Von majortom – Wieder einmal eine Dienstreise im Auftrag der quaeldich.de-Reisesparte. Für 2017 betreue ich unter anderem zwei Projekte, bei denen ich mir noch ein wenig Ortskenntnis verschaffen möchte. Zum einen die Ländle-Rundfahrt, die nach zwei Jahren Pause als viertägige Etappenfahrt am Pfingstwochenende in den Kalender von quaeldich.de zurückkehrt, zum anderen die Fernfahrt Freiburg-Nizza, die erstmalig ausgetragen wird. Bei letzterer Reise habe ich noch große Streckenkenntnis-Lücken insbesondere auf den ersten Etappen durch die Schweiz, die es zu schließen gilt. Und so ergibt sich Mitte August ein Zeitfenster, um in einer einwöchigen Dienstreise ein paar schöne neue Strecken zwischen Stuttgart und Martigny kennenzulernen.
Von majortom – Gestern bin ich mit dem Zug von Aachen nach Stuttgart gefahren, wo ich mich für zwei Nächte einquartiere. Da ich am Abend erst recht spät ankomme und heute nur etwas mehr als 100 km auf dem Plan stehen, schalte ich trotz Dienstreise erstmal in den Urlaubsmodus. Ich rolle gemütlich hinab zum Bahnhof und sitze kurz nach neun im Regionalzug nach Freudenstadt. Was sich etwas schwierig gestaltet, da die ultragemütlichen Klappsitze im Fahrradwagen wohl auch auf fahrradlose Mitreisende eine unglaubliche Faszination auslösen – verstehe wer wolle. Umsteigen in Eutingen im Gäu, und gegen halb zwölf komme ich am Bahnhof Freudenstadt an. Bei der Ländle-Rundfahrt 2017 ist die Schlussetappe von Freudenstadt nach Stuttgart geplant, ich zäume den Gaul also sozusagen von hinten auf. Die Bedingungen: bestens. Sommerlich heiß, strahlender Sonnenschein.
Es geht Richtung Norden, parallel zur Bundesstraße B294 auf quasi verkehrsfreien Nebenstraßen. Es ist zwar wellig, und die eine oder andere kurze Rampe kostet durchaus Körner, doch der Nordschwarzwald zeigt sich hier von seiner ruhigen, idyllischen Seite, und es macht Spaß. Insbesondere da ich bei meinem eigentlichen Rennrad-Saisonhighlight, der Tour du Dauphiné einige schöne Etappen erkältungsbedingt nur aus dem Begleitfahrzeug erleben konnte. Doch das ist abgehakt, ich cruise über die Wellen, ich stürze mich in die Abfahrt ins junge Nagoldtal, ich klettere gemütlich den Rollerberg hinauf nach Urnagold.
Hier liegen quasi nur einen Steinwurf voneinander entfernt die Quellen der Flüsse Nagold und Enz (die weiter flussabwärts auch wieder zusammenfließen), ich überquere also die Wasserscheide, nehme ein kurzes Stück auf der Bundesstraße in Kauf, und dann geht es das Enztal hinab. Ich erinnere mich an die Deutschland-Rundfahrt 2011, als wir hier im Grand-Tour-Peloton hinabgerauscht sind – lange ists her. Damals allerdings haben wir dann den Abzweig auf die Schwarzmiss genommen, die ich heute links liegen lasse und das Enztal weiter abfahre bis Bad Wildbad. Dort scheint die Zeit ein wenig stehen geblieben zu sein – in diesem Kurort riecht es geradezu nach Toast Hawaii, und die diversen Pensionen für diverse Kurschatten tragen so klangvollen Namen wie „Haus Gertrud“ und „Pension Brigitte“. Nichts wie weiter.
Am Bad Wildbad nimmt der Verkehr drastisch zu, ab Calmbach wird es so richtig unangenehm. Glücklicherweise kann ich mich im wahrsten Sinne des Wortes rechts in die Büsche schlagen und wähle die nur für Anwohner erlaubte Straße hinauf zur ehemaligen Lungenklinik Charlottenhöhe. Ein Wendepunkt der Etappe; ab sofort geht es ostwärts zurück nach Stuttgart. Sofort bin ich wieder im dichten Wald. Die schwerste Bergwertung des Tages ist zwar nominell nicht besonders hart, aber dank der Mittagshitze läuft der Schweiß in Strömen. Es macht Spaß. Kurz darauf erreiche ich Schömberg, wo ich zur verspäteten Mittagspause bei einem Bäcker einkehre.
Nur wenige Höhenmeter bis Oberlengenhardt, dann eine rasante Abfahrt nach Bad Liebenzell. Noch so ein Kurort, auf den ersten Blick allerdings eine Spur weniger miefig. Gegenanstieg nach Unterhaugstett folgt, leider auf recht breiter Straße und mit ziemlich viel Verkehr. So viel, dass ich mir im Kopf eine Notiz mache, eventuell nach einer alternativen Route zu suchen – nun ja, vielleicht hat es auch mit schwindenden Kräften zu tun, dass der Spaßfaktor auf einmal ein wenig sinkt.
Ich erreiche Weil der Stadt und komme so endgültig im Stuttgarter Speckgürtel an. Zum Glück gibt es neben der B295 einen parallel verlaufenden Wirtschaftsweg, auf dem ich den kleinen Gegenanstieg entspannt pedalieren kann. Die letzten 50 Meter bevor der Einmündung in eine ruhige Kreisstraße haben leider eine miserable Asphaltqualität. Schade, aber was solls. So erreiche ich Magstadt und kurz darauf den bewaldeten Schönbuch, wo ich von der Ländle-Rundfahrt 2012 weiß, dass ein asphaltierter Forstweg hindurch bis an die Stuttgarter Stadtgrenze führt. Leider habe ich verpasst, vorher nochmal Wasser nachzutanken und sitze nun nahezu auf dem Trockenen – kein Spaß bei dieser Hitze.
Nur noch wenige Kilometer fehlen bis zum vorgesehenen Etappenziel am Stuttgarter Fernsehturm, doch durch die südlichen Vororte Vaihingen und Degerloch versprechen es zähe Kilometer zu werden. Doch meine Vorplanung stellt sich als sehr gut heraus, denn auf dem Weg über die Fildern stellt sich mir nur eine einzige Ampel in die Quere. Was mir zugute kommt, denn auf Stop-and-go-Gedödel hätte ich jetzt gar keine Lust gehabt. Und so stehe ich kurz darauf unterhalb des Fernsehturms, wo der dortige Kiosk auch das Flüssigkeitsproblem löst. Ein Dienstgespräch mit QD-Chef Jan, dann geht es hinab in den Stuttgarter Kessel, wo die Etappe für mich beendet ist. Vielversprechender Auftakt meiner Tour, wofür ich mich mit einer Hipster-Pizza am Marienplatz belohne.
Von majortom – Tag zwei liefert mir dieselben Wetterbedingungen wie Tag eins. Sonnig, warm mit Tendenz nach heiß. Gegen Mittag vermutlich Tendenz nach sackheiß. Genug trinken, heißt das wohl für mich. An Tag zwei bin ich das erste Mal mit Übernachtungsgepäck unterwegs, einer kleinen Sattelstützentasche und einem kleinen Rucksack. Was, wie ich spätestens auf der Alten Weinsteige feststelle, einen gewaltigen Unterschied machen kann. Erst recht bei den 15 Prozent, oder was auch immer diese Steige mir abverlangt. Und ich bin noch nicht mal auf der wirklichen Etappe, die ja wieder erst am Fernsehturm beginnt.
Das Königsträßle führt mich aus Stuttgart hinaus, das Körschtal am Flughafen vorbei, eine Landstraße über Wolfschlugen nach Nürtingen. Von oberhalb des Neckartals erhasche ich auch schon die ersten Blicke auf die sich am Horizont erhebende Schwäbische Alb. Interessanterweise kaum Verkehr (aufgrund überlegener Routenführung) in der Stadt, dafür etwas nerviger im Umland. Noch nerviger wird das ganze dann in und nach Nürtingen – erneute Notiz im Kopf, die Route auf mögliche Alternativen zu prüfen. Die Neuffener Steige, die ich in umgekehrter Richtung noch von der Ländle-Rundfahrt 2012 kenne, ist bergab wohl schöner als bergauf. Und das obwohl sie ein angenehm rollender Anstieg ist – doch irgendwie spüre ich, dass das hier und heute nicht mein Tag wird. Die Hitze, vielleicht liegts daran.
Von Hülben rausche ich hinab nach Bad Urach, wo ich dringend benötigtes Wasser für meine Bidons bekomme. Über die Hanner Steige – Juhu, wieder mal 15 Prozent – klettere ich dann wieder auf die Albhochfläche. Der Schweiß rinnt. Ich fluche innerlich. Es läuft einfach nicht. Dabei ist die Steige auch landschaftlich sehr schön, idyllisch im Wald gelegen mit schönen Felsformationen. Doch es hilft nichts, ich muss weiter.
Es geht glücklicherweise das nur sanft abfallende Große Lautertal hinab. Das Große Lautertal ist meine Rettung, denn genau so eine flowige, schöne Passage, auf der man gut Tempo machen kann, habe ich gebraucht. Dreißig Kilometer lockeres Pedalieren über die karge, aber irgendwie auch schöne Albhochfläche. Ein Traum. Ich unterbreche mein Einzelzeitfahren mit einer Mittagspause in Wasserstetten. Extrem leckere Maultaschen mit hausgemachtem Kartoffelsalat für 8 Euro – sensationelles Preis-Leistungs-Verhältnis im Gasthof zum Burren. Und meine gute Laune ist endgültig wiedergekehrt.
Die Kanutouristen plätschern über die Lauter, ich mache weiter gut Dampf auf meinem Weg nach Süden. So dass auch der kurze Nupsi kurz vor Zwiefalten mich nicht aufhalten kann. Auch den komplett der Sonne ausgesetzten Anstieg in das Dorf mit dem schönen Namen Upflamör überwinde ich souverän. Hier betrete ich völlig unbekanntes Terrain; auf kleinen Straßen geht es über das wellige Gebiet nördlich des Donautals. Im Süden tauchen jetzt drohende Gewitterwolken am Himmel auf, und ich habe die Befürchtung, dass ich mitten darauf zusteuere. Hin und wieder ist die Straße nass; hier hat es also schonmal geregnet. Doch über Langenenslingen erreiche ich Scheer im Donautal und bin trocken geblieben.
Die geplante Etappe der Ländle-Rundfahrt endet in Scheer. Eigentlich hätte ich also Feierabend, doch heute muss ich noch ein paar Kilometer weiter nach Sigmaringendorf. Leider ist der Wegezustand des Donautal-Radwegs im quäldich-Tourenplaner noch nicht korrekt angegeben, und ich bin diese paar Kilometer auf (allerdings sehr gut fahrbarem) Schotter unterwegs. Seis drum, das kümmert mich jetzt auch nicht mehr. Ich erreiche mein Etappenziel in etwa fünf Minuten bevor dem ersten Gewitterguss. Was man wohl überlegenes Timing nennt.
Von majortom – Die gute Nachricht am dritten Morgen: es ist zwar sonnig, aber bei weitem nicht mehr so heiß wie gestern. Beste Bedingungen also, um die mit knapp 165 Kilometern längste Etappe meiner Tour in Angriff zu nehmen, die mich einmal quer über den Schwarzwald bis nach Kollmarsreute bei Emmendingen führen soll. Mein alter Kompagnon Johannes wird mir dort nicht nur Quartier und Diplom-Pils bieten, sondern mir zu meiner großen Freude auch mit dem Rad das Glottertal hinauf entgegen kommen.
Die ersten 30 km davon sind allerdings fast geschenkt, da es flach durchs Donautal geht. Zunächst bis Sigmaringen auf einer Nebenstrecke, dann über die schöne mit dem Fluss mäandrierende Talstraße vorbei an den sich rechts und links auftürmenden Felsen. Es gelingt mir, das Tempo hoch zu halten, und dennoch die wunderschöne Landschaft ausreichend zu würdigen. Dann erreiche ich Beuron, wo ich das Donautal verlasse. Meine Reiseroute knickt nach Süden ab; der Anstieg nach Buchheim war auch Teil der legendären 1. Deutschland-Rundfahrt 2009 – die Gedanken schweifen also zurück zu diesem Ereignis, wer kann es ihnen verübeln.
Kurz darauf bin ich wieder in westlicher Richtung unterwegs, über ruhige Kreisstraßen halte ich auf den Witthoh zu, von wo aus die Aussicht über den Hegau und bis zum Bodensee reicht. An schönen Tagen sieht man hier auch die Kette der Schweizer Alpen – heute habe ich dieses Glück leider nicht. Dennoch ist die Aussicht absolut grandios, und der kurze Stich hinauf zum Gipfel lohnt sich allemal. Nach kurzer Pause rolle ich dann wieder zurück ins Donautal, das ich bei Immendingen erreiche.
Meine Route macht nun einen Schlenker nach Norden, zunächst kaum merklich bergauf bis Öfingen, danach wieder hinab, und über Feldwege geht es über die Hochebene der Baar, auf den Schwarzwald zu, dessen Kamm sich schon am Horizont abzeichnet. Wiederum ein sehr schöner Tagesabschnitt, auch wenn er aufgrund des welligen Profils und der vielen Richtungswechsel etwas Energie und Aufmerksamkeit fordert. Ich erreiche das Brigachtal, überwinde einen kleinen Höhenzug zwischen Brigach und Breg und komme dann nach Wolterdingen im Bregtal, wo ich eine verspätete Mittagspause mache.
Der Rest des Tages ist überschaubar, und trotzdem fehlen noch 60 km bis ins Ziel. Das Bregtal hinauf nehme ich wieder Tempo auf. Vom Bregtal zweigt das Urachtal ab, das mich zur Kalten Herberge führt, auf den höchsten Punkt der Etappe, wo ich den Schwarzwaldhauptkamm überquere. Die Landschaft wird immer schwarzwaldtypischer – saftige Weiden wechseln sich ab mit dichtem Wald. Ein schmaler Weg führt von der kalten Herberge hinab ins Hexenloch, einer der Geheimtipps des mittleren Schwarzwaldes. Keine Ahnung, warum der asphaltiert wurde, aber da dies ja zu meinem Vorteil ist, nehme ich das gerne hin. Von der Hexenlochmühle steht dann der längste zusammenhängende Anstieg des Tages hinauf zum Neuhäusle auf dem Programm. Wiederum auf wunderschöner schmaler, einsamer Straße. Heldenhaft versuche ich mich der Überholung durch zwei von hinten auffahrende Rennradler zu erwehren, doch mit meinem Gepäck habe ich gegen die beiden keine Chance – sie stellen mich kurz vor der Passhöhe. Nun gut, wirklich drauf angelegt habe ich es nicht, die lange Etappe hat ihre Spuren hinterlassen.
Am Neuhäusle eine SMS von Johannes. „St. Peter.“ Sensationelles Timing, dann sollten wir uns wirklich wie geplant in St. Märgen treffen. Ich habe nur nicht bedacht, dass im Hexenloch ein Funkloch ist, und Johannes die SMS schon viel früher abgeschickt hat, denn er kommt mir 200 Meter hinter dem Neuhäusle entgegen. Als zuverlässige Eskorte spannt er sich auch (natürlich nach herzlicher Begrüßung) sogleich in den Wind, und ich cruise in seinem Windschatten über die Panoramastraße. Eigentlich geht es von hier aus nur noch bergab. St. Märgen, St. Peter, kurzer Gegenanstieg, dann hinab ins Glottertal. Die Abfahrt macht Spaß. Etwas zäh wird für mich dann noch das restliche Stück über Denzlingen nach Kollmarsreute – egal, wir machen eine Tour d'honneur daraus.
Das Diplom-Pils ist bereits kalt gestellt. Die Ländle-Rundfahrt-Recherche erfolgreich abgeschlossen. Was will man mehr.
Von majortom – Damit steht die Strecke der Ländle-Rundfahrt 2017 und verspricht ein sensationelles Event zu werden. Zeit, sich neuen Herausforderungen zu widmen. Wie zum Beispiel der Recherche zu Freiburg-Nizza 2017. Johannes hat Urlaub und sich daher entschlossen, mich auch heute zu eskortieren. Was mich sehr euphorisch stimmt. Unzählige Male haben wir früher den Schauinsland gemeinsam bezwungen, so dass die heutige Etappe auch eine Art Hommage an unsere gemeinsamen Freiburger Tage ist.
Die ersten 15 km sind Kür. Anfahrt nach Freiburg, weitgehend flach durch die Rheinebene. Ich überlasse dem Lokalmatador die Navigation, und er führt mich vorbildlich bis in den Anstieg zum Schauinsland hinein. Johannes drückt zwischen Günterstal und der Bohrer-Abzweigung schon ein ambitioniertes Tempo. Typ Rouleur eben. Den Schauinsland selbst fährt jeder in seinem eigenen Tempo. Früher bin ich hier oft mehrmals pro Woche hoch; es erstaunt mich dennoch, wie gut ich den Anstieg noch kenne. So weiß ich auch, dass er nach oben heraus immer flacher wird; dennoch fahre ich nicht volle Pulle, die Etappe ist schließlich noch lang. Johannes kommt ein paar Minuten nach mir oben an, seine erste Schauinsland-Bezwingung für diese Saison.
In Freiburg war es schon bewölkt, nun sieht es weiter im Süden definitiv nach Regen aus. Früher als angekündigt scheint das Wetter umzuschlagen. Da wir es nicht ändern können, nehmen wir einfach die Abfahrt nach Todtnau ins Wiesental in Angriff. Der Regen holt uns dann kurz nach einem zweiten Frühstück in Utzenfeld ein. Für einen ersten Wolkenbruch stellen wir uns kurz unter, und als dieser in Niesel übergeht, machen wir uns sofort wieder auf den Weg. Um vom großen ins kleine Wiesental zu kommen, habe ich uns eine am Hang verlaufende Nebenstrecke nach Gresgen ausgesucht, was mein Hauptgrund dafür war, die Etappe vorher abfahren zu wollen. Es stellt sich als eine herrliche schmale Straße heraus, die uns tolle Ausblicke ins Wiesental offenbaren würde – wenn dort die Wolken nicht so tief hängen würden.
Euphorisiert von diesem wunderschönen Abschnitt erreichen wir Gresgen. Der Regen hat wieder aufgehört, doch das nächste Regengebiet lauert laut Wetterradar schon über den Vogesen. Wir fahren rasch ab ins kleine Wiesental und halten auf Lörrach zu. Dank Johannes' unermüdlichem Tempomanagement im Wind kommen wir schnell voran. Zwischen Lörrach und Weil am Rhein erwartet uns noch einmal eine fiese Rampe durch die Weinberge. In Weil am Rhein möchte Johannes den Zug zurück nehmen, während mein Tagesplan mich noch übers Elsass ins Schweizerische Delémont führen soll. Zunächst aber mal kehren wir in eine Pizzeria in Weil am Rhein ein, denn das Mittagessen haben wir schon viel zu lange hinaus geschoben.
Noch während wir essen, geht ein erneuter Wolkenbruch nieder, Vorbote des Gewitters über der Burgundischen Pforte, wie das Regenradar verrät. Glücklicherweise sind wir das letzte Stück nach Delémont schonmal gefahren, in entgegengesetzter Richtung zwar, aber es ist klar, dass hier keine unangenehmen Überraschungen warten, die eine Vorabfahrt erforderlich machen. Also kneife ich. Nachdem wir uns am Weiler Bahnhof verabschiedet haben, fahre ich noch über die Dreiländerbrücke über den Rhein nach Huningue, um den Lückenschluss auf bekanntes Terrain zu gewährleisten, dann drehe ich ab nach Basel. Wo ich ganz weicheimäßig den nächsten Zug nach Delémont nehme. Angesichts des nun einsetzenden Dauerregens sicher nicht die schlechteste Wahl.
Von majortom – Das schöne Wetter ist am Morgen in Delémont ansatzweise zurück. Es ist zwar bewölkt, reißt jedoch zusehends auf. Und die Hauptsache: es ist trocken. Außerdem war die Form die letzten Tage über ansteigend. Gute Voraussetzungen also für meine fünfte Etappe, gleichzeitig die geplante zweite Etappe von Freiburg-Nizza. Ich fahre zunächst in westlicher Richtung durch das Becken von Delémont, dann knickt die Route jedoch nach Süden ab, und der Anstieg durch den Gorges de Pichoux liefert ein erstes landschaftliches Highlight. Grandios, wie hier die Straße am Grund der tiefen Schlucht gebaut wurde. Trotz der steilen Rampe kann ich die Schlucht genießen. Dann abrupter Landschaftswechsel, und über die Jura-Hochebene geht es nach Bellelay. Inzwischen scheint wieder die Sonne.
Hier geht es erstmal wellig weiter durch den Jura. Ich mag den Jura; er ist ein einsames, wildes Mittelgebirge, wo es einfach Spaß macht, mit dem Rennrad unterwegs zu sein. Ich lege trotz des anspruchsvollen Terrains ein gutes Tempo vor. Heute läuft es, die Euphorie ist da, Beine und Kopf wollen. Der Col du Mont Crosin ist nur kurz, die darauffolgende Abfahrt nach Saint-Imier macht richtig Spaß. Hier sieht man schon den Turm auf dem nächsten Jura-Höhenzug, der den Col du Chasseral markiert, den wohl bekanntesten Pass des Schweizer Jura. Fast 900 Höhenmeter warten auf mich. Ganz klar – der mit 1502 m höchste Punkt meiner Tour verspricht auch den härtesten Anstieg.
Die langgezogenen Geraden zwischen den Serpentinen verlangen bei Steigungswerten um die 10 Prozent vor allem einen ruhigen Tritt, den ich nicht immer finde. Doch so nach und nach klappt das immer besser, und den ersten Teil des Anstiegs bis zum Col des Pontins habe ich bald bewältigt. Kurz drauf zweigt dann die schmale Straße zum Chasseral ab – und ab hier wird mir klar, dass der Chasseral mich heute nicht klein kriegen wird. Ich denke zurück an die Schweiz-Rundfahrt 2012, als wir an der Passhöhe von einem grandiosen, absolut atemberaubenden Hochalpenpanorama überrascht wurden. Was für ein Augenblick damals. Das ist wohl heute nicht zu erwarten, über der höchsten Jurakette hängen die Wolken. Doch auch so ist der einsame Pass einfach toll, das letzte Stück wirkt richtig hochalpin, obwohl ich noch knapp unterhalb der 1500-Meter-Marke bin. Es erinnert mich ein wenig an den Grand Colombier, einen meiner erklärten Lieblingspässe außerhalb der Alpen.
Und schließlich stehe ich auf der Passhöhe, teile mir den Moment mit zwei Tourenradlern. Mich nervt ja mein Minimalgepäck am Rennrad schon, die beiden schleppen aber gut und gerne das zehnfache mit sich herum. Chapeau, kann ich da nur sagen. Ich halte mich jedoch nicht länger auf – in der Tat kann man im Dunst kaum die Bieler und Neuenburger Seen unten in der Ebene erahnen – und fahre sogleich ab. Auf der Abfahrt nutze ich die Gelegenheit zur Mittagspause bei Spaghetti Carbonara. Kalorien, die ich wohl noch gut gebrauchen kann, denn wieder ist die Etappe lang.
Als ich weiter fahre, hat mein Garmin sich aus irgend einem mystischen Grund umprogrammiert und lotst mich nach La Neuveville am Bielersee. Zu spät bemerke ich den Fehler. Nun gut, der dadurch verursachte Umweg hält sich in Grenzen. Zwischen Bielersee und Lac de Neuchâtel fahre ich hindurch, dann am Südufer des Lac de Neuchâtel entlang. Es ist flach, und es läuft. Dann wende ich mich nach Süden Richtung Payerne, wo das Terrain etwas welliger wird. Ein langegezogener Anstieg, dann die Abfahrt nach Romont mit seinem mittelalterlichen Stadtzentrum, das auf einem kleinen Hügel liegt. Etwa 125 km sind absolviert, und der Etappenort Bulle rückt immer näher. Die Wellen werden kürzer, treten dafür immer häufiger auf. Doch die Beine sind wider Erwarten noch gut, es macht mir sogar Spaß, die Wellen mit Druck auf dem Pedal wegzuquetschen. Und so laufe ich schließlich zufrieden in Bulle ein – erneut eine wunderschöne Etappe hinter mich gebracht.
Von majortom – Das Restaurant im Hotel war sehr gut, das Hotel selbst höchstens befriedigend. Was an und für sich kein Problem gewesen wäre, doch irgendwann mitten in der Nacht hat irgendwo in der Nähe von meinem Zimmer bestimmt eine halbe Stunde lang ein Telefon geklingelt. Vielleicht hätte ich mich aufraffen sollen und die Quelle suchen, doch ich bin einfach im Bett liegen geblieben und habe mich geärgert. So ist die Laune am Morgen nicht die allerbeste, zumal für heute Regen angesagt ist. Das Frühstück allerdings ist wieder hervorragend, so dass das Hotel wertvolle Punkte gut macht.
Regen ist für heute ab dem späten Vormittag angesagt, weswegen ich meinen Aufbruch so weit wie möglich vorgezogen habe. Praktisch direkt hinter Bulle beginnen die Voralpen von Fribourg, und durch das Gruyère, bekannt durch den Käse gleichen Namens, fahre ich in die Alpen hinein. Der erste Regenguss überrascht mich deutlich vor dem späten Vormittag, aber da muss ich wohl durch. Immerhin hört es gleich wieder auf, und ich kann den Anstieg hinauf zum Lac de l'Hongrin und zum Col des Mosses ohne Niederschlag in Angriff nehmen.
Sobald ich von der Hauptstraße runter bin, wird es ruhig und idyllisch. Wieder macht es so richtig Spaß. Die Steigung ist sehr unregelmäßig, steile Rampen wechseln sich ab mit Flachstücken, doch genauso schnell wechselt die Landschaft von Kuhweidenidylle zu felsigem dichtem Wald und wieder zurück. Bis in das Dorf Allières ist zudem der Straßenbelag sehr gut, danach allerdings wird er ziemlich bescheiden. Kürzere Passagen sind auch immer mal wieder geschottert; hier wurden Straßenschäden wohl einfach nicht ausgebessert. Dennoch ist es eine tolle Auffahrt. Ein schmaler Tunnel führt mich dann zum Hongrin-Stausee, und plötzlich scheint auch die Zivilisation zurückzukehren, denn hin und wieder haben Ausflügler am Straßenrand geparkt.
Am Lac de l'Hongrin erreiche ich, kurz nachdem der Regen wieder eingesetzt hat, die Mittagsverpflegung der quäldich.de-Schweiz-Rundfahrt. Reiner Zufall, dass sich unsere Wege kreuzen, ich habe es selbst erst am letzten Abend festgestellt, als ich die Tracks der Teilnehmer auf Strava gesehen habe. Die Teilnehmer sind in umgekehrter Richtung unterwegs, kommen vom Rhonetal hier hinauf und wollen nach Fribourg, wo ihre Rundfahrt endet. Also ein freudiges Wiedersehen mit Sille, den Klausenboys und unerwarteterweise auch Elke und Thomas, die der Schweiz-Rundfahrt auch einen Besuch abstatten. Gezielter als ich. Ich stelle mich dankbar unter dem Dach unter, genieße die Gesellschaft, nachdem ich größtenteils solo on tour war. Kurze Zeit darauf kommt auch Tobias, der dem Feld voraus fährt, dann führt Lukas die sportive Gruppe heran. Noch mehr Handshakes also. Ich freue mich, sie alle zu sehen.
Der Regen ist inzwischen stärker geworden, was für meine Abfahrt nach Aigle und das Schlussstück durchs Rhonetal nach Martigny nichts gutes verheißt. So entschließe ich mich dann auch zum Aufbruch, ohne auf die anderen Gruppen gewartet zu haben. Die entspannte Gruppe unter der Führung von Peter sehe ich noch kurz vor dem Col des Mosses, im nun wieder strömenden Regen will aber keiner anhalten. Also gibt es eine nasse Abfahrt für mich. Schade, vom Col des Mosses nach Aigle hätte man bei trockenen Bedingungen auch gut Tempo machen können. Erfreulicherweise hört der Regen dann kurz vor Aigle wieder auf.
Das Schlusstück nach Martigny erfordert dann vor allem Zähigkeit. Im Rhonetal ist es flach, doch ich habe in weiser Voraussicht nicht über die Hauptstraße, sondern über Nebenstrecken geroutet, die höhere Konzentration beim Navigieren erfordern. 30 flache Kilometer, und ich erreiche Martigny ohne weiteren Regenschauer. Die entsprechende Etappe von Freiburg-Nizza würde jetzt noch auf dem Col du Grand Saint Bernard führen. Für mich ist heute jedoch Schluss in Martigny. Nur eine Halbetappe sozusagen, es ist gerade mal Mittag. Es reicht dennoch.
Somit endet eine tolle Dienstreise, die mich einmal mehr in meinem Urteil bestätigt, dass es nicht die Alpen sein müssen, um mit dem Rennrad etwas zu erleben. Die endlosen Weiten der Schwäbischen Alb, der melancholische Schwarzwald, der wilde Jura – all das sind herrliche Gegenden, die es sich zu erkunden lohnt.