Nachgeäffter Guiness-Rekord
314,3 km / 3033 Hm
Alpen, Rätische Alpen, Lepontinische Alpen, Ostschweizer Voralpen, Jura, Graubünden, Lombardei, St. Gallen, Appenzell, Baden-Württemberg, Aargau
Redaktionell bestätigte Tour von Uwe

Von Uwe –
Eine Tagestour durch 6 verschiedene Staaten
27.08.2018
Als ich im Juni 2016 meine Tour namens ,,Grenzkontrolle" http://www.quaeldich.de/touren/grenzkontrolle_a/ fuhr, kursierte ungefähr zur selben Zeit der Bericht eines Radlers durch die Medien, der innerhalb eines einzigen Tages 6 verschiedene Staaten im Rahmen einer Radtour befahren hatte und sich mit seinem Unternehmen dafür ins Guiness-Buch der Rekorde eintragen ließ. Sein Rekord bestand darin, die bis dato meisten Staaten innerhalb eines Tages erreicht zu haben. https://www.derwesten.de/staedte/essen/weltrekord-essener-radelt-durch-sechs-laender-in-20-stunden-id11905934.html
Es gab zu diesem Thema auch mal eine Diskussion hier bei Quaeldich. http://www.quaeldich.de/touren/grenzkontrolle_a/kommentare/
Da wir herausbekamen an welchem ,,Sprünglipass" der Rekordler gestartet war, konnten wir auch den Rest einer sinnvollen Route ermitteln und schon landete eine Rohplanung als Quaeldich.de-Tourenplaner-Datei auf meiner Festplatte. In irgend einer schwachen Stunde in irgend einem Winter wurde sogar noch eine einigermaßen hieb- und stichfeste Detailplanung erstellt und schon reifte der Gedanke an ein Nachäffen der Aktion mit meinen zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne die Damen und Herren der Guiness-Organisation durchzuziehen. Da der Rekord mit meinen Möglichkeiten ohnehin nicht zu brechen ist, wurde diesbezüglich keinerlei Forschung angestellt.
Das organisatorische Hauptproblem der Aktion war natürlich die Logistik. Man muss ja zum Startort hin kommen, zu einer sehr frühen Stunde starbereit sein, einigermaßen ausgeschlafen sollte man sein, dann muss man die Strecke rein leistungsseitig überstehen können, man muss tagsüber eine ordentliche Getränke- und Nahrungszufuhr zustande bringen, und am Zielort muss man entweder eine Bleibe haben oder noch besser, eine sofortige Rückreisemöglichkeit finden. Fazit: Das geht nur mit dem Auto innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens. Dann ergab es sich für diesen Sommer, dass unsere beiden Söhne uns für einige Tage im Sommerurlaub in Pfunds in Tirol besuchen würden und für eine solche irrsinnige Aktion großes Interesse aufbringen konnten. Außerdem hatte noch ein Freund und Radkollege Zeit und Interesse mitzumachen und so kam es, dass wir ein Team von zwei Autofahrern und zwei Radlern bilden konnten. Freund Carsten, der Bär (ein Bär sieht so aus und tut so, als könne er nicht viel, aber er kann schnell laufen, weit und schnell schwimmen, klettern und hat Bärenkräfte) sprach schon die ganze Saison davon, wie viel Rückstand er in diesem Jahr schon habe und wie wenige Höhenmeter er bisher gemacht habe und dass da vom Winter noch irgendwelche Vorräte unter dem Pelz angelegt seien, die nicht verbraucht wurden usw... Mein Sommer war auch nicht so gut verlaufen, nachdem ich im Juni zunächst nach einer Baustelle zuhause mit 2 Wochen Radpause, dann einen Radunfall mit einem Hund hatte und dann wegen der großen Hitze nicht in der Lage war, noch nach Feierabend etwas Vernünftiges auf dem Rad zustande zu bringen. Immerhin waren aber die ersten beiden Wochen meines Tirolurlaubs radtechnisch ordentlich.
So beginnen wir unser eigentlich aussichtsloses Unterfangen am Sonntag, 26.08.2018 mit einer Autoanreise von Tirol nach Montespluga, dem letzten Ort auf italienischer Seite des Splügenpasses, denn es sollte entgegen der oben erwähnten Rekordfahrt auch etwas Strecke in Italien befahren werden und nicht die Fahrt direkt am Grenzposten beginnen. Am schweizerischen Grenzposten, der etwas unterhalb der Passhöhe liegt, hatten sich die italienischen Zollbeamten mit den eidgenössischen Kollegen vereint und kontrollierten gründlich unsere Dokumente und erkundigten sich nach unserem Reiseziel. Die Leute haben natürlich an solch einem in der Nacht (ca. 01:30 Uhr) von der Menschheit im Allgemeinen längst vergessenen Fleckchen Erde einen wahrhaft langweiligen Job und sind froh, wenn einmal jemand kommt, um ihnen durch die Nacht zu helfen. So erklärten wir ihnen zunächst grob unser Vorhaben und dann uns selbst für etwas verrückt. Vermutlich hatten sie in ihrem bisherigen Dienstleben noch nicht viele solche Geschichten gehört und auch nicht sehr viele Deutsche, die sich nicht einmal selbst ernst nehmen. Auf jedem Fall war die Stimmung gut und sie wussten schon, dass sie in einer Stunde unsere Papiere nicht noch einmal kontrollieren mussten.
Start auf dem Rad in Montespluga bei ca. 3°C, Vollmond und klarem Himmel um 01:57 Uhr. Letzte Nacht hatte es in den Höhen leicht geschneit, aber hier waren die Straßen frei und trocken, so dass wir angstfrei fahren können, soweit es die Beleuchtung hergibt. Die Dieselfraktion räumt noch den Starplatz auf und kommt etwas später nach. Wegen der kühlen Temperaturen haben wir vereinbart, uns schon an der Passhöhe kurz zu treffen, um noch etwas winddichte Kleidung anzulegen. Dann geht es in die Abfahrt, was mit der geringen Beleuchtung nur vorsichtig und langsam geht. Die Jungs kommen bald nach und bleiben mit dem Auto auf etwas Abstand hinter uns und beleuchten mit Fernlicht die Straße, so dass es wesentlich besser geht. In Splügen fahren sie auf die Schnellstraße und fahren zunächst in die Nähe von Chur um dort etwas zu pennen und unsere Klamotten aus den langen Abfahrten aufzunehmen. Carsten und ich fädeln uns vorsichtig durch die Nacht zur Via Mala-Schlucht und finden dort sogar die ganz alte Straße, bzw. eigentlich nur die kläglichen Reste derselben, die uns nach Thusis bringt. Leider ist dieser Weg wohl schon lange aufgelassen und zumindest in der Nacht sehr schlecht und auch gefährlich zu befahren. Total übersät mit Steinbrocken, viele Fahrbahnbrüche und Verwerfungen, furchtbare Schlaglöcher, Äste und kaum noch erhaltene Randbefestigungen. Da hätten wir einfacher die Tunnelvariante nehmen können.
In Domat / Ems treffen wir kurz unser Dieselteam und dann geht es für uns weiter durch die Nacht nach Maienfeld, wo die Jungs bei beginnender Dämmerung am Anstieg zum Luzisteig warten. Nach einer kleinen Riegel- und Klamottenpause fahren wir weiter ins Fürstentum Liechtenstein, unserem dritten Staat des Tages. Endlich beginnt die Sonne hinter den Bergen aufzugehen und der Blick hinüber zum Toggenburger Land zeigt uns vergoldete Bergspitzen. Bei Triesen / FL schwenkt unsere Route auf den rechten Rheindamm, dem wir etwas gelangweilt und deshalb ungünstigerweise auch zu flott bis nach Österreich als Staat 4 des Tages und weiter bis zum Grenzübergang Meiningen / Oberriet folgen. Unsere restlichen, bisher nicht schon wegen Batterieschwäche verloschenen Lichter haben wir inzwischen ausgeschaltet und hoffen, dass wir sie heute nicht noch einmal mit frischen Akkus versorgen müssen, denn ein Teil der Akkus liegt irgendwo zuhause im Radkeller. Nach einer ordentlichen Frühstückspause bei Oberriet auf einem netten Rastplatz an einem kleinen See, denn die Jungs hatten in der Zwischenzeit in Feldkirch frisches Gebäck besorgt, können wir unseren größten Anstieg des Tages in Angriff nehmen. Die Fahrt nach Eggerstanden ist einerseits eine schöne Abwechslung nach der langweiligen Passage auf dem Rheindamm, zeigt uns aber auf der anderen Seite auch, wie müde wir nach der fehlenden Nacht wirklich sind. Landschaftlich macht uns der einsame Aufstieg aber wirklich Freude und oben stehen die Jungs an einer Stelle mit perfektem Blick auf den Säntis und seine Umgebung. Wir wechseln endlich unsere nassgeschwitzten Trikots und fahren weiter durch das recht schöne Appenzeller Land. Leider finde ich meine Kamera nicht. Weder im Auto, noch im Rucksack, so dass es keine Fotos gibt. Ich vermute, dass sie irgendwo in Montespluga auf dem Startplatz liegt (ich habe sie am nächsten Tag dann doch noch im Rucksack gefunden...). Topografisch hat das Appenzell viel Ähnlichkeit mit dem Allgäu oder mit dem Emmental. Auch die Besiedlungsstruktur mit vielen Einzelhöfen in Streusiedlung erinnert daran. Vermutlich könnte man sich hier auch bei geringen Höhenunterschieden einigermaßen den Tank leer fahren.
Ab Herisau nimmt der Verkehr auf den Straßen leider immer mehr zu, und da man so eine Tour auch nicht einfach ausschließlich über kleine Nebenwege führen kann, da man dann viel zu viele Höhenmeter sammelt und auch schlechter vorwärts kommt, haben wir viele Hauptstraßen im Programm. So fahren wir zunächst weiter bis Elgg, irgendwo ein Stück vor Winterthur, und machen unsere Mittagspause beim Italiener. Es kommt wie es kommt und wir erleiden nach dem Essen beinahe ein gewisses Suppenkoma. Dass wir nach fast 200 km nicht mehr ganz frisch sind, ist aber auch normal. Wir schaffen es aber wieder aufs Rad und durchfahren Winterthur. So nervig die Stadt auch für uns ist, so haben wir hier immerhin eine relativ einfache Durchfahrtstrecke, wo der Verkehr noch zu ertragen ist. Am Ende der Stadt, ereilt uns dann eine Vollsperrung, wo wir über eine Hauptstraße umdisponieren müssen, aber auch das überstehen wir und finden anschließend ganz einfach wieder auf unseren Planungstrack. Auf einem kleinen Pass namens Eschenmosen machen wir noch einmal einen Trinkflaschenwechsel und weiter geht die Reise.
Bei Bülach sind wir sehr nah am Flughafen Zürich, aber selbst der Fluglärm kann uns heute schon nicht mehr nerven. Bei Baden treffen wir das Limmattal welches wir bei Umiken verlassen um über den früher sehr bedeutenden Bözbergpass zu fahren. Die bergauf doppelspurige Straße ist alles, nur nicht schön, aber kurz vor der Passhöhe haben wir plötzlich eine freie Aussicht zu den Alpen. Leider stehen über und vor den Bergen einige Wolken, dass wir nicht ganz einfach die Berge der Reihe nach identifizieren können, aber jedenfalls sind einige der Berner Eisriesen zu erkennen. Auf dem Pass angekommen sind wir schon einigermaßen fertig mit der Welt, aber es sind immer noch gut 50 km abzuarbeiten und die Uhr tickt unaufhaltsam weiter. So fahren wir nach einem kurzen Verschnaufen mit Getränkenachschub und Flaschentausch weiter Richtung Rheinfelden, wo wir zunächst die Grenze zu Staat 5 nach Deutschland überfahren und dann einen letzten Getränkenachschub aus dem Auto bekommen. Schade, dass wir jetzt keine Zeit mehr haben, um noch ein wenig die Stadt und den Rhein anzusehen, aber die drohende Finsternis, ausgerechnet in einer total fremden Großstadt mit anderen Verkehrsverhältnissen als zuhause sitzt uns im Nacken. So fahren wir auf deutscher Seite des Rheintals weiter und trudeln bald in den nördlichen Teil von Basel ein, wo wir fast unbemerkt wieder die Staatsgrenze überfahren haben. Dort geht es noch ein längeres Stück über Pflasterwege entgegen einer Einbahnstraße mitten über die Rheinpromenade weiter und wir müssen uns sehr konzentrieren, dass wir nicht am Ende des Geländes noch ein krummes Ding bauen und z.B. eine fremde Oma umnieten. Endlich kommen wir auch zur Dreirosenbrücke, wo wir als ortsfremde Landeier zunächst überlegen, welche Spur für uns richtig ist, dass wir am Ende der Brücke auch rechts abbiegen können, um am linken Rheinufer entlang nach Frankreich weiter zu fahren. Das gelingt so weit so gut und wir fahren auch auf der dortigen Promenade bis zu Grenze, die wir auch noch überschreiten können, aber kurz danach ist der Weg endgültig zu Ende, da er mit einem hohen Gittertor verschlossen ist, an dem steht, dass wegen Blablabla die Promenade nur an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen von bis Blablabla geöffnet sei. Hm, und jetzt? Die Jungs mit dem Diesel stehen wie bestellt in Friedlingen / Deutschland in der Nähe der Dreiländerbrücke und sind inzwischen zu Fuß in Frankreich einmarschiert. Wir stehen vor einem eisernen Vorhang und können nicht wirklich in die EU weiterfahren. Staat Nummer 6 und damit die Wiederholung des Guiness-Rekords und somit auch unser eigentliches Ziel ist erreicht. Hm, die Akkus unserer Lampen sind schlapp. Carsten ist dunkel und ich habe nur noch eine Frontlampe. Wir trauen uns auch nicht mehr angesichts der Dunkelheit, eine geänderte Route anders herum um den Novartis-Campus zu suchen, um die in Frankreich einmarschierten Landeier zu suchen. Zum Glück gibt es Mobiltelefone und so bekommen die Jungs einen Befehl zum geordneten Rückzug und eine Ortsbeschreibung, wo sie ihren alten Herrn und seinen Begleiter einzusammeln haben. Wir fahren unterdessen zurück zum Vorplatz von Novartis und machen unsere Klamotten fertig zum Abtransport und setzen uns noch ganz entspannt an ein Trafohäuschen oder was auch immer das für ein Dingsda ist und dösen vor uns hin. Die eilig dem hoffentlich verdienten Feierabend nachhetzenden Schlipsträger des Pharmariesen rümpfen im Vorbeigehen Ihre Nasen, wissen aber vermutlich nichts von dem, was wir heute erleben konnten und wie viel wir von der Welt sehen durften und wie zufrieden wir mit unserer heutigen Zielerreichung sein können. Unsere heutigen Zahlen sind top und die Krawatte ist sauber geblieben (habe ich überhaupt eine?).
Und auch heute wieder ist das Fazit des Tages, dass wir solch einen Quatsch nicht noch einmal machen werden und dass es in meinem Alter nicht mehr sinnvoll ist, es zu übertreiben und dass überhaupt schon immer und im allgemeinen und besonderen...
Mal sehen, wie lange die guten Vorsätze halten.
27.08.2018
Als ich im Juni 2016 meine Tour namens ,,Grenzkontrolle" http://www.quaeldich.de/touren/grenzkontrolle_a/ fuhr, kursierte ungefähr zur selben Zeit der Bericht eines Radlers durch die Medien, der innerhalb eines einzigen Tages 6 verschiedene Staaten im Rahmen einer Radtour befahren hatte und sich mit seinem Unternehmen dafür ins Guiness-Buch der Rekorde eintragen ließ. Sein Rekord bestand darin, die bis dato meisten Staaten innerhalb eines Tages erreicht zu haben. https://www.derwesten.de/staedte/essen/weltrekord-essener-radelt-durch-sechs-laender-in-20-stunden-id11905934.html
Es gab zu diesem Thema auch mal eine Diskussion hier bei Quaeldich. http://www.quaeldich.de/touren/grenzkontrolle_a/kommentare/
Da wir herausbekamen an welchem ,,Sprünglipass" der Rekordler gestartet war, konnten wir auch den Rest einer sinnvollen Route ermitteln und schon landete eine Rohplanung als Quaeldich.de-Tourenplaner-Datei auf meiner Festplatte. In irgend einer schwachen Stunde in irgend einem Winter wurde sogar noch eine einigermaßen hieb- und stichfeste Detailplanung erstellt und schon reifte der Gedanke an ein Nachäffen der Aktion mit meinen zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne die Damen und Herren der Guiness-Organisation durchzuziehen. Da der Rekord mit meinen Möglichkeiten ohnehin nicht zu brechen ist, wurde diesbezüglich keinerlei Forschung angestellt.
Das organisatorische Hauptproblem der Aktion war natürlich die Logistik. Man muss ja zum Startort hin kommen, zu einer sehr frühen Stunde starbereit sein, einigermaßen ausgeschlafen sollte man sein, dann muss man die Strecke rein leistungsseitig überstehen können, man muss tagsüber eine ordentliche Getränke- und Nahrungszufuhr zustande bringen, und am Zielort muss man entweder eine Bleibe haben oder noch besser, eine sofortige Rückreisemöglichkeit finden. Fazit: Das geht nur mit dem Auto innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens. Dann ergab es sich für diesen Sommer, dass unsere beiden Söhne uns für einige Tage im Sommerurlaub in Pfunds in Tirol besuchen würden und für eine solche irrsinnige Aktion großes Interesse aufbringen konnten. Außerdem hatte noch ein Freund und Radkollege Zeit und Interesse mitzumachen und so kam es, dass wir ein Team von zwei Autofahrern und zwei Radlern bilden konnten. Freund Carsten, der Bär (ein Bär sieht so aus und tut so, als könne er nicht viel, aber er kann schnell laufen, weit und schnell schwimmen, klettern und hat Bärenkräfte) sprach schon die ganze Saison davon, wie viel Rückstand er in diesem Jahr schon habe und wie wenige Höhenmeter er bisher gemacht habe und dass da vom Winter noch irgendwelche Vorräte unter dem Pelz angelegt seien, die nicht verbraucht wurden usw... Mein Sommer war auch nicht so gut verlaufen, nachdem ich im Juni zunächst nach einer Baustelle zuhause mit 2 Wochen Radpause, dann einen Radunfall mit einem Hund hatte und dann wegen der großen Hitze nicht in der Lage war, noch nach Feierabend etwas Vernünftiges auf dem Rad zustande zu bringen. Immerhin waren aber die ersten beiden Wochen meines Tirolurlaubs radtechnisch ordentlich.
So beginnen wir unser eigentlich aussichtsloses Unterfangen am Sonntag, 26.08.2018 mit einer Autoanreise von Tirol nach Montespluga, dem letzten Ort auf italienischer Seite des Splügenpasses, denn es sollte entgegen der oben erwähnten Rekordfahrt auch etwas Strecke in Italien befahren werden und nicht die Fahrt direkt am Grenzposten beginnen. Am schweizerischen Grenzposten, der etwas unterhalb der Passhöhe liegt, hatten sich die italienischen Zollbeamten mit den eidgenössischen Kollegen vereint und kontrollierten gründlich unsere Dokumente und erkundigten sich nach unserem Reiseziel. Die Leute haben natürlich an solch einem in der Nacht (ca. 01:30 Uhr) von der Menschheit im Allgemeinen längst vergessenen Fleckchen Erde einen wahrhaft langweiligen Job und sind froh, wenn einmal jemand kommt, um ihnen durch die Nacht zu helfen. So erklärten wir ihnen zunächst grob unser Vorhaben und dann uns selbst für etwas verrückt. Vermutlich hatten sie in ihrem bisherigen Dienstleben noch nicht viele solche Geschichten gehört und auch nicht sehr viele Deutsche, die sich nicht einmal selbst ernst nehmen. Auf jedem Fall war die Stimmung gut und sie wussten schon, dass sie in einer Stunde unsere Papiere nicht noch einmal kontrollieren mussten.
Start auf dem Rad in Montespluga bei ca. 3°C, Vollmond und klarem Himmel um 01:57 Uhr. Letzte Nacht hatte es in den Höhen leicht geschneit, aber hier waren die Straßen frei und trocken, so dass wir angstfrei fahren können, soweit es die Beleuchtung hergibt. Die Dieselfraktion räumt noch den Starplatz auf und kommt etwas später nach. Wegen der kühlen Temperaturen haben wir vereinbart, uns schon an der Passhöhe kurz zu treffen, um noch etwas winddichte Kleidung anzulegen. Dann geht es in die Abfahrt, was mit der geringen Beleuchtung nur vorsichtig und langsam geht. Die Jungs kommen bald nach und bleiben mit dem Auto auf etwas Abstand hinter uns und beleuchten mit Fernlicht die Straße, so dass es wesentlich besser geht. In Splügen fahren sie auf die Schnellstraße und fahren zunächst in die Nähe von Chur um dort etwas zu pennen und unsere Klamotten aus den langen Abfahrten aufzunehmen. Carsten und ich fädeln uns vorsichtig durch die Nacht zur Via Mala-Schlucht und finden dort sogar die ganz alte Straße, bzw. eigentlich nur die kläglichen Reste derselben, die uns nach Thusis bringt. Leider ist dieser Weg wohl schon lange aufgelassen und zumindest in der Nacht sehr schlecht und auch gefährlich zu befahren. Total übersät mit Steinbrocken, viele Fahrbahnbrüche und Verwerfungen, furchtbare Schlaglöcher, Äste und kaum noch erhaltene Randbefestigungen. Da hätten wir einfacher die Tunnelvariante nehmen können.
In Domat / Ems treffen wir kurz unser Dieselteam und dann geht es für uns weiter durch die Nacht nach Maienfeld, wo die Jungs bei beginnender Dämmerung am Anstieg zum Luzisteig warten. Nach einer kleinen Riegel- und Klamottenpause fahren wir weiter ins Fürstentum Liechtenstein, unserem dritten Staat des Tages. Endlich beginnt die Sonne hinter den Bergen aufzugehen und der Blick hinüber zum Toggenburger Land zeigt uns vergoldete Bergspitzen. Bei Triesen / FL schwenkt unsere Route auf den rechten Rheindamm, dem wir etwas gelangweilt und deshalb ungünstigerweise auch zu flott bis nach Österreich als Staat 4 des Tages und weiter bis zum Grenzübergang Meiningen / Oberriet folgen. Unsere restlichen, bisher nicht schon wegen Batterieschwäche verloschenen Lichter haben wir inzwischen ausgeschaltet und hoffen, dass wir sie heute nicht noch einmal mit frischen Akkus versorgen müssen, denn ein Teil der Akkus liegt irgendwo zuhause im Radkeller. Nach einer ordentlichen Frühstückspause bei Oberriet auf einem netten Rastplatz an einem kleinen See, denn die Jungs hatten in der Zwischenzeit in Feldkirch frisches Gebäck besorgt, können wir unseren größten Anstieg des Tages in Angriff nehmen. Die Fahrt nach Eggerstanden ist einerseits eine schöne Abwechslung nach der langweiligen Passage auf dem Rheindamm, zeigt uns aber auf der anderen Seite auch, wie müde wir nach der fehlenden Nacht wirklich sind. Landschaftlich macht uns der einsame Aufstieg aber wirklich Freude und oben stehen die Jungs an einer Stelle mit perfektem Blick auf den Säntis und seine Umgebung. Wir wechseln endlich unsere nassgeschwitzten Trikots und fahren weiter durch das recht schöne Appenzeller Land. Leider finde ich meine Kamera nicht. Weder im Auto, noch im Rucksack, so dass es keine Fotos gibt. Ich vermute, dass sie irgendwo in Montespluga auf dem Startplatz liegt (ich habe sie am nächsten Tag dann doch noch im Rucksack gefunden...). Topografisch hat das Appenzell viel Ähnlichkeit mit dem Allgäu oder mit dem Emmental. Auch die Besiedlungsstruktur mit vielen Einzelhöfen in Streusiedlung erinnert daran. Vermutlich könnte man sich hier auch bei geringen Höhenunterschieden einigermaßen den Tank leer fahren.
Ab Herisau nimmt der Verkehr auf den Straßen leider immer mehr zu, und da man so eine Tour auch nicht einfach ausschließlich über kleine Nebenwege führen kann, da man dann viel zu viele Höhenmeter sammelt und auch schlechter vorwärts kommt, haben wir viele Hauptstraßen im Programm. So fahren wir zunächst weiter bis Elgg, irgendwo ein Stück vor Winterthur, und machen unsere Mittagspause beim Italiener. Es kommt wie es kommt und wir erleiden nach dem Essen beinahe ein gewisses Suppenkoma. Dass wir nach fast 200 km nicht mehr ganz frisch sind, ist aber auch normal. Wir schaffen es aber wieder aufs Rad und durchfahren Winterthur. So nervig die Stadt auch für uns ist, so haben wir hier immerhin eine relativ einfache Durchfahrtstrecke, wo der Verkehr noch zu ertragen ist. Am Ende der Stadt, ereilt uns dann eine Vollsperrung, wo wir über eine Hauptstraße umdisponieren müssen, aber auch das überstehen wir und finden anschließend ganz einfach wieder auf unseren Planungstrack. Auf einem kleinen Pass namens Eschenmosen machen wir noch einmal einen Trinkflaschenwechsel und weiter geht die Reise.
Bei Bülach sind wir sehr nah am Flughafen Zürich, aber selbst der Fluglärm kann uns heute schon nicht mehr nerven. Bei Baden treffen wir das Limmattal welches wir bei Umiken verlassen um über den früher sehr bedeutenden Bözbergpass zu fahren. Die bergauf doppelspurige Straße ist alles, nur nicht schön, aber kurz vor der Passhöhe haben wir plötzlich eine freie Aussicht zu den Alpen. Leider stehen über und vor den Bergen einige Wolken, dass wir nicht ganz einfach die Berge der Reihe nach identifizieren können, aber jedenfalls sind einige der Berner Eisriesen zu erkennen. Auf dem Pass angekommen sind wir schon einigermaßen fertig mit der Welt, aber es sind immer noch gut 50 km abzuarbeiten und die Uhr tickt unaufhaltsam weiter. So fahren wir nach einem kurzen Verschnaufen mit Getränkenachschub und Flaschentausch weiter Richtung Rheinfelden, wo wir zunächst die Grenze zu Staat 5 nach Deutschland überfahren und dann einen letzten Getränkenachschub aus dem Auto bekommen. Schade, dass wir jetzt keine Zeit mehr haben, um noch ein wenig die Stadt und den Rhein anzusehen, aber die drohende Finsternis, ausgerechnet in einer total fremden Großstadt mit anderen Verkehrsverhältnissen als zuhause sitzt uns im Nacken. So fahren wir auf deutscher Seite des Rheintals weiter und trudeln bald in den nördlichen Teil von Basel ein, wo wir fast unbemerkt wieder die Staatsgrenze überfahren haben. Dort geht es noch ein längeres Stück über Pflasterwege entgegen einer Einbahnstraße mitten über die Rheinpromenade weiter und wir müssen uns sehr konzentrieren, dass wir nicht am Ende des Geländes noch ein krummes Ding bauen und z.B. eine fremde Oma umnieten. Endlich kommen wir auch zur Dreirosenbrücke, wo wir als ortsfremde Landeier zunächst überlegen, welche Spur für uns richtig ist, dass wir am Ende der Brücke auch rechts abbiegen können, um am linken Rheinufer entlang nach Frankreich weiter zu fahren. Das gelingt so weit so gut und wir fahren auch auf der dortigen Promenade bis zu Grenze, die wir auch noch überschreiten können, aber kurz danach ist der Weg endgültig zu Ende, da er mit einem hohen Gittertor verschlossen ist, an dem steht, dass wegen Blablabla die Promenade nur an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen von bis Blablabla geöffnet sei. Hm, und jetzt? Die Jungs mit dem Diesel stehen wie bestellt in Friedlingen / Deutschland in der Nähe der Dreiländerbrücke und sind inzwischen zu Fuß in Frankreich einmarschiert. Wir stehen vor einem eisernen Vorhang und können nicht wirklich in die EU weiterfahren. Staat Nummer 6 und damit die Wiederholung des Guiness-Rekords und somit auch unser eigentliches Ziel ist erreicht. Hm, die Akkus unserer Lampen sind schlapp. Carsten ist dunkel und ich habe nur noch eine Frontlampe. Wir trauen uns auch nicht mehr angesichts der Dunkelheit, eine geänderte Route anders herum um den Novartis-Campus zu suchen, um die in Frankreich einmarschierten Landeier zu suchen. Zum Glück gibt es Mobiltelefone und so bekommen die Jungs einen Befehl zum geordneten Rückzug und eine Ortsbeschreibung, wo sie ihren alten Herrn und seinen Begleiter einzusammeln haben. Wir fahren unterdessen zurück zum Vorplatz von Novartis und machen unsere Klamotten fertig zum Abtransport und setzen uns noch ganz entspannt an ein Trafohäuschen oder was auch immer das für ein Dingsda ist und dösen vor uns hin. Die eilig dem hoffentlich verdienten Feierabend nachhetzenden Schlipsträger des Pharmariesen rümpfen im Vorbeigehen Ihre Nasen, wissen aber vermutlich nichts von dem, was wir heute erleben konnten und wie viel wir von der Welt sehen durften und wie zufrieden wir mit unserer heutigen Zielerreichung sein können. Unsere heutigen Zahlen sind top und die Krawatte ist sauber geblieben (habe ich überhaupt eine?).
Und auch heute wieder ist das Fazit des Tages, dass wir solch einen Quatsch nicht noch einmal machen werden und dass es in meinem Alter nicht mehr sinnvoll ist, es zu übertreiben und dass überhaupt schon immer und im allgemeinen und besonderen...
Mal sehen, wie lange die guten Vorsätze halten.
4 gefahrene Pässe
Splügenpass, Luzisteig, Bözbergpass, EggerstandenStrecke
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren
am