisen. Warum? Weil es so schöne Aussichten gibt! Nicht zu steil, Kaum Verkehr. Sehr empfehlenswert.
Von hagen306 – Ich erinnere mich noch dunkel an meinen ersten Trip ins Baskenland: Mit angezogener Handbremse versuchte ich es mit Spanisch - denn ich hatte Angst, dass mir die Basken das ähnlich den Katalanen um die Ohren hauen. Aber nix da: Spanisch ist selbstverständliche offizielle Amtssprache, ganz gleich wie autonom der eine oder andere hier sein möchte. Natürlich wissen wir mittlerweile auch, was "Ongi Etorri" heißt - Herzlich willkommen! Steht ja auch wirklich überall angeschlagen. Also eigentlich ganz einfach, hier durchs Land zu kommen und auch wirklich beim Bäcker das zu bekommen, was man möchte.
Interessanter wird es da bei bei der freien Interpretation baskischer Ortsnamen: "Getxo" (der Vorort von Bilbao mit viel Strand und Drumherum) könnte auch "geht scho" auf bayrisch heißen - haben wir da etwa das Rätsel der Herkunft des Baskischen gelöst?
Auch die Ansagen auf dem Rad bieten viel Raum zur freien Interpretation: "Wir fahren jetzt zum Asón hoch" wird da kurzerhand auch mal als "Wir fahren jetzt zum Sonnenhof" gedeutet. Einer gewissen Logik entbehrt das nicht - haben wir heute morgen doch wieder Erwarten schönstes Wetter. Womit wir bei unserem täglich Brot wären:
Asón, Sía und Lunada sind die ersten drei Pässe in der Kantabrischen Kordillere - die ersten bei Sonnenschein, auf dem Lunada wird es schon seehr neblig. Hatte ich zwischenzeitlich schon gedacht, meine gewohnt pessimistische Wetterprognose würde baden gehen, tun wir selbiges später am Tage (und zwar KALT). Nur ein wenig allerdings, die Nässe von oben sind eher Wolken als Regen, nass wird es trotzdem bei den Folgepässen Caracol, Braguía und Estacas de Trueba. Es sei aber auch erwähnt, dass es zum Tagesabschluss in Espinosa wieder hübsch trocken ist.
3300 Höhenmeter (ja, durchaus eine Königsetappe) aber einfach nur trocken? Da würde hier schon was fehlen - vor allem die herrlich grüne Landschaft, gekrönt von den karstigen Bergmassiven.
Übrigens verstehen wir heute abend die Speisekarte ganz hervorragend: Spargel a la Navarra, Russischer Salat, Schinken, natürlich auch Cabrales-Käse (den einige nicht mögen, was den gierigen Reiseleiter freut). Pilzkroketten. Dann wahlweise Seezunge, Schweinebäckchen, secreto ibérico oder Lachs. Dann quesada (nein nicht "Käse da"), Joghurt oder flan. Dann cerveza - schön schmutzig (heute erst nach dem Abendessen, da wir vorher ausgiebig WARM duschen mussten). What a day!
offizielles Werbetextchen:
Wie jede große Rundfahrt macht auch die Baskenland-Rundfahrt auch Abstecher in die benachbarten Regionen: Heute durchkreuzen wir die wild-entrückte Kantabrische Kordillere - Prädikat ,,königlich"! Wir starten schon spektakulär zum Puerto de Ason, um oben festzustellen, dass es noch weiter zum Puerto de la Sía auf 1240m geht. Die Landschaft wird nun karstig-karg. Weiter geht´s über den Portillo de la Lunada. Hier oben wartet das wohl grandioseste Panoramen der ganzen Tour auf uns: Wild-entrückt, schroff, alpin! - Die Abfahrt ist eng, der Asphalt zunächst noch alt. Der folgende,,Schneckenpass" ist fix weggekurbelt. Wir widerstehen den Sidrerías in Selaya und widmen uns dem sanften Braguía und dem "letzten Brett" Estacas de Trueba. Und endlich: Zielabfahrt nach Espinosa - Zeit, die Heldentaten des Tages auszuwerten.!
Von hagen306 – Die Variante für unsere entspannte Gruppe und ebenso gelegentliches Schlechtwetter klettert den Lunada bis zu seiner spektakulären Talaussicht hinauf, kehrt um (Wendepunkt ist erst der Mirador Covalrujos in der Abfahrt), zweigt noch einmal nach Westen, schlägt am Estacas de Trueba mit nochmaliger Edelkitschaussicht an und kehrt wieder um, um die Held:innen der Langstrecke am Ziel in Espinosa zu empfangen. P.S.: Cola Cao ist der spanische Kakao, der erfahrungsgemäß gern zum Abschluss dieses Tags in den Bars unten in unserer Herberge bestellt wird.
Von hagen306 – Ganz gleich, ob es morgens 10 Grad hat (so wie heute), die Socken von gestern noch klamm sind (so wie heute), die Wolken tief hängen (so wie heute) - der Baske von Welt (wahlweise auch wir) schwingt sich unverdrossen aufs Rad. Milde lächelt er über die Südspanier, die unter 20 Grad den Daunenanzug anziehen und das Gesicht hinter einer wärmenden Maske verstecken. Und dann konzentriert er sich auf das Wesentliche: Fahren, trainieren. Gleichgesinnte grüßen und fairt absprinten. So läuft das hier - und wir spüren auch ein wenig baskische DNA in uns. Anders formuliert: Wir wissen zwar nicht (mehr), wo wir herkommen, aber uns gefällt´s hier gut. Rennradfahren hatte ja schon immer auch irgendwie was mit Niveau und Stil zu tun. Hier also die Top 5 unseres styleguides für den großartigen Norden Spaniens:
1. Vergiss ein zweites Paar Socken. Trockne Dein einziges Guidesockenpaar mit dem Föhn. Desinfiziere diesen anschließend.
2. Putz Dein Fahrrad morgens vor Fahrtbeginn - sonst fällt der neue Dreck des Tages (und die damit verbundenen Heldentaten) nicht genug auf!
3. Such Dir immer, aber auch immer stilvolle Pausen- und Radparkplätze. Our favourite: Unter den Vordächern der Kirchen.
4. Verpflege Dich ordentlich. Ignoriere irgendwelches techno-food. Gib Dich stattdessen tortilla, empanada und Co. hin. Täglich frisch und verschieden gefüllt. Nur echt, wenn unser Rodrigo (unser Retter im food truck) sie herrichtet!
5. Fahre die Pässe. Von ganz unten. Immer. Und das Wetter sei Dir egal. Wir bevorzugen die Fahrt durch die Wolken so wie heute am völlig unbekannten Pagobakar - und der ist nur echt mit 6%, ohne Verkehr und mit der dicken Mühle.
Bei Einhalten dieser Gebote klappt´s auch mit der heutigen Überführungsetappe von Espinosa in Kantabrien ins schwerindustriell und chemisch geprägte Durango im Baskenland. In Rekordzeit. Mit Superflow. In der entspannten Gruppe. Und die "Sportiven" kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus :-).
Epilog: Punkt 6 der Styleguide-Liste werden wir erst morgen abarbeiten: Fahre den Arrate immer von der klassischen Seite von Eibar aus nach oben. Mach das Siegerfoto oben an der Pelotawand an der Kirche. Und stürz Dich wieder hinab in die wohl schmalste Stadt des Baskenlands - eingezwängt im Tal zwischen den hohen Bergen. Kurzum: Fühl Dich wie bei der Itzulia (der Baskenland-Rundfahrt)!
Und Punkt 7 (styleguide für Fortgeschrittene): Vergiss nicht den Regenschirm, wenn Du nach den ersten 4 Fahrtagen doch einmal den Waschsalon aufsuchst, um morgen wieder stilvoll in die Objektive der Mitfahrenden zu strahlen!
und das war der Plan für heute:
Heute warten etwas weniger Höhenmeter auf uns: Wir begeben uns ostwärts. Mit etwas Rückenwind wird diese Etappe ziemlich flowig - kompaktes Teamwork ist unseren Zügen angesagt. Ernsthafte Berggegner warten (bis auf einen kleinen in 2019 entdeckten Stich zum Wachwerden) heute nicht: Den Urkiola fahren wir von der kürzeren und verkehrsärmeren Südseite an, um den hier etwas dichteren Verkehr vorrangig in der finalen Abfahrt uns entgegenkommen zu sehen. Das Tagesziel Durango ist einer der typischen schwerindustriell geprägten Orte im Baskenland, an dessen Rand wir nächtigen. Dies wird uns morgen ermöglichen, den Arrate von seiner legendären Südwestseite zu fahren und somit auch die Anfahrt verkehrsarm gestalten zu können.
Von hagen306 – Die "kurze" Variante verzichtet auf den Arrate und führt schnurstracks - und dennoch fordernd über alle 5 folgenden Berge, Hügel, Pässe in die Einsamkeit auf das Plateau der Sierra de Urbasa. Sind Durango und Eibar noch arg industriell geprägt (weswegen wir auch für einige km auf einen Radweg auf ehemaliger Bahntrasse ausweichen), so finden wir hier oben nur noch ... nichts. Das Tagesziel mit frisch renoviertem Hotel im Bergdorf Zudaire setzt dem ganzen die Krone auf. Dennoch möchten wir heute durchaus empfehlen, die "B-Variante" zum Arrate zu nehmen - Mehr Radsportmythos im Baskenland geht schlichtweg nicht!
Von hagen306 – Zotenalarm im Baskenland? Natürlich nicht, denn zu den ungeschriebenen Regeln unseres Styleguides gehört natürlich auch ein ganz normaler Umgang. Sieht man mal von den rennradtypischen Grobheiten im Sattel ab.
Am heutigen Morgen kann sich der Tag noch nicht so recht entscheiden: Regen? Niesel? Trockenheit? Da kommt schon die Frage nach dem Bedarf an Überziehern auf - ganz anständige Überschuhe, die heute zahlreich die Füße wärmen. Und ansonsten - ein reines Rein-Raus-Spiel auf den 125 km von Durango in die Sierra de Urbasa.
Rein in den Industriemoloch Eibar - steil raus und hinauf zum Arrate.
Rein in Wallfahrtskirche am Arrate (dem must have des basque riders), raus und Foto vor der legendären Pelotawand gemacht.
Danach wieder rein in Orbeas Heimat, und wieder steil raus zum Karabieta.
Rein in die Regenjacke, raus aus der Regenjacke.
Rein in den morgendlichen Verkehr auf der Nacional - raus in die absolute Einsamkeit bereits nach 50 der 120km.
Rein in die 4 folgenden Pässe - raus mit all der Energie, die uns Rodrigo mal wieder aus dem food truck auftischt. Rein in die schön bunt graffitierte Bushaltestelle (stilvoll speisen heißt es ja bei uns!), raus und in die nächste Abfahrt.
Rein in den frischen Asphalt der Baustelle - raus ist die Luft aus dem Hinterreifen. Also rein in die nächste Dorfbar und raus mit weiterem soeben noch angelesenen Wissen zu der ältesten baskischen Universität in Onati. (Dort sollte man auch mal reingucken - neben alter Architektur gibt es Mülleimerständer: Einfach den Plastikmüll an den Haken auf dem Fußweg hängen und warten, bis die Recyclingfirma ihn abholt und den leeren Eimer wieder anhängt.)
Rein in den Edelanstieg zum Otzaurte, raus mit der Freudenträne aus dem linken Auge!
Rein nach Altsasu - und aber qwirklich schnell wieder raus aus diesem zugigen Durchzugsort.
Rein in den finalen Anstieg hinauf auf die Sierra de Urbasa - und raus in eine Welt, die wirklich nicht von dieser Welt ist.
Halten wir kurz inne für diesen, unseren Lohn des Tages: Die karstigen Steine sind komplett bemoost - die darauf wachsenden Buchen verdienen das Prädikat Märchenwald. Halbwilde Pferde spazieren über die Straße, gelegentlich auch ordentlich behornte Kühe. Spätestens hier versauen wir uns den ordentlichen Durchschnittsspeed des Tages - wahrscheinlich hat die schnelle Truppe hier oben nicht so viele geschwelgt und gebummelt wie wir.
Und nun sind wir da: im winzigen Bergdorf Zudaire oben im Nichts. Nur unser kleines, feines Hotel und wir. Stürzen wir uns also nun rein in die Verköstigung! Feierabend :-)! Und zwar ein verdienter. Für alle von uns. Raus aus den aktuellen Guideklamotten, rein in das Retroteil aus dem letzten Jahrtausends (denn der Zimemrnachbar ist zuerst dran mit Duschen - und jetzt zählt vor allem eines: Wärme!).
So stellten wir uns das vorher vor:
Klassikeralarm!!! Eine lange und fordernde Etappe. Zunächst folgen wir der "Nacional" und dann einer etwas ruppigen Kleinststraße ins "centro cultural" Eibar. Die ins Tal gequetschte Heimat von Orbea müssen wir durchqueren, denn es wartet der Arrate, einer DER Anstiege für baskische Radsportler. Trotz seiner ,,nur" knapp 600m Höhe ein echtes Brett. Ihr dürft Euch hier mit den vielen baskischen Rennradfahrern messen - das Zauberwort lautet ,,Freigabe"! Nach dem Stop an der Pelota-Wand an der Kirche (während der Messen aber verboten, siehe Foto ;-) geht es wiederum durch Eibar mit stetem Kurs in Richtung Einsamkeit. Hinter Bergara folgen wir für ein ganzes Stück, dem neuen, breiten Radweg bis Onati. Über Udana und Otzuarte werden die Sträßchen immer kleiner, bis wir hinter Altsasu das Serpentinenfest hinauf auf die Sierra de Urbasa eröffnen. Hier oben auf der Hochfläche ist es herrlich karg. Vorbei am Balcon de Pilatos stürzen wir uns die karstige Abbruchkante hinunter und fallen in unser kleines Hostal am Tagesziel in Zudaire ein.
Von hagen306 – Radsport ist ja Teamsport. Man fährt für- und miteinander, gönnt den anderen im Team die Bergwertung. Natürlich handhaben wir das ganz genauso auf unserer Fahrt von Zudaire oben in der Sierra de Urbasa nach Lekunberry. Und vor allem hinauf zum San Miguel de Aralar, dem heiligen Berg der Basken. Nach der gestrigen Arrate-Etappe lautet der unausgesprochene Beschluss, weniger die Beine, sondern auch den Kopf zu fordern. Hier also eine lose Auflistung der wichtigsten Weisheiten nach mittlerweile 5 Tagen Baskenland:
1. Fährt der Guide gut vorne weg, schert Dich der Gegenwind nen Dreck. (Eigentlich verbotenes Verhalten, jedoch wird sich der Betroffene am nächsten Anstieg revanchieren und einschenken.)
2. Fährt Maresa wieder vorn, zieht der Philipp schwer am Horn. (Wir hörten von Schwielen an den Händen ob des aufreibendem Kontakts mit dem Lenkerband.)
3. Hat der Wirt am Passe keine Eier, fressen ihn wohl bald die Geier. (Wir dürfen am Lizarraga-Pass ein wirklichn unglaubliches Schauspiel erleben: Hunderte Geier im regen Flugverkehr über der Straße und ein riesiges Getümmel um und auf ein verendetes Pferd. Allein das ist schon unser Erlebnis des Tages, obwohl es noch zum San Miguel hinaufgeht.)
4. Wird der Glinder (Codewort für unseren besten, laut Bayer aber noch zu formenden Bergfahrer, der ihn gestern fast abkochte) violett, wird´s für den Bayern richtig nett. (und er legt noch eine Schippe drauf, wenngleich ab 10% die Leistungsgewichts-Ratio kritisch wird).
5. Biste bei Rodrigo satt, fährt Dich nicht der Bayer platt.
Und so ginge das weiter. Natürlich fahren wir noch hinauf zum Dach der dieser Tour - den Antennenmasten hoch über der Wallfahrtskirche von San Miguel. Und fühlen uns wie der Büßer, der dann mit Hilfe des Erzengels Michael die Ketten sprengte (sie hängen im 1000jährigen Gemäuer) auf unserer Fahrt durch mal wieder einen Märchenwald. Und natürlich erwischt uns dann dabei doch noch ein kleines Schauerchen. Who cares?
Und da wir bereits unglaublich in spanische Gepflogenheiten involviert sind, stört es uns auch überhaupt nicht, dass es Abendessen erst 20:30 gibt - wir überbrücken die Zeit im "Club de Jubilados" (also im Lokal des Altenheims), denn auch hier gibt es San Miguel oder Estrella oder ewas auch immer. Denn vermutlich erst nach mehreren Amphoren kann man so manchen Passnamen aussprechen...
Der Plan:
Richtig geraten: wenn wir heute nach Norden fahren, geht es wieder hinauf auf die Sierra de Urbasa. Je nach Tagesform nehmen wir noch das Kloster von Ignanzu mit, bevor wir über die Andía zum Puerto de Lizarrate gelangen. Das Passhäuschen hat 365 Tage auf, genau so soll es sein. Durch den kurzen Gipfeltunnel hindurch geht es fix bergab bis Etxarri. Nach kurzem Flachstück folgen wir der kleinen, lieblichen Straße über Oderitz nach Lekunberry. Tagesziel erreicht? Nicht ganz, denn der Höhepunkt des Tages steht noch an: hinauf zum Santuario de San Miguel de Aralar, einem der heiligsten Berge der Basken. Wir fahren natürlich ganz hinauf bis zu den Sendemasten, denn nur so liegt uns wirklich die gesamte Umgebung zu unseren Füßen. Rasante Abfahrt hinunter nach Lekunberry und dann aber Einkehrschwung ins Hotel!
Von hagen306 – Die Kurz (bzw. auch Schlechtwettervariantervariante lässt den Anstieg zum Aralar aus und fährt schnurstracks in Richtung Ziel weiter. Selbstverständlich führt aber auch sie am Morgen noch einmal hinauf auf die Andía und den Lizarraga-Pass.
Von hagen306 – Wer heute schwere Beine hat, der nimmt nach dem Usateguieta die Abkürzung und fährt sanft hinunter Richtung San Sebastían - um sich dann der Legende zum Abschluss zu stellen: Der Jaizkibel erwartet uns , bevor es in die pintxo-bars geht!
Von hagen306 – Der heutige Tag läuft unter dem Motto "Weltenbummeln". Steht der Morgen noch im Zeichen des morbiden Charmes unserer gestrigen Bleibe (aber mit gutem Essen), tauchen wir alsbald ein in noch einmal völlig andere baskische Welten als bislang.
Warum zum Beispiel haben heute alle die schicksten Trikots angezogen? Wegen des Jaizkibels, unserem heutigen Abschlussbrett der Etappe? Oder doch wegen der Wetterprognose? 20 Grad und Sonnenschein. Wer, wenn nicht wir hat sich den verdient?
Wir plaudern uns also über die ersten beiden "Asphaltblasen", umgeben von saftigen Wiesen und zimmern erstmal 20km im Endorphinrausch durch wieder andere Märchenwälder hinab nach Doneztebe. Zielsicher hat Gruppe 1 (!?!) ein Café am Fluss ausgemacht: Romantik-Point! Ebenso wie Aroma-Point für den Kaffee und Schönheitspunkt wegen...nun ja, wir schweigen galant :-).
Auch dürfen wir heute die Welt besorgter Straßenbauarbeiter kennenlernen: Unsere Strecke wird an einigen Stellen neu asphaltiert - und sie lotsen uns wortschwalllastig durch die Maschinen und gefühlten Hundertschaften an Kollegen wieder auf die Strecke.
Und weil nach Verkehr immer Einsamkeit kommt, schließen wir die Fahrt durchs Niemandsland über den Archiluegui an. Kollektiver Mittagsschlaf oben auf der Wiese.
Und weil nach Einsamkeit wieder Verkehr kommt, mogeln wir uns durch Irún durch. Nein, nicht um etwa nach Frankreich weiterzukommen, sondern um uns in epischer Gänze dem Jaizkibel zu widmen, dem Monument der Clásica San Sebastián.
Der Glinder nimmt es heute ernst: Gleich unten wird attackiert. Erstaunlicherweise folgt keiner -wir haben noch wichtige Dinge zu besprechen :-). Und diese Dinge sind wirklich so wichtig, dass einige das Passchild oben einfach überquatschen und mitten in der Abfahrt reumütig funken, dass sie soeben eine Todsünde begangen hätten.
Sehen wir das aber doch einmal ganz anders: Wenn das Passchild unwichtig wird, wenn der Schmerz in den Beinen gemeinsam weggequatscht wird, ist das nicht der Idealzustand, nach dem wir alle lechzen?
