Neuchâtel - Marseille 2021 1055,9 km / 17456 Hm
Jura, Savoyen, Chartreuse, Alpen, Dauphiné, Vercors, Diois, Provence, Westliche Provenzalische Alpen, Luberon, Chaînes Provençales, Montagnes de la Sainte-Baume, Côte d'Azur, Auvergne-Rhône-Alpes, Bourgogne-Franche-Comté, Neuchâtel, Provence-Alpes-Côte d'Azur
Redaktionell bestätigte Tour von majortom
Von majortom –
Zu den schöneren Pflichten als quäldich-Reiseorganisator gehört das Träumen und das Suchen nach neuen Ideen. Nach immer neuen Reisen, die immer neue Begeisterung erzeugen - beim Organisator, beim Team und vor allem bei den Teilnehmenden. Ein Prozess, der meist mit einem Geistesblitz beginnt, und dann übergeht in eine Phase, in der sowohl im Kopf die virtuellen als auch auf dem Boden des quäldich-Büro West die physischen Michelin-Karten ausgebreitet werden, sich die Puzzlestücke von Neugier und Sehnsucht, von Passion und Lebensart dann so langsam zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen.
Ganz besonders erfüllend ist der Entstehungprozess unserer Reisen für mich bei den Fernfahrten. Sie finde ich besonders faszinierend: Man setzt sich ein Ziel, das man von möglichst nahe des bekannten Territoriums aus erreichen möchte. Und macht dann den Weg zum eigentlichen Ziel, indem man sich einfach daran erfreut, was so alles auf dem Weg liegt. So haben uns die Grand Tours der vergangenen Jahre stets zu namhafen Zielen geführt: der höchsten Düne Europas nahe Arcachon an der französischen Atlantikküste, der ,,Ewigen Stadt" Rom, der Mittelmeer-Metropole Barcelona. Das schönste waren aber immer die Entdeckungen unterwegs: der Pas de Peyrol in der Auvergne mit unglaublichen Ausblicken über die Vulkanlandschaft, der Monte Nerone in den Marken, die einsamen Landstraßen in den Cevennen wie am Col de Finiels.
Mit jeder erfolgreich durchgeführten Fernfahrt liegt aber auch die Messlatte höher, und die Himmelrichtungen, in die wir noch nicht gefahren sind, werden immer weniger. Irgendwann wird sicher der Punkt kommen, an dem wir uns nur noch wiederholen können, oder nur noch Details ändern können. Aber noch sind wir sicher nicht an diesem Punkt angekommen. Und so haben wir für 2022 ein neues Ziel gefunden. Marseille.
Im Ernst? Marseille? Der Ruf der provenzalischen Hafenstadt ist sicherlich nicht der beste. Trostlose Hochhaussiedlungen in der Banlieue, hohe Kriminalitätsrate, Industriehafen... während Barcelona 2021 als hippe Weltstadt mit Jugendstil-Charme, herausgeputzten Strandpromenaden und pulsierender urbaner Szene gilt, erwartet uns in Marseille 2022 das aus den Fugen geratene Chaos zwischen algerischen Banden? Aber: ich mag Marseille, gerade wegen seines vielleicht etwas rauen Charmes, der eine mehr als zweitausend Jahre alte Stadt umgibt. Und deshalb machen wir es einfach - spätestens nach dem ersten Pastis im Vieux Port wird sowieso jeder seinen Frieden mit der Stadt machen!
Bleibt die Frage nach dem Weg dorthin. Wenn man an die französische Mittelmeerküste fährt, kommt einem als erstes Nizza oder Menton in den Sinn, nicht nur wegen der fein herausgeputzten Städte an der mondänen Côte d'Azur, sondern vor allem wegen der hohen Tour-de-France-Pässe entlang der Route des Grandes Alpes. Was wir ja mit Freiburg-Nizza schon seit Jahren sehr erfolgreich machen... Doch Marseille gibt uns die Gelegenheit, einige kaum bekannte, aber dennoch monumentale Pässe aneinander zu reihen, die ich teilweise schon seit Jahren mit einer quäldich-Reise besuchen wollte. Gekrönt vom Giganten der Provence, dem vielleicht monumentalsten Radsport-Pilgerziel überhaupt, dem Mont Ventoux.
Hier berichte ich von einem Trip im September 2021 zur Vorbereitung der Reise. Denn auch das gehört zur gewissenhaften Planung dazu: bestehende Lücken zu füllen, weiße Flecken auf der Landkarte auszumerzen, nach dem Textmarker-Strich auf der Michelin-Karte auch auf Rennradreifen den unsichtbaren Strich auf der Landstraße zu ziehen. Meine Route weicht dabei an mehreren Stellen von der geplanten Reiseroute ab, denn der Trip ist beides: Dienstreise und Horizonterweiterung (als wohlwollende Umschreibung für Egotrip). Wo ich die geplante Route schon kenne, möchte ich auch neues kennenlernen.
Und so stehe ich schließlich in Neuchâtel in der Schweiz, mit Minimalgepäck am Rennrad und sieben Etappen vor mir, bis ich in Marseille das Mittelmeer erreiche.
Ganz besonders erfüllend ist der Entstehungprozess unserer Reisen für mich bei den Fernfahrten. Sie finde ich besonders faszinierend: Man setzt sich ein Ziel, das man von möglichst nahe des bekannten Territoriums aus erreichen möchte. Und macht dann den Weg zum eigentlichen Ziel, indem man sich einfach daran erfreut, was so alles auf dem Weg liegt. So haben uns die Grand Tours der vergangenen Jahre stets zu namhafen Zielen geführt: der höchsten Düne Europas nahe Arcachon an der französischen Atlantikküste, der ,,Ewigen Stadt" Rom, der Mittelmeer-Metropole Barcelona. Das schönste waren aber immer die Entdeckungen unterwegs: der Pas de Peyrol in der Auvergne mit unglaublichen Ausblicken über die Vulkanlandschaft, der Monte Nerone in den Marken, die einsamen Landstraßen in den Cevennen wie am Col de Finiels.
Mit jeder erfolgreich durchgeführten Fernfahrt liegt aber auch die Messlatte höher, und die Himmelrichtungen, in die wir noch nicht gefahren sind, werden immer weniger. Irgendwann wird sicher der Punkt kommen, an dem wir uns nur noch wiederholen können, oder nur noch Details ändern können. Aber noch sind wir sicher nicht an diesem Punkt angekommen. Und so haben wir für 2022 ein neues Ziel gefunden. Marseille.
Im Ernst? Marseille? Der Ruf der provenzalischen Hafenstadt ist sicherlich nicht der beste. Trostlose Hochhaussiedlungen in der Banlieue, hohe Kriminalitätsrate, Industriehafen... während Barcelona 2021 als hippe Weltstadt mit Jugendstil-Charme, herausgeputzten Strandpromenaden und pulsierender urbaner Szene gilt, erwartet uns in Marseille 2022 das aus den Fugen geratene Chaos zwischen algerischen Banden? Aber: ich mag Marseille, gerade wegen seines vielleicht etwas rauen Charmes, der eine mehr als zweitausend Jahre alte Stadt umgibt. Und deshalb machen wir es einfach - spätestens nach dem ersten Pastis im Vieux Port wird sowieso jeder seinen Frieden mit der Stadt machen!
Bleibt die Frage nach dem Weg dorthin. Wenn man an die französische Mittelmeerküste fährt, kommt einem als erstes Nizza oder Menton in den Sinn, nicht nur wegen der fein herausgeputzten Städte an der mondänen Côte d'Azur, sondern vor allem wegen der hohen Tour-de-France-Pässe entlang der Route des Grandes Alpes. Was wir ja mit Freiburg-Nizza schon seit Jahren sehr erfolgreich machen... Doch Marseille gibt uns die Gelegenheit, einige kaum bekannte, aber dennoch monumentale Pässe aneinander zu reihen, die ich teilweise schon seit Jahren mit einer quäldich-Reise besuchen wollte. Gekrönt vom Giganten der Provence, dem vielleicht monumentalsten Radsport-Pilgerziel überhaupt, dem Mont Ventoux.
Hier berichte ich von einem Trip im September 2021 zur Vorbereitung der Reise. Denn auch das gehört zur gewissenhaften Planung dazu: bestehende Lücken zu füllen, weiße Flecken auf der Landkarte auszumerzen, nach dem Textmarker-Strich auf der Michelin-Karte auch auf Rennradreifen den unsichtbaren Strich auf der Landstraße zu ziehen. Meine Route weicht dabei an mehreren Stellen von der geplanten Reiseroute ab, denn der Trip ist beides: Dienstreise und Horizonterweiterung (als wohlwollende Umschreibung für Egotrip). Wo ich die geplante Route schon kenne, möchte ich auch neues kennenlernen.
Und so stehe ich schließlich in Neuchâtel in der Schweiz, mit Minimalgepäck am Rennrad und sieben Etappen vor mir, bis ich in Marseille das Mittelmeer erreiche.
33 gefahrene Pässe
Mont Ventoux, Col de la Liguière, Col de Pointu, Cap Canaille, Col de Carri, Col de la Faucille, Col de Porte, Col du Mont Noir, Col du Cucheron, Col de la Chambotte, ...Gesamtstrecke
Einzelstrecken
Von majortom –
Samstag Morgen, Neuchâtel, Schweiz. Ich stehe vor dem Hotel in der Nähe des Seeufers, die Sonne scheint, bestes Spätsommerwetter Ende September. Gestern auf der Anreise hatte ich zufällig die Wettervorhersage im Radio gehört, und es wurde der "vielleicht letzte sommerliche Tag 2021" angekündigt. Ich hoffe, dass das auch für den Jura gilt, in den es mich heute hinauf zieht. Die deutlich trüberen Wetteraussichten für die kommenden Tage blende ich heute einfach noch komplett aus.
Am nordwestlichen Ufer des Lac de Neuchâtel fällt die erste Jurakette etwa 1000 Meter tief zum See hin ab, wie zum Beispiel am nahen Col du Chasseral, dem wohl bekanntesten Pass im Schweizer Jura. Bei Freiburg-Marseille führt die zweite Etappe von Belfort nach Neuchâtel über den Chasseral, da ich die ersten beiden geplanten Etappen jedoch schon hinreichend gut kenne, steige ich heute mit der dritten geplanten Etappe in meine Scouting-Woche ein. In meiner Fahrtrichtung sehe ich in der Jurakette einen deutlichen Einschnitt. Dies ist das Durchbruchtal der Areuse, das heute auch mein Einstieg in den Jura sein soll.
Die ersten Kilometer entlang des Sees sind nicht so flach, wie ich es aus der Karte herausgelesen habe. Es ist hügelig, aber ich trage es mit Fassung. Ich muss wegen einer Baustelle mein Rad über einen grobschottrigen Feldweg schieben, aber ich trage es mit Fassung. Der Einschnitt der Areuse-Schlucht kommt immer näher, und schließlich fahre ich in der Schlucht auf einem verkehrsfreien Forstweg. Diese bislang noch unbekannte Route war einer der Gründe für eine Vorort-Recherche, und so freut es mich sehr, dass die Schlucht sich als wildromantische Passage zwischen Felswänden hindurch entlang des plätschernden Flusses herausstellt. Mein Plan geht also auf, und so nehme ich auch die steile Rampe ausgangs der Schlucht durch den Wald mit Motivation in Angriff.
Der Gorges de l'Areuse führt mich in das Hochtal Val de Travers, und das Landschaftsbild ändert sich schlagartig. Der hier breite Talgrund ist sanft und idyllisch, und ich entscheide mich dafür, den Radweg durch Weiden und Felder statt der Hauptstraße zu nehmen. Mein Telefon klingelt, und Jan meldet sich aus der Provence vom Provenzalischen Rennradherbst, der gerade stattfindet. Wir nutzen die Gelegenheit, uns für Donnerstag, wenn ich auch am Mont Ventoux bin, locker zu verabreden. Dann cruise ich in der Spätsommersonne durchs Val de Travers. Schön.
Die nächste Geländestufe, die es zu überwinden gilt, steht am Ende des Tales an, wo die Karstquelle der Areuse in einem Talkessel liegt. Etwa 200 Höhenmeter sind es hinauf in das höher gelegene Tal bei Haut de la Tour, auf der verkehrsfreien Nebenstraße, wieder auf einer schweißtreibenden Steilrampe, in der ich mein Gepäck am Rad deutlich spüre. Aber nicht zuletzt dank der zurückliegenenden Montenegro-Woche ist meine Form vergleichsweise gut und ich quetsche tapfer hinauf. Bei Haut de la Tour überquere ich gleichzeitig auch die Europäische Wasserscheide zwischen Rhein und Rhône, wobei es in diesem verkarsteten Tal kein oberflächliches Fließgewässer gibt, und das entsprechende Schild kündigt die Wasserscheide auch erst vor Les Verrières an, wo der Doubs-Zufluss Morte entspringt.
Die Linie der Wasserscheide ist also nicht genau auszumachen, wohl aber die Linie der Schweizerisch-Französischen Grenze, die ich kurz darauf überquere. Kontrolliert wird trotz Corona-Pandemie nicht, was mich in der Jura-Einöde aber auch nicht weiter verwundert. Ich rolle nun hinab ins Hochtal des Doubs, vorbei an den Seen. Die Freiburg-Marseille-Strecke wäre nun über Petite Echelle zurück in die Schweiz gegangen, ich möchte jedoch eine alternative Route testen und folge dem Doubs-Tal bis zur Höhe dessen Quelle in Mouthe, wo ich Mittagspause mache, dann geht es links hinauf Richtung Les Mortes, nun durch einsame, karge Juralandschaft, wie ich es mag. Die Jurafalte zum Vallée de Joux überquere ich auf einer schönen Forststraße vorbei am Chalet des Ministres, was nochmal einen Anstieg von etwa 175 Höhenmetern bedeutet.
Inzwischen hat sich die Sonne verabschiedet; es ist bewölkt. Das Vallée du Joux wirkt nun auf einmal herbstlich, was aber auch seinen Reiz hat. Ich halte nun auf die Französisch-Schweizerische Grenze zu, streife diese jedoch zunächst nur und bleibe bis zum Col de la Faucille noch nordwestlich der ersten Jurakette. Auf den letzten, sanft ansteigenden Metern zum Pass bekomme ich Gesellschaft von einem Rennradfahrer aus Belgien. Als wir gemeinsam am Faucille ankommen, schwärmt er mir von der großartigen Aussicht vor, die man hier in die Savoyer Alpen jenseits des Genfersees haben könnte - heute stehen wir im dichten Nebel. Ich pflichte ihm bei, habe ich am Col de la Faucille vor ein paar Jahren im Spätherbst bei Inversionswetterlage doch schonmal einen herrlichen Blick zum Montblanc genossen, der in der direkten Verlängerung der Schneise an der Passhöhe liegt und so zum Greifen nahe erscheint, obwohl er Luftlinie ca. 60 km weit entfernt ist. Heute also nur Nebelsuppe. Was solls.
Von der Jurahochfläche ist der Höhenunterschied zum Col de la Faucille nicht groß, zum Genfer Plateau hinab sind es jedoch etwa 900 m Höhenunterschied. Was mir nun auf der breit ausgebauten Passstraße eine rauschende Abfahrt beschert. Ich verabschiede mich also von dem Belgier, der sich noch für die Abfahrt umzieht und fahre hinunter nach Gex. Und von hier aus muss ich nur noch ausrollen bis in mein Quartier, das auf der französischen Seite des Genfer Flughafens liegt. Hinter mir liegt eine schöne Juraetappe mit 162 km und 2100 Hm - und ein erfolgreicher Scouting-Auftakt.
Am nordwestlichen Ufer des Lac de Neuchâtel fällt die erste Jurakette etwa 1000 Meter tief zum See hin ab, wie zum Beispiel am nahen Col du Chasseral, dem wohl bekanntesten Pass im Schweizer Jura. Bei Freiburg-Marseille führt die zweite Etappe von Belfort nach Neuchâtel über den Chasseral, da ich die ersten beiden geplanten Etappen jedoch schon hinreichend gut kenne, steige ich heute mit der dritten geplanten Etappe in meine Scouting-Woche ein. In meiner Fahrtrichtung sehe ich in der Jurakette einen deutlichen Einschnitt. Dies ist das Durchbruchtal der Areuse, das heute auch mein Einstieg in den Jura sein soll.
Die ersten Kilometer entlang des Sees sind nicht so flach, wie ich es aus der Karte herausgelesen habe. Es ist hügelig, aber ich trage es mit Fassung. Ich muss wegen einer Baustelle mein Rad über einen grobschottrigen Feldweg schieben, aber ich trage es mit Fassung. Der Einschnitt der Areuse-Schlucht kommt immer näher, und schließlich fahre ich in der Schlucht auf einem verkehrsfreien Forstweg. Diese bislang noch unbekannte Route war einer der Gründe für eine Vorort-Recherche, und so freut es mich sehr, dass die Schlucht sich als wildromantische Passage zwischen Felswänden hindurch entlang des plätschernden Flusses herausstellt. Mein Plan geht also auf, und so nehme ich auch die steile Rampe ausgangs der Schlucht durch den Wald mit Motivation in Angriff.
Der Gorges de l'Areuse führt mich in das Hochtal Val de Travers, und das Landschaftsbild ändert sich schlagartig. Der hier breite Talgrund ist sanft und idyllisch, und ich entscheide mich dafür, den Radweg durch Weiden und Felder statt der Hauptstraße zu nehmen. Mein Telefon klingelt, und Jan meldet sich aus der Provence vom Provenzalischen Rennradherbst, der gerade stattfindet. Wir nutzen die Gelegenheit, uns für Donnerstag, wenn ich auch am Mont Ventoux bin, locker zu verabreden. Dann cruise ich in der Spätsommersonne durchs Val de Travers. Schön.
Die nächste Geländestufe, die es zu überwinden gilt, steht am Ende des Tales an, wo die Karstquelle der Areuse in einem Talkessel liegt. Etwa 200 Höhenmeter sind es hinauf in das höher gelegene Tal bei Haut de la Tour, auf der verkehrsfreien Nebenstraße, wieder auf einer schweißtreibenden Steilrampe, in der ich mein Gepäck am Rad deutlich spüre. Aber nicht zuletzt dank der zurückliegenenden Montenegro-Woche ist meine Form vergleichsweise gut und ich quetsche tapfer hinauf. Bei Haut de la Tour überquere ich gleichzeitig auch die Europäische Wasserscheide zwischen Rhein und Rhône, wobei es in diesem verkarsteten Tal kein oberflächliches Fließgewässer gibt, und das entsprechende Schild kündigt die Wasserscheide auch erst vor Les Verrières an, wo der Doubs-Zufluss Morte entspringt.
Die Linie der Wasserscheide ist also nicht genau auszumachen, wohl aber die Linie der Schweizerisch-Französischen Grenze, die ich kurz darauf überquere. Kontrolliert wird trotz Corona-Pandemie nicht, was mich in der Jura-Einöde aber auch nicht weiter verwundert. Ich rolle nun hinab ins Hochtal des Doubs, vorbei an den Seen. Die Freiburg-Marseille-Strecke wäre nun über Petite Echelle zurück in die Schweiz gegangen, ich möchte jedoch eine alternative Route testen und folge dem Doubs-Tal bis zur Höhe dessen Quelle in Mouthe, wo ich Mittagspause mache, dann geht es links hinauf Richtung Les Mortes, nun durch einsame, karge Juralandschaft, wie ich es mag. Die Jurafalte zum Vallée de Joux überquere ich auf einer schönen Forststraße vorbei am Chalet des Ministres, was nochmal einen Anstieg von etwa 175 Höhenmetern bedeutet.
Inzwischen hat sich die Sonne verabschiedet; es ist bewölkt. Das Vallée du Joux wirkt nun auf einmal herbstlich, was aber auch seinen Reiz hat. Ich halte nun auf die Französisch-Schweizerische Grenze zu, streife diese jedoch zunächst nur und bleibe bis zum Col de la Faucille noch nordwestlich der ersten Jurakette. Auf den letzten, sanft ansteigenden Metern zum Pass bekomme ich Gesellschaft von einem Rennradfahrer aus Belgien. Als wir gemeinsam am Faucille ankommen, schwärmt er mir von der großartigen Aussicht vor, die man hier in die Savoyer Alpen jenseits des Genfersees haben könnte - heute stehen wir im dichten Nebel. Ich pflichte ihm bei, habe ich am Col de la Faucille vor ein paar Jahren im Spätherbst bei Inversionswetterlage doch schonmal einen herrlichen Blick zum Montblanc genossen, der in der direkten Verlängerung der Schneise an der Passhöhe liegt und so zum Greifen nahe erscheint, obwohl er Luftlinie ca. 60 km weit entfernt ist. Heute also nur Nebelsuppe. Was solls.
Von der Jurahochfläche ist der Höhenunterschied zum Col de la Faucille nicht groß, zum Genfer Plateau hinab sind es jedoch etwa 900 m Höhenunterschied. Was mir nun auf der breit ausgebauten Passstraße eine rauschende Abfahrt beschert. Ich verabschiede mich also von dem Belgier, der sich noch für die Abfahrt umzieht und fahre hinunter nach Gex. Und von hier aus muss ich nur noch ausrollen bis in mein Quartier, das auf der französischen Seite des Genfer Flughafens liegt. Hinter mir liegt eine schöne Juraetappe mit 162 km und 2100 Hm - und ein erfolgreicher Scouting-Auftakt.
Ich bin diese Etappe gefahren
am
Von majortom –
Nachdem ich gestern den ganzen Tag über fast schon euphorisch war, und die 160 Kilometer überraschend problemlos bewältigen konnte (und nachdem ich gestern noch einen schönen Abend mit Freunden in Genf verbringen konnte), kommt heute Morgen natürlich die Ernüchterung. Gestern Abend noch saß ich, den Spätsommerabend genießend, auf der Terrasse einer Genfer Pizzeria, doch in der Nacht hat uns das Zwischentief eingeholt, und als ich aufwache, höre ich den Regen an das Hotelzimmerfester prasseln. Der Blick aus dem Fenster zeigt: der Jurakamm hängt komplett in den Wolken, alles ist nass. Das war zwar zu erwarten, aber als unverbesserlicher Optimist hatte ich gehofft, wenigstens noch im Trockenen starten zu können und erst im Lauf des Tages vom Regen eingeholt zu werden.
Während des Frühstücks läuft das Regenradar in Dauerschleife. Als ich dann mit Rad vor dem Hotel stehe, wird gerade wieder richtiger Regen aus dem Niesel. Doch warten auf bessere Zeiten bringt wohl nichts - die besseren Zeiten kommen erst übermorgen. Also den Reißverschluss der Regenjacke zu und los gehts. Ich fahre am Rand des Jura entlang nach Süden, für ein paar Kilometer in die Schweiz, dann wieder zurück nach Frankreich. Ich treffe auf den Rhonetal-Durchbruch, folge dem Tal bis Bellegarde. Nachdem es kurzzeitig nach Wetterbesserung aussah, regnet es sich nun wieder immer mehr ein. Gewissensprüfung für mich: Ich könnte einfach entlang der Rhône fahren, ohne nennenswerte Höhenmeter ins Ziel nach Aix. Die Strecke der heutigen Etappe kenne ich gut, und es wäre für die Reise-Organisation zu verschmerzen, sie nicht komplett abzufahren. Ich habe jedoch meinen ersten Egotrip geplant: den mir noch unbekannten Col de Colliard. Und wann würde ich dort wohl mal wieder hinkommen, wenn ich ihn auslasse?
Der Regen hängt tief im Jura. Wie kalt ist es wohl auf der Hochebene des Haut-Bugey, gut 800 Meter höher? Ich widerstehe dennoch der Abkürzungsmöglichkeit und fahre im strömenden Regen über das Semine-Tal in den Jura hinein. Etwa 20 km später erreiche ich Les Neyrolles, und nun gibt es kein zurück mehr. Der direkte Weg ins Ziel führt nun in den Col de Colliard. Das Schicksal meint es erneut nicht gut mit mir - Route barrée, verkündet ein Schild gleich zu Beginn der Passstraße. Was jetzt - die parallele Auffahrt hinauf über den Col de Bérentin? Aber das wäre ein Umweg, also zwänge ich mich an der Barriere vorbei und hoffe auf das beste.
Eine gesperrte Passstraße wird natürlich auch nicht gereinigt, auf der Straße liegen also Dreck und Blätter. Dass es hier nun völlig verkehrsfrei ist, kann nicht unbedingt als Vorteil gewertet werden, denn die schmale Straße, die sich in einigen Kehren durch den Wald den Hang hinauf schlängelt, sieht mir nicht gerade nach einem sonst viel befahrenen Highway aus. Ich genieße jedoch die Stille, verdränge die Kälte, pedaliere stoisch bergauf. Ob der Regen tatsächlich nachlässt und es nur noch von den Bäumen tropft, oder ob das eine Illusion des Wunschdenkens ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls kommt erst ganz zum Ende der Auffahrt ein Baustellenabschnitt. Es hat wohl einen Hangrutsch gegeben, aber das meiste ist schon aufgeräumt, und ich kann problemlos dran vorbei fahren. Und so erreiche ich schließlich den fast 1000 m hohen Col de Colliard.
Dieser setzt sich nahtlos fort in die Auffahrt zum Col de Belleroche, und auf dem Weg dorthin durchbreche ich die 1000-Meter-Schallmauer. Zum Glück läuft mein Stoffwechsel von der Auffahrt noch auf Hochtouren, und es braucht eine Weile, bis mir in der langgezogenen Abfahrt kalt wird. Der Regen macht inzwischen tatsächlich eine Pause. Die einzigen Zeugen meiner Fahrt sind die Kühe auf den Weiden, die auch ein wenig wie begossene Pudel dastehen. Mein Blick wandert nun nach links in Richtung des Hauptkamm des Haut-Bugey, der hohen ersten Jurakette, hinter der es hinab ins Rhonetal geht. Eigentlich wollte ich noch über den Grand Colombier fahren. Dann müsste ich jedoch auf 1500 m Höhe hinauf, was angesichts der Kälte nicht so recht Sinn ergeben mag. Diesmal gebe ich der Versuchung nach. Ich fahre weiter ab ins Tal nach Artemare und lasse den Grand Colombier aus.
Es ist inzwischen schon Nachmittag, und in der Einöde des Jura habe ich keine Gelegenheit für eine Mittagspause gefunden. Und leider scheint auch hier im Tal alles zu zu haben. Soll ich einfach durchfahren bis Aix und erst dort etwas essen? Schaffe ich es so noch über den Col de la Chambotte, wie ich eigentlich wollte? Schließlich passiere ich in Chindrieux eine Pizzeria, die offen zu haben scheint. Ich muss wohl etwas mitleiderregend aussehen, denn der Patron verweist zwar auf die Schließungszeit des Restaurants, deckt mir jedoch einen Tisch in einer windgeschützten Ecke der Terrasse und verlängert seine Schicht, um mir eine Pizza zu machen. Tatsächlich erkenne ich nun sogar einige Fetzen blauen Himmels und kann mich über ein paar Sonnenstrahlen freuen, während ich mich über die Pizza her mache.
Das Auslassen des Chambotte ist nun keine Option mehr, möchte ich doch auch den noch unbekannten Weg vom Pass hinein nach Aix-les-Bains tracken. Es ist lange her, dass ich hier war, die Aussicht auf den immer tiefer unter mir liegenden Lac de Bourget ist jedoch immer noch so schön wie in meiner Erinnerung. An der Passhöhe hänge ich dann sogar noch die Stichstraße zum Belvédère an, einem Aussichtspunkt hoch über dem See. Der Wind peitscht hellgraue Wolken über den Himmel, aber inzwischen sieht man sogar die Gipfel der Montagne de l'Epine auf der anderen Seeseite.
Die Abfahrt führt mich dann über Nebenstraßen problemlos nach Aix rein - gute Vorbereitung sei Dank. Und am Abend gibt es Tartiflette in einem Savoyardischen Restaurant. Alles in allem war die Etappe trotz des Regens kein Problem, ab dem Nachmittag sogar trocken bis schön. Mal sehen, ob die Etappe morgen dann zum Regenjackendauertest wird...
Während des Frühstücks läuft das Regenradar in Dauerschleife. Als ich dann mit Rad vor dem Hotel stehe, wird gerade wieder richtiger Regen aus dem Niesel. Doch warten auf bessere Zeiten bringt wohl nichts - die besseren Zeiten kommen erst übermorgen. Also den Reißverschluss der Regenjacke zu und los gehts. Ich fahre am Rand des Jura entlang nach Süden, für ein paar Kilometer in die Schweiz, dann wieder zurück nach Frankreich. Ich treffe auf den Rhonetal-Durchbruch, folge dem Tal bis Bellegarde. Nachdem es kurzzeitig nach Wetterbesserung aussah, regnet es sich nun wieder immer mehr ein. Gewissensprüfung für mich: Ich könnte einfach entlang der Rhône fahren, ohne nennenswerte Höhenmeter ins Ziel nach Aix. Die Strecke der heutigen Etappe kenne ich gut, und es wäre für die Reise-Organisation zu verschmerzen, sie nicht komplett abzufahren. Ich habe jedoch meinen ersten Egotrip geplant: den mir noch unbekannten Col de Colliard. Und wann würde ich dort wohl mal wieder hinkommen, wenn ich ihn auslasse?
Der Regen hängt tief im Jura. Wie kalt ist es wohl auf der Hochebene des Haut-Bugey, gut 800 Meter höher? Ich widerstehe dennoch der Abkürzungsmöglichkeit und fahre im strömenden Regen über das Semine-Tal in den Jura hinein. Etwa 20 km später erreiche ich Les Neyrolles, und nun gibt es kein zurück mehr. Der direkte Weg ins Ziel führt nun in den Col de Colliard. Das Schicksal meint es erneut nicht gut mit mir - Route barrée, verkündet ein Schild gleich zu Beginn der Passstraße. Was jetzt - die parallele Auffahrt hinauf über den Col de Bérentin? Aber das wäre ein Umweg, also zwänge ich mich an der Barriere vorbei und hoffe auf das beste.
Eine gesperrte Passstraße wird natürlich auch nicht gereinigt, auf der Straße liegen also Dreck und Blätter. Dass es hier nun völlig verkehrsfrei ist, kann nicht unbedingt als Vorteil gewertet werden, denn die schmale Straße, die sich in einigen Kehren durch den Wald den Hang hinauf schlängelt, sieht mir nicht gerade nach einem sonst viel befahrenen Highway aus. Ich genieße jedoch die Stille, verdränge die Kälte, pedaliere stoisch bergauf. Ob der Regen tatsächlich nachlässt und es nur noch von den Bäumen tropft, oder ob das eine Illusion des Wunschdenkens ist, vermag ich nicht zu entscheiden. Jedenfalls kommt erst ganz zum Ende der Auffahrt ein Baustellenabschnitt. Es hat wohl einen Hangrutsch gegeben, aber das meiste ist schon aufgeräumt, und ich kann problemlos dran vorbei fahren. Und so erreiche ich schließlich den fast 1000 m hohen Col de Colliard.
Dieser setzt sich nahtlos fort in die Auffahrt zum Col de Belleroche, und auf dem Weg dorthin durchbreche ich die 1000-Meter-Schallmauer. Zum Glück läuft mein Stoffwechsel von der Auffahrt noch auf Hochtouren, und es braucht eine Weile, bis mir in der langgezogenen Abfahrt kalt wird. Der Regen macht inzwischen tatsächlich eine Pause. Die einzigen Zeugen meiner Fahrt sind die Kühe auf den Weiden, die auch ein wenig wie begossene Pudel dastehen. Mein Blick wandert nun nach links in Richtung des Hauptkamm des Haut-Bugey, der hohen ersten Jurakette, hinter der es hinab ins Rhonetal geht. Eigentlich wollte ich noch über den Grand Colombier fahren. Dann müsste ich jedoch auf 1500 m Höhe hinauf, was angesichts der Kälte nicht so recht Sinn ergeben mag. Diesmal gebe ich der Versuchung nach. Ich fahre weiter ab ins Tal nach Artemare und lasse den Grand Colombier aus.
Es ist inzwischen schon Nachmittag, und in der Einöde des Jura habe ich keine Gelegenheit für eine Mittagspause gefunden. Und leider scheint auch hier im Tal alles zu zu haben. Soll ich einfach durchfahren bis Aix und erst dort etwas essen? Schaffe ich es so noch über den Col de la Chambotte, wie ich eigentlich wollte? Schließlich passiere ich in Chindrieux eine Pizzeria, die offen zu haben scheint. Ich muss wohl etwas mitleiderregend aussehen, denn der Patron verweist zwar auf die Schließungszeit des Restaurants, deckt mir jedoch einen Tisch in einer windgeschützten Ecke der Terrasse und verlängert seine Schicht, um mir eine Pizza zu machen. Tatsächlich erkenne ich nun sogar einige Fetzen blauen Himmels und kann mich über ein paar Sonnenstrahlen freuen, während ich mich über die Pizza her mache.
Das Auslassen des Chambotte ist nun keine Option mehr, möchte ich doch auch den noch unbekannten Weg vom Pass hinein nach Aix-les-Bains tracken. Es ist lange her, dass ich hier war, die Aussicht auf den immer tiefer unter mir liegenden Lac de Bourget ist jedoch immer noch so schön wie in meiner Erinnerung. An der Passhöhe hänge ich dann sogar noch die Stichstraße zum Belvédère an, einem Aussichtspunkt hoch über dem See. Der Wind peitscht hellgraue Wolken über den Himmel, aber inzwischen sieht man sogar die Gipfel der Montagne de l'Epine auf der anderen Seeseite.
Die Abfahrt führt mich dann über Nebenstraßen problemlos nach Aix rein - gute Vorbereitung sei Dank. Und am Abend gibt es Tartiflette in einem Savoyardischen Restaurant. Alles in allem war die Etappe trotz des Regens kein Problem, ab dem Nachmittag sogar trocken bis schön. Mal sehen, ob die Etappe morgen dann zum Regenjackendauertest wird...
Ich bin diese Etappe gefahren
am
Von majortom –
Als ich am Morgen des dritten Tages vor dem Hotel stehe, sind die Straßen trocken. Es regnet nicht, und über dem Mont Revard im Osten scheint sogar die Sonne. Doch der Blick nach Westen schafft Ernüchterung. Über der Montagne de l'Epine mit dem Mont du Chat hängen die Wolken, vermutlich ist genau dieser Höhenzug, in den ich hinauf möchte, im Moment die Wetterscheide, wo die von Westen heran ziehenden Regenwolken festhängen. Als ich nur kurze Zeit später auf dem Radweg entlang des Lac de Bourget fahre, sehe ich einen schönen Regenbogen über dem See. Und spüre kurz darauf, an der Südspite des Sees, die ersten Regentropfen. Unweigerlich wandert mein Blick nach Südosten in das Tal zwischen dem Massif des Bauges und der Chartreuse. Dort sieht es noch gut aus. Ich könnte einfach an Chambéry vorbei ins Isèretal fahren und wäre nach 75 flachen Kilometern in Grenoble. Doch ich ergebe mich meinem Schicksal.
Ich ergebe mich nicht komplett. Der Mont du Chat liegt auf etwa 1500 m Höhe. Der parallel verlaufende Col de l'Epine knapp 500 m tiefer. Also schließe ich einen Kompromiss und wähle lieber diesen Übergang. Auch wenn der Mont du Chat zu den Mittelgebirgsmonumenten zählt und auch auf meiner persönlichen todo-Liste steht. Aufgeschoben bis im kommenden Jahr, dann als Teil des Freiburg-Marseille-Pelotons. 500 m höher bedeutet nochmal 5 Grad kälter, und eine längere Abfahrt im savoyardischen Dauerregen.
Apropos savoyardischer Dauerregen: dieser setzt ein, noch bevor ich auf dem Radweg La Motte-Servolex erreicht habe, den Ausgangspunkt des Col de l'Epine. Zunächst klettere ich durch die Weidelandschaft, dann durch den dichten Wald. Das Massif des Bauges jenseits des Tales ist nun im Dunst nicht mehr zu sehen, nun hängen die Regenwolken dort fest. An der Passhöhe kramt ein etwas ratlos aussehender Tourenfahrer gerade wohl alle wärmenden Klamotten aus seinen Packtaschen. Ich fahre mit einem kurzen Gruß vorbei, denn ich habe sowieso schon alles am Körper. Mit mehr Glück als Verstand erwische ich in der Abfahrt tatsächlich ein regenfreies Zeitfenster.
Dann passiere ich den Lac d'Aiguebelette, bringe den sanften Anstieg in die Hügellandschaft hinter mich. Fun fact: ich befinde mich hier in der allersüdlichsten Spitze des Jura, wo er sich, vom Col de Couz getrennt, an das Voralpenmassiv der Chartreuse schmiegt. In Entre-deux-Guiers parke ich gerade mein Rad vor einem kleinen Restaurant, als wieder Regentropfen fallen.
Ich esse gut und reichlich, doch wirklich aufwärmen kann ich mich dort nicht. Das Regenradar zerstört auch meine Hoffnung darauf, den Schauer während des Mittagessens aussitzen zu können - ich müsste wohl bis zum Abend dort sitzen, um trocken wieder aufbrechen zu können. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als hinauf in die Chartreuse zu fahren. Statt des für Freiburg-Marseille geplanten Gorges du Guiers Mort, den ich schon kenne, bleibe ich jedoch bei meiner Planung durch die Schwesterschlucht Gorges du Guiers Vif, die ich noch nicht kenne. In den tiefhängenden Wolken kann ich die Schlucht allerdings vermutlich nicht ausreichend würdigen - dennoch gefällt es mir. Ausgangs der Schlucht geht es gleich nahtlos weiter in den Col du Cucheron, 500 Hm auf bis zu 1140 m Höhe. Ich rechne mit Kälte, und werde abermals angenehm überrascht. Der Regen lässt nach, und in der Abfahrt werde ich nur vom Spritzwasser nass.
Ich bin nun auf der klassischen Route durch die Chartreuse von Norden nach Süden unterwegs, auf der sich nach der Zwischenabfahrt noch der Col de Porte anschließt. Es ist der höchste Punkt der Etappe mit über 1300 m Höhe, aber von dort aus ist es nur noch eine lange Abfahrt bis nach Grenoble. Die Beine sind ein wenig müde, doch sie lassen mich nicht im Stich und kurbeln stoisch hinauf zum Pass. In der Abfahrt: wieder mal eine route barrée. Da ich keine Lust habe, nach einer alternativen Route zu suchen, und mir zudem Autos von unten entgegen kommen, lasse ich es auch dieses Mal darauf ankommen. Tatsächlich gibt es Ausbesserungsarbeiten, aber die Bauarbeiter heben nur freundlich die Hand zum Gruß, als ich mit meinem Rad durch den Schotter stapfe.
Dann die ersten Ausblicke auf Grenoble unter mir, das Isère-Tal, den Vercors und die Belledonne-Kette jenseits des Tals. Ich klopfe mir in Gedanken schon auf die Schulter zur Bewältigung dieser Etappe. Doch dann wird innerhalb von Minuten alles um mich herum dunkelgrau, die Berge jenseits des Tals verschwinden, und ich fahre die letzten Kilometer der Abfahrt im Starkregen. An der Brücke über die Isère, schon im Stadtgebiet gelegen, kapituliert dann auch mein Garmin, und ich versuche innerlich fluchend, ihn mittels Neustart zu reanimieren, auf das er mir den Weg durch die Stadt weisen möge. Glücklicherweise erfolgreich.
Ampeln, Autoverkehr, strömender Regen - die Schlusskilometer meiner Etappe hätten schöner sein können. Doch schließlich stehe ich im Hotel unter der heißen Dusche, und das Schlottern hört langsam auf. Alles in allem war es auch heute wieder sehr schön, und ich bin meinem Ziel am Mittelmeer wieder etwas mehr als hundert Kilometer näher gekommen. Für morgen ist endlich Wetterbesserung angesagt.
(Randbemerkung: die Durchquerung von Grenoble ist inzwischen als Konsequenz des Scoutings über den Radweg entlang des Drac geplant. Nahezu ampelfrei.)
Ich ergebe mich nicht komplett. Der Mont du Chat liegt auf etwa 1500 m Höhe. Der parallel verlaufende Col de l'Epine knapp 500 m tiefer. Also schließe ich einen Kompromiss und wähle lieber diesen Übergang. Auch wenn der Mont du Chat zu den Mittelgebirgsmonumenten zählt und auch auf meiner persönlichen todo-Liste steht. Aufgeschoben bis im kommenden Jahr, dann als Teil des Freiburg-Marseille-Pelotons. 500 m höher bedeutet nochmal 5 Grad kälter, und eine längere Abfahrt im savoyardischen Dauerregen.
Apropos savoyardischer Dauerregen: dieser setzt ein, noch bevor ich auf dem Radweg La Motte-Servolex erreicht habe, den Ausgangspunkt des Col de l'Epine. Zunächst klettere ich durch die Weidelandschaft, dann durch den dichten Wald. Das Massif des Bauges jenseits des Tales ist nun im Dunst nicht mehr zu sehen, nun hängen die Regenwolken dort fest. An der Passhöhe kramt ein etwas ratlos aussehender Tourenfahrer gerade wohl alle wärmenden Klamotten aus seinen Packtaschen. Ich fahre mit einem kurzen Gruß vorbei, denn ich habe sowieso schon alles am Körper. Mit mehr Glück als Verstand erwische ich in der Abfahrt tatsächlich ein regenfreies Zeitfenster.
Dann passiere ich den Lac d'Aiguebelette, bringe den sanften Anstieg in die Hügellandschaft hinter mich. Fun fact: ich befinde mich hier in der allersüdlichsten Spitze des Jura, wo er sich, vom Col de Couz getrennt, an das Voralpenmassiv der Chartreuse schmiegt. In Entre-deux-Guiers parke ich gerade mein Rad vor einem kleinen Restaurant, als wieder Regentropfen fallen.
Ich esse gut und reichlich, doch wirklich aufwärmen kann ich mich dort nicht. Das Regenradar zerstört auch meine Hoffnung darauf, den Schauer während des Mittagessens aussitzen zu können - ich müsste wohl bis zum Abend dort sitzen, um trocken wieder aufbrechen zu können. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als hinauf in die Chartreuse zu fahren. Statt des für Freiburg-Marseille geplanten Gorges du Guiers Mort, den ich schon kenne, bleibe ich jedoch bei meiner Planung durch die Schwesterschlucht Gorges du Guiers Vif, die ich noch nicht kenne. In den tiefhängenden Wolken kann ich die Schlucht allerdings vermutlich nicht ausreichend würdigen - dennoch gefällt es mir. Ausgangs der Schlucht geht es gleich nahtlos weiter in den Col du Cucheron, 500 Hm auf bis zu 1140 m Höhe. Ich rechne mit Kälte, und werde abermals angenehm überrascht. Der Regen lässt nach, und in der Abfahrt werde ich nur vom Spritzwasser nass.
Ich bin nun auf der klassischen Route durch die Chartreuse von Norden nach Süden unterwegs, auf der sich nach der Zwischenabfahrt noch der Col de Porte anschließt. Es ist der höchste Punkt der Etappe mit über 1300 m Höhe, aber von dort aus ist es nur noch eine lange Abfahrt bis nach Grenoble. Die Beine sind ein wenig müde, doch sie lassen mich nicht im Stich und kurbeln stoisch hinauf zum Pass. In der Abfahrt: wieder mal eine route barrée. Da ich keine Lust habe, nach einer alternativen Route zu suchen, und mir zudem Autos von unten entgegen kommen, lasse ich es auch dieses Mal darauf ankommen. Tatsächlich gibt es Ausbesserungsarbeiten, aber die Bauarbeiter heben nur freundlich die Hand zum Gruß, als ich mit meinem Rad durch den Schotter stapfe.
Dann die ersten Ausblicke auf Grenoble unter mir, das Isère-Tal, den Vercors und die Belledonne-Kette jenseits des Tals. Ich klopfe mir in Gedanken schon auf die Schulter zur Bewältigung dieser Etappe. Doch dann wird innerhalb von Minuten alles um mich herum dunkelgrau, die Berge jenseits des Tals verschwinden, und ich fahre die letzten Kilometer der Abfahrt im Starkregen. An der Brücke über die Isère, schon im Stadtgebiet gelegen, kapituliert dann auch mein Garmin, und ich versuche innerlich fluchend, ihn mittels Neustart zu reanimieren, auf das er mir den Weg durch die Stadt weisen möge. Glücklicherweise erfolgreich.
Ampeln, Autoverkehr, strömender Regen - die Schlusskilometer meiner Etappe hätten schöner sein können. Doch schließlich stehe ich im Hotel unter der heißen Dusche, und das Schlottern hört langsam auf. Alles in allem war es auch heute wieder sehr schön, und ich bin meinem Ziel am Mittelmeer wieder etwas mehr als hundert Kilometer näher gekommen. Für morgen ist endlich Wetterbesserung angesagt.
(Randbemerkung: die Durchquerung von Grenoble ist inzwischen als Konsequenz des Scoutings über den Radweg entlang des Drac geplant. Nahezu ampelfrei.)
Ich bin diese Etappe gefahren
am
Von majortom –
Nach zwei Tagen Regenjackendauertest ist der Blick aus dem Hotelfester etwas misstrauisch. Es ist bewölkt und grau, aber die Straßen sind so gut wie trocken. Gut so, denn für mich geht es heute auf die längste Etappe meiner Tour. Der Grund dafür ist mal wieder ein Egotrip. Die geplanten Strecken durch den Vercors kenne ich schon von der Tour du Dauphiné, so dass ich heute nicht über Saint Nizier du Moucherotte in dieses zerklüftete Voralpenmassiv einsteige, sondern eine Schleife im Isèretal um die nördliche Spitze des Vercors drehen möchte, um mit dem Gorges du Nan Neuland zu betreten.
Soweit die Theorie. In der Praxis ist der Radweg entlang des Drac und entlang der Isère auf den ersten vierzig Kilometern zwar komplett flach und gut und flowig zu fahren, aber irgendwie habe ich das Gefühl, nicht so richtig auf Touren zu kommen. Liegt es an den müden Beinen nach drei Grand-Tour-Etappen? Etwa gar an Müdigkeit im Kopf? Schließlich schiebe ich es auf die schlechtere Aerodynamik der Laufräder, mit denen ich unterwegs bin, und beschließe, mich nicht verrückt machen zu lassen.
Tatsächlich bessert sich meine Motivation auf den letzten Kilometern im Isèretal, und schließlich stehe ich vor dem Einschnitt im Gestein, der wohl der Gorges du Nan ist. Die Wolken hängen tief, aber es ist trocken geblieben. Zunächst gewinnt die Straße an Höhe entlang der Felswand, und in diesem laut Profil anstrengendsten Abschnitt des Anstiegs machen Kopf und Beine endgültig wieder ihren Frieden miteinander. Im darauffolgenden Abschnitt in der Schlucht, wo es unmittelbar rechts der Straße senkrecht in den Abgrund geht, bekomme ich dann das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Der Umweg hat sich gelohnt! Zwar ist der spektakuläre Abschnitt nur kurz, aber auch danach ist es eine schöne idyllische Passstraße, die gut zu fahren ist. Es macht Spaß.
Vom Col du Mont Noir fahre ich ab zum Col de Romeyère und weiter in den Gorges de la Bourne. Ich verzichte auf den Schlenker durch die Combe Laval, der bei Freiburg-Marseille selbstverständlich gefahren wird und nehme stattdessen die klassiche Nord-Süd-Route, die mitten durch den Vercors führt, mit dem kurzen Anstieg nach La Martelière. In Saint-Martin-en-Vercors finde ich kurz darauf ein schönes Restaurant für meine Mittagspause. Plat du Jour: Paella. Passt nicht ganz in die Gegend, ist aber trotzdem lecker und nahrhaft.
Mein Egotrip geht weiter. Erst ein kurzer Anstieg nach La Chapelle-en-Vercors, dann ein längerer zum Col de Carri, den ich auch noch nicht kenne. Auf eine unspektakuläre Art und Weise auch sehr schön. So komme ich nur unweit des Col de la Machine auf die Freiburg-Marseille-Route zurück. Hier endet dann auch meine Streckenkenntnis, und ich bin weiter auf Neuland unterwegs. Die einsamen Straßen durch den Vercors sind ein Traum. Ein paar Kilometer weiter am Col de Pionnier stehe ich allerdings wieder vor einer Barriere. Route barrée Richtung Col de la Bataille. Normalerweise kommt man ja mit dem Rad trotzdem irgendwie durch, aber diesmal steht explizit auf dem Schild, dass auch für cyclistes kein Durchkommen sei. Na toll.
Auf der Garmin-Karte gehe ich die Optionen durch. Angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit und der noch zu bewältigenden Kilometer bis ins Tagesziel nach Valence ist keine wirklich befriedigend. Schließlich entscheide ich mich für die Umleitung, da in Richtung Bataille fahren und dann doch umdrehen müssen die allerschlechteste Lösung wäre. Also Abfahrt vom Col de Pionnier ins Royans und wieder hinauf nach Léoncel, wo ich wieder auf meine Route treffen würde. Ich befürchte einen Umweg von 20 Kilometern oder mehr (was sich zum Glück als übertrieben herausstellt, es waren wohl 8 bis 10 Kilometer mehr). Es ist trotzdem zäh, der Anstieg nach Léoncel ist zwar alles andere als steil, aber halt lang. Dafür kommt nun am Nachmittag mehr und mehr die Sonne raus, und als ich endlich oben am Col des Limouches stehe, von wo aus ich nur noch aus dem Vercors in die Ebene des Rhonetals abfahren muss, ist der Himmel strahlend blau. Was die Hochebene in der herbstlichen Abendsonne in ein tolles Licht taucht. Mein Dauergrinsen ist zurückgekehrt.
Es sind noch 35 Kilometer vom Pass bis nach Valence. Aber was für eine sensationelle Abfahrt nach dieser langen und anstrengenden Etappe. Ich stärke mich nochmal am Fuß der Abfahrt beim Bäcker in Chabeuil. Zum Glück kommt der Wind aus Nordosten, so dass er mich auf meinem Weg nach Westen Richtung Valence schiebt und ich in der Ebene Richtung Rhonetal ein hohes Tempo anschlagen kann. Da ist er nun, der Flow, den ich heute morgen auf dem ersten Abschnitt im Isèretal vermisst habe. Valence ist dann schnell durchquert, und ich schaffe es tatsächlich noch vor Einbruch der Dunkelheit ins Hotel.
Soweit die Theorie. In der Praxis ist der Radweg entlang des Drac und entlang der Isère auf den ersten vierzig Kilometern zwar komplett flach und gut und flowig zu fahren, aber irgendwie habe ich das Gefühl, nicht so richtig auf Touren zu kommen. Liegt es an den müden Beinen nach drei Grand-Tour-Etappen? Etwa gar an Müdigkeit im Kopf? Schließlich schiebe ich es auf die schlechtere Aerodynamik der Laufräder, mit denen ich unterwegs bin, und beschließe, mich nicht verrückt machen zu lassen.
Tatsächlich bessert sich meine Motivation auf den letzten Kilometern im Isèretal, und schließlich stehe ich vor dem Einschnitt im Gestein, der wohl der Gorges du Nan ist. Die Wolken hängen tief, aber es ist trocken geblieben. Zunächst gewinnt die Straße an Höhe entlang der Felswand, und in diesem laut Profil anstrengendsten Abschnitt des Anstiegs machen Kopf und Beine endgültig wieder ihren Frieden miteinander. Im darauffolgenden Abschnitt in der Schlucht, wo es unmittelbar rechts der Straße senkrecht in den Abgrund geht, bekomme ich dann das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Der Umweg hat sich gelohnt! Zwar ist der spektakuläre Abschnitt nur kurz, aber auch danach ist es eine schöne idyllische Passstraße, die gut zu fahren ist. Es macht Spaß.
Vom Col du Mont Noir fahre ich ab zum Col de Romeyère und weiter in den Gorges de la Bourne. Ich verzichte auf den Schlenker durch die Combe Laval, der bei Freiburg-Marseille selbstverständlich gefahren wird und nehme stattdessen die klassiche Nord-Süd-Route, die mitten durch den Vercors führt, mit dem kurzen Anstieg nach La Martelière. In Saint-Martin-en-Vercors finde ich kurz darauf ein schönes Restaurant für meine Mittagspause. Plat du Jour: Paella. Passt nicht ganz in die Gegend, ist aber trotzdem lecker und nahrhaft.
Mein Egotrip geht weiter. Erst ein kurzer Anstieg nach La Chapelle-en-Vercors, dann ein längerer zum Col de Carri, den ich auch noch nicht kenne. Auf eine unspektakuläre Art und Weise auch sehr schön. So komme ich nur unweit des Col de la Machine auf die Freiburg-Marseille-Route zurück. Hier endet dann auch meine Streckenkenntnis, und ich bin weiter auf Neuland unterwegs. Die einsamen Straßen durch den Vercors sind ein Traum. Ein paar Kilometer weiter am Col de Pionnier stehe ich allerdings wieder vor einer Barriere. Route barrée Richtung Col de la Bataille. Normalerweise kommt man ja mit dem Rad trotzdem irgendwie durch, aber diesmal steht explizit auf dem Schild, dass auch für cyclistes kein Durchkommen sei. Na toll.
Auf der Garmin-Karte gehe ich die Optionen durch. Angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit und der noch zu bewältigenden Kilometer bis ins Tagesziel nach Valence ist keine wirklich befriedigend. Schließlich entscheide ich mich für die Umleitung, da in Richtung Bataille fahren und dann doch umdrehen müssen die allerschlechteste Lösung wäre. Also Abfahrt vom Col de Pionnier ins Royans und wieder hinauf nach Léoncel, wo ich wieder auf meine Route treffen würde. Ich befürchte einen Umweg von 20 Kilometern oder mehr (was sich zum Glück als übertrieben herausstellt, es waren wohl 8 bis 10 Kilometer mehr). Es ist trotzdem zäh, der Anstieg nach Léoncel ist zwar alles andere als steil, aber halt lang. Dafür kommt nun am Nachmittag mehr und mehr die Sonne raus, und als ich endlich oben am Col des Limouches stehe, von wo aus ich nur noch aus dem Vercors in die Ebene des Rhonetals abfahren muss, ist der Himmel strahlend blau. Was die Hochebene in der herbstlichen Abendsonne in ein tolles Licht taucht. Mein Dauergrinsen ist zurückgekehrt.
Es sind noch 35 Kilometer vom Pass bis nach Valence. Aber was für eine sensationelle Abfahrt nach dieser langen und anstrengenden Etappe. Ich stärke mich nochmal am Fuß der Abfahrt beim Bäcker in Chabeuil. Zum Glück kommt der Wind aus Nordosten, so dass er mich auf meinem Weg nach Westen Richtung Valence schiebt und ich in der Ebene Richtung Rhonetal ein hohes Tempo anschlagen kann. Da ist er nun, der Flow, den ich heute morgen auf dem ersten Abschnitt im Isèretal vermisst habe. Valence ist dann schnell durchquert, und ich schaffe es tatsächlich noch vor Einbruch der Dunkelheit ins Hotel.
Ich bin diese Etappe gefahren
am
Von majortom –
Die Etappe von Valence nach Orange ist bei Freiburg-Marseille diejenige zum Luft holen. Um es nach den harten Etappen zuvor auch mal einen Tag ruhiger angehen zu lassen, bevor es dann am folgenden Tag auf die Königsetappe über den Mont Ventoux geht. Aber ich habe noch eine Schande auszumerzen von meinem letzten Besuch in Valence, als ich aufgrund des gnadenlosen Mistral, der mir als Gegenwind das Leben schwer machte, den eigentlich geplanten Col de la Chaudière ausgelassen hatte. Das ist zwar schon sechs Jahre her, aber noch lange nicht verjährt, und so habe ich mir heute den entsprechenden Umweg ins Tourenbuch geschrieben. Ein Anstieg von 800 Höhenmetern, obwohl ich stattdessen auch ganz einfach das Roubion-Tal hinauf fahren könnte.
Aber ich widerstehe abermals der Versuchung. Zumal heute morgen auch wieder die Sonne vom strahlend blauen Himmel scheint. Aus dem Hotelzimmerfenster sehe ich auf die Berge jenseits der Rhône in der nördlichen Ardèche, ich wende mich jedoch nach Südosten und halte wieder auf die Alpen zu. Das Drome-Tal trennt hier den Vercors vom südlich gelegenen Diois, das ich heute durchqueren möchte, um heute Abend die Provence zu erreichen. Die Anfahrt dorthin ist flach bis wellig, und die Erinnerungen meiner Tour 2015, als ich in umgekehrter Richtung gegen den Mistral gekämpft hätte, kommen wieder auf. Heute haben ich leichten Rückenwind. Läuft also.
Im Rhonetal strahlt die Sonne, im Vercors und Diois hängen noch Wolken. Sobald die Sonne weg ist, wird es spürbar kälter, und meine Motivation erhält einen kleinen Dämpfer. So wie es aussieht, werde ich wohl im Nebel zum Col de la Chaudière rauf fahren. Als ich mich in Seillans am Fuß des Passes beim Bäcker nochmal stärke, muss ich nochmal das Langarmtrikot rauskramen. Also nichts wie rauf auf den Pass, vielleicht scheint ja weiter im Süden die Sonne. Und tatsächlich - nachdem ich einige Kilometer stoisch bergauf gekurbelt bin, dringt auf einmal die Sonne durch die immer dünner werdende Wolkenschicht. Dann bin ich durch und sehe wieder azurblauen Himmel, unter mir ziehen die Wolkenfetzen vorbei. Ich muss anhalten und genießen. Ein wirklich magischer Moment.
Ich erreiche die Passhöhe in einsamer Voralpenlandschaft. Es ist ein sehr schöner Pass, wie so viele im Diois praktisch ohne jeden Autoverkehr. Nur ein paar anderen Radfahrern bin ich begegnet. So macht es Spaß. Die Abfahrt führt mich nach Bourdeaux im Roubion-Tal, wo ich mir meine Mittagspause dieselbe Pizzeria finde wie 2015. Ich sitze auf der Terrasse in der Sonne. Spätsommer im Diois. Es ist zwar eine Dienstreise, aber es fühlt sich auch ein bisschen wie Urlaub an.
Nun stehe ich vor der Wahl: über den bestens bekannten Col de la Sausse und die sehr empfehlenswerte, aber ebenso bekannte Schlucht Défilé de Trente-Pas weiter nach Süden, oder einen weiteren Umweg über die noch unbekannten Pässe Col de Boutière und Col de Valouse? Dass ich schon auf der Südseite des Valouse am Abzweig stand und der weitere Weg in eine Parallelschlucht zur Défilé de Trente-Pas auch ganz vielversprechend aussah, gibt schließlich die Ausschlag. Neugier schlägt Müdigkeit. Dass die Beine nach dem langen Anstieg zum Chaudière schon einiges geleistet haben, spüre ich in der eigentlich nicht allzu schweren Boutière-Auffahrt. Hinunter nach Dieulefit und in den sanften Anstieg zum Valouse. Es wird heiß, und zum ersten Mal auf der Tour ziehe ich, beobachtet von einer Schafherde jenseits einer kleinen Steinmauer, meine Armlinge ab. Nun fühlt es sich nach Provence an.
Die Abfahrt vom Col de Valouse hält, was sie versprochen hat. Es geht durch ein enges Tal zwischen Felsen hindurch. Zwar nicht so spektakulär wie die Parallelschlucht, aber auch ein solider drei-Schönheitssterne-Kandidat. Ich rolle weiter, das Benrix-Tal bis ins Eygues-Tal, das wiederum das Diois im Norden von den Baronnies im Süden - und somit von den Provenzalischen Alpen - trennt. Ich rolle im Eygues-Tal bis Nyons, wo ich auf dem Dorfplatz nochmal eine kalte Cola trinke. Im Schatten von Platanen. Schön. Dann geht es weiter nach Westen entlang des Eygues, und ich verlasse die Alpen, erreiche das Weinbaugebiet des Côtes du Rhône, fahre zwischen Weinreben. Eine sehr schöne Kulturlandschaft. Der Wind hat aufgefrischt und weht von Norden. Das bedeutet jetzt Seitenwind, aber dann für den Schlussteil der Etappe nach Orange wohl Rückenwind.
Ein Hindernis gibt es noch auf meinem Weg nach Orange. Den niedrigen Höhenzug, der gesäumt wird von den villages des Côtes du Rhône, überquere ich am Col du Débat. Es sind kaum mehr als hundert Höhenmeter, aber nach der abermals langen Etappe können auch diese hart sein. Oben prangen dann die dolomitenähnlichen Felsen der Dentelles de Montmirail am Horizont, und in der Abfahrt strahlt dann plötzlich das Mont Ventoux-Massiv in der Abendsonne. Der Gigant. Er steht morgen auf dem Programm. Ich halte mich nach Südwesten auf die Römerstadt Orange zu, und tatsächlich bläst mich der Nordwind ins Ziel.
Aber ich widerstehe abermals der Versuchung. Zumal heute morgen auch wieder die Sonne vom strahlend blauen Himmel scheint. Aus dem Hotelzimmerfenster sehe ich auf die Berge jenseits der Rhône in der nördlichen Ardèche, ich wende mich jedoch nach Südosten und halte wieder auf die Alpen zu. Das Drome-Tal trennt hier den Vercors vom südlich gelegenen Diois, das ich heute durchqueren möchte, um heute Abend die Provence zu erreichen. Die Anfahrt dorthin ist flach bis wellig, und die Erinnerungen meiner Tour 2015, als ich in umgekehrter Richtung gegen den Mistral gekämpft hätte, kommen wieder auf. Heute haben ich leichten Rückenwind. Läuft also.
Im Rhonetal strahlt die Sonne, im Vercors und Diois hängen noch Wolken. Sobald die Sonne weg ist, wird es spürbar kälter, und meine Motivation erhält einen kleinen Dämpfer. So wie es aussieht, werde ich wohl im Nebel zum Col de la Chaudière rauf fahren. Als ich mich in Seillans am Fuß des Passes beim Bäcker nochmal stärke, muss ich nochmal das Langarmtrikot rauskramen. Also nichts wie rauf auf den Pass, vielleicht scheint ja weiter im Süden die Sonne. Und tatsächlich - nachdem ich einige Kilometer stoisch bergauf gekurbelt bin, dringt auf einmal die Sonne durch die immer dünner werdende Wolkenschicht. Dann bin ich durch und sehe wieder azurblauen Himmel, unter mir ziehen die Wolkenfetzen vorbei. Ich muss anhalten und genießen. Ein wirklich magischer Moment.
Ich erreiche die Passhöhe in einsamer Voralpenlandschaft. Es ist ein sehr schöner Pass, wie so viele im Diois praktisch ohne jeden Autoverkehr. Nur ein paar anderen Radfahrern bin ich begegnet. So macht es Spaß. Die Abfahrt führt mich nach Bourdeaux im Roubion-Tal, wo ich mir meine Mittagspause dieselbe Pizzeria finde wie 2015. Ich sitze auf der Terrasse in der Sonne. Spätsommer im Diois. Es ist zwar eine Dienstreise, aber es fühlt sich auch ein bisschen wie Urlaub an.
Nun stehe ich vor der Wahl: über den bestens bekannten Col de la Sausse und die sehr empfehlenswerte, aber ebenso bekannte Schlucht Défilé de Trente-Pas weiter nach Süden, oder einen weiteren Umweg über die noch unbekannten Pässe Col de Boutière und Col de Valouse? Dass ich schon auf der Südseite des Valouse am Abzweig stand und der weitere Weg in eine Parallelschlucht zur Défilé de Trente-Pas auch ganz vielversprechend aussah, gibt schließlich die Ausschlag. Neugier schlägt Müdigkeit. Dass die Beine nach dem langen Anstieg zum Chaudière schon einiges geleistet haben, spüre ich in der eigentlich nicht allzu schweren Boutière-Auffahrt. Hinunter nach Dieulefit und in den sanften Anstieg zum Valouse. Es wird heiß, und zum ersten Mal auf der Tour ziehe ich, beobachtet von einer Schafherde jenseits einer kleinen Steinmauer, meine Armlinge ab. Nun fühlt es sich nach Provence an.
Die Abfahrt vom Col de Valouse hält, was sie versprochen hat. Es geht durch ein enges Tal zwischen Felsen hindurch. Zwar nicht so spektakulär wie die Parallelschlucht, aber auch ein solider drei-Schönheitssterne-Kandidat. Ich rolle weiter, das Benrix-Tal bis ins Eygues-Tal, das wiederum das Diois im Norden von den Baronnies im Süden - und somit von den Provenzalischen Alpen - trennt. Ich rolle im Eygues-Tal bis Nyons, wo ich auf dem Dorfplatz nochmal eine kalte Cola trinke. Im Schatten von Platanen. Schön. Dann geht es weiter nach Westen entlang des Eygues, und ich verlasse die Alpen, erreiche das Weinbaugebiet des Côtes du Rhône, fahre zwischen Weinreben. Eine sehr schöne Kulturlandschaft. Der Wind hat aufgefrischt und weht von Norden. Das bedeutet jetzt Seitenwind, aber dann für den Schlussteil der Etappe nach Orange wohl Rückenwind.
Ein Hindernis gibt es noch auf meinem Weg nach Orange. Den niedrigen Höhenzug, der gesäumt wird von den villages des Côtes du Rhône, überquere ich am Col du Débat. Es sind kaum mehr als hundert Höhenmeter, aber nach der abermals langen Etappe können auch diese hart sein. Oben prangen dann die dolomitenähnlichen Felsen der Dentelles de Montmirail am Horizont, und in der Abfahrt strahlt dann plötzlich das Mont Ventoux-Massiv in der Abendsonne. Der Gigant. Er steht morgen auf dem Programm. Ich halte mich nach Südwesten auf die Römerstadt Orange zu, und tatsächlich bläst mich der Nordwind ins Ziel.
Ich bin diese Etappe gefahren
am
Von majortom –
Ich bin in der Provence, und es geht auf den Giganten, den Mont Ventoux. Allein das wäre schon Grund zur Freude (oder zur Einschüchterung), aber heute ist zudem noch die Königsetappe mit fast 3200 Höhenmetern. Daher ist es auch die erste Etappe meiner Tour, die ich komplett so fahre, wie sie bei Freiburg-Marseille geplant ist. Heute wären weitere Egotrips wirklich zu viel des Guten. Zumal ich auch heute eine klaffende Lücke in meinem Palmarès schließen kann. Kaum ein anderes Hochgebirgsmonument habe ich in den letzten Jahren so oft bezwungen wie den Ventoux - aber ich bin tatsächlich bis heute noch nie die Nordseite von Malaucène aus gefahren.
Ich freue mich darauf, als ich am noch kühlen Morgen erst durch Orange und dann durch die Ebene des Comtat rolle, den Ventoux natürlich schon im Blick. Und ich freue mich auch darauf, dass sich (wie ich mich noch telefonisch bei Reiseleiter Jan rückversichert habe) heute meine Wege mit den Gruppen des Provenzalischen Rennradherbstes kreuzen werden, die ebenfalls den Ventoux auf dem heutigen Speisezettel haben. Seit meinem Überraschungsbesuch bei Basel-Barcelona habe ich Jan nicht mehr persönlich gesehen, nun werden wir uns also am Ventoux begegnen!
Es sind etwa 20 Kilometer flache Anfahrt bis in den Weinort Beaumes-de-Venise, dann noch 15 km hügelig bis Malaucène. Es ist spätsommerlich heiß geworden, als ich an einem Brunnen nochmal die Bidons fülle und dann an der berühmten Kreuzung Richtung Mont Ventoux abzweige. Abgefahren bin ich hier schon oft, also weiß ich in etwa, was mich erwartet. Eine schöne Auftaktpassage durch provenzalisches Buschwerk, dann das steile Mittelstück im Kiefernwald, und schließlich hinter der Skistation das Schlussstück durch die weiße Geröllwüste. Die sportive Gruppe unserer Provence-Reise müsste mir eigentlich in der Abfahrt entgegen kommen, aber da die Radfaher hier im Sekundentakt an mir vorbei schießen, ist es nahezu unmöglich, jemanden zu erkennen. Noch relativ weit unten in der Auffahrt passiert mich ein abfahrendes Alpinisten-Trikot - aber ich habe nicht mal die Zeit, die Hand zum Gruß zu heben. Wie sich später herausstellt, war das Nadine.
Obwohl es ganz gut läuft bei mir, so merke ich doch insbesondere in den steileren Abschnitten mein Gepäck am Rad. Es stimmt, was man sagt: die Auffahrt von Malaucène ist aufgrund der höheren Steigungsspitzen und der deutlich unregelmäßigeren Steigung tatsächlich sogar ein Stückchen schwerer als die klassische Tour-de-France-Auffahrt von Bédoin. Im Schlussstück liegen mir die Baronnies im Norden zu Füßen, ein traumhaftes Panorama, aber um den Gipfel ziehen nun ein paar Wolkenfetzen auf. Auf dem letzten Kilometer verschluckt mich dann die Wolke, und oben ist die Aussicht leider gleich null. Dennoch wie immer ein erhebendes Gefühl. Es herrscht der übliche Trubel, wohl nirgendwo sonst auf der Welt ist die Rennradfahrerdichte so hoch wie hier auf dem Giganten der Provence.
Kurze Nachricht an Jan, dass ich oben bin. Angesichts meines Restprogramms am heutigen Tag - und der frischen Temperaturen auf 1900 m Höhe ohne Sonne - möchte ich nicht am Gipfel warten. Ich weiß, dass er mit seiner entspannten Gruppe von Sault aus hinauf fährt. Hoffentlich waren sie nicht schon oben und sind nicht schon wieder nach Bédoin abgefahren - dann hätten wir uns verpasst. Ich bleibe also nicht lange und mache mich an die Abfahrt. Bis zum Chalet Reynard, wo sich die Routen von Bédoin und Sault aus treffen, habe ich die Wolken wieder verlassen, und es wird wärmer. Die ersten quäldich-Fahrer sehe ich ungefähr nach der Hälfte der Abfahrt, aber niemanden, den ich kenne, also grüße ich nur im Vorbeifahren. Doch dann sehe ich Jan im Club2K-Trikot, das er stolz trägt. Natürlich halten wir an, und er fängt sofort an, in den höchsten Tönen von seiner bisherigen Woche in der Provence zu schwärmen. Da ich selbst schon etliche Male in der Gegend war, kann ich ihm nicht widersprechen, und ich freue mich, als auch ein Reiseteilnehmer zu uns aufschließt und in die Lobgesänge mit einstimmt. Eine schöne Bestätigung für meine Arbeit! Danke!
Schließlich muss Jan seiner Gruppe hinterher, und auch ich habe ja noch über 80 km bis Aix-en-Provence vor mir. Der Mittag geht schon in den Nachmittag über, als ich nach der Abfahrt den kurzen Gegenanstieg nach Sault nehme und auf der Panoramaterrasse zum Essen einkehre. Hier war ich auch als Provence-Guide schon öfter, und ich weiß, dass sie auch größere Rennradfahrergruppen schnell und professionell abfertigen. So bin ich auch heute schon bald wieder en route, und ich wende mich nach Süden.
Ich weiß ungefährt, was mich erwartet: über das Plateau de Vaucluse, dann die lange Abfahrt vom Lavendel-Pass Col de la Liguière, von Apt über den Höhenzug des Lubéron am Col de Pointu, und schließlich noch über einen letzten Hügel bei Pontier nach Aix. Doch schon im leicht ansteigenden Abschnitt zum Liguière spüre ich den Ventoux in den Beinen, und mir wird klar, dass ich zwar den schwersten Tagesabschnitt hinter mich gebracht habe, aber der Rest auch kein Zuckerschlecken wird. Das Grinsen kehrt jedoch zurück, als ich am Col de la Liguière stehe, sich vor mir der Lubéron ausbreitet, und ich nochmals eine lange Abfahrt vor mir habe.
In Apt komme ich in den nachmittäglichen Berufsverkehr. Dann in den Col de Pointu, der zwar nur moderat ansteigt, mir in der Abendsonne aber dennoch zusetzt. Dann die schöne Abfahrt nach Loumarin, wo ich für eine Stärkung auf dem Dorfplatz nochmals anhalte. Diese Pause tut gut, wie ich in der folgenden Welle nach Cadenet und in der kurzen Flachpassage im Durance-Tal feststelle. Plötzlich ist der vermisste Druck auf dem Pedal auch wieder da, und die letzte Bergwertung nach Pontier durch den einsamen Kiefernwald kann ich wieder genießen. Von hier aus geht es praktisch nur noch bergab nach Aix? Nicht ganz, es gibt nochmal einen Gegenanstieg, aber ich bin so euphorisiert wie wohl nur am Ende einer langen, schweren Etappe, wenn klar wird, dass die Etappe einen heute nicht mehr klein kriegen wird, und ich drücke die Welle einfach mit Kraft weg.
Kurz vor der Dämmerung erreiche ich schließlich Aix, schlage mich durch zum Hotel, freue mich über eine grandiose Etappe, die zwar hart war, aber auch geradezu dazu einlädt, über sich selbst hinauszuwachsen. Ich freue mich auf die Schlussetappe morgen, und die Ankunft in Marseille.
Ich freue mich darauf, als ich am noch kühlen Morgen erst durch Orange und dann durch die Ebene des Comtat rolle, den Ventoux natürlich schon im Blick. Und ich freue mich auch darauf, dass sich (wie ich mich noch telefonisch bei Reiseleiter Jan rückversichert habe) heute meine Wege mit den Gruppen des Provenzalischen Rennradherbstes kreuzen werden, die ebenfalls den Ventoux auf dem heutigen Speisezettel haben. Seit meinem Überraschungsbesuch bei Basel-Barcelona habe ich Jan nicht mehr persönlich gesehen, nun werden wir uns also am Ventoux begegnen!
Es sind etwa 20 Kilometer flache Anfahrt bis in den Weinort Beaumes-de-Venise, dann noch 15 km hügelig bis Malaucène. Es ist spätsommerlich heiß geworden, als ich an einem Brunnen nochmal die Bidons fülle und dann an der berühmten Kreuzung Richtung Mont Ventoux abzweige. Abgefahren bin ich hier schon oft, also weiß ich in etwa, was mich erwartet. Eine schöne Auftaktpassage durch provenzalisches Buschwerk, dann das steile Mittelstück im Kiefernwald, und schließlich hinter der Skistation das Schlussstück durch die weiße Geröllwüste. Die sportive Gruppe unserer Provence-Reise müsste mir eigentlich in der Abfahrt entgegen kommen, aber da die Radfaher hier im Sekundentakt an mir vorbei schießen, ist es nahezu unmöglich, jemanden zu erkennen. Noch relativ weit unten in der Auffahrt passiert mich ein abfahrendes Alpinisten-Trikot - aber ich habe nicht mal die Zeit, die Hand zum Gruß zu heben. Wie sich später herausstellt, war das Nadine.
Obwohl es ganz gut läuft bei mir, so merke ich doch insbesondere in den steileren Abschnitten mein Gepäck am Rad. Es stimmt, was man sagt: die Auffahrt von Malaucène ist aufgrund der höheren Steigungsspitzen und der deutlich unregelmäßigeren Steigung tatsächlich sogar ein Stückchen schwerer als die klassische Tour-de-France-Auffahrt von Bédoin. Im Schlussstück liegen mir die Baronnies im Norden zu Füßen, ein traumhaftes Panorama, aber um den Gipfel ziehen nun ein paar Wolkenfetzen auf. Auf dem letzten Kilometer verschluckt mich dann die Wolke, und oben ist die Aussicht leider gleich null. Dennoch wie immer ein erhebendes Gefühl. Es herrscht der übliche Trubel, wohl nirgendwo sonst auf der Welt ist die Rennradfahrerdichte so hoch wie hier auf dem Giganten der Provence.
Kurze Nachricht an Jan, dass ich oben bin. Angesichts meines Restprogramms am heutigen Tag - und der frischen Temperaturen auf 1900 m Höhe ohne Sonne - möchte ich nicht am Gipfel warten. Ich weiß, dass er mit seiner entspannten Gruppe von Sault aus hinauf fährt. Hoffentlich waren sie nicht schon oben und sind nicht schon wieder nach Bédoin abgefahren - dann hätten wir uns verpasst. Ich bleibe also nicht lange und mache mich an die Abfahrt. Bis zum Chalet Reynard, wo sich die Routen von Bédoin und Sault aus treffen, habe ich die Wolken wieder verlassen, und es wird wärmer. Die ersten quäldich-Fahrer sehe ich ungefähr nach der Hälfte der Abfahrt, aber niemanden, den ich kenne, also grüße ich nur im Vorbeifahren. Doch dann sehe ich Jan im Club2K-Trikot, das er stolz trägt. Natürlich halten wir an, und er fängt sofort an, in den höchsten Tönen von seiner bisherigen Woche in der Provence zu schwärmen. Da ich selbst schon etliche Male in der Gegend war, kann ich ihm nicht widersprechen, und ich freue mich, als auch ein Reiseteilnehmer zu uns aufschließt und in die Lobgesänge mit einstimmt. Eine schöne Bestätigung für meine Arbeit! Danke!
Schließlich muss Jan seiner Gruppe hinterher, und auch ich habe ja noch über 80 km bis Aix-en-Provence vor mir. Der Mittag geht schon in den Nachmittag über, als ich nach der Abfahrt den kurzen Gegenanstieg nach Sault nehme und auf der Panoramaterrasse zum Essen einkehre. Hier war ich auch als Provence-Guide schon öfter, und ich weiß, dass sie auch größere Rennradfahrergruppen schnell und professionell abfertigen. So bin ich auch heute schon bald wieder en route, und ich wende mich nach Süden.
Ich weiß ungefährt, was mich erwartet: über das Plateau de Vaucluse, dann die lange Abfahrt vom Lavendel-Pass Col de la Liguière, von Apt über den Höhenzug des Lubéron am Col de Pointu, und schließlich noch über einen letzten Hügel bei Pontier nach Aix. Doch schon im leicht ansteigenden Abschnitt zum Liguière spüre ich den Ventoux in den Beinen, und mir wird klar, dass ich zwar den schwersten Tagesabschnitt hinter mich gebracht habe, aber der Rest auch kein Zuckerschlecken wird. Das Grinsen kehrt jedoch zurück, als ich am Col de la Liguière stehe, sich vor mir der Lubéron ausbreitet, und ich nochmals eine lange Abfahrt vor mir habe.
In Apt komme ich in den nachmittäglichen Berufsverkehr. Dann in den Col de Pointu, der zwar nur moderat ansteigt, mir in der Abendsonne aber dennoch zusetzt. Dann die schöne Abfahrt nach Loumarin, wo ich für eine Stärkung auf dem Dorfplatz nochmals anhalte. Diese Pause tut gut, wie ich in der folgenden Welle nach Cadenet und in der kurzen Flachpassage im Durance-Tal feststelle. Plötzlich ist der vermisste Druck auf dem Pedal auch wieder da, und die letzte Bergwertung nach Pontier durch den einsamen Kiefernwald kann ich wieder genießen. Von hier aus geht es praktisch nur noch bergab nach Aix? Nicht ganz, es gibt nochmal einen Gegenanstieg, aber ich bin so euphorisiert wie wohl nur am Ende einer langen, schweren Etappe, wenn klar wird, dass die Etappe einen heute nicht mehr klein kriegen wird, und ich drücke die Welle einfach mit Kraft weg.
Kurz vor der Dämmerung erreiche ich schließlich Aix, schlage mich durch zum Hotel, freue mich über eine grandiose Etappe, die zwar hart war, aber auch geradezu dazu einlädt, über sich selbst hinauszuwachsen. Ich freue mich auf die Schlussetappe morgen, und die Ankunft in Marseille.
Ich bin diese Etappe gefahren
am
Von majortom –
Wir haben schon viele Grand-Tour-Schlussetappen mit triumphaler Zielankunft veranstaltet: in Garmisch, in Paris, in Rom, in Venedig, in Barcelona. Angesichts dessen liegt die Messlatte hoch für meine Behauptung, es handle sich bei der geplanten Schlussetappe von Freiburg-Marseille um die schönste Grand-Tour-Schlussetappe aller Zeiten. Es ist also ein Ziel meiner Scouting-Etappe heute, diese Behauptung zu überprüfen. Luftlinie liegt Marseille etwa 30 km von Aix-en-Provence entfernt. Indem wir eine Etappe von 130 km mit fast 2400 Hm daraus machen, können wir - so der Plan - aus dem vollen schöpfen, was das provenzalische Hinterland der Côte d'Azur zu bieten hat.
Ich verlasse Aix also nicht in Richtung Süden, sondern Richtung Osten. Statt des direkten Weges eine lange Schleife durch die Provenzalischen Gebirgsketten bis zum Mittelmeer, und dann entlang der Küste durch den Calanques-Nationalpark von Osten her nach Marseille. Also fahre ich zunächst am Südrand der Montagne Sainte-Victoire entlang, deren steil aufragende beigefarbenen Kalksteinfelsen in der Morgensonne leuchten. Als Kunstkenner (der ich nicht bin) kennt man sie anscheinend von den Gemälden Paul Cézannes, des bekanntesten Sohnes der Stadt Aix, zu dessen Lieblingsmotiven das Gebirge gehört. Bei dem zwar nicht besonders hohen, aber dennoch imposanten Massiv kann man Cézannes Beweggründe nachvollziehen.
Nach zehn welligen Kilometern und einer Abfahrt erreiche ich das Arc-Tal, wo entlang der Nationalstraße glücklicherweise ein gut ausgebauter Radweg verläuft, auf dem ich rasch vorankomme. So erreiche ich dann auch schon bald die erste Bergwertung des heutigen Tages, den mir bislang unbekannten Pas de la Couelle. Interessant klingt an ihm vor allem sein Spitzname: Le Petit Galibier. In der Auffahrt, die durch idyllischen Kiefernwald führt, sozusagen provence-prototypisch, halte ich den Vergleich mit dem Col du Galibier für sehr dick aufgetragen. Doch in der serpentinenreichen Abfahrt auch frischem Asphaltbelag meine ich dann spüren zu können, wie die lokale Rennrad-Gemeinde zu der Assoziation gelangt ist.
Es geht sofort weiter in den nächsten Anstieg, auch ihn kenne ich bislang noch nicht, und er ist auch auf quäldich bislang ein völlig unbeschriebenes Blatt. Auf der Nordseite der Montagne de la Sainte-Baume (benannt nach der Höhle, in die Maria Magdalena sich nach der Missionierung der Provence als Einsiedlerin zurückgezogen haben soll) führt eine Nebenstrecke von Saint-Zacharie hinauf nach Plan d'Aups. Es gibt hier noch kein Höhenprofil, und so bin ich eher überrascht von der steilen Auftaktrampe, die mich aus dem Ort hinaus in ein Seitental führt. Kurz darauf noch eine ähnlich fiese Rampe, dann bleibt die Steigung zwar unregelmäßig, aber es wird auch immer schöner. Ein Highlight.
In Plan d'Aups bin ich auf einem Hochplateau angekommen, und es geht gleich weiter zum Col de l'Espigoulier. Den kenne ich schon, und die Vorfreude ist groß, denn der Pass ist zwar kaum bekannt, aber steht ziemlich weit oben auf meiner Favoritenliste. Und ich werde schon in der Auffahrt nicht enttäuscht. Im Norden prangt die Montagne Sainte-Victoire am Horizont, dahinter taucht dann auch noch der Mont Ventoux auf, und an der Passhöhe sieht man schon nach Marseille hinunter. Das schönste ist aber - in meiner Fahrtrichtung - die traumhafte, sehr schön trassierte Abfahrt durch Felsenlandschaft mit Meerblicken. Sagenhaft.
Die Abfahrt führt mich nach Gémenos, ein hübsches provenzalisches Städtchen, gerade außerhalb der wenig anheimelnden Vororte von Marseille. Aïoli preist ein Restaurant als plat du jour an, was nicht nur die berühmte Knoblauch-Mayonnaise bezeichnet, sondern auch einen signature dish der provenzalischen Küche mit gedünstetem Fisch und Gemüse, mit eben jener Knoblauch-Mayonnaise serviert. Ich mache sofort eine Vollbremsung und kehre hier ein, wollte ich doch sowieso hier irgendwo Mittagspause machen. Das Restaurant ist brechend voll, und ich habe Glück, dass ich noch einen Tisch auf der Terrasse bekomme, vermutlich kehrt das ganze Dorf hier mittags ein, wenn es Aïoli gibt. Volltreffer. Geht noch mehr provenzalisches Lebensgefühl?
Es fällt mir zugegebenermaßen schwer, mich mit vollem Bauch für die Weiterfahrt zu motivieren. Ich brauche fast den gesamten Anstieg nach Le Grand Caunet, um wieder auf Touren zu kommen, wieder eine herrlich einsame Straße durch den unvermeidlichen Kiefernwald. Inzwischen bin ich nur noch einen Steinwurf von der quirligen Mittelmeerküste entfernt. Wenn man die Badeorte der Côte d'Azur mal im Hochsommer erlebt hat, ist es eigentlich kaum zu glauben, dass man hier nur wenige Kilometer ins Hinterland muss, um in völliger Einsamkeit mit dem Rennrad durch herrliche Landschaft zu fahren.
Nach einer rasanten Abfahrt erreiche ich La Ciotat und somit das Mittelmeer. Natürlich nimmt schlagartig der Verkehr zu; ich habe etwas Mühe, die Konzentration im Stadtverkehr hoch zu halten. Doch wiederum ist die Vorfreude groß auf ein absolutes Highlight der kompletten Reise: Die sogenannte Route des Crêtes zwischen La Ciotat und Cassis über Cap Canaille. Ich war schon häufiger hier, zuletzt im Familienurlaub im zurückliegenden Sommer, aber noch nie mit dem Rad. Aus La Ciotat heraus führt eine fiese steile Gerade, doch kurz drauf klettert die Straße mit Meerblick durch die Felsen. Und es wird noch spektakulärer. Nach dem Anstieg führt die Küstenstraße entlang der über 300 Meter senkrecht ins Meer abfallenden Klippen. Einzigartig.
Ich fahre ab nach Cassis, mache Pause beim Bäcker. Noch ein Pass fehlt, der Col de la Gineste, der Cassis durch den Calanques-Nationalpark mit Marseille verbindet. Auch wenn man von den Calanques, den fjordartigen Buchten, hier nichts sieht - diese bleiben Wanderern vorbehalten - ist es eine schöne Passstraße am Mittelmeer. Ich hatte ein wenig Angst davor, merkt man hier doch schon die Nähe zum Großraum Marseille am Verkehr, aber die Sorge war unbegründet. Zwar überholen mich hier deutlich mehr Autos als am ganzen bisherigen Tag, aber es gibt einen breiten Seitenstreifen, auf dem ich in aller Ruhe nach oben kurbeln kann.
Und dann genieße ich die rauschende Abfahrt nach Marseille. Zumindest bis ich im Stau stehe - Freitag-Abend-Feierabendverkehr. Hier wird die Reise Freiburg-Marseille im Vorteil sein, denn dort kommen wir am Wochenende in Marseille an. Ich bin ein wenig genervt, schlängle mich zwischen Autos mit gestressten Fahrer*innen durch, auf Busspuren und blind endenden Radwegen. Doch dann erreiche ich die Küste und kann an der Promenade auf einem perfekt ausgebauten Radweg den Stau passieren. Normalerweise mag ich linksseitige Radwege eher wenig, aber hier kann ich auf der Meerseite der Straße, quasi direkt über den anbrandenden Wellen entlang cruisen. Ich erreiche den malerischen Vieux Port - den historischen Hafen - und schlage mich weiter durch bis zum Hotel.
Sieben Etappen von Neuchâtel bis Marseille geschafft. Und meine Vermutung bestätigt - es wird tatsächlich die schönste Grand-Tour-Schlussetappe aller Zeiten. Col de l'Espigoulier und Cap Canaille sind Weltklasse! Allein dafür lohnt sich die Anreise ab Neuchâtel (oder Freiburg) - selbst wenn es nicht unterwegs noch über monumentale Brocken wie Ballon d'Alsace, Col du Chasseral, Grand Colombier, Mont du Chat, Col de la Machine und Mont Ventoux ginge. Und hält auch Marseille als Zielort, was es verspricht? Ich muss zugeben, dass mir die Stadt zunächst wie ein lärmiger und chaotischer Moloch vorkommt. Es braucht am Abend eine Weile, um auch den rauen Charme der Metropole am Mittelmeer zu spüren, den ich an der Stadt so schätze. Ja, für diese monumentale Reise ist Marseille ein würdiges Ziel!
Epilog
Da ich immer wieder gefragt werde, wie ich nach solchen Solo-Scouting-Touren wieder zurück nach Hause komme, möchte ich auch hier meine Erfahrung schildern. Ich bin ja ein glühender Verfechter der Kombination Rennrad/Bahn, auch wenn man dafür mitunter starke Nerven, Stressresistenz, eine minutiöse akribische Vorplanung und - wie sich immer wieder aufs neue herausstellt - Improvisationstalent benötigt. Insbesondere in Frankreich stellt bei der Eisenbahn-Reiseplanung oft die Radmitnahme die größte Hürde dar.
In den allermeisten TGV-Fernzügen ist eine Radmitnahme nur möglich, wenn das Rad demontiert und in einer Tasche verpackt ist. Ich habe in der Vergangenheit auch schon meine Radtasche per Paket ans Zielhotel voraus geschickt, um sie für die Rückreise verfügbar zu haben. Doch auch dann ist es ein wenig Lotterie, ob man in vollen Zügen tatsächlich Stauraum dafür findet. Bisher hat es bei mir immer gut geklappt.
Für meine Rückfahrt aus Marseille habe ich hingegen die Ausnahme von der Regel gefunden: ein durchgehender TGV von Marseille bis Strasbourg mit Fahrradstellplätzen. Davon gibt es insgesamt vier, und die vier Räder bekommen eine Fläche, auf die die DB höchstens eines gestellt hätte. Da alle Plätze auch besetzt waren, braucht es etwas Absprache untereinander. (Als ich den ersten Mitreisenden mit Rad "Vous allez où?" frage, damit wir die Räder so hinstellen können, dass derjenige, der zuerst aussteigt, auch als erstes sein Rad rausnehmen kann, antwortet er "I don't speak French" mit fränkischem Akzent. Wie sich rausstellt, sind alle vier Mitfahrer mit Rad deutsche Radtouristen.)
Die größte Hürde war der Grenzübertritt. Bei der französischen Bahn kann man nur bis Strasbourg buchen. Und die DB verkauft online keine Reisen mit Fahrradstellplatz, die einen Auslandsanteil haben. Dazu zählt offensichtlich auch die kurze Strecke Strasbourg-Kehl im grenzüberscheitenden Regionalzug Strasbourg-Offenburg. Als Weg des geringsten Widerstands bin ich also vom Bahnhof Strasbourg zum Bahnhof Kehl mit dem Rad gefahren. Da ich zwei separate Tickets hatte und in Deutschland Zugbindung, hatte ich mit einigem zeitlichem Puffer geplant, für den Fall einer Verspätung in Strasbourg. Der Zug war aber pünktlich. Die Verspätung hatte dann erst der deutsche ICE... aber letztendlich war so in einer langen Tagesetappe die Reise von Marseille nach Aachen gut zu machen.
Ich verlasse Aix also nicht in Richtung Süden, sondern Richtung Osten. Statt des direkten Weges eine lange Schleife durch die Provenzalischen Gebirgsketten bis zum Mittelmeer, und dann entlang der Küste durch den Calanques-Nationalpark von Osten her nach Marseille. Also fahre ich zunächst am Südrand der Montagne Sainte-Victoire entlang, deren steil aufragende beigefarbenen Kalksteinfelsen in der Morgensonne leuchten. Als Kunstkenner (der ich nicht bin) kennt man sie anscheinend von den Gemälden Paul Cézannes, des bekanntesten Sohnes der Stadt Aix, zu dessen Lieblingsmotiven das Gebirge gehört. Bei dem zwar nicht besonders hohen, aber dennoch imposanten Massiv kann man Cézannes Beweggründe nachvollziehen.
Nach zehn welligen Kilometern und einer Abfahrt erreiche ich das Arc-Tal, wo entlang der Nationalstraße glücklicherweise ein gut ausgebauter Radweg verläuft, auf dem ich rasch vorankomme. So erreiche ich dann auch schon bald die erste Bergwertung des heutigen Tages, den mir bislang unbekannten Pas de la Couelle. Interessant klingt an ihm vor allem sein Spitzname: Le Petit Galibier. In der Auffahrt, die durch idyllischen Kiefernwald führt, sozusagen provence-prototypisch, halte ich den Vergleich mit dem Col du Galibier für sehr dick aufgetragen. Doch in der serpentinenreichen Abfahrt auch frischem Asphaltbelag meine ich dann spüren zu können, wie die lokale Rennrad-Gemeinde zu der Assoziation gelangt ist.
Es geht sofort weiter in den nächsten Anstieg, auch ihn kenne ich bislang noch nicht, und er ist auch auf quäldich bislang ein völlig unbeschriebenes Blatt. Auf der Nordseite der Montagne de la Sainte-Baume (benannt nach der Höhle, in die Maria Magdalena sich nach der Missionierung der Provence als Einsiedlerin zurückgezogen haben soll) führt eine Nebenstrecke von Saint-Zacharie hinauf nach Plan d'Aups. Es gibt hier noch kein Höhenprofil, und so bin ich eher überrascht von der steilen Auftaktrampe, die mich aus dem Ort hinaus in ein Seitental führt. Kurz darauf noch eine ähnlich fiese Rampe, dann bleibt die Steigung zwar unregelmäßig, aber es wird auch immer schöner. Ein Highlight.
In Plan d'Aups bin ich auf einem Hochplateau angekommen, und es geht gleich weiter zum Col de l'Espigoulier. Den kenne ich schon, und die Vorfreude ist groß, denn der Pass ist zwar kaum bekannt, aber steht ziemlich weit oben auf meiner Favoritenliste. Und ich werde schon in der Auffahrt nicht enttäuscht. Im Norden prangt die Montagne Sainte-Victoire am Horizont, dahinter taucht dann auch noch der Mont Ventoux auf, und an der Passhöhe sieht man schon nach Marseille hinunter. Das schönste ist aber - in meiner Fahrtrichtung - die traumhafte, sehr schön trassierte Abfahrt durch Felsenlandschaft mit Meerblicken. Sagenhaft.
Die Abfahrt führt mich nach Gémenos, ein hübsches provenzalisches Städtchen, gerade außerhalb der wenig anheimelnden Vororte von Marseille. Aïoli preist ein Restaurant als plat du jour an, was nicht nur die berühmte Knoblauch-Mayonnaise bezeichnet, sondern auch einen signature dish der provenzalischen Küche mit gedünstetem Fisch und Gemüse, mit eben jener Knoblauch-Mayonnaise serviert. Ich mache sofort eine Vollbremsung und kehre hier ein, wollte ich doch sowieso hier irgendwo Mittagspause machen. Das Restaurant ist brechend voll, und ich habe Glück, dass ich noch einen Tisch auf der Terrasse bekomme, vermutlich kehrt das ganze Dorf hier mittags ein, wenn es Aïoli gibt. Volltreffer. Geht noch mehr provenzalisches Lebensgefühl?
Es fällt mir zugegebenermaßen schwer, mich mit vollem Bauch für die Weiterfahrt zu motivieren. Ich brauche fast den gesamten Anstieg nach Le Grand Caunet, um wieder auf Touren zu kommen, wieder eine herrlich einsame Straße durch den unvermeidlichen Kiefernwald. Inzwischen bin ich nur noch einen Steinwurf von der quirligen Mittelmeerküste entfernt. Wenn man die Badeorte der Côte d'Azur mal im Hochsommer erlebt hat, ist es eigentlich kaum zu glauben, dass man hier nur wenige Kilometer ins Hinterland muss, um in völliger Einsamkeit mit dem Rennrad durch herrliche Landschaft zu fahren.
Nach einer rasanten Abfahrt erreiche ich La Ciotat und somit das Mittelmeer. Natürlich nimmt schlagartig der Verkehr zu; ich habe etwas Mühe, die Konzentration im Stadtverkehr hoch zu halten. Doch wiederum ist die Vorfreude groß auf ein absolutes Highlight der kompletten Reise: Die sogenannte Route des Crêtes zwischen La Ciotat und Cassis über Cap Canaille. Ich war schon häufiger hier, zuletzt im Familienurlaub im zurückliegenden Sommer, aber noch nie mit dem Rad. Aus La Ciotat heraus führt eine fiese steile Gerade, doch kurz drauf klettert die Straße mit Meerblick durch die Felsen. Und es wird noch spektakulärer. Nach dem Anstieg führt die Küstenstraße entlang der über 300 Meter senkrecht ins Meer abfallenden Klippen. Einzigartig.
Ich fahre ab nach Cassis, mache Pause beim Bäcker. Noch ein Pass fehlt, der Col de la Gineste, der Cassis durch den Calanques-Nationalpark mit Marseille verbindet. Auch wenn man von den Calanques, den fjordartigen Buchten, hier nichts sieht - diese bleiben Wanderern vorbehalten - ist es eine schöne Passstraße am Mittelmeer. Ich hatte ein wenig Angst davor, merkt man hier doch schon die Nähe zum Großraum Marseille am Verkehr, aber die Sorge war unbegründet. Zwar überholen mich hier deutlich mehr Autos als am ganzen bisherigen Tag, aber es gibt einen breiten Seitenstreifen, auf dem ich in aller Ruhe nach oben kurbeln kann.
Und dann genieße ich die rauschende Abfahrt nach Marseille. Zumindest bis ich im Stau stehe - Freitag-Abend-Feierabendverkehr. Hier wird die Reise Freiburg-Marseille im Vorteil sein, denn dort kommen wir am Wochenende in Marseille an. Ich bin ein wenig genervt, schlängle mich zwischen Autos mit gestressten Fahrer*innen durch, auf Busspuren und blind endenden Radwegen. Doch dann erreiche ich die Küste und kann an der Promenade auf einem perfekt ausgebauten Radweg den Stau passieren. Normalerweise mag ich linksseitige Radwege eher wenig, aber hier kann ich auf der Meerseite der Straße, quasi direkt über den anbrandenden Wellen entlang cruisen. Ich erreiche den malerischen Vieux Port - den historischen Hafen - und schlage mich weiter durch bis zum Hotel.
Sieben Etappen von Neuchâtel bis Marseille geschafft. Und meine Vermutung bestätigt - es wird tatsächlich die schönste Grand-Tour-Schlussetappe aller Zeiten. Col de l'Espigoulier und Cap Canaille sind Weltklasse! Allein dafür lohnt sich die Anreise ab Neuchâtel (oder Freiburg) - selbst wenn es nicht unterwegs noch über monumentale Brocken wie Ballon d'Alsace, Col du Chasseral, Grand Colombier, Mont du Chat, Col de la Machine und Mont Ventoux ginge. Und hält auch Marseille als Zielort, was es verspricht? Ich muss zugeben, dass mir die Stadt zunächst wie ein lärmiger und chaotischer Moloch vorkommt. Es braucht am Abend eine Weile, um auch den rauen Charme der Metropole am Mittelmeer zu spüren, den ich an der Stadt so schätze. Ja, für diese monumentale Reise ist Marseille ein würdiges Ziel!
Epilog
Da ich immer wieder gefragt werde, wie ich nach solchen Solo-Scouting-Touren wieder zurück nach Hause komme, möchte ich auch hier meine Erfahrung schildern. Ich bin ja ein glühender Verfechter der Kombination Rennrad/Bahn, auch wenn man dafür mitunter starke Nerven, Stressresistenz, eine minutiöse akribische Vorplanung und - wie sich immer wieder aufs neue herausstellt - Improvisationstalent benötigt. Insbesondere in Frankreich stellt bei der Eisenbahn-Reiseplanung oft die Radmitnahme die größte Hürde dar.
In den allermeisten TGV-Fernzügen ist eine Radmitnahme nur möglich, wenn das Rad demontiert und in einer Tasche verpackt ist. Ich habe in der Vergangenheit auch schon meine Radtasche per Paket ans Zielhotel voraus geschickt, um sie für die Rückreise verfügbar zu haben. Doch auch dann ist es ein wenig Lotterie, ob man in vollen Zügen tatsächlich Stauraum dafür findet. Bisher hat es bei mir immer gut geklappt.
Für meine Rückfahrt aus Marseille habe ich hingegen die Ausnahme von der Regel gefunden: ein durchgehender TGV von Marseille bis Strasbourg mit Fahrradstellplätzen. Davon gibt es insgesamt vier, und die vier Räder bekommen eine Fläche, auf die die DB höchstens eines gestellt hätte. Da alle Plätze auch besetzt waren, braucht es etwas Absprache untereinander. (Als ich den ersten Mitreisenden mit Rad "Vous allez où?" frage, damit wir die Räder so hinstellen können, dass derjenige, der zuerst aussteigt, auch als erstes sein Rad rausnehmen kann, antwortet er "I don't speak French" mit fränkischem Akzent. Wie sich rausstellt, sind alle vier Mitfahrer mit Rad deutsche Radtouristen.)
Die größte Hürde war der Grenzübertritt. Bei der französischen Bahn kann man nur bis Strasbourg buchen. Und die DB verkauft online keine Reisen mit Fahrradstellplatz, die einen Auslandsanteil haben. Dazu zählt offensichtlich auch die kurze Strecke Strasbourg-Kehl im grenzüberscheitenden Regionalzug Strasbourg-Offenburg. Als Weg des geringsten Widerstands bin ich also vom Bahnhof Strasbourg zum Bahnhof Kehl mit dem Rad gefahren. Da ich zwei separate Tickets hatte und in Deutschland Zugbindung, hatte ich mit einigem zeitlichem Puffer geplant, für den Fall einer Verspätung in Strasbourg. Der Zug war aber pünktlich. Die Verspätung hatte dann erst der deutsche ICE... aber letztendlich war so in einer langen Tagesetappe die Reise von Marseille nach Aachen gut zu machen.
Ich bin diese Etappe gefahren
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