Das ist bei den quäldich-Reisen ja schon seit jeher das Arbeitsmotto, denn nicht jeder ist ein Improvisationstalent wie unser Chef. Anfang 2017 kam bei einem Brainstorming in unserem Reise-Organisations-Beraterteam heraus, dass wir unbedingt einmal etwas im Territorium der Frühjahrsklassiker machen müssen. Auf das Stilfser Joch hochgurken kann schließlich jeder, aber bei waagerechtem Regen und Sturmböen über das verschlammte Pavé nach Roubaix dübeln, da trennt sich die Spreu vom Weizen, oder besser: die Lusche vom Helden. Ganz so krass müssen die Bedingungen für mich zwar nicht sein, aber die Faszination ist schon da. Die Ardennen, Flandern, Nordfrankreich – das sind einfach Klassiker und ein Must-have im Lebenslauf des Rennradfahrers.
Seit dem Frühjahr 2016 wohne ich am Rande des Klassiker-Reviers. Wenn ich aus der Türe der quäldich-Außenstelle (also meines Home Office) trete, sehe ich die Antenne auf dem Eyserbosberg. Nur wohne ich halt jenseits der Grenze in Deutschland, und das sind radsportliche Welten zu Belgien oder den Niederlanden, die eben klassische Radsportnationen sind. Jan Ullrich wird – leider – nie den Status eines Eddy Merckx erreichen. Und an schönen Tagen findet man am Cauberg eine höhere Rennradfahrerdichte vor als am Mont Ventoux.
Einige weltbekannte Anstiege – nach objektiven Kriterien Hügel, nach lokalem Selbstverständnis Monumente – habe ich also bereits erkundet, nicht zuletzt in Vorbereitung auf Düsseldorf-Paris 2017. Doch Roubaix ist auch von Aachen weit weg, und so entschließe ich mich am Fronleichnamswochenende 2017 zu einer Dienstreise ins Klassikerterritorium. Vorbereitung ist alles.
Von majortom – Die Tour beginnt unter schlechten Vorzeichen. Eigentlich wollte ich nach dem Frühstück aufbrechen, aber meine Tochter ist krank, also hütet Papa, bis am späten Vormittag die Oma übernehmen kann. 140 Kilometer liegen noch vor mir bis Namur, und die Ardennen-Topographie ist auch nicht gerade leicht. Das geplante Reiseprogramm habe ich zwar um das bekannte Terrain in Südlimburg und den Ardennen im Grenzgebiet zusammengestichen, es bleibt aber immer noch eine anspruchsvolle erste Etappe übrig. Doch was solls. Ich verlasse Aachen, bin kurz auf niederländischem Grund und Boden unterwegs und erreiche kurz darauf Belgien. Der Pas van Wolfhaag ist nur ein kleines Hindernis, und ich rolle auf bestens bekannten Routen nach Südwesten.
Kurz nach Aubel, erster Zwangsstopp. Platten. Großartig. Entnervt diagnostiziere ich einen Riss im Mantel, glücklicherweise ist Ersatzmaterial an Bord, so dass mich das nicht lange aufhalten kann. Kurz vor Verviers dann der zweite Zwischenstopp. Es ist Mittag, ich habe Hunger, eine Frittenbude am Straßenrand ist zu verlockend; wer weiß wann sich im Niemandsland der Ardennen die nächste Gelegenheit ergibt. So erreiche ich das Weser-Tal westlich von Verviers gut gestärkt, rollen im Tal bis Pepinster, rollen im Seitental bis Theux. Das hügelige Gebiet geht über in echtes Mittelgebirge; ich bin in den Ardennen angekommen.
Mein erster Anstieg ist die Côte de Becco, schön zu fahren in herrlich einsamer Idylle. Es macht Spaß. Und kurz darauf treffe ich dann endlich auf die geplante Strecke der Reise und stürze mich in die Abfahrt nach Sougné-Remouchamps. Hier wartet mit der Côte de la Redoute ein anderes Kaliber. Vor langer Zeit bin ich hier mit Marcel im Nebel gefahren, und deswegen bin ich heute ganz überrascht, dass die Redoute nicht nur eine fiese Rampe ist, sondern auch wirklich hübsche Ausblicke hinab ins Amblève-Tal bietet. Natürlich (wie könnte es anderes sein) zeugen die Namen von Helden des Profiradsports auf der Straße vom Klassiker Lüttich-Bastogne, deren Scharfrichter die Redoute ja traditionell ist.
Ich fahre weiter nach Sprimont, hinab ins Ourthe-Tal bei Méry, und sogleich wartet der nächste Anstieg. Auch das ein Markenzeichen der Klassiker, hier geht es immer Schlag auf Schlag, Erholen ist für Weicheier. Und so nehme ich die Côte de la Roche aux Faucons in Angriff, die leider bei weitem nicht so schön ist wie die Redoute, auch nicht so lang, dafür aber nochmal ein Ideechen steiler. Quetschen ist angesagt; ich spüre mein Gepäck am Rad.
Weiter geht es nach Westen, hügeliges, bewaldetes Gelände, bis ich schließlich ins Maas-Tal abfahre. Hier könnte ich nun gemütlich bis ins Tagesziel nach Namur durchrollen. Doch leider geht es unterwegs an Huy vorbei, und da es eine Klassiker-Tour ist, darf man natürlich die Mur de Huy nicht auslassen. Hier war ich tatsächlich schonmal, und so spiele ich kurz mit dem Gedanken, angesichts der fortgeschrittenen Tageszeit auf die Schleife über die Mauer zu verzichten. Nur ganz kurz wohlgemerkt, denn dieser Plan wird sogleich wieder verworfen. Ich bin in Huy, ich fahre die Mauer, basta! Das fiese daran ist, dass die Straße noch recht human anzusteigen beginnt, so dass Optimisten wie mir unvermeidlich Hoffnung gemacht wird. Ach, vielleicht wird es ja gar keine 19 Prozent steil, wie unten angekündigt. Doch, wird es. Und es hört einfach nicht auf. Na ja, irgendwann schon... und auf der parallelen Strecke wieder zurück in den Ort. Überflüssige Schleife? Auf keinen Fall.
Ich wollte weiter im Maas-Tal fahren, doch mein Co-Streckenplaner Marcel hat sich ausgedacht, dass ich auch noch die Côte de Ben-Ahin fahren könnte. Außer dass die Beine nochmal brennen kein wirklicher Mehrwert, aber auch das ist ja ein Qualitätsmerkmal. Und ich komme nochmal zu ein paar schönen Kilometern, bis ich dann endgültig im Maas-Tal ankomme.
Okay, Namur ist nicht mehr weit, es bleibt flach, und unsere Streckenplanung stellt sich als ziemlich gut heraus, da ich bis kurz vor Namur größeres Verkehrsaufkommen vermeiden kann. Flow, würde Jan sagen. Und so rolle ich am späten Nachmittag in der schönen Hauptstadt der Wallonie ein. Vielversprechende Auftaktetappe!
Von majortom – Der zweite Tag beginnt bei strahlendem Sonnenschein in Namur. Eigentlich kein Klassiker-Wetter, von mir aber gerne so hingenommen. Das Wetter kann man sich schließlich nicht aussuchen. Dementsprechend schön leuchtet aber die imposante Zitadelle von Namur in der Morgensonne und animiert mich zu mehreren kurzen Fotostopps. In Namur trifft die Sambre auf der Maas, und dem Sambre-Tal folge ich nun entlang der N90 in westlicher Richtung. Die Auftaktkilometer sind mit Sicherheit nicht die verkehrsärmsten meiner Tour, aber es ist doch erträglich, und ich nehme auf flacher Strecke ganz gemächlich Fahrt ab.
Knapp zehn Kilometer geht das Flachstück, dann verlasse ich die Nationalstraße und bin fortan auf kleinsten Sträßchen unterwegs. Im Gegensatz zum Lütttich-Bastogne-Revier von gestern ist das nun das unbekannte Belgien, flaches bis hügeliges Gebiet in der nördlichen Wallonie. Endlose Felder, viele Betonplattenstraßen, keine Autos. Ich scheine hier im absoluten Niemandsland unterwegs zu sein, und gerade das ist es, was die Etappe so angenehm macht. Fahrt auf Autopilot, beobachten wie sich langsam die Landschaft ändert, stoischer Tritt, die Gedanken schweifen. Ein paar kleinere Hügel sind dabei, hart an der Grenze zur Kackwelle, so weit es geht auf der Ideallinie nach Nordwesten, ins flandrische Klassiker-Gebiet.
Es ist dann kurz vor Andenelle, als ich einen ersten Vorgeschmack auf die bevorstehenden Pflasterpassagen bekomme. Ein bestens asphaltierter Feldweg geht auf einmal in eine staubige, gepflasterte Rumpelpiste über. Mieser kann es auch in Flandern oder Nordfrankreich nicht mehr werden, denke ich mir, und streiche diesen Weg sofort aus der Strecke. Und es geht weiter. Saint-Géry, Mellery, und das nächste Pflasterstück, diesmal aber deutlich humaner. Dennoch weiche ich auf den schmalen Streifen neben der Straße aus, denn mit Gepäck am Rad rüttelt es doch auch hier schon ganz schön. Na das kann ja heiter werden.
Das Pavé endet mit einer sanften Abfahrt an der Abbaye de Villiers, schöne alte Gebäude, aber endlich wieder Asphalt unter der Rädern. Und im darauffolgenden Anstieg gibt mein zuvor auf einer regnerischen Scoutingtour um Düsseldorf abgesoffener Garmin endgültig den Geist auf. Zum Glück habe ich vorgesorgt und einen Ersatz dabei, ser nun zum Einsatz kommt. Weiter geht es in Richtung Nordwesten. Genappe, Mittagspause, Lillois, Ittre – es sind verschlafene Ortschaften, mit Namen, die ich sofort wieder vergesse. Und dennoch mag ich solche Übergangsetappen...
Enghien ist die nächste Zäsur, hier verlasse ich die Wallonie und komme nach Flandern. Ronde van Vlaanderen, auch das ein Begriff, der jedem Klassikerfreund den Puls vor Freude in die Höhe treiben lässt. Was sich verändert, ist aber nicht nur die Sprache, sondern auch die Umgebung. Radwege neben der Straße, die Orte sehen anders aus, die Ausschilderung nach Geraardsbergen lockt. Die dortige Mauer ist die erste helling auf meiner flandrischen Todo-Liste. Sie ist steil, aber kurz, und so mies ist das Pflaster gar nicht – jedenfalls bin ich überrascht, als ich oben an der Kapelle stehe und von dem Hügel heruntersehe. Soll das schon alles gewesen sein?
Die bekanntesten Ronde-Anstiege habe ich mir natürlich für den morgigen Tag aufgespart, heute heißt es nur noch nach Oudenaarde zu kommen. Hier hat Klassikerspezialist Marcel wieder die Planung übernommen und mir noch ein paar hellingen eingebaut, von denen ich nie gehört habe. Der Valkenberg ist asphaltiert, der Eikenberg dann nochmal gepflastert, aber wieder kann man am Rand der Straße mogeln und auf den Betonplatten fahren. Was ich recht schamlos tue. Viel schöner als die giftigen Rampen finde ich jedoch die Passagen dazwischen, die größtenteils auf einsamen heckengesäumten Landstraßen durch die flandrische Einöde führen.
Oudenaarde entpuppt sich dann als sehr schöner Etappenort, zumal ich auf dem Weg zum Hotel auch noch am Ronde-Museum vorbei komme. Hier hätte sich ein Besuch sicher auch gelohnt, aber den hebe ich mir fürs nächste Mal auf...
Von majortom – Ich muss ja zugeben, dass ich die Faszination für Kopfsteinpflaster, die viele Rennradfahrer an den Tag legen, nicht so ganz teilen kann. Es ist wie mit Stäbchen im Chinarestaurant, die sind durch die Erfindung der Gabel einfach obsolet geworden. Genauso wie Pavé mit der Erfindung des Asphalts. Welchen Grund kann es schon geben, sich selbst und sein Material freiwillig diesem Gerüttel auszusetzen? Nach dem unerwarteten wallonischen Sneak Preview gestern also heute der flandrische Ernstfall. Das hellingen-Triumvirat der Ronde und die letzten 5 Sektoren von Paris-Roubaix.
Ich muss aber auch zugeben, dass ich neugierig bin. Dass auch ich mich der Faszination dieser Rennen nicht entziehen kann, und gespannt auf die heutige Etappe. Und so rolle ich aus Oudenaarde heraus, wieder bei strahlendem Sonnenschein. Die ersten fünf Kilometer sind noch flach, dann geht es in den Koppenberg, wo mir aus dem Fernsehen noch Bilder von schiebenden Radprofis im Kopf sind. Ich muss nicht schieben, aber steil ist es schon, dafür gar nicht so schwierig zu fahren, wie ich befürchtet hatte. Mache ich etwa doch meinen Frieden mit dem Pavé?
Es geht weiter: Rollen auf verwinkelten Straßen, Abfahrt, Anstieg zum Oude Kwaremont, der deutlich weniger steil, dafür aber doch länger ist. Und es geht auch noch nach der Rampe ein Stück auf Pflaster weiter, so richtig Fahrt aufzunehmen gelingt mir jedoch nicht. Und Schlag auf Schlag gleich hinterher der Paterberg, der ist steil, aber kurz. Hm, so furchterregend war das alles ja gar nicht. Auf Marcels Vorschlag checke ich dann auch noch die Auffahrt zum Fiertelmeers aus, der sich aber zumindest teilweise als rumpeliger Waldweg herausstellt und mein Improvisationstalent so auf die Probe stellt.
Dann wird die Etappe auf einmal wieder zur Übergangsetappe. Ich kehre von Flandern in die Wallonie zurück und bin wieder pflasterlos unterwegs, über herrliche Landstraßen, über die er sich schön Richtung Süden cruist. Bis zum Mittag bin ich schon in Tournai angekommen, kurz vor der französischen Grenze, wo ich auf dem Marktplatz für einen Burger au Bleu de Chimay einkehre. Beste Mittagspause der Tour!
Auf unscheinbarer Route überquere ich die Grenze nach Frankreich, und die Nervosität steigt wieder etwas. Denn praktisch direkt hinter der Grenze wartet der Sektor 5, das Pavé de la Justice. 1,8 km auf Kopfsteinpflaster – wo da die Gerechtigkeit sein soll, erschließt sich mir nicht so ganz. Mit Kraft drüber drücken und die Geschwindigkeit hoch halten, so lautet ja die altbekannte Strategie fürs Kopfsteinpflaster. Was auf sauber verlegtem Altstadtkopfsteinpflaster in deutschen Städten ja noch gut funktioniert, hier verliere ich jedoch recht schnell an Geschwindigkeit, das Gepäck vibriert am Rahmen, es rumpelt und rumpelt und nimmt kein Ende. Kopfschüttelnd fahre ich am Ende des Sektors rechts ran. Die Versuchung ist da, auf der Garmin-Karte nach einer parallelen Route ohne Pflaster zu suchen.
Unser Pavé-Experte Marc schreibt: „20 km vor dem Ziel in läutet der Sektor 5 das Finale von Paris-Roubaix ein, denn die nächsten 3 Sektoren folgen beinahe unmittelbar aufeinander, so dass fast 6 km ununterbrochen auf Pavés zurückzulegen sind.“ Zum Glück weiß ich das nicht, als ich durch Camphin-en-Pévèle fahre. Nur kurz bin ich also auf Asphalt unterwegs, dann geht es in den Sektor 4, Carrefour de l'Arbre, mit dem Prädikat der 5-Sterne-Maximalschwierigkeit. Die gute Nachricht: es wird nicht schlimmer als auf dem Pavé de la Justice (keine Ahnung wie viele Sterne der hat). Die schlechte Nachricht: das ist immer noch übel genug. Ich versuche übers Pflaster zu hoppeln – nervt! Ich versuche den schmalen Erdstreifen am Rand – nervt! Nur Absteigen und Schieben, dazu kann ich mich dann doch nicht durchringen. Pavé – so ein Kack!
Der Sektor 4 ist vom Sektor 3 lediglich durch die Überquerung einer – glücklicherweise asphaltierten – Straße getrennt, das ist wohl die Kreuzung am Baum, was Carrefour de l'Arbre wörtlich übersetzt heißt. Also 30 Meter perfekter Untergrund, dann geht das Gehoppel von neuem los. 1,1 km Pflaster nach Gruson. Selten war ich von 1,1 km Straße so genervt. Dann kann ich mich erstmal ein paar Kilometer wieder erholen, bis der Sektor 2 ansteht, das Pavé de Hem. Hier gibt es glücklicherweise einen Seitenstreifen, auf dem man ganz gut fahren kann. Also gut, vorletzter Sektor, und im Hinterkopf habe ich, dass der Sektor 1, schon innerhalb Roubaix gelegen, nur noch Pillepalle ist. Also habe ich es wohl geschafft. Wow!
Hem ist quasi ein Vorort von Roubaix (was ja wiederum ein Vorort von Lille ist), so dass es nun auf innerstädtischen Boulevards Richtung Vélodrome geht. Ich hoffe, das berühmte Ziel des Klassikers wenigstens mal kurz von außen sehen zu können, und bin sehr überrascht, dass das Tor auf das Gelände des Vélodrome einfach offen steht. Also fahre ich einfach hinein und stelle fest, dass die Wiese in der Mitte des Ovals von ein paar Familien als Picknickfläche genutzt wird, und zwei Jugendliche auf der Bahn ihre Runden drehen. Kann man hier also einfach so rein fahren? wundere ich mich. Und lasse mich natürlich nicht aufhalten und fahre mit meinem bepackten Rad hinein. Ich war noch nie auf einer Bahn unterwegs und erkenne, dass man hier nicht einfach so mit Luschenspeed rumdödeln kann... hier muss natürlich gesprintet werden, auch wenn das mangels Gegner eher lächerlich ausfällt. Aber was für ein Gefühl, hier einfach so seine Runden drehen zu können. Und noch besser fühlt es sich natürlich an, wenn man zuvor auch die Pflasterkacke tapfer weggequetscht hat (auch wenn es in meinem Fall nur ein paar Sektoren waren)...
Von majortom – Ich bin in Roubaix. Ich habe über Ardennen-Rampen gequetscht, ich habe flandrische hellingen bezwungen, ich habe auf den Roubaix-Sektoren gelitten. Also Auftrag erledigt, die Dienstreise ist um. Der heutige Epilog ist also mein reines Privatvergnügen. Mit meiner Familie habe ich mich an der belgischen Nordseeküste verabredet, um da noch ein paar Tage die angesammelten Überstunden zu verfeiern. Zum Glück liegt das in Tagesentfernung von Roubaix, so dass ich die Tour auch mit dem Rad beenden kann.
Wenn man ehrlich ist, ist die Metropolregion Lille nicht unbedingt schön, und Roubaix mit Sicherheit nicht die Perle dieser Metropolregion. Ich versuche also, die Großstadt so bald wie möglich hinter mir zu lassen, was dank guter Planung auch ganz gut gelingt. Etwas genervt bin ich zwar von den Radwegen, die hier wie üblich nach dem Motto „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“ neben die Straßen gequetscht werden, obwohl sie eigentlich keiner brauchen würde. Und sowohl flandrische als auch nordfranzösische Autofahrer benehmen sich sehr aggressiv, wenn man diese Wege ignoriert. Zum Glück komme ich schon bald wieder in ruhigere Gebiete, überquere dann auch wieder die Grenze nach Belgien. Als sich nun meine Fahrtrichtung nach Westen ändert, bekomme ich erstmals mit voller Wucht den Wind zu spüren, der vom Atlantik übers Land fegt. Das wird wohl wider Erwarten eine anstrengende Etappe.
Warum biege ich nach Westen ab? Als keinen Bonus gönne ich mir noch das sogenannte Heuvelland, „Hügelland“ also, das den Protagonisten beim Halbklassiker Gent-Wevelgem darstellt. Der Kemmelberg ist der Scharfrichter des heutigen Tages, zum Glück nur ein kleines Hügelchen, aber mal wieder gepflastert. Es scheint kein Ende zu nehmen. Auf verwinkelten Klassiker-Straßen steuere ich dann auf den Mont Noir zu, der wieder jenseits der Grenze nach Frankreich liegt und sich vor allem durch eine Aneinanderreihung von Schnapsläden an der Grenze auszeichnet. So gelange ich dann zum Mont des Cats und muss in der Rampe feststellen, dass bei mir am vierten Tag die Luft irgendwie raus ist. Also erstmal Mittagspause in Goedewaersvelde, natürlich wieder stilecht in der Frittenbude.
Es wird besser, als sich meine Fahrtrichtung nun wieder nach Norden ändert – Seitenwind ist doch noch angenehmer als frontaler Gegenwind. Bald bin ich wieder in Belgien, und als es dann schließlich Richtung Nordosten geht, bläst mich der Rückenwind in Richtung Ziel. Es macht wieder Spaß. So rolle ich also bis an die Küste, komme am Meer an. Habe vier schöne Etappen hinter mir und einen Kurzurlaub vor mir. Aachen-Roubaix 2018 kann kommen*.
*Anmerkung der Redaktion: Aufgrund vieler weiterer Reise-Verpflichtungen überlasse ich die Durchführung von Aachen-Roubaix lieber fähigeren Mitstreitern. quäldich-Chef Jan ist dank der Pflasterstraßen der Brandenburger Tiefebene bestens für das Vorhaben gerüstet, Rampenkünstler Marcel fiebert sowieso jedem unnötig steilen Stück Straße entgegen, und Peter wartet schon darauf, die Schlammspritze auszupacken, für den Fall dass es wider Erwarten gutes Wetter geben sollte...