Die Kaffefahrt 263,0 km / 6286 Hm
Redaktionell bestätigte Tour von tortenbäcker
Von tortenbäcker –
Ich mag doch gar keinen Kaffee! Warum also Kaffeefahrt? Wer es wissen möchte muss weiterlesen...
Achja, ich habe als Anhang noch meine Erlebnisse zum Marathon 2010 von Paris hinzugefügt, für viele wohl eher uninteressant, aber es tummeln sich unter den QD'lern ja auch Läufer und Triathleten... In gewissem Sinne ist es ein Revival des totalen Fiaskos des Jahres 2009 an derselben Stelle.
Ich mag doch gar keinen Kaffee! Warum also Kaffeefahrt? Wer es wissen möchte muss weiterlesen...
Achja, ich habe als Anhang noch meine Erlebnisse zum Marathon 2010 von Paris hinzugefügt, für viele wohl eher uninteressant, aber es tummeln sich unter den QD'lern ja auch Läufer und Triathleten... In gewissem Sinne ist es ein Revival des totalen Fiaskos des Jahres 2009 an derselben Stelle.
5 gefahrene Pässe
Albulapass, Silvretta-Hochalpenstraße, Zeinisjoch, Idalpe, Unter ValzifenzalpGesamtstrecke
Einzelstrecken
Von tortenbäcker –
„Fahren wir doch auf die Idalpe zum Kaffeetrinken!“, so beginnt die amüsante Beschreibung des Tourenplaner-Thomas zur Idalpe. „Tönt toll, da muss ich auch mal hin“ war mein erster Gedanke, nachdem ich den betreffenden Text gelesen hatte. Leider ist das Paznauntal von Luzern aus zu weit weg für eine Tagestour und so blieb die Idee lange Zeit in der Schublade. Etwas später entdeckte ich auf Cycloclimbing.com , dass man scheinbar noch höher kommt und die Österreich-Schweizerische Grenze am Viderjoch auf gut 2700m passieren kann. Laut der Beschreibung von Jerry Nilson soll das bis auf wenige Meter Rennrad tauglich sein. Die Versuchung war gross.
Für Touren, bei denen auch Abschnitte auf Naturstrassen zu meistern sind, verfüge ich mittlerweile über einen separaten Laufradsatz, bei dem ich Reifen mit etwas mehr Pannensicherheit montiert habe. Mit denen könnte ich das angehen. Damit sich die Ausfahrt auch richtig lohnt, soll es eine Zweitagestour werden, wobei ich am ersten Tag bis nach Ischgl gelangen will.
Frühmorgens am 7. Juli 2010 geht es los. Ich verabschiede mich um 7:00 von meiner Freundin in Basel und nehme die Verbindung nach Zürich. Hier steige ich um in einen Zug, der auf den Namen Railjet hört und der mich direkt nach Bludenz, meinem auserkorenen Startort, bringen soll. Im Railjet sind Fahrräder nicht erlaubt, ich packe deshalb mein Rad in die mitgebrachte Transporttasche. Der Zug ist praktisch leer und ich finde einen geeigneten Platz für mein Gepäck. In Buchs, dem letzten Schweizer Bahnhof, überreicht mir der Schaffner die erfreuliche Nachricht, dass auch Radtaschen wie meine in Österreich nicht erlaubt seien und ich dass jetzt auszusteigen hätte. Ich schaue mich um, der Zug ist leer, meine Tasche stört niemanden. Was soll ich jetzt sagen? Irgendwie bin ich nicht in Kampflaune, sonst würde ich mich gegen diese selten dämliche Vorschrift wehren. Schmeissen die Österreicher denn auch alle Kinderwagen aus dem Zug? Die sind nämlich noch sperriger als meine Tasche. Und überhaupt, der Zug ist LEER, was soll das? Servicewüste Österreich. Aber wie gesagt, mir ist nicht nach Konflikt zu Mute, zu schön der Tag. So steige ich eben aus, gebe die Tragtasche noch bei der Post ab und beginne die Reise unverhofft in Buchs.
Die nun folgende Strecke bis nach Bludenz ist mir sehr gut bekannt, da ich früher, als ich noch in Winterthur wohnte, oftmals in Bürs gleich neben Bludenz klettern war. Das Klettergebiet da ist sehr regensicher und so sind wir oftmals mangels Alternativen auch bei strömendem Regen hingefahren. Am Zoll glaubten uns die Zöllner bei solchem Wetter natürlich kein Wort, als wir ihnen von unseren Plänen berichteten. „Bitte fahren sie da raus“ hiess es dann mehr als einmal.
Die Strecke bis Bludenz ist mehrheitlich flach und gespickt mit lustigen Ortsnamen, sogar ein TV-Sender ist vertreten! Wem also Schnifis, Beschling und Schlins noch zu normal klingen, der kann sich bestimmt mit SAT 1 anfreunden. Leider ist den Vorarlbergern noch ein Schreibfehler unterlaufen, am Ortschild steht Satteins. Orthographie kann halt nicht jeder.
In Bludenz habe ich schliesslich etwa eine Stunde Rückstand auf den Zeitplan, egal. Nach diesen unverhofften Rollermeilen fängt die Strecke im Montafon endlich leicht zu steigen an. In Sankt Gallenkirch biege ich rechts ab und erreiche etwas später Gargellen, das auf gut 1400m liegt. Nun würde ich noch gerne zum Schafberg auf 2120m hoch, doch leider fehlt der Asphalt, die einzige befestigte Strasse führt nach Vergalden, dem letzten und höchsten Ort in diesem Tal. Bedauerlicherweise war meine Quelle zu optimistisch, was den Schafberg anbelangt. In Vergalden erkenne ich aber zu meinem Erstaunen eine asphaltierte Strasse, die weiter ins Tal hineinführt. Scheinbar muss man ein Stück Naturstrasse fahren, um dahin zu gelangen. Das probiere ich nun noch aus. Vorerst verstellt mir ein Holztransporter noch kurzzeitig den Weg. An einigen Wanderern und Kühen vorbei gelange ich schliesslich zur unteren Valzifenzalp, wo der Asphalt definitiv endet.
Ich kehre um und geniesse die Abfahrt nach Sankt Gallenkirch. Danach komme noch an einem Worst-Case Klettergarten vorbei. Es sind U-förmige Eisenstangen und diverse Stahlkabel am Fels angebracht, es sieht fürchterlich aus. Solange diese Verschandelung nur an unlohnenden Wänden praktiziert wird, kann es mir eigentlich egal sein, leider wurden dadurch aber auch schon schöne Wände in den Alpen verunstaltet. Nun ist Partenen nicht mehr weit und da fängt die Silvretta Hochalpenstrasse an. Ich fahre durch Partenen durch und da stehen massenweise Oldtimer herum. Ein Banner lässt erkennen, dass die Silvretta Classic Rallye hier stattfindet. Ich befürchte einen Moment lang, dass die Hochalpenstrasse zu Rallye-Zwecken gesperrt sein könnte. Doch nach ein paar Schrecksekunden erachte ich dieses Szenario als sehr unwahrscheinlich, denn es sind nirgends entsprechende Schilder zu sehen. Ich sollte zum Glück recht behalten. Ich kaufe mir noch ein Eis, ein paar Kekse und einen Kombucha Drink. Letzteres stellt sich schnell als Fehler heraus, nicht einmal mit Wasser verdünnt finde ich den bitteren Geschmack dieses Getränks angenehm. Schliesslich vergifte ich ein paar Blumen damit. Mea culpa.
Die Hochalpenstrasse ist ausgesprochen schön und die Streckenführung kurvenreich. Ich habe es nicht eilig und geniesse den Anstieg. Nach dem See an der Passhöhe beginnt die rauschende Abfahrt. Als Dessert von heute möchte ich noch schnell einen Abstecher zum Zeinisjoch machen. Dazu sind auf der Ostseite nur wenige Höhenmeter erforderlich und um 17:30 bin ich da.
In Ischgl habe ich mir ein Zimmer in einer preiswerten Pension reserviert, da Rolle ich nun in aller Gemütlichkeit hin. Auf der Abfahrt vom Zeinisjoch steht ein grosses Fahrverbotsschild an der Strasse mit in etwa folgendem Text unten dran: „Gilt auch für Fahrradfahrer ausser für Bergfahrer“. „Das ist doch toll, die Strasse ist explizit für die QD Fangemeinde reserviert!“ geht es mir durch den Kopf. Schmunzelnd definiere ich mich als Bergfahrer und rolle hinunter.
Auf dem weiteren Weg organisiere ich mir noch ein paar Brötchen und Kekse für den morgigen Tag. Ohne Probleme finde ich meine Bleibe, die Besitzerin zeigt mir mein Zimmer. Sie glaubt ich sei ein Masochist, nachdem ich ihr von meinem Tagesprogramm erzählt habe und will mich auch noch zu einem Schnaps einladen. Doch ich muss dankend ablehnen: Nach insgesamt etwa 3000 Höhenmeter und 140km wäre das gelinde gesagt eine schlechte Idee. Ich habe jetzt richtig Hunger und möchte noch edel essen gehen. Im Internet ist mir Tags davor das Gourmet Restaurant Trofana Royal aufgefallen, soll ich es da wirklich mit meinen eleganten Swissair Socken probieren? Die Entscheidung wird mir abgenommen, das Restaurant ist anfangs Saison jeweils noch geschlossen, schade. Doch in Ischgl kann man auch anderswo gut essen. So verbringe ich den Abend bei fünf Gängen und drei Amuse Bouches (!) in einem feinen Restaurant nebenan. Als das WM Halbfinalspiel Deutschland-Spanien beginnt, fragt mich die junge Kellnerin, ob ich denn nicht schauen wolle. Ich erwidere, dass dies für mich nicht so zentral sei. Weiter will sie wissen, wie denn meine morgigen Pläne sind. Als ich ihr vom Viderjoch erzähle, ist an ihrem Gesichtsausdruck leicht zu erkennen, dass sie diesem Vorhaben kaum Erfolgschancen einräumt. Zurück in der Pension schalte ich noch kurz die Glotze an. Durch die Programme zappend, muss ich beim Sender Bibel TV schmunzeln. Was es nicht alles gibt. Welche Programme laufen wohl hier zu diesem antiken Stück Literatur (mir kommt da spontan ein Zitat des Philosophen Seneca in den Sinn: "Religion is regarded by the common people as true, by the wise as false, and by the rulers as useful")? Ich möchte es nicht wissen und schalte um zur WM, und da schiesst David Villa gleich das Tor des Tages. Die TdF Zusammenfassung um 23:00 muss ich leider sausen lassen, die Strapazen des Tages haben mich schläfrig gemacht. So gehe ich um 22:30 ins Bett, mit grossen Erwartungen an den nächsten Tag.
Für Touren, bei denen auch Abschnitte auf Naturstrassen zu meistern sind, verfüge ich mittlerweile über einen separaten Laufradsatz, bei dem ich Reifen mit etwas mehr Pannensicherheit montiert habe. Mit denen könnte ich das angehen. Damit sich die Ausfahrt auch richtig lohnt, soll es eine Zweitagestour werden, wobei ich am ersten Tag bis nach Ischgl gelangen will.
Frühmorgens am 7. Juli 2010 geht es los. Ich verabschiede mich um 7:00 von meiner Freundin in Basel und nehme die Verbindung nach Zürich. Hier steige ich um in einen Zug, der auf den Namen Railjet hört und der mich direkt nach Bludenz, meinem auserkorenen Startort, bringen soll. Im Railjet sind Fahrräder nicht erlaubt, ich packe deshalb mein Rad in die mitgebrachte Transporttasche. Der Zug ist praktisch leer und ich finde einen geeigneten Platz für mein Gepäck. In Buchs, dem letzten Schweizer Bahnhof, überreicht mir der Schaffner die erfreuliche Nachricht, dass auch Radtaschen wie meine in Österreich nicht erlaubt seien und ich dass jetzt auszusteigen hätte. Ich schaue mich um, der Zug ist leer, meine Tasche stört niemanden. Was soll ich jetzt sagen? Irgendwie bin ich nicht in Kampflaune, sonst würde ich mich gegen diese selten dämliche Vorschrift wehren. Schmeissen die Österreicher denn auch alle Kinderwagen aus dem Zug? Die sind nämlich noch sperriger als meine Tasche. Und überhaupt, der Zug ist LEER, was soll das? Servicewüste Österreich. Aber wie gesagt, mir ist nicht nach Konflikt zu Mute, zu schön der Tag. So steige ich eben aus, gebe die Tragtasche noch bei der Post ab und beginne die Reise unverhofft in Buchs.
Die nun folgende Strecke bis nach Bludenz ist mir sehr gut bekannt, da ich früher, als ich noch in Winterthur wohnte, oftmals in Bürs gleich neben Bludenz klettern war. Das Klettergebiet da ist sehr regensicher und so sind wir oftmals mangels Alternativen auch bei strömendem Regen hingefahren. Am Zoll glaubten uns die Zöllner bei solchem Wetter natürlich kein Wort, als wir ihnen von unseren Plänen berichteten. „Bitte fahren sie da raus“ hiess es dann mehr als einmal.
Die Strecke bis Bludenz ist mehrheitlich flach und gespickt mit lustigen Ortsnamen, sogar ein TV-Sender ist vertreten! Wem also Schnifis, Beschling und Schlins noch zu normal klingen, der kann sich bestimmt mit SAT 1 anfreunden. Leider ist den Vorarlbergern noch ein Schreibfehler unterlaufen, am Ortschild steht Satteins. Orthographie kann halt nicht jeder.
In Bludenz habe ich schliesslich etwa eine Stunde Rückstand auf den Zeitplan, egal. Nach diesen unverhofften Rollermeilen fängt die Strecke im Montafon endlich leicht zu steigen an. In Sankt Gallenkirch biege ich rechts ab und erreiche etwas später Gargellen, das auf gut 1400m liegt. Nun würde ich noch gerne zum Schafberg auf 2120m hoch, doch leider fehlt der Asphalt, die einzige befestigte Strasse führt nach Vergalden, dem letzten und höchsten Ort in diesem Tal. Bedauerlicherweise war meine Quelle zu optimistisch, was den Schafberg anbelangt. In Vergalden erkenne ich aber zu meinem Erstaunen eine asphaltierte Strasse, die weiter ins Tal hineinführt. Scheinbar muss man ein Stück Naturstrasse fahren, um dahin zu gelangen. Das probiere ich nun noch aus. Vorerst verstellt mir ein Holztransporter noch kurzzeitig den Weg. An einigen Wanderern und Kühen vorbei gelange ich schliesslich zur unteren Valzifenzalp, wo der Asphalt definitiv endet.
Ich kehre um und geniesse die Abfahrt nach Sankt Gallenkirch. Danach komme noch an einem Worst-Case Klettergarten vorbei. Es sind U-förmige Eisenstangen und diverse Stahlkabel am Fels angebracht, es sieht fürchterlich aus. Solange diese Verschandelung nur an unlohnenden Wänden praktiziert wird, kann es mir eigentlich egal sein, leider wurden dadurch aber auch schon schöne Wände in den Alpen verunstaltet. Nun ist Partenen nicht mehr weit und da fängt die Silvretta Hochalpenstrasse an. Ich fahre durch Partenen durch und da stehen massenweise Oldtimer herum. Ein Banner lässt erkennen, dass die Silvretta Classic Rallye hier stattfindet. Ich befürchte einen Moment lang, dass die Hochalpenstrasse zu Rallye-Zwecken gesperrt sein könnte. Doch nach ein paar Schrecksekunden erachte ich dieses Szenario als sehr unwahrscheinlich, denn es sind nirgends entsprechende Schilder zu sehen. Ich sollte zum Glück recht behalten. Ich kaufe mir noch ein Eis, ein paar Kekse und einen Kombucha Drink. Letzteres stellt sich schnell als Fehler heraus, nicht einmal mit Wasser verdünnt finde ich den bitteren Geschmack dieses Getränks angenehm. Schliesslich vergifte ich ein paar Blumen damit. Mea culpa.
Die Hochalpenstrasse ist ausgesprochen schön und die Streckenführung kurvenreich. Ich habe es nicht eilig und geniesse den Anstieg. Nach dem See an der Passhöhe beginnt die rauschende Abfahrt. Als Dessert von heute möchte ich noch schnell einen Abstecher zum Zeinisjoch machen. Dazu sind auf der Ostseite nur wenige Höhenmeter erforderlich und um 17:30 bin ich da.
In Ischgl habe ich mir ein Zimmer in einer preiswerten Pension reserviert, da Rolle ich nun in aller Gemütlichkeit hin. Auf der Abfahrt vom Zeinisjoch steht ein grosses Fahrverbotsschild an der Strasse mit in etwa folgendem Text unten dran: „Gilt auch für Fahrradfahrer ausser für Bergfahrer“. „Das ist doch toll, die Strasse ist explizit für die QD Fangemeinde reserviert!“ geht es mir durch den Kopf. Schmunzelnd definiere ich mich als Bergfahrer und rolle hinunter.
Auf dem weiteren Weg organisiere ich mir noch ein paar Brötchen und Kekse für den morgigen Tag. Ohne Probleme finde ich meine Bleibe, die Besitzerin zeigt mir mein Zimmer. Sie glaubt ich sei ein Masochist, nachdem ich ihr von meinem Tagesprogramm erzählt habe und will mich auch noch zu einem Schnaps einladen. Doch ich muss dankend ablehnen: Nach insgesamt etwa 3000 Höhenmeter und 140km wäre das gelinde gesagt eine schlechte Idee. Ich habe jetzt richtig Hunger und möchte noch edel essen gehen. Im Internet ist mir Tags davor das Gourmet Restaurant Trofana Royal aufgefallen, soll ich es da wirklich mit meinen eleganten Swissair Socken probieren? Die Entscheidung wird mir abgenommen, das Restaurant ist anfangs Saison jeweils noch geschlossen, schade. Doch in Ischgl kann man auch anderswo gut essen. So verbringe ich den Abend bei fünf Gängen und drei Amuse Bouches (!) in einem feinen Restaurant nebenan. Als das WM Halbfinalspiel Deutschland-Spanien beginnt, fragt mich die junge Kellnerin, ob ich denn nicht schauen wolle. Ich erwidere, dass dies für mich nicht so zentral sei. Weiter will sie wissen, wie denn meine morgigen Pläne sind. Als ich ihr vom Viderjoch erzähle, ist an ihrem Gesichtsausdruck leicht zu erkennen, dass sie diesem Vorhaben kaum Erfolgschancen einräumt. Zurück in der Pension schalte ich noch kurz die Glotze an. Durch die Programme zappend, muss ich beim Sender Bibel TV schmunzeln. Was es nicht alles gibt. Welche Programme laufen wohl hier zu diesem antiken Stück Literatur (mir kommt da spontan ein Zitat des Philosophen Seneca in den Sinn: "Religion is regarded by the common people as true, by the wise as false, and by the rulers as useful")? Ich möchte es nicht wissen und schalte um zur WM, und da schiesst David Villa gleich das Tor des Tages. Die TdF Zusammenfassung um 23:00 muss ich leider sausen lassen, die Strapazen des Tages haben mich schläfrig gemacht. So gehe ich um 22:30 ins Bett, mit grossen Erwartungen an den nächsten Tag.
Ich bin diese Etappe gefahren
am
Von tortenbäcker –
Um 5:05, fünf Minuten bevor mein Wecker scheppert, wache ich auf. Es ist bereits taghell draussen. Also schnell die Brötchen vertilgen, ein paar Kekse nachlegen, Sonnencreme auftragen und schon kann es losgehen. Absichtlich fahre ich einen kleinen Umweg zum Start des Anstiegs, um wenigstens ein wenig warm zu werden. Die Luft ist erfrischend kühl, perfekt. Die erste Rampe hat es dann gleich in sich, so soll es sein. Der Puls steigt an, die Trittfrequenz sinkt. Mit rundem Tritt hat das jetzt nichts mehr zu tun. Nach der ersten Rampe geht es deutlich flacher ins Tal hinein. Hier fängt die lange Schlussrampe an, die erst kurz unterhalb der Idalpe in Sachen Steigung nachlässt. Erinnerungen an den Grossen Oscheniksee werden wach, was Steilheit und Konstanz angeht. Richtig unmenschlich wird es allerdings nirgends, und so erreiche ich recht locker die Idalpe, die immer noch im Schatten liegt. Ein paar hundert Meter danach ist der Asphalt dann leider zu Ende. Die darauffolgende Naturstrasse ist allerdings derart gut zu fahren, dass ich bereits davon träume, ohne absteigen zu müssen das Viderjoch zu erreichen. Erstaunlichweise bin ich nicht alleine. Es ist noch nicht mal halb acht, aber ein Bagger ist schon fleissig am Dreck verschieben, wahrscheinlich für die nächste Wintersaison. A propos: Die vielen Skilifte und Sesselbahnen hier oben stören den Landschaftsgenuss leider beträchtlich. Hübsch ist das nicht.
Die Natur wird zunehmends karger und teilweise auch der Belag schlechter, aber bis vor die Schlussrampe kann ich alles noch gut bewältigen. Dann kommt die letzte Linkskurve und anschliessend das gerade Stück bis zum Joch, das 170 Höhenmeter überwindet und das wegen dessen Steilheit und Belag schwierig zu fahren ist. Bei zwei kurzen Abschnitten muss ich leider passen, da der Belag einfach zu grobschotterig daherkommt. Vielleicht 50m schieben. Alles andere geht gerade so, wobei die limitierenden Faktoren meine Beine und mein Herzkreislaufsystem darstellen. Schwer keuchend komme ich oben an, Puls grösser 180. War das intensiv!
Zuerst einmal geniesse ich das tolle Panorama, das sich hier gegen Süden auftut. Man könnte scheinbar noch weiter Richtung Westen fahren und noch etwas höher kommen. Ich begnüge mich allerdings mit dem Joch.
Laut Cycloclimbing.com ist die Abfahrt Richtung Samnaun auf etwa 1km unbefahrbar. Ich lege los, aber ich komme zu meiner Überraschung überall anständig durch, manchmal halt einfach sehr langsam. Bei den heikelsten Passagen nehme ich den linken Fuss aus dem Klickpedal, um schneller absteigen zu können, falls ich das Gleichgewicht verlieren sollte. An manchen Stellen ist die Strasse wegen Schneeschmelze etwas matschig, was die Traktion nicht gerade verbessert.
Auf gut 2400m biege ich in die Strasse ein, die zum Alptrider Sattel führt. Die Belagsqualität verbessert sich zum Glück merklich. Da nur wenige Höhenmeter zum Sattel fehlen, hänge ich noch einen kleinen Umweg dahin an. Oben angekommen pausiere ich eine Viertelstunde und werfe noch ein paar Kalorien ein. Die Abfahrt nach Compatsch verlangt nun nochmals viel Konzentration, schliesslich will man ja nicht die Kontrolle verlieren und auf den Belag klatschen. Auf etwa 2000m begegne ich einem Mountainbiker, der nach eigenen Angaben schon seit acht Tagen in den Bergen herumkurvt. Er hinterlässt einen entsprechend abgekämpften Eindruck. Wir plaudern eine Weile (er ist Ferdi Kübler Fan!) und er fragt mich recht verdutzt, wo ich denn herkäme. Er ist beruhigt, als ich ihm mitteile, dass die Fahrt über das Viderjoch mit dem Rennrad schon ein wenig grenzwertig sei. Kurz vor Compatsch erfühlen die Laufräder seit langem wieder Asphalt unter sich, eine Erlösung für Mensch und Maschine zugleich.
Nun geht’s hinunter Richtung Engadin. Ein kleines Strässchen mit eher bescheidenem Belag zieht der rechten Talseite entlang. Gespickt ist es mit ein paar Tunnels, in denen man kurzzeitig nicht viel sieht. Unten in Martina macht sich langsam die Hitze bemerkbar. Bis Scuol muss ich nun noch der Hauptstrasse folgen, die Strecke ist zwar schön aber ich mag es nicht sonderlich, neben grossen Lastern herzufahren. Da ich noch über den Albula zurückfahren möchte und mir die Aussicht auf fünfzig weitere Rollerkilometer der Hauptstrasse entlang wenig Freude bereitet, steige ich in Scoul in die Rheumatische Bahn ein (so nennen die Schweizer umgangssprachlich die Rhätische Bahn) und lasse mich nach La Punt chauffieren. Hier fängt der wunderbare Albula an, der von dieser Seite nicht sonderlich anspruchsvoll ist. Auf dem Weg zur Passhöhe sammle ich noch ein paar Tourenfahrer ein, die sich hier sprichwörtlich hochquälen. Kurz vor dem Scheitelpunkt begeben sich noch ein paar Kühe auf die Strasse. Dass sie die Autos und Motorräder blockieren lässt die Rindviecher völlig kalt. Recht so, mehr mutige Kühe braucht das Land!
Die Abfahrt Richtung Tiefencastel bietet nun nochmals herrliche Landschaftsbilder. Unsinnigerweise rausche ich hier schnell durch, da ich glaube, damit noch eine Zugverbindung in Tiefencastel erreichen zu können. Da die Abfahrt aber mehr Kilometer aufweist als mein löchriges Hirn abgespeichert hat, ist die Aktion zum Scheitern verurteilt. Endlich in Tiefencastel angelangt, zeigt das Thermometer dreissig Grad an. Es ist drückend schwül, ein Eis soll etwas Linderung bringen. Auf dem Bahnsteig quatscht mich ein Rentner an und erzählt mir von seinen früheren Heldentaten auf dem Rennrad. Ich lasse mich zutexten, seine Geschichten sind auch teilweise ganz amüsant. Damals muss Rennrad fahren noch viel schwerer gewesen sein, ohne Klickpedalen mit Stahlvelo und Rahmenschaltung. Heute ist dank kleinen Gängen und Karbon statt Kondition das Pässefahren viel allgemeintauglicher geworden.
Im Zug zurück nach Luzern weist mich eine gedächtnisstarke Schaffnerin ab: „Sie müssen mir ihr Billet nicht nochmals zeigen“. Mein Emmentaler-Hirn schaltet nicht gleich, ich sage ihr, dass sie es doch noch nicht gesehen hätte. Doch sie hat Recht, sie hatte nämlich bereits Dienst im Zug nach La Punt. Scheinbar bin ich mit meinen verschwitzen Radklamotten eine auffällige Erscheinung…
Epilog:
Wer mal einen Berg der etwas abenteuerlichen Art machen will, dem sei das Viderjoch wärmstens empfohlen. Dem Schreibenden hat die Tour jedenfalls bestens gefallen!
Paris Marathon 2010
Bei Ausdauersportlern wie mir sitzen ein paar Schrauben recht locker. Halbkrank bin ich 2009 am Marathon von Paris an den Start gegangen – das vorhersehbare Desaster war grauenvoll. Des Ausdauersportlers Hirn hat aber die Gabe, die Qualen schon kurz nach einer Tortur zu vergessen beziehungsweise zu verdrängen. Was bleibt sind die schönen Momente, die Erinnerung an ein prägendes Erlebnis. Fun Type 2 eben (= Fun in retrospect), wie unsere Freunde jenseits des grossen Teiches zu sagen pflegen, im Gegensatz zu Fun Type 1 (= Fun in the moment)*.
Nach einem Berg- und Radsommer melde ich mich also im September 2009 an für die Neuauflage des Marathons am 11. April 2010. Die Vorbereitungen dafür beginne ich Anfang November, es bleiben 23 Wochen. Mein Training folgt keinem strikten Plan, aber ich versuche mich an die Ratschläge der empfehlenswerten Läuferbibel „Daniels Running Formula“ von Jack Daniels (sic!) zu halten. Eigentlich wäre doch Johnny Walker der passendere Name, oder eventuell doch nicht, denn mit walking will der Läufer ja nichts am Hut haben.
So starte ich also ins Training. Die ersten Wochen gehe ich gemütlich an, danach wird es etwas härter. Im Schnitt kommen 60km pro Woche zusammen, was für eine Zielzeit von unter drei Stunden im Marathon wenig ist. Gängiger sind 80 bis 120km. Da ich auch noch meine Kletterfitness hoch halten will, betreibe ich monatelang ausnahmslos jeden Tag Sport.
Schlechtes Wetter ist beim Laufen höchstens eine schlechte Ausrede: Ob blauer Himmel, Regenschauer, arktische Temperaturen oder Schneesturm gerade angesagt ist, spielt keine Rolle. Alles in allem fallen dennoch etwa zwei Wochen Training aus, dies wegen Krankheit und kleineren Wehwehchen. Zum QD Programm gehört dann auch noch ein Conconi Test auf dem Laufband. Egal wie gut oder schlecht man drauf ist, das Laufband hat immer noch einen Gang übrig. In 0.5km/h Schritten geht es alle 200m immer schneller, bis es mich bei 19km/h und 191 Puls zerlegt. Danach noch ein Laktatsenketest, die Senke erreiche ich bei 164 Puls und 14km/h.
Im Februar und März 2010 bestreite ich mehrere sogenannte Lange Läufe, allesamt im Bereich 30 bis 35 Kilometer. Diese dienen dem Fettstoffwechseltraining und auch als Hauptprobe. Sie verlaufen mehrheitlich zufriedenstellend, so dass ich beschliesse, die drei Stunden Schallmauer im April anzugreifen.
Nach meinem letzten solchen Lauf, knapp drei Wochen vor Paris, entzündet sich ein Sehnenansatz unterhalb des linken Knies derart stark, dass ich zwei Tage nur mit Mühe gehen kann. Ich befürchte, nicht einmal starten zu können, kann das jetzt wirklich wahr sein? Doch Dank starken Entzündungshemmern aus Basel ist der Spuk ein paar Tage danach genauso schnell wieder vorbei, wie er gekommen ist. Nochmals Glück gehabt.
Am Donnerstag vor Paris passiert es: Ich fühle mich so halb schlecht mit Kopfweh und leichtem Halsweh. NEIN!! Das kann doch einfach nicht wahr sein, werde ich jetzt wieder krank? Mein Mathematiker-Hirn schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass ich an zwei beliebig vorgegebenen Tagen krank bin auf etwa ein Promille. Habe ich jetzt genau diesen Fall erwischt? Aber noch ist nicht Sonntag, es könnte ja bessern. Am Freitag morgen fahre ich im TGV zu Sarkozy et. al., mit geschlossenen Augen, denn es geht mir nicht sonderlich gut. Bis Samstag ist noch etwas Tourismus-Programm angesagt, unter anderem schaue ich mir Versailles an. Der Louis XIV hatte wirklich einen an der Waffel, wozu ein Schloss mit 1400 Zimmern planen, dessen Bau 50 Jahre dauert, wenn die Lebenserwartung diese Zeitspanne nicht erreicht?
Am Samstag fühle ich mich etwas besser, dennoch liege ich fast den gesamten Nachmittag im Hotel herum, um mich zu schonen.
Zu den Laufvorbereitungen zählt auch das Organisieren von Sicherheitsnadeln, die nicht in der offiziellen Tüte mit den Marathonsachen drin sind. Ich frage am Empfang meines Hotels nach, die verfügen über kleine Briefchen mit Nähzeug drin. Pro Briefchen eine Sicherheitsnadel. Pragmatisch geben sie mir einfach vier solche Einheiten, und schon kann ich meine Startnummer tadellos befestigen. Super Service.
Am Sonntag morgen stehe ich früh auf, von der Übelkeit der letzten Tage ist nur noch leichtes Kopfweh übrig geblieben. Das kann ich mit Adrenalin verdrängen, also ist doch der 99.9% Fall eingetreten. Das Weissbrot von Fauchon ist tatsächlich immer noch essbar, in der Regel ist das Franzosenbrot am nächsten Tag nur noch als Tatwaffe zu gebrauchen.
Am Start stehe ich zu den Dreistundenläufern hin, das Getümmel wird immer grösser, je näher es auf die Startzeit von 08:45 zugeht. Es ist ganz schön kühl, noch keine 5 Grad, dafür blauer Himmel und kalter Wind. Pro Startblock bringen es die Organisatoren tatsächlich auf die Reihe, genau ein WC aufzustellen (!) Dass dies unweigerlich speziell gut kommt bei etwa 3000 nervösen Läufern pro Block kann man sich ausmalen. Gewisse olfaktorische Konsequenzen zieht dies in Startnähe nach sich. Da mir der WC Mangel vom letzten Jahr noch bekannt ist, habe ich eine leere PET Flasche dabei, die als portables Pissoir herhalten muss. Unter dem langen Plastikumhang, den man hier wie an den meisten Rennen gegen die Kälte bekommt, kann ich die unnötige Flüssigkeit unbemerkt noch Minuten vor dem Start loswerden.
Dann der Start, grandios wie letztes Jahr. Das Läufermeer bewegt sich homogen in Richtung Louvre, ich hänge mich an den Dreistunden-Pacemaker, verkörpert durch einen Eliteläufer mit Bestzeit 2:25h. Auf den ersten Kilometern kommt es da und dort zu Gedränge, aber alles in allem kann ich das Bad in der Menge geniessen. Bei jeder Kilometertafel kontrolliere ich die Zeit. Wir laufen sehr gleichmässig, der Pacemaker versteht erwartungsgemäss sein Handwerk. Vor dem Rennen befürchtete ich, dass der recht starke Wind negative Auswirkungen haben würde. Aber bei der schieren Masse an Läufern kann man sich gut im Windschatten verstecken. Es geht vorbei an der Bastille und Chateau Vincennes Richtung Osten. Von meiner Schwäche der letzten Tage ist absolut nichts zu spüren, im Gegenteil, so locker bin ich in dem Tempo noch nie gelaufen. Könnte ich nicht einfach noch einen Gang zulegen? Ich widerstehe der Versuchung, zu lebhaft ist mir der Einbruch bei meinem ersten Marathon noch in Erinnerung. Nach Kilometer 18 stürzt ein Läufer knapp vor mir, derjenige direkt dahinter strauchelt, fällt aber nicht. Ich kann dem Strauchelnden nur knapp rechts ausweichen, dabei wild mit den Armen rudernd, um das Gleichgewicht zu halten. Da rechts aber die Zuschauer ganz nah sind, treffe ich unglücklicherweise mit meiner rechten Hand eine Frau an der Nase. Es geht alles in Sekundenbruchteilen vor sich – als ich richtig begreife, was passiert ist, bin ich bereits 20m weiter. Ich fühle mich unschuldig, hoffe aber natürlich, dass sich der Kollateralschaden in Grenzen hält. Bei Kilometer 19 haben wir eine gute Minute Vorsprung auf die Marschtabelle, doch als wir den 20km-Torbogen passieren, hat sich dieser Vorsprung in 10 Sekunden Rückstand verwandelt. Verdutzt und leicht beunruhigt frage ich mich, wie das sein kann. Das Geheimnis lüftet sich bei der 21km-Markierung, bei der wir wieder mit unserem gewohnten Vorsprung vorbeilaufen. Die Deppen von der Organisation haben es trotz GPS und Co. hinbekommen, den 20km Torbogen völlig falsch zu plazieren, geschätzt etwa 300m zu spät. Spassvögel.
Der Halbmarathon ist bei 1:28:30 in der Tasche, bislang fühlt es sich an wie ein Nachmittagsspaziergang. Wenn es sich in 10km immer noch so anfühlen sollte, dann will ich einen Gang zulegen. Schliesslich bin ich ja nicht zum Spass hier. Der Versuch, nur durch die Nase zu atmen gelingt, ein gutes Indiz dafür, dass die relative Leistung nicht allzu hoch ist.
Jetzt geht es am rechten Ufer der Seine entlang Richtung Eiffel Turm. Die Beine werden etwas schwerer, aber immer noch habe ich das Gefühl, alles im Griff zu haben. Bei Kilometer 33 falle ich beinahe in einer scharfen Innenkurve hin. Die Läufer drängen sich bei einer Kurve naturgemäss nach innen, ein Läufer tuschiert mich dabei an den Beinen, was mich aus dem Tritt bringt. Zum Glück kann ich mich wieder auffangen - das war knapp.
Die Lust, das Tempo zu erhöhen hat sich mittlerweile verflüchtigt. Die Quadrizeps fühlen sich nun recht hart an, leisten aber immer noch qualfrei ihren Dienst. Links und rechts brechen Läufer weg. Die Spreu trennt sich vom Weizen und es wird gnadenlos klar, wer auf den ersten 30 Kilometern über seinen Verhältnissen gelebt hat. Hochrote Köpfe, schwitzende Leiber, keuchende Gestalten – Marathon Endkampf live. Das Thema Kleiderordnung scheinen viele Läufer einfach nicht zu begreifen: Schwitzen ist für den Körper eine Zusatzbelastung und sollte möglichst vermieden werden. Und je mehr man schwitzt, desto mehr Flüssigkeit muss zugeführt werden, eine weitere Zusatzbelastung. Ergo: Man sollte sich so kleiden, dass man möglichst wenig schwitzt. Wenn man nicht gerade am Sibirien Marathon teilnimmt (**) bedeutet das kurze Hose und Trägerleibchen aus leichtestem Material. 75-80% der eingesetzten Energie verpufft beim Laufen in Form von Wärme. Da wird es auch bei fünf Grad Celsius noch mehr als genug warm. Schaut man sich im Feld um, sieht man Jacken, Handschuhe, Pullover und sonstige Bekleidung, die eher für Wintersport geeignet sind. Wahrscheinlich alles Körperschweiss-Fetischisten.
Bei Kilometer 35 wäre ich gerne schon bei Kilometer 40, aber da muss ich nun durch. Ich habe mich auf grosse Leiden ab Kilometer 30 eingestellt, diese scheinen nun aber harmloser auszufallen. Da ich mich nicht dazu bringen kann, mehr zu leiden als unbedingt nötig, verschärfe ich das Tempo nicht. Eine Gruppe von gleich gekleideten Läufern neben mir erregt mein Interesse, indem sie ihren schwächsten Mann unentwegt anfeuern. Dieser ist schwer keuchend offensichtlich am Limit. „Allez, allez, tu ne lâches pas!“. „Tu le veux ou tu ne le veux pas, voilà la question!“ und ähnliche Motivierungsversuche sind zu vernehmen. Ich könnte ein Monatsgehalt verwetten, dass er das Tempo nicht halten kann, so wie er offensichtlich am Anschlag ist.
Endlich kommt der 40km Torbogen. Mittlerweile ist mir klar, dass es für eine Zeit unter drei Stunden reicht, bis Kilometer 41 ändere ich aber am Tempo nichts. Erst als wir den 41er Torbogen unterqueren schalte ich zwei Gänge höher und gebe alles bis ins Ziel. Bestimmt fünfzig Mann überhole ich dabei, im 3:45er Pace. In der letzten Linkskurve klatsche ich noch reihenweise Hände von jubelnden Zuschauern ab. Welch ein Unterschied zu letztem Jahr, als ich mich halbtot ins Ziel gequält habe!
Im Ziel, nach 2:58:33h, fällt die Spannung komplett ab, was unter anderem zur Folge hat, dass nun gehen schwerfällt. Eigentlich unglaublich: Den letzten Kilometer in unter vier Minuten absolviert und kurz danach ist nicht einmal spazieren mit 5km/h ohne Beschwerden möglich. Die körpereigenen Drogen wirken allem Anschein nach während des Rennens bestens. Ich esse etwas Banane und trinke viel Powerade. Eine halbe Stunde sitze ich im Zielgelände herum, versuche mich zu erholen und schaue mir das Spektakel an. Der Marathon Zieleinlauf bietet jede Menge davon, einige Läufer sehen echt nicht mehr taufrisch aus.
Ich rapple mich auf und versuche zurück ins Hotel zu kommen. Leider ist kein Taxi auffindbar, ich warte etwa 15 Minuten an einem Taxistand beim Arc de Triomph aber da kommt einfach keines vorbei. Die Metro nehmen geht eben auch nicht, da ich dann mangels Liften treppensteigen müsste, was ich meinen Beinen nicht mehr zumuten kann. Es besteht die Gefahr, dass die Beine ganz einfach ihren Dienst versagen und ich wie ein Sack Kartoffeln zu Boden gehe. Bestimmt einen Kilometer humple ich in kleinen Schritten vor mir her, bis sich dann doch noch ein Taxi findet. Endlich!
Nachwirkungen: Muskelkater allerhöchster Güte, drei Tage richtig schlimm, weitere drei Tage deutlich spürbar. Erst nach einer Woche fühlen sich die Beine wieder einigermassen normal an.
(*) Für hartgesottene gibt es auch noch Fun Type 3 (= Not fun at all).
(**) Eine kleine Anekdote zum Sibirien Marathon, die einem Erlebnisbericht entstammt, den ich mal vor Jahren gelesen habe. Es war im betreffenden Jahr verhältnismässig sehr warm (flauschige, Flipflop-taugliche 20 Grad minus) und dies führte dazu, dass gewisse Locals sich recht leicht bekleideten, allen voran ein 72jähriger, der sich über die vermeintliche Hitze beklagte und in kurzen Hosen und oben ohne das Ziel erreichte!
Die Natur wird zunehmends karger und teilweise auch der Belag schlechter, aber bis vor die Schlussrampe kann ich alles noch gut bewältigen. Dann kommt die letzte Linkskurve und anschliessend das gerade Stück bis zum Joch, das 170 Höhenmeter überwindet und das wegen dessen Steilheit und Belag schwierig zu fahren ist. Bei zwei kurzen Abschnitten muss ich leider passen, da der Belag einfach zu grobschotterig daherkommt. Vielleicht 50m schieben. Alles andere geht gerade so, wobei die limitierenden Faktoren meine Beine und mein Herzkreislaufsystem darstellen. Schwer keuchend komme ich oben an, Puls grösser 180. War das intensiv!
Zuerst einmal geniesse ich das tolle Panorama, das sich hier gegen Süden auftut. Man könnte scheinbar noch weiter Richtung Westen fahren und noch etwas höher kommen. Ich begnüge mich allerdings mit dem Joch.
Laut Cycloclimbing.com ist die Abfahrt Richtung Samnaun auf etwa 1km unbefahrbar. Ich lege los, aber ich komme zu meiner Überraschung überall anständig durch, manchmal halt einfach sehr langsam. Bei den heikelsten Passagen nehme ich den linken Fuss aus dem Klickpedal, um schneller absteigen zu können, falls ich das Gleichgewicht verlieren sollte. An manchen Stellen ist die Strasse wegen Schneeschmelze etwas matschig, was die Traktion nicht gerade verbessert.
Auf gut 2400m biege ich in die Strasse ein, die zum Alptrider Sattel führt. Die Belagsqualität verbessert sich zum Glück merklich. Da nur wenige Höhenmeter zum Sattel fehlen, hänge ich noch einen kleinen Umweg dahin an. Oben angekommen pausiere ich eine Viertelstunde und werfe noch ein paar Kalorien ein. Die Abfahrt nach Compatsch verlangt nun nochmals viel Konzentration, schliesslich will man ja nicht die Kontrolle verlieren und auf den Belag klatschen. Auf etwa 2000m begegne ich einem Mountainbiker, der nach eigenen Angaben schon seit acht Tagen in den Bergen herumkurvt. Er hinterlässt einen entsprechend abgekämpften Eindruck. Wir plaudern eine Weile (er ist Ferdi Kübler Fan!) und er fragt mich recht verdutzt, wo ich denn herkäme. Er ist beruhigt, als ich ihm mitteile, dass die Fahrt über das Viderjoch mit dem Rennrad schon ein wenig grenzwertig sei. Kurz vor Compatsch erfühlen die Laufräder seit langem wieder Asphalt unter sich, eine Erlösung für Mensch und Maschine zugleich.
Nun geht’s hinunter Richtung Engadin. Ein kleines Strässchen mit eher bescheidenem Belag zieht der rechten Talseite entlang. Gespickt ist es mit ein paar Tunnels, in denen man kurzzeitig nicht viel sieht. Unten in Martina macht sich langsam die Hitze bemerkbar. Bis Scuol muss ich nun noch der Hauptstrasse folgen, die Strecke ist zwar schön aber ich mag es nicht sonderlich, neben grossen Lastern herzufahren. Da ich noch über den Albula zurückfahren möchte und mir die Aussicht auf fünfzig weitere Rollerkilometer der Hauptstrasse entlang wenig Freude bereitet, steige ich in Scoul in die Rheumatische Bahn ein (so nennen die Schweizer umgangssprachlich die Rhätische Bahn) und lasse mich nach La Punt chauffieren. Hier fängt der wunderbare Albula an, der von dieser Seite nicht sonderlich anspruchsvoll ist. Auf dem Weg zur Passhöhe sammle ich noch ein paar Tourenfahrer ein, die sich hier sprichwörtlich hochquälen. Kurz vor dem Scheitelpunkt begeben sich noch ein paar Kühe auf die Strasse. Dass sie die Autos und Motorräder blockieren lässt die Rindviecher völlig kalt. Recht so, mehr mutige Kühe braucht das Land!
Die Abfahrt Richtung Tiefencastel bietet nun nochmals herrliche Landschaftsbilder. Unsinnigerweise rausche ich hier schnell durch, da ich glaube, damit noch eine Zugverbindung in Tiefencastel erreichen zu können. Da die Abfahrt aber mehr Kilometer aufweist als mein löchriges Hirn abgespeichert hat, ist die Aktion zum Scheitern verurteilt. Endlich in Tiefencastel angelangt, zeigt das Thermometer dreissig Grad an. Es ist drückend schwül, ein Eis soll etwas Linderung bringen. Auf dem Bahnsteig quatscht mich ein Rentner an und erzählt mir von seinen früheren Heldentaten auf dem Rennrad. Ich lasse mich zutexten, seine Geschichten sind auch teilweise ganz amüsant. Damals muss Rennrad fahren noch viel schwerer gewesen sein, ohne Klickpedalen mit Stahlvelo und Rahmenschaltung. Heute ist dank kleinen Gängen und Karbon statt Kondition das Pässefahren viel allgemeintauglicher geworden.
Im Zug zurück nach Luzern weist mich eine gedächtnisstarke Schaffnerin ab: „Sie müssen mir ihr Billet nicht nochmals zeigen“. Mein Emmentaler-Hirn schaltet nicht gleich, ich sage ihr, dass sie es doch noch nicht gesehen hätte. Doch sie hat Recht, sie hatte nämlich bereits Dienst im Zug nach La Punt. Scheinbar bin ich mit meinen verschwitzen Radklamotten eine auffällige Erscheinung…
Epilog:
Wer mal einen Berg der etwas abenteuerlichen Art machen will, dem sei das Viderjoch wärmstens empfohlen. Dem Schreibenden hat die Tour jedenfalls bestens gefallen!
Paris Marathon 2010
Bei Ausdauersportlern wie mir sitzen ein paar Schrauben recht locker. Halbkrank bin ich 2009 am Marathon von Paris an den Start gegangen – das vorhersehbare Desaster war grauenvoll. Des Ausdauersportlers Hirn hat aber die Gabe, die Qualen schon kurz nach einer Tortur zu vergessen beziehungsweise zu verdrängen. Was bleibt sind die schönen Momente, die Erinnerung an ein prägendes Erlebnis. Fun Type 2 eben (= Fun in retrospect), wie unsere Freunde jenseits des grossen Teiches zu sagen pflegen, im Gegensatz zu Fun Type 1 (= Fun in the moment)*.
Nach einem Berg- und Radsommer melde ich mich also im September 2009 an für die Neuauflage des Marathons am 11. April 2010. Die Vorbereitungen dafür beginne ich Anfang November, es bleiben 23 Wochen. Mein Training folgt keinem strikten Plan, aber ich versuche mich an die Ratschläge der empfehlenswerten Läuferbibel „Daniels Running Formula“ von Jack Daniels (sic!) zu halten. Eigentlich wäre doch Johnny Walker der passendere Name, oder eventuell doch nicht, denn mit walking will der Läufer ja nichts am Hut haben.
So starte ich also ins Training. Die ersten Wochen gehe ich gemütlich an, danach wird es etwas härter. Im Schnitt kommen 60km pro Woche zusammen, was für eine Zielzeit von unter drei Stunden im Marathon wenig ist. Gängiger sind 80 bis 120km. Da ich auch noch meine Kletterfitness hoch halten will, betreibe ich monatelang ausnahmslos jeden Tag Sport.
Schlechtes Wetter ist beim Laufen höchstens eine schlechte Ausrede: Ob blauer Himmel, Regenschauer, arktische Temperaturen oder Schneesturm gerade angesagt ist, spielt keine Rolle. Alles in allem fallen dennoch etwa zwei Wochen Training aus, dies wegen Krankheit und kleineren Wehwehchen. Zum QD Programm gehört dann auch noch ein Conconi Test auf dem Laufband. Egal wie gut oder schlecht man drauf ist, das Laufband hat immer noch einen Gang übrig. In 0.5km/h Schritten geht es alle 200m immer schneller, bis es mich bei 19km/h und 191 Puls zerlegt. Danach noch ein Laktatsenketest, die Senke erreiche ich bei 164 Puls und 14km/h.
Im Februar und März 2010 bestreite ich mehrere sogenannte Lange Läufe, allesamt im Bereich 30 bis 35 Kilometer. Diese dienen dem Fettstoffwechseltraining und auch als Hauptprobe. Sie verlaufen mehrheitlich zufriedenstellend, so dass ich beschliesse, die drei Stunden Schallmauer im April anzugreifen.
Nach meinem letzten solchen Lauf, knapp drei Wochen vor Paris, entzündet sich ein Sehnenansatz unterhalb des linken Knies derart stark, dass ich zwei Tage nur mit Mühe gehen kann. Ich befürchte, nicht einmal starten zu können, kann das jetzt wirklich wahr sein? Doch Dank starken Entzündungshemmern aus Basel ist der Spuk ein paar Tage danach genauso schnell wieder vorbei, wie er gekommen ist. Nochmals Glück gehabt.
Am Donnerstag vor Paris passiert es: Ich fühle mich so halb schlecht mit Kopfweh und leichtem Halsweh. NEIN!! Das kann doch einfach nicht wahr sein, werde ich jetzt wieder krank? Mein Mathematiker-Hirn schätzt die Wahrscheinlichkeit, dass ich an zwei beliebig vorgegebenen Tagen krank bin auf etwa ein Promille. Habe ich jetzt genau diesen Fall erwischt? Aber noch ist nicht Sonntag, es könnte ja bessern. Am Freitag morgen fahre ich im TGV zu Sarkozy et. al., mit geschlossenen Augen, denn es geht mir nicht sonderlich gut. Bis Samstag ist noch etwas Tourismus-Programm angesagt, unter anderem schaue ich mir Versailles an. Der Louis XIV hatte wirklich einen an der Waffel, wozu ein Schloss mit 1400 Zimmern planen, dessen Bau 50 Jahre dauert, wenn die Lebenserwartung diese Zeitspanne nicht erreicht?
Am Samstag fühle ich mich etwas besser, dennoch liege ich fast den gesamten Nachmittag im Hotel herum, um mich zu schonen.
Zu den Laufvorbereitungen zählt auch das Organisieren von Sicherheitsnadeln, die nicht in der offiziellen Tüte mit den Marathonsachen drin sind. Ich frage am Empfang meines Hotels nach, die verfügen über kleine Briefchen mit Nähzeug drin. Pro Briefchen eine Sicherheitsnadel. Pragmatisch geben sie mir einfach vier solche Einheiten, und schon kann ich meine Startnummer tadellos befestigen. Super Service.
Am Sonntag morgen stehe ich früh auf, von der Übelkeit der letzten Tage ist nur noch leichtes Kopfweh übrig geblieben. Das kann ich mit Adrenalin verdrängen, also ist doch der 99.9% Fall eingetreten. Das Weissbrot von Fauchon ist tatsächlich immer noch essbar, in der Regel ist das Franzosenbrot am nächsten Tag nur noch als Tatwaffe zu gebrauchen.
Am Start stehe ich zu den Dreistundenläufern hin, das Getümmel wird immer grösser, je näher es auf die Startzeit von 08:45 zugeht. Es ist ganz schön kühl, noch keine 5 Grad, dafür blauer Himmel und kalter Wind. Pro Startblock bringen es die Organisatoren tatsächlich auf die Reihe, genau ein WC aufzustellen (!) Dass dies unweigerlich speziell gut kommt bei etwa 3000 nervösen Läufern pro Block kann man sich ausmalen. Gewisse olfaktorische Konsequenzen zieht dies in Startnähe nach sich. Da mir der WC Mangel vom letzten Jahr noch bekannt ist, habe ich eine leere PET Flasche dabei, die als portables Pissoir herhalten muss. Unter dem langen Plastikumhang, den man hier wie an den meisten Rennen gegen die Kälte bekommt, kann ich die unnötige Flüssigkeit unbemerkt noch Minuten vor dem Start loswerden.
Dann der Start, grandios wie letztes Jahr. Das Läufermeer bewegt sich homogen in Richtung Louvre, ich hänge mich an den Dreistunden-Pacemaker, verkörpert durch einen Eliteläufer mit Bestzeit 2:25h. Auf den ersten Kilometern kommt es da und dort zu Gedränge, aber alles in allem kann ich das Bad in der Menge geniessen. Bei jeder Kilometertafel kontrolliere ich die Zeit. Wir laufen sehr gleichmässig, der Pacemaker versteht erwartungsgemäss sein Handwerk. Vor dem Rennen befürchtete ich, dass der recht starke Wind negative Auswirkungen haben würde. Aber bei der schieren Masse an Läufern kann man sich gut im Windschatten verstecken. Es geht vorbei an der Bastille und Chateau Vincennes Richtung Osten. Von meiner Schwäche der letzten Tage ist absolut nichts zu spüren, im Gegenteil, so locker bin ich in dem Tempo noch nie gelaufen. Könnte ich nicht einfach noch einen Gang zulegen? Ich widerstehe der Versuchung, zu lebhaft ist mir der Einbruch bei meinem ersten Marathon noch in Erinnerung. Nach Kilometer 18 stürzt ein Läufer knapp vor mir, derjenige direkt dahinter strauchelt, fällt aber nicht. Ich kann dem Strauchelnden nur knapp rechts ausweichen, dabei wild mit den Armen rudernd, um das Gleichgewicht zu halten. Da rechts aber die Zuschauer ganz nah sind, treffe ich unglücklicherweise mit meiner rechten Hand eine Frau an der Nase. Es geht alles in Sekundenbruchteilen vor sich – als ich richtig begreife, was passiert ist, bin ich bereits 20m weiter. Ich fühle mich unschuldig, hoffe aber natürlich, dass sich der Kollateralschaden in Grenzen hält. Bei Kilometer 19 haben wir eine gute Minute Vorsprung auf die Marschtabelle, doch als wir den 20km-Torbogen passieren, hat sich dieser Vorsprung in 10 Sekunden Rückstand verwandelt. Verdutzt und leicht beunruhigt frage ich mich, wie das sein kann. Das Geheimnis lüftet sich bei der 21km-Markierung, bei der wir wieder mit unserem gewohnten Vorsprung vorbeilaufen. Die Deppen von der Organisation haben es trotz GPS und Co. hinbekommen, den 20km Torbogen völlig falsch zu plazieren, geschätzt etwa 300m zu spät. Spassvögel.
Der Halbmarathon ist bei 1:28:30 in der Tasche, bislang fühlt es sich an wie ein Nachmittagsspaziergang. Wenn es sich in 10km immer noch so anfühlen sollte, dann will ich einen Gang zulegen. Schliesslich bin ich ja nicht zum Spass hier. Der Versuch, nur durch die Nase zu atmen gelingt, ein gutes Indiz dafür, dass die relative Leistung nicht allzu hoch ist.
Jetzt geht es am rechten Ufer der Seine entlang Richtung Eiffel Turm. Die Beine werden etwas schwerer, aber immer noch habe ich das Gefühl, alles im Griff zu haben. Bei Kilometer 33 falle ich beinahe in einer scharfen Innenkurve hin. Die Läufer drängen sich bei einer Kurve naturgemäss nach innen, ein Läufer tuschiert mich dabei an den Beinen, was mich aus dem Tritt bringt. Zum Glück kann ich mich wieder auffangen - das war knapp.
Die Lust, das Tempo zu erhöhen hat sich mittlerweile verflüchtigt. Die Quadrizeps fühlen sich nun recht hart an, leisten aber immer noch qualfrei ihren Dienst. Links und rechts brechen Läufer weg. Die Spreu trennt sich vom Weizen und es wird gnadenlos klar, wer auf den ersten 30 Kilometern über seinen Verhältnissen gelebt hat. Hochrote Köpfe, schwitzende Leiber, keuchende Gestalten – Marathon Endkampf live. Das Thema Kleiderordnung scheinen viele Läufer einfach nicht zu begreifen: Schwitzen ist für den Körper eine Zusatzbelastung und sollte möglichst vermieden werden. Und je mehr man schwitzt, desto mehr Flüssigkeit muss zugeführt werden, eine weitere Zusatzbelastung. Ergo: Man sollte sich so kleiden, dass man möglichst wenig schwitzt. Wenn man nicht gerade am Sibirien Marathon teilnimmt (**) bedeutet das kurze Hose und Trägerleibchen aus leichtestem Material. 75-80% der eingesetzten Energie verpufft beim Laufen in Form von Wärme. Da wird es auch bei fünf Grad Celsius noch mehr als genug warm. Schaut man sich im Feld um, sieht man Jacken, Handschuhe, Pullover und sonstige Bekleidung, die eher für Wintersport geeignet sind. Wahrscheinlich alles Körperschweiss-Fetischisten.
Bei Kilometer 35 wäre ich gerne schon bei Kilometer 40, aber da muss ich nun durch. Ich habe mich auf grosse Leiden ab Kilometer 30 eingestellt, diese scheinen nun aber harmloser auszufallen. Da ich mich nicht dazu bringen kann, mehr zu leiden als unbedingt nötig, verschärfe ich das Tempo nicht. Eine Gruppe von gleich gekleideten Läufern neben mir erregt mein Interesse, indem sie ihren schwächsten Mann unentwegt anfeuern. Dieser ist schwer keuchend offensichtlich am Limit. „Allez, allez, tu ne lâches pas!“. „Tu le veux ou tu ne le veux pas, voilà la question!“ und ähnliche Motivierungsversuche sind zu vernehmen. Ich könnte ein Monatsgehalt verwetten, dass er das Tempo nicht halten kann, so wie er offensichtlich am Anschlag ist.
Endlich kommt der 40km Torbogen. Mittlerweile ist mir klar, dass es für eine Zeit unter drei Stunden reicht, bis Kilometer 41 ändere ich aber am Tempo nichts. Erst als wir den 41er Torbogen unterqueren schalte ich zwei Gänge höher und gebe alles bis ins Ziel. Bestimmt fünfzig Mann überhole ich dabei, im 3:45er Pace. In der letzten Linkskurve klatsche ich noch reihenweise Hände von jubelnden Zuschauern ab. Welch ein Unterschied zu letztem Jahr, als ich mich halbtot ins Ziel gequält habe!
Im Ziel, nach 2:58:33h, fällt die Spannung komplett ab, was unter anderem zur Folge hat, dass nun gehen schwerfällt. Eigentlich unglaublich: Den letzten Kilometer in unter vier Minuten absolviert und kurz danach ist nicht einmal spazieren mit 5km/h ohne Beschwerden möglich. Die körpereigenen Drogen wirken allem Anschein nach während des Rennens bestens. Ich esse etwas Banane und trinke viel Powerade. Eine halbe Stunde sitze ich im Zielgelände herum, versuche mich zu erholen und schaue mir das Spektakel an. Der Marathon Zieleinlauf bietet jede Menge davon, einige Läufer sehen echt nicht mehr taufrisch aus.
Ich rapple mich auf und versuche zurück ins Hotel zu kommen. Leider ist kein Taxi auffindbar, ich warte etwa 15 Minuten an einem Taxistand beim Arc de Triomph aber da kommt einfach keines vorbei. Die Metro nehmen geht eben auch nicht, da ich dann mangels Liften treppensteigen müsste, was ich meinen Beinen nicht mehr zumuten kann. Es besteht die Gefahr, dass die Beine ganz einfach ihren Dienst versagen und ich wie ein Sack Kartoffeln zu Boden gehe. Bestimmt einen Kilometer humple ich in kleinen Schritten vor mir her, bis sich dann doch noch ein Taxi findet. Endlich!
Nachwirkungen: Muskelkater allerhöchster Güte, drei Tage richtig schlimm, weitere drei Tage deutlich spürbar. Erst nach einer Woche fühlen sich die Beine wieder einigermassen normal an.
(*) Für hartgesottene gibt es auch noch Fun Type 3 (= Not fun at all).
(**) Eine kleine Anekdote zum Sibirien Marathon, die einem Erlebnisbericht entstammt, den ich mal vor Jahren gelesen habe. Es war im betreffenden Jahr verhältnismässig sehr warm (flauschige, Flipflop-taugliche 20 Grad minus) und dies führte dazu, dass gewisse Locals sich recht leicht bekleideten, allen voran ein 72jähriger, der sich über die vermeintliche Hitze beklagte und in kurzen Hosen und oben ohne das Ziel erreichte!
Ich bin diese Etappe gefahren
am