Vor allem, wenn danach die Ehrenrunde folgt: Hinab nach San Sebastián, mit der Fähre über den Hafen (und lecker Eis in der Hand), vorbei an der Surferbucht und der Altstadt zur Contxa: dieser unglaublichen Badebucht mitten in der Stadt. Also fix ins Hotel, Badehose rausgekramt und rein in den Atlantik! Der Lohn für den Tag könnte nicht großartiger sein!
official:
Erneut sorgen wir heute für Klassikerfeeling. Gleich über 6 Hügel, Pässe, Rampen oder wie auch immer wir sie nennen mögen geht es nach San Sebastián an die berühmte Contxa, den Stadtstrand. Wir starten mit dem Uitzi: Klein und fein legt er sich sofort nach Start in die Quere. Wir gönnen uns nur kurz Erholung und nehmen sogleich den Usateguieta in Angriff, eigentlich eher eine Asphaltblase. Danach wird gerollt: Von km 22 bis 58 geht es sanft bergab! Vor Lesaka folgt fröhliches Wellenreiten - etwas längere Hügel im Wald. Bis hinunter nach Irún (Achtung: nach all der Einsamkeit nun mehr Verkehr!) haben wir vier davon mit Liebe ausgesucht. Und dann ist sie da, ganz unscheinbar, die Legende: der Jaizkibel. Ungezählte Male bei Baskenland-Rundfahrt und Clásica San Sebastián war er der Scharfrichter kurz vor dem Ziel. Zwar hat er nur 455hm, aber wie schon den ganzen Tag macht das Tempo das Gift. Also spart Euch ein paar Körner für das Finale! Und freut Euch auf unseren abendlichen Ausflug in die pintxo-Bars in San Sebastían. Wer heute auf dem Bauch schlafen kann, hat schlicht zu wenig der leckeren Happen in den Bars probiert..
Von hagen306 – Wir haben das Ziel erreicht. Selbstverständlich. Ohne Opfer. Aber wir gucken durchaus ein wenig über Kreuz. Eine kurze Chronik der Degeneration des finalen Tages:
1. Die Roadbooks sprechen eine eindeutige Sprache: "Hügelschlacht nach Bilbao" oder "Die Bestie: Monte Oiz". Da wir die Beine ohnehin nach einer strammen Woche nicht mehr spüren oder auch vermissen, ignorieren wir das einfach. Bereits vor Abfahrt passieren 154 Rennradfahrer (sollten wir besser sagen: Rennfahrer?) das Hotel. Wen von ihnen werden wir am Igeldo stellen?
2. Igeldo: 400m einrollen, 8km hinauf auf den Katzenbuckel in San Sebastians Westen. Nach dem schändlichen Ignorieren seiner Attacke gestern am Jaizkibel (wegen Gesprächsthemen wie Rasenmäher usw.) legt der Glinder den Sonntagsgang auf. Michi erzählt was von Heiserkeit und schweren Beinen. Wir grüßen den 267. Rennradfahrer oben auf der Kuppe. Überholvorgänge: keine. Immerhin auch kaum welche von hinten.
3. Zarautz: Die legendäre Küstenstraße in Richtung Zumaia beginnt. Mittlerweile mehr als 859 Rennradfahrer. Pro Richtung. Der Grüßarm schmerzt.
4. Deba: Ist das da nicht eine Strandbar? Yesss!! Also rein und Beine hoch. Läuft eh alles flüssig - wir haben Zeit. Meinen wir. Allein in der Bar weitere 20 Rennradfahrer.
5. Ondarroa: Küstenstraße Teil 2. Selbstverständlich neuer Asphalt. 1294 Rennradfahrer bislang. 20 Autos bis Leikeitio. Macht einfach eine Radstraße draus, de facto ist diese sich durch den schillernden Küstenwald schlängelnde Perle es ohnehin. Michi filmt derweil den nicht mehr ganz so runden Tritt der anderen. Und attackiert gleich am nächsten Buckel.
6. Aulesti: Zum Quatschen reicht die Power immer. Im schönsten Bayrisch hallt es durch die Gassen. Baskisches Publikum linst verstört aus der Bar in der engen Ortsdurchfahrt. Und lässt sich noch ein Glas Txakoli einschenken. Wir haben aufgehört, die Rennradfahrenden zu zählen. Auf deutschen Autobahnen zählt man ja auch keine Autos. Es ist so herrlich normal hier, dass auf zwei Rädern gefahren wird. Der E-Anteil ist dabei aus trainings-schleiferischer Sicht übrigens erfreulich gering.
7. Balcón de Bizkaya: Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Die schnelle Eingreiftruppe hat dabei nur eine Option: Monte Oiz. Soll weh getan haben. Stichstraße kommt von "stechendem Schmerz in Beinen und Lunge". Für das weitere Peloton führt ein leicht gelenkter Kurzaustausch zum einzig vernünftigen Schluss: Nix Oiz. Wir waren ja schließlich schon am Uitzi (vermutlich sein Schwager) und am Usateguieta (Verweandschaftsverhältnis ungeklärt).
8. Aretzabalagana-hä?? Es kann doch nicht sein, dass man erst 3 Txakoli oder Patxaran getrunken haben muss, um diesen Oiz-Verwandten dritten Grades aussprechen zu können. Die Sonne knallt übrigens, die Blickfelder verengen sich leicht im vorletzten Anstieg. Leider rollen wir aus Zeitgründen an der Grillparty im nächsten Dorf vorbei.
9. Ganguren - Warum hat San Miguel diesen letzten Bergrücken hier hin gefeuert? Könnte man nicht einfach so nach Bilbao einrollen? Es lebe die Kompaktübersetzung. Immerhin spart sich Michi den Wheely.
10. Plaza Nueva, Bilbao: Das Drehbuch sieht eine zeitgleiche Einfahrt aller Gruppen zum Tourziel dieser Baskenland-Rundfahrt vor. Das bekommen wir hin. Manch einer verpasst zwar den entscheidenden Abzweig zur Zielabfahrt ("Mein Garmin kriegt das mit den kleinen Abzweigen nicht so gut hin"), doch finden alle innerhalb des akademischen Viertels den Weg zu pintxos und Getränken auf Bilbaos lässiger Hauptplaza.
Ach so: Die zwischenzeitliche Idee des hier abgebildeten Oiz-Bezwingers, sich ob des täglichen Wahnsinns auf zwei Rädern (wahlweise auch des Ausgangs der deutschen Fußballmeisterschaft) aus dem Hotelfenster zu stürzen, wird verworfen. - Denn wozu schreiben wir hier 8 Tage an unserer Legende, wenn wir sie aufgrund eines verzweifelten Fenstersturzes niemandem mehr erzählen könnten? Und außerdem: Die Picos de Europa in Europa mit Angliru, Lagos de Covadonga, Glorio... stehen ja auch noch auf der bucket list. June 2023 und Achtung, Spoiler: voraussichtlich Ende August 2024. Wir sehen uns in Spaniens großem, grünen Norden!
official:
Was der Jaizkibel im Osten, ist der Igeldo im Westen von San Sebastián. Wir knüpfen nahtlos an den gestrigen Tag an und klettern sofort nach Start auf den Buckel. Anschließend geht es wunderschön an der grünen Küste ab Ondarroa über Lekeitio zum Pausenstopp. Fragt den Pausengott nach der Bar mit dem besten Kaffee der Hafenstadt! Über Muntibar geht es nun rauf auf den Balcón de Bizkaya (richtig: Panorama satt), um dann den nicht enden wollenden Hügeln bis nach Bilbao zu folgen. Frisch entsaftet durch den Ganguren als letzten Stieg der Tour stürzen wir nun förmlich hinab direkt ins Zentrum. Epische 140km berechtigen uns zu sofortigem Schmutzbier und pintxo-Orgie in der Altstadt, am Ziel unserer Klassikerwoche. Salud!
Von hagen306 – Die Bestie hat einen Namen: Monte Oiz
Gegenüber der "Kurz"-variante nehmen wir ab dem Balcón de Bizkaya die Nordrampe zum Monte Oiz, der in 2018 vuelta-erprobten Gemeinheit (1028m). 5 teils bestialisch steile Kilometer mit Spitzen weit jenseits der 20% warten - der Angliru der Basken!! 360-Grad-Panorama von ganz oben - der Oiz ist schlicht der höchste Berg hier.
Runter geht´s auf gleicher Strecke und dann wie die Normalstrecke nach Bilbao. Die Klassikerwoche ist beendet - Beine hoch! Gläser auch!