Von Jan –
Ich war noch nie auf dem Brocken! Mit der Deutschland-Rundfahrt durften wir es nie, aus Rücksicht auf den Nationalpark. Näher als am Wurmberg 2015 kam ich ihm nie (siehe Bild, dass ich aus der Passbeschreibung geklaut habe), heute will ich ihn endlich meinem Palmares hinzufügen, und vor allem meiner Passbefahrungskarte. "Noch ein lila Pinnösel mehr", schreibt Tom abschätzig. "Um nichts anderes geht es", schreibe ich zurück, aber das ist natürlich Quatsch. Ich fahre nicht, um abzuhaken, ich fahre, um zu entdecken, und dass ich nach fünfundzwanzig Jahren Radsport noch nicht auf dem Brocken war, Norddeutschlands höchstem Berg, ist doch ein Unding. Glücklicherweise wusste ich es bisher zu verbergen.
Windstille empfängt uns heute morgen um Viertel vor sieben, als der Wecker klingelt. Windstille in unserem Hotelzimmer, aber draußen klappern die Markisen. Glücklicherweise bekommen wir ein frühes Frühstück im gestern schon gelobten Hotel Antares, so dass wir um Punkt acht im Sattel sitzen. Die Fahnen am Ortsausgang von Halberstadt mit erstem Brockenblick verheißen nichts Gutes. Der Wind weht genau von vorn, wie heute den ganzen Tag vorhergesagt. Aus Richtung Südwest.
In Wernigerode zweifele ich daran, heute das Tagesziel erreichen zu können. Der Schnitt liegt bei zwanzig. Wenn dieser Wind vom Brocken hinunter weht, stehen wir im Anstieg. Wernigerode ist eine schöne Stadt, trotz einiger Kriegszerstörungen ist die Altstadt weitgehend erhalten. Dank des Mutes von Gustav Petri, den er mit dem Leben bezahlte, wie in der Wikipedia nachzulesen ist.
Auch beim Ortsausgang Wernigerodes haben wir den Brocken stets im Blick, bevor wir die erste Steilstufe nach Drei Annen Hohne nehmen. Bei Windstille. Der Brocken schirmt uns wie erhofft ab, und so sind wir quasi ohne Anstrengung in Schierke. Empfehlung: lasst euren Rucksack bei der Sommerrodelbahn. Zumindest zu Corona-Zeiten. ,,Das kostet aber!". ,,Aha, und wie viel?" ,,Einen Kaffee bei der Rückfahrt". Ehrensache.
Los geht's, an Pferdefuhrwerken und Wanderern vorbei auf die für Kfz gesperrte Brockenstraße. Die Steigung ist anspruchsvoll, der Wald abgestorben, die Streckenführung gewunden, die Blicke großartig. Insbesondere vier Kilometer vor dem Gipfel, als dieser erstmals zum Greifen nahe links vorne und Blickfeld kommt. Auf dem letzten Kilometer wird der Wandereransturm anstrengend, aber hier gibt es halt nur diesen einen Weg, und auf dem müssen wir uns arrangieren. Das klappt so leidlich. Geniale Tiefblicke hinunter nach Wernigerode, als links die Bergstation der Brockenbahn erreicht ist. Noch eine Kurve, und da liegt es vor uns, das Brockenplateau, mit Blicken in alle Himmelsrichtungen, von Rügen bis Rom. Zumindest zeigt eine der in den Boden gelassenen Platten die Richtung an. Natürlich sehen wir auch den Wurmberg (wer will schon auf den höchsten Berg Niedersachsens, wenn der monumentale Brocken ruft?), ziemlich weit unter uns zum Greifen nah. Ein genialer Berg, der Brocken, und endlich in meinem Palmares! Oben pfeift der Wind empfindlich, in der Vorhersage war von 60 km/h Windgeschwindigkeit die Rede. Also schnell ein Gruppenbild mit Dame, und hinuntergeschossen zum Kaffee an der Sommerrodelbahn. Mit Rücksichtnahme natürlich.
Noch rasanter fallen wir anschließend nach Elend hinunter. 75 km/h bei Gegenwind bringt doch endlich etwas Eleganz und Leichtigkeit ins Spiel.
Über Braunlage und Bad Lauterburg (hässlichste Plattenbau Verschandelung des Harzes) verlassen wir selbigen und fahren ins Eichsfeld ein, nach Thüringen, dem dritten Bundesland des Tages.
Ich wusste nicht, wie groß das Eichsfeld ist, aber es erstreckt sich vom Harz bis zum Meißner, sodass "Brocken, Eichsfeld, Meißner" der kürzeste anzunehmende Etappenbericht des heutigen Tages ist.
In Duderstadt haben wir die Mittagspause eingeplant, im Landkreis Göttingen, aber immer noch im niedersächsischen Teil des Eichsfelds, wie mir die Apothekerin versichert. Darüber bin ich mir aber nicht so sicher, denn sie behauptete auch, es gäbe keinen Eichsfeldkreis. Naja, wir sind ja nur ca 100 km des heutigen Tages hindurch gefahren. Womit wir bei der heutigen Hausaufgabe wären: bitte bildet euch bzgl des niedersächsischen Teil des Eichsfelds und schließt meine Wissenslücke. (Update: im April 2023 bestätigt Torsten R aus Duderstadt: es gehört historisch zum Eichsfeld. Genial. Danke!)
Duderstadt ist auch wunderschön, mit ganz viel Fachwerk wie im ganzen Eichsfeld, vermutlich die Welthauptregion des Fachwerks. Und im Delizio zu Duderstadt speisen wir vorzügliche Wraps.
Hinter Berlingerode wartet ein mieser Stich, den ich für ein Artefakt des Tourenplaners halte. Ist es aber nicht, ist wirklich so steil hier. Oben erreichen wir eine Hochebene mit Weitblicken über das offene Land vom Feinsten. Entsprechend weht der Wind. Aber wir kommen gut voran und verlassen dass Eichsfelds in Bad Sooden-Allendorf, unserem Einstieg nach Hessen. Im Kurpark sitzen wir in der Sonne und essen Apfelstrudel. Schön hier!
Nicht ganz so schön ist der miese Stich hinauf zum Kammweg aus Bad Sooden-Allendorf hinaus Richtung Kammerbach/Orferode. Der Anstieg hätte mit 200 Hm auf 2 km auch eine eigene Passbeschreibung verdient, so fristet er ein Schattendasein als Teil der Auffahrt zum hohen Meißner von Bad Sooden-Allendorf.
Wir aber wollen natürlich über Vockerode hinauf fahren, und genießen auf dem Weg dorthin die guten Blicke zum Berg. Aber was machen die Regenwolken dort?
Im Endeffekt nicht viel, es kommen nur ein paar Tropfen auf uns hinab, wie schon den ganzen Tag. Die Schauer sind immer neben uns :) Hier am Meißner waren sie vor uns, die Straße ist noch nass.
Bei 175 km und 2400 Hm auf dem Tacho in den Hohen Meißner zu fahren, ist schon ein Brett, und so leistet die Auffahrt, wofür sie gewählt wurde: sie fügt uns Schmerzen zu.
Aber diese Aussicht vom alten Gasthaus hinunter ins Werratal: phänomenal. Sowieso liebe ich die Ausblicke in die Tiefe, gerne in die Ebene, mit am meisten am Bergfahren. Und davon hatten wir heute einige zwischen Brocken und Hohem Meißner, mit ein wenig Wind und keinem Regen.
Ein erfüllter Tag auf dem Rad!
Jans Track auf Strava
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren