Von H11i –
Einige müssen während der Nacht das Fenster schliessen, da der Regen sie vom Weiterschlafen abhält. Beim Aufstehen lausche auch ich dem lauten Geplätscher draussen auf dem Wellblechdach und spüre die merklich kühlere Luft, die ins Zimmer strömt. Die gute Nachricht an der heutigen Wettervorhersage ist, ist dass sie eindeutig ist. Die schlechte Nachricht, dass sie für uns ungeeignet ist. Radfahren macht bei trockenem und warmem Wetter bedeutend mehr Spass als bei Nässe und Kälte.
In Anbetracht dessen, dass auf der heutigen Etappe drei längere Ansteige (Col du Tourmalet, Col d’Aspin, Col de Peyersourde) zu bewältigen sind, – immerhin, es steht nur eine Regelplanung zur Auswahl – mit deren Abfahrten, entsteht beim Frühstück gegenüber unserem Vorhaben, unter dem Motto «quäldich» Rad zu fahren, eine gewisse Skepsis: Rad oder doch Taxi? Taxi! Rad! Beide Varianten kommen zum Zuge. Was die klügere Entscheidung ist, kann am Schluss des Berichts selbst entschieden werden.
Gruppe 3 startet heute um 08.30 Uhr, um etwas mehr Vorlauf und später mehr Zeit im Hotel zu haben. Noch ist es von oben trocken. Doch die erwähnte kühle Luft ist immer noch kühl und ein jeder zeigt sich in seiner Herbstradmode: Schuhüberzieher, Bein- und Armling, Weste oder bereits Regenjacke, Buff, Handschuhe, kurze Regenhose, Handschuhe. Zum Teil angezogen oder noch im Schlechtwetter-Trikot mit den extra grossen Taschen am Rücken. Style hin oder her. Gruppe 2 und 1 harren bis um 09.00 Uhr vor dem Hotel aus, bis es leicht zu regnen beginnt.
200 Meter Warm Up, dann direkt in den Anstieg zum Col du Tourmalet: 18km mit 1400 Hm. Nach 32min wird über einen Platten geschimpft. Der Übeltäter, eine Reiszwecke. S hat wohl die berühmte Nadel im Heuhaufen gefunden. Leider war ich für die bildliche Dokumentation der Szenerie zu spät. Mein Wunsch, die Reiszwecke für ein Erinnerungsbild nochmals in den Mantel zu stecken, wird abgelehnt.
Die Vorstellung, wie das Peloton der Tour de France diesen Berg hochjagt, liegt in weiter Ferne: statt Sonne, Regen und Nebel. Statt 40 Grad, 4 Grad mit Wind. Die Fotosession mit der Radfahrerskulptur auf der Passhöhe könnte schneller nicht abgehalten werden. Manch einer wärmte sich im Restaurant neben mit Kaffee auf und nutzte die temporär windstille und trockene Umgebung zum Umziehen. Vom 2115 m ü.M. 17km Abfahrt nach Sainte-Marie-de-Campan. Das Schlottern des Oberkörpers überträgt sich auf die Lenkvorrichtung und es entsteht der Eindruck, dass am Rad etwas lose ist. Es ist so kalt, dass ich Fotostopp am «Gabel-Denkmal» in Saint-Marie-de-Campan zu Ehren Eugène Christophe links liegen lasse. Einfach nur froh, dass es wieder bergauf geht. Ich lasse mir von der Google-Suchmaschine ein Bild davon zeigen. M und J rufen und winken schlotternd aus dem Restaurant, sie nehmen ab hier das Taxi bis nach Bagnères-de-Luchon.
Weniger Wind beim Hochfahren, zeitweise nachlassender Regen, ein paar Grad mehr in der Umgebungsluft, Wärme produzierende Muskulatur. Auf dem Col d’Aspin quetschen wir uns für einen Schnellimbiss in den Quäldich-Bus. Ziel: nicht zu lange stehen und möglichst noch warm in die zweite Abfahrt. Der Stopp wird für manch einen zum Spiessrutenlauf. Denn das Umziehprozedere muss sehr beschleunigt, um dem Drängeln der Gruppe folgen zu können.
Wieder eine schweinekalte Abfahrt. Bei J versagen die Bremsen. Die vom Mechaniker neu montierten Beläge für die Woche sind beinahe komplett runtergefahren. Durch Nachziehen kann das Problem behoben werden, trotzdem: es für die weiteren Etappen müssen Ersatzbeläge her.
Die Strecke ist bald geschafft. Ab Arreau sind es noch 33km bis zum Zielhotel. Ein Anstieg, der Col de Peyersourde (17km, 800 Hm) und eine Abfahrt (14km) verbleibend. Manch einer lässt sich im Begleitfahrzeug darüber chauffieren.
Obwohl wir «warm» oben ankommen, genügt uns das bisher Erlebte und verzichten auf die angepriesenen 12 Crêpes für 7 Euro in der Crêperie du Col de Peyresourde. Ich lasse mir bei Google ein Bild von den Pfannkuchen zeigen. Ab, und weiter zum Hotel.
Das Gute an einer solchen Etappe mit wirklich, wirklich miesem Wetter: Die Dusche im Hotel ist umso schöner und, sie bleibt einem etwas besser in Erinnerung.
«Die härtesten Umstände, bei denen ich je gefahren bin.» Sebastian Hepp
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Königsetappe? Es gibt auf unserer Reise einige Etappen, die diesen Titel verdient haben, und wirklich festlegen wollen wir uns nicht. Aber eines ist klar: mit den Klassikern Tourmalet, Aspin und Peyresourde geht es auch heute wieder höhenmeterreich zur Sache. Bei der Tour de France wird am Col du Tourmalet ja oft das Souvenir Jacques Goddet vergeben, zu Ehren des ehemaligen Tour-de-France-Organisators gleichen Namens. Also vergeben wir dort am Dach unserer Tour das Souvenir Jan Sahner, zu Ehren des quäldich-Gründers. Nebenbei bemerkt: wir erklimmen den Tourmalet von der deutlich schöneren Westseite. Pflichtstopp nach der Abfahrt in Sainte-Marie-de-Campan: das Denkmal zu Ehren von Eugène Christophe, der in einem der ersten Tour-de-France-Jahre in einer örtlichen Schmiede eigenhändig seine gebrochene Gabel reparieren musste - Hilfe von außen sah das Reglement damals nicht vor. Vom sich anschließenden Col d'Aspin genießen wir dann die schöne Abfahrt in Richtung Arreau. Damit wäre eigenltich schon eine vollwertige Etappe absolviert, doch wir fahren auch noch über den Col de Peyresourde - Gerüchten zufolge gibt es dort immer noch die sensationelle Crêpes-Bude mit noch sensationellerem Preis-Leistungs-Verhältnis...
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren