Von RadsportWolli –
Leichter Regen am Morgen des nächsten Tages veranlasst uns zu einem weiteren Ruhetag und einem Bummel durch Briancon! Die Kleinstadt ist geprägt von der verwinkelten Lage im Tal der Durance und ihrer dadurch gegebenen strategischen Bedeutung. Der verdankt sie ihre umfangreichen Festungsanlagen sowie die pittoreske Altstadt, an deren Rande unmittelbar der Col d'Izoard beginnt! Leider ist durch die französischen Ferien die Zitadelle überlaufen, so dass wir auf eine Besichtigung verzichten. Dafür wird daheim ein Cremant "geköpft" und Fisch auf den Grill gelegt! Einkaufen in französischen Supermärkten, wo wir mühelos tollen Fisch, prima Salat und leckeren Cremant finden, ist immer wieder eine große Freude, wenn man sonst das elende Sortiment der meisten deutschen Supermärkte ertragen muss! Obwohl sich im Verlaufe des Tages die Sonne durchsetzen konnte, wird es in der Nacht - mitten im Hochsommer - mit kaum 5° C ziemlich kühl, wohl auch ein Grund dafür, warum viele Franzosen gerade in den Bergen Erholung von ihren heißen Städten im Süden suchen!
Am folgenden Morgen fahren wir mit dem Wagen zum Einkaufszentrum in Briancon, von wo aus ich starte, während meine Frau unsere Vorräte auffüllt. Der Beginn des Passes ist rasch erreicht, an dessen Fuß eine der hier üblichen Tafeln den Radler "vorwarnt"! Nicht weniger als 36 mal stand dieser Pass - der ein wenig im Schatten der Popularität des Galibier liegt - bereits auf dem Routenplan der Tour de France! Wenig Verkehr auf der ohnedies nur touristisch relevanten Straße in Verbindung mit sonnigem Wetter und der nach anfänglichem Wald nun dominierenden offenen Gebirgslandschaft macht den Aufstieg zu einem Genuss! Nach rund 10 km Anstieg im breiten Taleinschnitt wird Cervières erreicht, von wo aus nun die letzten 9 km und 730 HM in rund 30 Kehren bewältigt werden. Die Landschaft zeigt sich zusehends in einem anderen Gewande: Bis zum Mont-Blanc-Massiv dominierten noch vor allem aus der Tiefe stammende kristalline Gneise und magmatische Granite mit ihren schroffen Gebirgen - nun prägen vor allem jüngere und leicht verwitternde Gesteine maritimen Ursprungs wie Kalk, Gips sowie verschiedene sedimentäre Flysche die Berge. Dementsprechend flach sind oft die Berggipfel, breit die Landschaften, in denen sich die Pässe in die Höhe ziehen und die Hänge von Verwitterungsschutt geprägt. Gelbliche Töne, wohl durch Sedimentgesteine und eisenhaltigen Sandstein verursacht, bestimmen nun die Farbskala.
Die Passhöhe ziert - wie so oft in Frankreich - eine Gedenktafel, die stolz von den Leistungen Altvorderer kündet. Gleich nach dem Gipfel eröffnet sich dann ein atemberaubender Blick auf die wild zerklüftete Schuttwildnis des Casse Déserte an der Westflanke des 2.856 m hohen Pic Ouest de Côte Belle, in der sich Gedenktafeln für die Tour-Legenden Louison Bobet und Fausto Coppi finden. Inmitten gewaltiger Verwitterungsschutt-Hänge stehen schroffe Kalksteinnadeln steil und imposant empor - ein Anblick, der jede Mühe lohnt und den Eindruck bestätigt, die schroffe Wildnis der französischen Hochalpen als Höhepunkt der Tour zu empfinden! Rasant führt die Abfahrt dann durch diese Landschaft über 1.000 m hinab in ein kleines Seitental der Durance. Die Landschaft wechselt wieder zu schroffem, grauen Gneis und Granit und die Schlucht "Gorges du Guil" bietet über viele Kilometer wahrhaft atemberaubende Ausblicke! Kanuten wagen an etlichen Stellen den Ritt auf dem wilden Gebirgsfluss Guil, überhaupt enorm viele sportlich aktive Franzosen allerorten! Bei Guillestre an der Durance endet die Schlucht, wir "touchieren" den Ort aber nur, um sogleich wieder in den Anstieg des nächsten Passes, des Col du Vars einzubiegen. Dieser zieht sich ruhig mit gut erträglicher Steigung durch eine immer deutlicher mediterrane Landschaft: Laubwald wird häufiger, Kiefern statt Fichten prägen das Bild und der grau-weiße autochthone Gneis und Granit mit schroffen Felsformationen löst endgültig die Sedimentgesteine des mittleren Penninikums ab. Der touristisch auch sommers ziemlich belebte Wintersportort Vars wird ohne größere Mühen erreicht. Die Landschaft ist nun offen und fast könnte man stellenweise meinen, auf einer Hochebene unterwegs zu sein. So wirkt die Passhöhe, die rund 5 km hinter Vars erreicht wird, trotz des hochalpinen Ausblicks eigentümlich unspektakulär.
Hinab nach Jausiers und zu seinem kleinen, aber sehr gut besuchten Campingplatz, geht es gut 22 km weit über einsam-verwaiste schmale Straßen, durch waldige Taleinschnitte und die letzten 12 km entlang des reißenden Flüsschens Ubaye Valley, der die Region ihren Namen verdankt. Die fast vollkommene Einsamkeit der Strecke, die schmale Landstraße, die schroffen Felsen und die kraftvoll wirkende Natur ringsum haben eine magisch-kathartische Wirkung. Fast keine Menschenseele ist hier unterwegs, es ist wohl die abgeschiedenste und friedlichste Strecke der ganzen Tour, auf ihre Art auch eine der ganz besonders im Gedächnis haftenden Strecken!
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren