Von gurnigel –
Obwohl ich eigentlich eher die Figur eines übergewichtigen Bahnsprinters aufweise, sind es halt doch die Bergstrassen, die das Herz höher schlagen lassen. Nachdem ich mich im 2006 durch meinen Arbeits- und QD-Kollegen 'lorenz' für die Alpen-Challenge auf der Lenzerheide überreden liess, suchten wir nach geeigneten Trainigsrunden die wir noch nicht kannten, ausserdem war es ein Ziel, 200km an einem Tag zu fahren. Da gab es ein erstes Mal die Idee, das 'kleine' Alpenbrevet ab Spiez unter die Räder zu nehmen, um beide Ziele unter einen Hut zu bringen. Allerdings wurde das 'Projekt' nie durchgeführt und auch nicht gross weiterverfolgt - weil es einfach zu 'krank' war das ganze an einem Tag zu fahren. Da das Alpenbrevet 2008 neu ab Meiringen gestartet wird, hatte ich mich gemeinsam mit 'lorenz' angemeldet, damit wir beide ein Saisonziel hatten. Als Vorbereitung sollte auch die Runde Grimsel-Furka-Susten einmal überprüft werden. Da ich zum Abschluss nicht die ca. 55km Rollerstrecke von Meiringen bis Spiez fahren wollte, entstand die leicht verrückte Idee, noch die Grosse Scheidegg anzuhängen. Und an einem Mittwoch Ende Juli 08 war es endlich soweit...
Nach einer etwas unruhigen Nacht sattelte ich morgens um 7h mein Pferd und fuhr in freudiger Erwartung aber auch mit grossem Respekt in den Tag hinein. Noch war es frisch, doch die ersten Sonnenstrahlen und die reine Seeluft entlang des Thunersees waren herrlich. Obwohl ich die ersten ca. 55km bis Innertkirchen möglichst kräfteschonend hinter mich bringen wollte, ging es doch recht zügig vorwärts, erst recht, als es zwei Jünglinge entlang des Brienzersees auf ein kleines Rennen ankommen lassen wollten, wegen ihres unrythmischen Fahrstils und des missratenen Windschattenfahrens jedoch viel Kraft verbrauchten und schliesslich zurücksteckten und doch noch einige Worte mit sich wechseln liessen. Als die Berge immer näher kamen und somit auch die Nervosität noch etwas stieg, kam es für mich noch zu einer unverhofften Pause in Unterbach, dort war nämlich plötzlich die Schranke geschlossen und zwei FA18 Kampfjets 'schlichen' aus ihrem Bunker um kurze Zeit später mit gewaltigem Getöse in den Himmel zu verschwinden.
Endlich war ich in Meiringen angekommen und im Anstieg zum 'Kirchet' legte ich eine erste Pause ein um in Willingen beim Bäcker ein feines 'Weggli' zu kaufen und meine Wasserflaschen zu füllen. Die kurze Abfahrt nach Innertkirchen nutze ich nochmals um die Beine zu lockern und dann ging es auch schon los: 27km bis zum Grimselpass, der zwar nirgends wahnsinnig steil wird, aber extrem unrythmisch zu fahren ist und bei dem man bis Handeck nicht überteiben sollte, weil er gegen hinten raus immer steiler wird und doch noch mächtig Kräfte braucht. So fuhr ich bis Guttannen recht gemütlich, spürte jedoch die zwei Stunden die ich in den Beinen hatte schon ein bisschen und fand einfach keinen Tritt. Nach Guttannen überholte ich ein italienisches Ehepaar, das mit riesigen Radtaschen und Rucksäcken unterwegs war, und ich war froh musste ich nicht mit ihnen tauschen. Nach dem man die Staumauer zum Räterichsbodenstausee erreicht hat, kann man den Pass schon langsam 'riechen', aber irgenwie konnte ich an diesem Aufstieg nie schön rund pedalieren, so war ich froh, endlich den Pass zu erreichen und bei wunderbarem Sonnenschein ein Sandwich und eine Cola zu verdrücken. Ausserdem vernichtete ich noch meinen Vorrat an Popcorn, die schön lange Energie liefern.
Nach der etwas zu lange geratenen Pause, fuhr ich vorsichtig (ich mag diese Abfahrt überhaupt nicht...) nach Gletsch ab und konnte mich schon mal geistig auf den Furka vorbereiten, der ja vom Grimselpass schön einzusehen ist. Im Gegensatz zum Grimsel ist der Furka sehr rhytmisch zu fahren und so konnte ich auch zügig zu einem Rennradfahrer aus der Innerschweiz aufschliessen, der am Morgen in Airolo gestartet war und somit bereits den Nufenen hinter sich gebracht hatte. Dank einem kleinen Gedankenaustausch ging auch die ewig lange Serpentine bis zum Beginn des Steilhangs zum Hotel Belvedere recht schnell vorbei und da ich mich plötzlich noch ziemlich gut fühlte, spulte ich die restlichen Kilometer bis zum Passübergang einiges schneller als geplant ab - hoffentlich musste ich das nicht später büssen. Da sich auf dem Furka langsam die Wolken zusammenzogen (am Abend waren aus Westen Wärmegewitter gemeldet) und in anbetracht der erst knapp 100 zurückgelegten Kilometer fuhr ich ohne Pause in die Abfahrt nach Andermatt. Wie nicht anders zu erwarten, blies mir zwischen Realp und Hospental eine steife Brise ins Gesicht, aber auch die konnte mich nicht zu einem Halt im doch eher hässlichen Touristenort Andermatt überreden. Meine nächste Pause unternahm ich in einer Bäckerei in Göschenen, wo es zwar fantastischen Aprikosenkuchen (die ideale Nahrung für lange Fahrten!), aber auch eine recht spezielle und verschrobene Atmosphäre gab (das Brot wurde teilweise aus dem Kofferraum eines PKW's verkauft...). Auf dem Parkplatz traf ich dort einen Schweizer Randonneur zum Plaudern, der sich auf eine Randonné in Italien vorbereitete und der mich am morgen in Innertkrichen vorbeifahren sah (er hatte sein Auto auf dem 'Radfahrer-Kult-Parkplatz' ausgangs Dorf parkiert und fuhr die Dreipässe-Runde in umgekehrter Richtung) - welch ein Zufall. Da sich die Wolken weiter verdunkelten (scheiss Wetterprognose...) und ich doch grossen Respekt vor dem Susten hatte, machte ich mich bald wieder auf die Socken, aber es dauerte erst einige Meter bis die Beine wieder ihren Dienst verrichten wollten, erste Ermüdungsanzeichen waren also vorhanden. Hatte ich mir zuviel vorgenommen? Naja, erstmal stand der Susten an, an dem ich bei meinen ersten Pässeerfahrungen vor 3 Jahren (privates Alpenbrevet ohne vorheriges Training...) einen kompett Einbruch mit Hungerast vom feinsten hatte. Um selbiges zu verhindern, wollte ich strikte nach Pulsuhr fahren und beim kleinsten Anzeichen von Schwäche ein kleine Pause einlegen. Obwohl der Himmel mittlerweile bedeckt war, war es im unteren Teil brutal schwül, aber mein Körper funktioniert ja am besten bei warmen Temperaturen, redete ich mir ein. Wie immer war die Rampe am Susten endlos und man hat die Tendenz zu früh auf's Gas zu drücken, damit es endlich vorbei geht, aber eine ruhige Herangehensweise zahlt sich hier aus (wie sich auch am offiziellen Alpenbrevet zwei Wochen später zeigen sollte...), und so kam ich mit nur einer kurzen Pinkel- und Redbullpause doch noch mit einer anständigen Zeit, aber ziemlich erschöpft nach gut 17km am Gipfel an. Achtung: Der Radwegweiser in Wassen spricht nur von 16km, was doch für einige Flüche meinerseits sorgte, da ich natürlich vorher nicht im 'Quaeldich' nachgeschaut hatte...). Der Blick ins verhangene Gadmental verhiess nichts Gutes und so stürze ich mich sogleich in die Abfahrt, und dies war die richtige Entscheidung, in Gadmen schien Weltuntergang zu sein und ich überlegte nach einem heftigen Blitzeinschlag kurz das aufsuchen einer Postautohaltestelle. Die nächsten zwei Haltestellen waren jedoch ohne schützendes Häusschen ausgestattet und so drückte ich mächtig in die Pedale, da sich das Wetter richting Innertkirchen zu bessern schien, was zum Glück kurzfristig auch der Fall war. Vom Adrenalin der Abfahrt angetrieben überwand ich die fiese Gegensteigung zum 'Kirchet' mit einer gewissen Euphorie um schliesslich in der Tankstelle am Fusse der Auffahrt zur Grossen Scheidegg eine Verpflegungspause einzulegen und die weiteren Pläne zu schmieden.
Das Wetter wollte nicht wirklich besser werden und die knapp 180km und gut 4000hM hatten ihre Spuren hinterlassen. Für die Auffahrt zur Grossen Scheidegg würde ich nun im Minimum 2h benötigen, auch ohne Einbruch...also direkt hinunter nach Meiringen, ab nach Hause? Nein, versuchen wollte ich es, wenn ich die wüsten Rampen bis zum Rest. 'Zwirgi' überstehen würde ohne allzu sehr ans Limit zu geraten, konnte ich mich durchquälen. Noch schnell ein Snickers verdrückt und dann wieder in den Sattel...aiiiiiiiiii! Im Gegensatz zum Hintern hielten meine Beine noch recht gut mit, trotzdem nahm ich mir vor in regelmässigen Abständen kurze Pausen machen, da ich die schwierige Auffahrt recht gut kenne und auf keinen Fall einen Hungerast riskieren wollte. Die guten Vorsätze wurden aber vorerst über Bord geworfen, da der Regen immer stärker wurde und auch das Donnergrollen näher rückte. Nach ca. 4.5km stoppte ich schliesslich bei einer Wasserstation, die auch einen Brunnen aufweist, den ich öfters ansteure um die Wasserflaschen zu füllen. Der Himmel öffnete nun seine Schleusen und ich widmete mich erstmal meinem letzten Sandwich. Während ich einen Touristen-PKW nach dem anderen an mir vorbeiziehen sah (wie im Sprichwort, die Ratten verlassen das sinkende Schiff...), gab ich mir eine Entscheidungsfrist von 15min. Wenn das Wetter nicht bessern würde, machte es keinen Sinn weiterzufahren. Nicht wegen dem Regen, sondern wegen Blitz und Donner die jeweils unmittelbar nacheinander zu sehen und hören waren. Doch meine Geduld wurde belohnt, richtung Pass hellte der Himmel wieder auf und ich fuhr nun mit frischem Mut weiter. Bis zur Schwarzwaldalp versuchte ich mit meinen Kräften zu haushalten, was mir dank der zwei Flachstücke auch einigermassen gelang. Jetzt ging es noch einzig darum die Würde zu bewahren, die nächsten zwei Km sind für mich auch mit frischen Beinen immer mit Leiden verbunden, aber dieses mal war es die reine Qual! Quäldich - du Sau, war noch einer der schöneren Gedanken die ich hatte, während sich mein Puls ständig in unerforschten Höhen bewegte und die Beine vor Schmerzen brannten. Aber die Schinderei sollte sich lohnen, auf mich warteten einge der schönsten Kilometer die ich je auf dem Rad erlebt habe. Von Grindelwald her drückte plötzlich die Sonne durch die Wolken und liess die nassen Strassen hell leuchten. Ausserdem war ich nach dem Gewitter in absoluter Einsamkeit unterwegs und konnte die herrliche Ungebung ganz für mich alleine geniessen, so machte es auch nichts, dass sich die letzten Kehren bis zum Pass wie immer elend lang hinzogen - es war einfach eine traumhafte Atmosphäre.
Bei Berghaus angekommen setzte ich mich trotz fortgeschrittener Zeit einige Minuten hin und genoss einfach die Sonnenstrahlen und machte auch noch meine einzigen Fotos des Tages, schliesslich warteten 'nur' noch 45 bestens bekannte Km bis nach Hause auf mich und die würden schon noch zu schaffen sein.
Zuerst galt es die recht schwierige Abfahrt nach Grindelwald konzentriert zu meistern um den schönen Tag nicht noch durch einen dummen Sturz zu gefährden. Da ich die letzten Minuten noch richtig geniessen wollte, liess ich es entsprechend ruhig angehen. In Grindelwald selbst gab es einige Fussgängerhindernisse zu umschiffen - schliesslich war wie immer mittwochs im Sommer noch Dorffest (übrigens ein lohnenswerter Besuch). Durch die Endorphine getrieben machte mein Körper dann für die rasante Abfahrt nach Interlaken nochmal einige Energie frei und so machte es mit richtig Druck auf dem Pedal noch ungeheur Spass. Allerdings waren sämtliche Brücken von eiskalten Nebelschwaden der Lütschine eingehült, was bei der ersten Durchfahrt ein rechtes Schockerlebnis auslöste. Schliesslich rollte ich die letzten 15km noch gemütlich aus und liess den Tag nochmals Revue passieren. Fazit: Ich hatte einen Traum - mit Happyend!
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren