Von majortom – Es geht los. Das Mittelmeer ruft, doch Marseille ist noch weit entfernt. Und so richten wir unser Augenmerk zuerst einmal auf nähere Ziele. Ganz konkret: die Vogesen. Schon kurz nachdem wir das Stadtgebiet von Freiburg verlassen, prangen die bekannten Ballons jenseits der Rheinebene am Horizont. Und so wird auf der flachen ersten Etappenhälfte der Schwarzwald hinter uns immer kleiner, die Vogesen rücken jedoch immer näher, während wir es genießen, in der Gruppe dahin zu gleiten. Bis wir Thann erreichen, wo die Schonfrist zuende ist. Der Col du Hundsruck – angeblich seinerzeit Schauplatz des berühmten Ausspruchs „Quäl dich, du Sau!“ – ist der erste Pass unserer Reise. Der erste Pass von vielen. Ihm folgt auf dem Fuße der Ballon d'Alsace, einer der bekanntesten Vogesen-Berge, auch als Dauergast bei der Tour de France bekannt. Von hier aus brauchen wir nur noch abzufahren und in den Etappenort Belfort ausrollen.
Von majortom – Die zweite Etappe ist gewissermaßen prototypisch für das zweite Mittelgebirge, dem wir auf unserer Tour begegnen. Es ist ein unterschätztes Mittelgebirge, geprägt von einsamen Tälern und schroffen Hochebenen: der Jura. Ein Mittelgebirge, in dem sich die Höhenmeter erstaunlich schnell summieren, wie wir auf dieser kurzen, aber anspruchsvollen Etappe unter Beweis stellen. Ein Mittelgebirge, das in seiner mal einsam-idyllischen, mal spektakulären Schönheit aber auch für alle körperlichen Strapazen entschädigt.
Zum Auftakt rollen wir noch locker durch die Burgundische Pforte zwischen Vogesen und Jura, überqueren die Grenze in den Ajoie genannten nordwestlichsten Zipfel der Schweiz, wo wir noch recht gemütlich im Tal bis Porrentruy rollen können. Dann reißt uns jedoch der Col de la Croix jäh aus dem Flow, der recht unrhythmische Anstieg führt uns nach Sainte-Ursanne im Tal des Doubs. Auf der anderen Talseite klettern wir gleich wieder hinauf nach Montfaucon, erreichen die Franches-Montagnes und fahren über hügeliges Gelände weiter nach Südosten. Der Col du Mont Crosin ist kein besonders schwer zu überwindendes Hindernis. Dann jedoch nehmen wir mit dem Col de Chasseral den wohl bekanntesten Pass im Schweizer Jura unter die Reifen, mit 1503 m Höhe der vorerst höchste Punkt, bevor wir die Alpen erreichen. Mit etwas Glück sehen wir die Alpen jedoch schon – bei guter Sicht genießt man von der Chasseral-Passhöhe ein atemberaubendes Panorama, das von den bekannten Gipfeln des Berner Oberlandes bis zum Montblanc reicht. Und uns trennt nur noch eine lange Abfahrt vom Etappenort Neuchâtel.
Von majortom – Auch die dritte Etappe von Neuchâtel nach Genf gehört voll und ganz dem Jura. Heute wählen wir die Route jedoch nicht quer zu allen Tälern, sondern haben auch mal längere Flachpassagen auf der kargen, schroffen Hochebene im Grenzgebiet zwischen der Schweiz und Frankreich. Die Grenze jedenfalls überqueren wir heute mehrmals, und nicht jeden Grenzübergang erkennt man auch direkt als solchen. Der Jura ist nämlich nur dünn besiedelt, die Straßen sind schmal und verkehrstechnisch völlig unbedeutend.
Wir verlassen Neuchâtel und fahren die schöne verkehrsfreie Nebenstrecke durch die wildromantische Areuse-Schlucht. So gelangen wir ins Val de Travers, dem wir folgen, bis wir nach einer Geländestufe dann die Grenze überqueren und auf der Hochebene rund um Pontarlier angelangt sind. Die traumhafte versteckte asphaltierte Forststraße über La Petite-Echelle führt uns zurück in die Schweiz, und wir gelangen an den Lac de Joux. Erneut können wir recht entspannt dem Hochtal folgen, überqueren erneut die Grenze und gelangen so hinter die erste große Jurakette. Der Col de la Faucille ist aus dem Jura heraus kein großes Hindernis, offenbart uns aber mit etwas Glück nochmal ein tolles Panorama über den Genfersee hinweg auf die vom Montblanc-Massiv gekrönten Savoyer Alpen. Bis Genf geht es dann praktisch nur noch bergab.
Von majortom – Die vierte Etappe führt uns vom Genfersee nach Aix-les-Bains, gelegen am Lac de Bourget in den Savoyer Voralpen, dem größten natürlichen See Frankreichs. Das klingt nicht besonders anspruchsvoll, da wir jedoch erneut einen Abstecher in den Jura einlegen, wird es auch heute wieder höhenmeterreich. Wir sind im Haut-Bugey unterwegs, dem südlichsten Zipfel des Juras, und dessen höchster Berg, der Grand Colombier, hat sich inzwischen auch einen Namen bei der Tour de France gemacht, wo er seit 2012 mehrmals auf dem Speiseplan stand, zuletzt 2019 als Bergankunft.
Wir verlassen Genf, fahren durch die Weinberge und gelangen so endgültig nach Frankreich, das wir nun bis zum Ende unserer Tour nicht mehr verlassen werden. Einen ersten landschaftlichen Höhepunkt ist die Umrundung der Montagne de la Vuache, das durch einen Durchbruch der Rhone vom Jura abgetrennt wurde. Kurz darauf überqueren wir die Rhone dann über eine Staumauer und haben mit dem Col de Richemond einen langen, aber nicht allzu schweren Pass vor uns. Der Richemond ist aber nur der Aufgalopp zum Grand Colombier, wo wir weitere 900 Höhenmeter auf unser Konto einzahlen. Das Panorama am Gipfel sollte bei guter Sicht erneut vom Montblanc gekrönt sein, einen tollen Ausblick ins Rhonetal und auf den Lac de Bourget haben wir aber in jedem Fall. Die rasante Abfahrt ist mit vielen Serpentinen gespickt und führt uns nach Culoz im Rhonetal. Ab hier könnten wir ganz entspannt am Lac de Bourget entlang nach Aix fahren, doch die Etappe hat noch ein Bonbon: Der Col de la Chambotte führt uns zu einem schönen Aussichtspunkt, wo wir den See nochmals von oben betrachten können, in der Gewissheit, dass wir von hier aus praktisch nur noch bergab nach Aix fahren müssen.
Von majortom – Wir verlassen den Jura und kommen in die Alpen. In Aix-les-Bains werden die beiden Gebirge nur noch vom Lac de Bourget getrennt, und der Hausberg von Aix, der markante Mont Revard, zählt schon zu den Savoyer Alpen. Auf den Mont Revard zu fahren wäre zuviel des Guten, wir nehmen stattdessen noch einen Berg am anderen Ufer des Sees mit. Der Mont du Chat, gefürchtet aufgrund einer recht hohen Durchschnittssteigung auf etwa 1200 Hm, hat es in der Vergangenheit auch schon auf den Streckenplan der Tour de France geschafft. Wir fahren dann am Lac d'Aigueblette vorbei, befinden uns im Niemandsland zwischen Jura und Alpen, wobei die Tendenz klar in Richtung Alpen geht. Die Chartreuse, das Voralpenmassiv zwischen dem Lac de Bourget und dem Isère-Tal, vereint wildromantische Schluchten mit lieblichen Almen-Landschaften – hier zeigen sich die einsamen Voralpen weit abseits der Hochburgen des Skitourismus von ihrer schönsten Seite. Über die schöne Gorges du Guiers Mort dringen wir in die Chartreuse vor, und der Anstieg geht praktisch nahtlos über in den Col de Porte. Dann beenden wir die kürzeste Etappe der Tour mit einer schönen Abfahrt nach Grenoble.
Von majortom – Während die Chartreuse zurecht noch als Geheimtipp in den nördlichen französischen Voralpen gelten darf, ist ihr südlicher Bruder, der Vercors, fast schon schnöder Mainstream. Wir sehen das jedoch als Auszeichnung für den Vercors, wissen wir ja schließlich selbst, dass die sagenhafte Combe Laval, wo die Straße tollkühn an den senkrechten Hang gebaut ist, bei jedem Rennradfahrer insgeheim auf der Liste steht, der schon einmal Fotos davon gesehen hat.
Es ist wieder mal eine Etappe, die sofort ernst macht, und direkt aus dem Stadtgebiet von Grenoble beginnt unser erster Anstieg nach Saint Nizier de Moucherotte, der mit immerhin knapp 900 Höhenmetern zu Buche schlägt. Allzu steil ist die Auffahrt jedoch nicht, und wir können die Ausblicke auf das Isèretal, die Chartreuse und die schon zu den Hochalpen zählende Belledonne-Kette genießen. So gelangen wir auf die Hochebene des Vercors, und schon in der Abfahrt durch die Gorges de la Bourne ist die Landschaft absolut atemberaubend. Es gelingt uns aber tatsächlich, die Schlucht mit der anschließenden Combe Laval noch zu übertreffen – zu einzigartig ist diese Höhenstraße zum Col de la Machine. Mit dem Col de la Bataille und dem Col des Limouches stehen noch zwei weitere nominelle Bergwertungen auf dem Programm, so dass wir erneut einen langen Atem brauchen, zumal bis in den Etappenort Valence auch noch das hügelige bis wellige Gelände zwischen Vercors und Rhonetal durchquert werden muss.
Von majortom – Das Voralpenmassiv Diois hat gewissermaßen das Pech, dass es in den französischen Voralpen zwischen zwei absoluten Hochkarätern liegt, die auch überregional bekannt sind: dem Vercors mit seinen phänomenalen Schluchten (den wir gesten durchfahren haben) und die Vaucluse mit dem Giganten Mont Ventoux (der am folgenden Tag auf dem Programm steht). Die Etappe hat also von vornherein den Nimbus einer Übergangsetappe. Grand-Tour-Stammgäste wissen jedoch, dass sich oft die Übergangsetappen als die schönsten entpuppen. Denn auch das Diois überzeugt mit einem Mix aus alpiner Kuhweidenidylle und schroffen provenzalisch anmutenden Felslandschaften.
Von Valence aus sind wir zunächst noch in der Ebene des Rhonetals unterwegs, die Alpen zur linken, das Zentralmassiv jenseits des Flusses zur Rechten. Die ersten dreißig Kilometer bis Crest sind dementsprechend eher weniger herausfordernd. Erst dann dringen wir aus dem Drome-Tal tiefer in das Diois ein und arbeiten uns langsam aber sicher vor zum Col de la Sausse, dem höchsten Punkt des Tages. Der schönste Abschnitt dieses Passes liegt in der Abfahrt: die schmale Schlucht Défilé de Trente-Pas. Sogleich schließt sich der Col de la Croix Rouge an, und spätestens hier sind wir in der Provence angekommen. Wir rollen dann aus am Rande des bekannten Weinbaugebietes Côte du Rhône, haben mit dem Col du Débat nochmal eine Mini-Bergwertung, und gelangen schließlich nach Orange*, einer hübschen Provenzalischen Stadt mit Römischem Amphitheater.
Bienvenue en Provence!
*Fun Fact: Aus dem lokalen Adelsgeschlecht von Orange sind die Oranier hervorgegangen, die inzwischen das niederländische Königshaus stellen. Die Stadt Orange ist also dafür verantwortlich, dass holländische Fußballfans in orange herumlaufen...
Von majortom – Königsetappe. Anders kann man unseren heutigen Ritt quer durch die Provence wohl kaum bezeichnen. Zumal der wohl bekannteste, der mythischste, der berüchtigteste Berg unserer Tour auf dem Programm steht. Die Etappe ist lang, und sie ist höhenmeterreich, und es könnte heiß werden. Doch wofür sollten wir sonst nochmal alle Kräfte auf der vorletzten Etappe mobilisieren, wenn nicht für den Giganten der Provence, den Mont Ventoux?
Auf der Anfahrt von der in der Ebene des Rhonetals gelegenen Römerstadt Orange nach Malaucène kann uns höchstens noch der Mistral einen Strich durch die Rechnung machen, höchstwahrscheinlich können wir aber einfach die Weinberge des Côte du Rhône in der Morgenstimmung genießen. Ab Malaucène macht die Etappe dann jedoch Ernst, die Nordrampe auf den Ventoux gilt unter Kennern der Materie sogar als noch anspruchsvoller als die klassische Südrampe von Bédoin, da sie unrhythmischer ist und die höheren Steigungsmaxima enthält. Also müssen wir uns die Kräfte gut einteilen, doch schließlich wird uns allen auf dem Gipfel die Provence zu Füßen liegen, und Marseille kann man schon am Horizont erahnen.
Vom Mont Ventoux wählen wir die östliche Abfahrt nach Sault und durchfahren dann die für die Region so typischen Lavendelfelder – möglicherweise in voller Blüte. Wir befinden uns auf dem Plateau de Vaucluse, von welchem wir über den Col de la Liguière nach Apt abfahren. Der Höhenzug des Lubéron zeichnet sich hier schon am Horizont ab; die Auffahrt von Apt auf den Col de Pointu ist jedoch nicht allzu schwer. Am Südrand des Lubéron queren wir das Durance-Tal und haben nur noch einen letzten namenlosen Hügel vor uns, bevor eine epische Grand Tour-Etappe in Aix-en-Provence endet.
Von majortom – Luftlinie sind es vielleicht 30 Kilometer von Aix-en-Provence nach Marseille. So gesehen wirkt unsere Streckenführung leicht sadistisch (quäldich eben...), aber am Ende des heutigen Tages wird uns wohl jeder verstehen können.
Wir verlassen Aix und fahren in östlicher Richtung, am Südrand des markanten Montagne Sainte-Victoire entlang, einem Gebirge, das sich auch in den Bildern eines der berühmtesten Söhne von Aix, des Malers Paul Cézanne, wiederfindet. Die erste Bergwertung ist der wenig furchteinflößende Pas de la Couelle, in der Provence aber wegen des schönen Serpentinenhangs auch als ,,Petit Galibier" bekannt. Auf ihn folgt die Auffahrt zum Col de l'Espigoulier, durch wunderschöne Felslandschaften. Zum ersten Mal nach fast 1200 Kilometern ab Freiburg werden wir hier das Mittelmeer sehen können. Die Côte d'Azur ist nicht mehr weit, und über den Col de l'Ange erreichen wir den Badeort La Ciotat. Es ist jedoch noch zu früh, um sofort ins Wasser zu springen, denn der Höhepunkt der Etappe folgt erst noch. Am Cap Canaille fallen die Klippen fast 400 m senkrecht ins Meer ab - ein einmaliger Anblick. Der letzte Pass unserer Tour ist dann schließlich der Col de la Gineste, und spätestens hier sind dann wohl alle im Tour d'Honneur-Modus. Die Abfahrt führt uns bis vor die Tore von Marseille, und am Stadtstrand Plage du Prado wartet das wohlverdiente Bad im Mittelmeer auf uns!