Von majortom –
Tag zwei. Für den Sonntag habe ich mir viel vorgenommen, mit 147 geplanten Kilometern die bislang längste Tour für mich dieses Jahr, dafür eher wenige Höhenmeter und viel Flow. Wenn mir der Wind nicht dazwischen funkt, der nachmittags wieder auffrischen soll, und heute müsste ich dann am Ende der Tour in nordwestlicher Richtung gegen den Wind fahren.
Doch die Euphorie von gestern hält an, da die Bedingungen am morgen wieder perfekt scheinen: blauer Himmel, Temperaturen im zweistelligen Bereich. Meine Runde führt mich in die entgegengesetzte Richtung, zunächst durchs Flachland nach Südwesten. Hier ist alles terra incognita, nicht mal Tracks im qd-Tourenplaner gibts. Immerhin ermöglicht mir das, mein eigenes Kilometerkonto im Tourenplaner-Ranking etwas aufzubessern. Aus der noch recht breiten Straßen aus L'Isle heraus wird bald eine etwas schmalere, viel Verkehr hat es am Sonntag früh sowieso nicht. Ich erreicht Caumont-sur-Durance und wechsle das Durance-Ufer nach Süden. Über die Brücke verläuft eine stark befahrene Route Nationale, aber es gibt einen schmalen Radstreifen, so dass das kein Problem ist. Links türmt sich der Lubéron auf – ich werde ihn heute Nachmittag noch überqueren – aber in Richtung Süden breitet sich die höchstens hügelige Ebene aus.
Ich verlasse die Route Nationale, fahre über Eyragues weiter nach Südwesten. Die Straßen werden immer schmaler, ein Hügelchen bürdet mir ein paar unerwartere Höhenmeter auf, dann geht es über asphaltierte Wirtschaftswege zwischen Gewächshäusern hindurch. Hier kommt also das Gemüse her, was ich zu Hause im Supermarkt kaufen kann... Dann erreiche ich die Alpilles, die ihren Namen haben, weil sie eine kleinere Version der Alpen sein sollen. Tatsächlich eine sehr kleinere Version, denn sie ragen kaum bis auf 250 m auf. Aber die Auffahrt über das Val d'Enfer (Höllental) ist sehr schön, wenn auch nicht wirklich so danteesk, wie es oben am höchsten Punkt zwischen den Kalkfelsen eine Tafel ausweist. Ich lasse mich die sehr schöne Auffahrt hindurch zu einer Schwanzmesseinlage mit drei (vermutlich) einheimischen Rennradlern hinreißen, die kurz vor mir auf die Straße einbiegen. Und scheitere grandios: zwei sehe ich erst an der Passhöhe wieder, beim dritten bleibt immerhin ein bisschen Hoffnung, doch auch er nimmt mir bis oben noch etwa 200 Meter ab.
Seis drum, ich beglückwünsche die drei zu ihrer guten Frühform und fahre durch die Kalkfelsen hindurch ab nach Maussane. Hier erinnern mich die Alpilles weniger an die Alpen als an die karlmayesken Landschaften des Velebit in Kroatien – wenn auch wiederum nur in der Miniaturvariante. Auf der Abfahrt passiere ich noch das mittelalterliche Dorf Les Baux, übrigens Namenspatron des Aluminiumerzes Bauxit, das hier einst gefördert wurde. Ein schönes Fotomotiv, das mir im Gegenlicht leider völlig misslingt. (Weitere Informationen hierzu finden sich bei der Passbeschreibung des Col de la Vayède, den ich heute links liegen lasse.) Hinter Maussane fahre ich dann auf einer Nebenstraße durch Olivenhaine am Südrand der Alpilles entlang, was aufgrund nicht ganz einwandfreien Straßenbelags zwar anstrengend, aber für mich dennoch der schönste Tagesabschnitt ist.
Dann ist wieder Flow angesagt. Bei weitestgehend flacher Topographie cruise ich nach Osten. Rechts von mir dürfte das Mittelmeer auch nicht mehr weit seit, aber dennoch unerreichbar, wenn ich nicht eine Etappe mit mehr als 200 Kilometern fahren will. Ein wenig eintönig ist die Passage, in der Gruppe würde es sicher mehr Spaß machen, es ist einfach ein stoischer Tritt angesagt, um Kilometer zu fressen. Teils geht es parallel zum EDF-Kanal, der Durance-Wasser zur Trinkwasserversorgung und Stromgewinnung nutzt, dann in nördlicher Richtung erneut über die Durance nach Cadenet. Es ist inzwischen ein wenig zugezogen, etwas mehr als 90 km sind absolviert, und ich entscheide mich zu einer Mittagspause.
Leider war es das mit dem blauen Himmel, als ich wieder en route bin, und auf der Restaurantterrasse bin ich auch ein wenig ausgekühlt. Ein kleiner Hügel muss jetzt in Richtung Lourmarin überquert werden, dann geht es durch eine hübsche Schlucht Combe de Lourmarin, auf den Col de Pointu zu, der den höchsten Punkt der heutigen Etappe darstellt (wenn auch mit knapp 500 m Höhe) einen eher niedrigen höchsten Punkt. Es ist eine schöne, eher gemütliche Auffahrt, die den Lubéron-Hauptkamm überquert und überraschenderweise noch recht gute Beine offenbart. Die Abfahrt führt mich dann auf Apt zu.
Kurz vor Apt drehe ich jedoch nach Westen ab, auf die Véloroute du Calavon zu, einem Bahntrassen-Radweg, der dem Flüsschen Calavon folgt und Apt mit Cavaillon verbindet. Hier kann ich trotz leicht nervigem Gegenwind und ebenfalls nervigen Schranken an jeder kreuzenden Straße die Etappe gut ausklingen lassen. Wegen der Schranken wechsle ich für ein paar Kilometer auf eine parallel verlaufende Nebenstraße, deren Belag jedoch so holprig ist, dass man denkt, man sei auf Kopfsteinpflaster unterwegs. So langsam merke ich, wie meine Kräfte schwinden, insbesondere auf den abschließenden Kilometern nach L'Isle zurück habe ich ordentlich zu kämpfen. Doch schließlich stehe ich wieder am Hotel, wo ich dankenswerterweise mein Auto noch bis zum Nachmittag abstellen durfte.
Was mir bleibt, sind nicht nur zwei sensationelle Radtouren früh im Jahr bei ausgezeichneten Bedingungen, sondern auch viele wertvolle Erkenntnisse, die in das Projekt Provence 2017 mit einfließen werden.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren