Unverzagt
119,8 km / 3280 Hm
Redaktionell bestätigte Tour von Droopy

Von Droopy –
Meine schönsten Touren 2020 im Rückspiegel.
Teil 5 - September: Traumrunde in Frankreich mal anders
"Wir waren jung und unbekümmert." So heißt das autobiographische Buch der Radsport-Legende Laurent Fignon. Einer der wenigen Sportler die zur Selbstreflexion fähig waren. Was für ein Unterschied zu all den vielen glattgeseiften heute. Ein echter Champion. Ich mag ihn sehr und habe das Buch nach Frankreich mitgenommen. Mein Ziel ist das heilige Dreigestirn der französischen Alpen, eine der schönsten Rundtouren über die "Collen" Allos, Champs und Cayolle. Kaiserwetter sollte es sein, so wie an den Vortagen. Ich seh mich im Traum im Stirnband und wehenden Haaren die Pässe hochfliegen, die Kurbel dreht von allein. Da hatte ich Alp d'Huez bezwungen, in Sestriere ausgespuckt, den Izoard genossen und am Agnel gegen den Wind gekämpft. Dann aber kam das schlechte Wetter. Zugegeben, ich hab kurz gezuckt aber getreu meiner Devise, dass immer erst am Morgen aus dem Fenster geschaut wird, am nächsten Tag brav das Carbonross gesattelt. Ich habe zwar nicht die fahrerische Klasse des Stirnbandes aber als Knecht im Regen für seinen Kapitän die Reifen wechseln, das kann ich allemal. Also Regenweste ins Trikot, Beinlinge drüber und einen Riegel extra eingepackt. So soll es sein. Und das obwohl ich zwar auch nicht mehr ganz so jung bin aber glücklicherweise immer noch ebenso unbekümmert wie einst Fignon.
Klar, Schlechtwetter im Gebirge ist Mist und kann auch böse enden. Gegenüber den warmen Vortagen ist es aber "nur" merklich abgekühlt und normaler Regen gemeldet, also keine Unwetter. Ewigen Sonnenschein gibt es wirklich nur im Märchen. Und den ganzen Corona-Frust kann meines Erachtens nur der mental schadlos überstehen, der sich seines Schicksals bewusst wird. Es gibt noch viele andere Krankheiten. Fignon ist mit 50 Jahren am Krebs verstorben, so wie ein guter Freund mit Mitte dreißig, so wie viele andere. Radsport ist eine gute Medizin meine ich, und unbekümmert heißt nicht naiv, sondern unbeschwert oder auch unverzagt. Das passt noch etwas besser ins teutonische Naturell. Aus einem verzagten Arsch, entweicht schließlich kein fröhlicher Furz, das wusste schon Luther. Und so geht es gutlaunig am frühen Morgen in den Allos.
Ein herrlicher Anstieg, Feuchtigkeit hängt bereits in der Luft und die tiefe Wolkendecke lässt die Zeit anhalten. Die Steigung ist mild, genau das richtige für den Anfang, Verkehr null. Dafür überhole ich bis oben noch eine Handvoll andere Sportsfreunde auf dem Velo. Das macht Mut, heute die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Kurz vor der Kuppe setzt dann der Regen ein. Das Gedankenkarussel geht nun in die Wahrscheinlichkeitsrechnung über. Regnet es nur in der Höhe aus der tiefen Wolkendecke, regnet es im ganzen Tal bergwärts, bleibt es jetzt so bis zum Schluß? Wenn ich über den Scheitel fahre, gibt es die nächsten 100km kein zurück mehr. Bevor ich schwöre, fahre ich vom Allos ab. Alte Überrumplungstaktik, wer zuviel denkt, verliert das Rennen. 5 Franc für das Phrasenschwein. Der Preis ist Nässe von unten und oben. Keine Unmengen, aber genug um sich zu duschen. Nach den ersten Serpentinen auf der langen Geraden schaukelt dann die ganze Fuhre, die Muskeln zittern. Hurra wir leben noch. Es ist gefühlt die erste Regenfahrt im Coronajahr, der Wettergott war mehr als gnädig. Und schlimmer wars auch schon. In den nuller Jahren bin ich mal vom Hohen Venn nach Eupen auf der alten Panzerstraße bei Regen abgefahren und hätte die Kiste dabei beinahe in den Graben gesetzt, Zähnklappern und steife Finger inklusive. Gegen diese Heldengeschichte ist das kleine Abenteuer heute nur eine Vorwäsche aber der Gedanke daran macht stark. Radsport ist 50% Psycholgie. Dafür 500 belgische Franc ins Phrasenschwein (Merke: die waren weniger Wert).
Und ich werde belohnt. Bevor ich fast am schmalen Einstieg zum Col de Champs vorbeirausche ist es wieder trocken. Ohne lange zu zögern, gehe ich die Sache direkt an und gebe etwas Druck auf die Pedalen. Heizen fürs eigene Wohlfühlklima. Nach wenigen Kehren ist mir wieder warm und der Motor tuckert zuverlässig. Der Pass ist von dieser Seite unspektakulär. Der Weg windet sich im Wald gleichmäßig nach oben. Der Champs scheint mir auf dieser Runde der Lückenbüßer. Doch vielleicht tue ich ihm unrecht, denn weiter oben erwartet mich keine Aussicht sondern nur ein Nebelmeer. So fährt die Republik jetzt schon 16 Jahre dahin, immer nur auf Sicht. Alternativloser Mehltau über Covidland. Schnell fahren geht nicht, denn ständig tauchen die zahlreichen Versäumnisse der letzten Dekade wie gefährliche Hindernisse hinter dem Schleier auf. Dafür ein Schilderwald und es werden täglich mehr. Doch auch dieser Weg fällt eines Tages unweigerlich steil ins bodenlose ab, soviel ist sicher. Die Straße nach Saint-Martin d'Entraunes ist jedenfalls nach dem Spuk wieder deutlich offener und viel schöner angelegt. Und auch das Licht bricht jetzt hervor. Ja, die Sonne geht im Osten auf und im Westen unter. Passt irgendwie. Sonne in den Speichen! Bevor wir uns hier vertun: Die Sonne sieht übrigens nur der, der fährt. Für den unbedingten Willen dazu: 5 Ostmark ins Schweinderl.
Fehlt noch der Cayolle. Der Anstieg dauert mich, denn ich erwarte unten schon gedanklich sein baldiges Ende. Möge die Zeit nie vergehen, an solch intensiven Tagen in der Natur. Wind, Regen und Sonne sind die Elemente des Lebens und Fignon, Fignon ist tot. So erlebe ich das Glück mit jedem Meter an diesem schönen Pass. Wie er sich windet, so lang und ehrfürchtig. Geradezu alt und weise kommt er mir vor als hätte er eine Seele. Hat er? Und am Ende hüllt er sich wie schon die zwei Pässe zuvor in eine Wolkendecke mit Nieselregen, wie ein alter Greis dem fröstelt. So behalte ich ihn auch in Erinnerung, zärtlich und gütig mit kleinen Falten auf der Stirn. Einer der es gut meint und viel zu erzählen hat. Man sollte ab und zu mal nach ihm schauen, auf das er nicht einsam ist. Aber er taugt nicht für die laute "Tour". Lasst bloß schlafen den Alten ihr Kanaillen.
Das war also die schönste Runde in den französischen Alpen. War sie es? Ich habe vielleicht zu wenig gesehen, um es richtig beurteilen zu können. Muss man immer alles sehen? Blinde Menschen haben ihre anderen Sinne stärker ausgeprägt. Ich habe daher die Augen kurz geschlossen. Ergebnis: Für mich ganz klar eine Traumrunde. Ich möchte sie aber nicht wiederholen, auch nicht bei Kaiserwetter. So wie es war, war es gut. Sonne in den Speichen habe ich alle Tage. Stirnband im Regen - C’est la vie. Au revoir Laurent.
Teil 5 - September: Traumrunde in Frankreich mal anders
"Wir waren jung und unbekümmert." So heißt das autobiographische Buch der Radsport-Legende Laurent Fignon. Einer der wenigen Sportler die zur Selbstreflexion fähig waren. Was für ein Unterschied zu all den vielen glattgeseiften heute. Ein echter Champion. Ich mag ihn sehr und habe das Buch nach Frankreich mitgenommen. Mein Ziel ist das heilige Dreigestirn der französischen Alpen, eine der schönsten Rundtouren über die "Collen" Allos, Champs und Cayolle. Kaiserwetter sollte es sein, so wie an den Vortagen. Ich seh mich im Traum im Stirnband und wehenden Haaren die Pässe hochfliegen, die Kurbel dreht von allein. Da hatte ich Alp d'Huez bezwungen, in Sestriere ausgespuckt, den Izoard genossen und am Agnel gegen den Wind gekämpft. Dann aber kam das schlechte Wetter. Zugegeben, ich hab kurz gezuckt aber getreu meiner Devise, dass immer erst am Morgen aus dem Fenster geschaut wird, am nächsten Tag brav das Carbonross gesattelt. Ich habe zwar nicht die fahrerische Klasse des Stirnbandes aber als Knecht im Regen für seinen Kapitän die Reifen wechseln, das kann ich allemal. Also Regenweste ins Trikot, Beinlinge drüber und einen Riegel extra eingepackt. So soll es sein. Und das obwohl ich zwar auch nicht mehr ganz so jung bin aber glücklicherweise immer noch ebenso unbekümmert wie einst Fignon.
Klar, Schlechtwetter im Gebirge ist Mist und kann auch böse enden. Gegenüber den warmen Vortagen ist es aber "nur" merklich abgekühlt und normaler Regen gemeldet, also keine Unwetter. Ewigen Sonnenschein gibt es wirklich nur im Märchen. Und den ganzen Corona-Frust kann meines Erachtens nur der mental schadlos überstehen, der sich seines Schicksals bewusst wird. Es gibt noch viele andere Krankheiten. Fignon ist mit 50 Jahren am Krebs verstorben, so wie ein guter Freund mit Mitte dreißig, so wie viele andere. Radsport ist eine gute Medizin meine ich, und unbekümmert heißt nicht naiv, sondern unbeschwert oder auch unverzagt. Das passt noch etwas besser ins teutonische Naturell. Aus einem verzagten Arsch, entweicht schließlich kein fröhlicher Furz, das wusste schon Luther. Und so geht es gutlaunig am frühen Morgen in den Allos.
Ein herrlicher Anstieg, Feuchtigkeit hängt bereits in der Luft und die tiefe Wolkendecke lässt die Zeit anhalten. Die Steigung ist mild, genau das richtige für den Anfang, Verkehr null. Dafür überhole ich bis oben noch eine Handvoll andere Sportsfreunde auf dem Velo. Das macht Mut, heute die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Kurz vor der Kuppe setzt dann der Regen ein. Das Gedankenkarussel geht nun in die Wahrscheinlichkeitsrechnung über. Regnet es nur in der Höhe aus der tiefen Wolkendecke, regnet es im ganzen Tal bergwärts, bleibt es jetzt so bis zum Schluß? Wenn ich über den Scheitel fahre, gibt es die nächsten 100km kein zurück mehr. Bevor ich schwöre, fahre ich vom Allos ab. Alte Überrumplungstaktik, wer zuviel denkt, verliert das Rennen. 5 Franc für das Phrasenschwein. Der Preis ist Nässe von unten und oben. Keine Unmengen, aber genug um sich zu duschen. Nach den ersten Serpentinen auf der langen Geraden schaukelt dann die ganze Fuhre, die Muskeln zittern. Hurra wir leben noch. Es ist gefühlt die erste Regenfahrt im Coronajahr, der Wettergott war mehr als gnädig. Und schlimmer wars auch schon. In den nuller Jahren bin ich mal vom Hohen Venn nach Eupen auf der alten Panzerstraße bei Regen abgefahren und hätte die Kiste dabei beinahe in den Graben gesetzt, Zähnklappern und steife Finger inklusive. Gegen diese Heldengeschichte ist das kleine Abenteuer heute nur eine Vorwäsche aber der Gedanke daran macht stark. Radsport ist 50% Psycholgie. Dafür 500 belgische Franc ins Phrasenschwein (Merke: die waren weniger Wert).
Und ich werde belohnt. Bevor ich fast am schmalen Einstieg zum Col de Champs vorbeirausche ist es wieder trocken. Ohne lange zu zögern, gehe ich die Sache direkt an und gebe etwas Druck auf die Pedalen. Heizen fürs eigene Wohlfühlklima. Nach wenigen Kehren ist mir wieder warm und der Motor tuckert zuverlässig. Der Pass ist von dieser Seite unspektakulär. Der Weg windet sich im Wald gleichmäßig nach oben. Der Champs scheint mir auf dieser Runde der Lückenbüßer. Doch vielleicht tue ich ihm unrecht, denn weiter oben erwartet mich keine Aussicht sondern nur ein Nebelmeer. So fährt die Republik jetzt schon 16 Jahre dahin, immer nur auf Sicht. Alternativloser Mehltau über Covidland. Schnell fahren geht nicht, denn ständig tauchen die zahlreichen Versäumnisse der letzten Dekade wie gefährliche Hindernisse hinter dem Schleier auf. Dafür ein Schilderwald und es werden täglich mehr. Doch auch dieser Weg fällt eines Tages unweigerlich steil ins bodenlose ab, soviel ist sicher. Die Straße nach Saint-Martin d'Entraunes ist jedenfalls nach dem Spuk wieder deutlich offener und viel schöner angelegt. Und auch das Licht bricht jetzt hervor. Ja, die Sonne geht im Osten auf und im Westen unter. Passt irgendwie. Sonne in den Speichen! Bevor wir uns hier vertun: Die Sonne sieht übrigens nur der, der fährt. Für den unbedingten Willen dazu: 5 Ostmark ins Schweinderl.
Fehlt noch der Cayolle. Der Anstieg dauert mich, denn ich erwarte unten schon gedanklich sein baldiges Ende. Möge die Zeit nie vergehen, an solch intensiven Tagen in der Natur. Wind, Regen und Sonne sind die Elemente des Lebens und Fignon, Fignon ist tot. So erlebe ich das Glück mit jedem Meter an diesem schönen Pass. Wie er sich windet, so lang und ehrfürchtig. Geradezu alt und weise kommt er mir vor als hätte er eine Seele. Hat er? Und am Ende hüllt er sich wie schon die zwei Pässe zuvor in eine Wolkendecke mit Nieselregen, wie ein alter Greis dem fröstelt. So behalte ich ihn auch in Erinnerung, zärtlich und gütig mit kleinen Falten auf der Stirn. Einer der es gut meint und viel zu erzählen hat. Man sollte ab und zu mal nach ihm schauen, auf das er nicht einsam ist. Aber er taugt nicht für die laute "Tour". Lasst bloß schlafen den Alten ihr Kanaillen.
Das war also die schönste Runde in den französischen Alpen. War sie es? Ich habe vielleicht zu wenig gesehen, um es richtig beurteilen zu können. Muss man immer alles sehen? Blinde Menschen haben ihre anderen Sinne stärker ausgeprägt. Ich habe daher die Augen kurz geschlossen. Ergebnis: Für mich ganz klar eine Traumrunde. Ich möchte sie aber nicht wiederholen, auch nicht bei Kaiserwetter. So wie es war, war es gut. Sonne in den Speichen habe ich alle Tage. Stirnband im Regen - C’est la vie. Au revoir Laurent.
3 gefahrene Pässe
Col de la Cayolle, Col d'Allos, Col des ChampsStrecke
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren
am