Zweitaktherz
910,3 km / 4480 Hm
Redaktionell bestätigte Tour von Droopy

Von Droopy –
Meine schönsten Touren 2020 im Rückspiegel.
Teil 3 - Juni: Fünf Tage durch Brandenburg
In der kleinen Stadt auf dem Markt steht die große Eiche mit den Bänken ringsum. Und auf den Bänken sitzen die Alten und erzählen sich Geschichten über dies und das und was alles so passiert, in den engen Gassen mit dem Kopfsteinpflaster und den sandigen Wegen zwischendrin. Und dann ist da die Havel. Der Fluss hat es nicht eilig. Auch nicht die Boote darin, die sich vor dem Wehr stauen, denn sie müssen warten bis der Schleusenwärter seine Handgriffe verrichtet, bevor es weitergeht. Alles erfolgt mit Bedacht. Nur die Jungens hier sind echte Bengels, knatternd durchbrechen sie die lauschige Eintracht am Fluss. Und mancher ist dabei, der viel zu jung und ohne Führerschein wie selbstverständlich über die Feldwege mitknattert. Hier an diesem Ort spielt sich alles ab, das Große im Kleinen und das Kleine im Großen.
Die Welt zieht langsam durch den Fluss vorbei, wie die langen Baumalleen, da draußen vor den Toren der kleinen Stadt, die hier Chauseen heißen. Sie führen durch endlose Wälder und staubige Dörfer, deren Häuser mit den niedrigen Fenstersimsen, klein und gebückt längs der Dorfanger stehen, so als würde sie die Zeit drücken und sagen, hier ist der Platz und auf diesem Fleck gibt es für Euch keinen Himmel, denn hier ist nur die Erde. Und aus den Findlingen dieser Erde sind auch die gedrungenen Kirchen gebaut und die Fundamente der alten Kriegerdenkmäler von 1871 und danach. Die mit dem schwarzen Adler oben drauf, der nicht mehr fliegt. Eine Autostunde ist es nur bis Berlin, dessen quirlige Geschäftigkeit von einer anderen Wirklichkeit kündet. Wen es fortzieht, der lernt schnell, dass doch vieles was der Moloch einsaugt und wieder ausspuckt entbehrlich ist und dann ist diese große Stadt von hier draußen auf einmal so weit entfernt wie der Mond oder die Sterne. Die Wahrheit liegt hingegen in den märkischen Feldern verborgen und beim Alten Fritz, dem großen König, der in die trockenen Sandböden die Kartoffeln gesteckt hat und zusammen mit seinen Vorfahren im Geist der Menschen eine Wesensart geprägt hat, die wir heute rückblickend nur noch zwischen Elbe und Oder verschwommen erkennen können, wenn wir sagen, dieses oder jenes sei preußisch. Für Pellkartoffeln schmecken die mehligen Sorten am Besten. Die fest kochenden taugen nüschte, sagt der Vater. Und er sagt es so fest und bestimmt, dass keine Widerrede gilt und gelten kann. So wie beim Fritz. So ist die Erinnerung. So ist das Land. So ist mein Brandenburg.
Auf fünf Etappen geht es in einem großzügigen Bogen einmal rund um Brandenburg. Notizen, Beobachtungen, Spurensuche, Tagträume.
Teil 3 - Juni: Fünf Tage durch Brandenburg
In der kleinen Stadt auf dem Markt steht die große Eiche mit den Bänken ringsum. Und auf den Bänken sitzen die Alten und erzählen sich Geschichten über dies und das und was alles so passiert, in den engen Gassen mit dem Kopfsteinpflaster und den sandigen Wegen zwischendrin. Und dann ist da die Havel. Der Fluss hat es nicht eilig. Auch nicht die Boote darin, die sich vor dem Wehr stauen, denn sie müssen warten bis der Schleusenwärter seine Handgriffe verrichtet, bevor es weitergeht. Alles erfolgt mit Bedacht. Nur die Jungens hier sind echte Bengels, knatternd durchbrechen sie die lauschige Eintracht am Fluss. Und mancher ist dabei, der viel zu jung und ohne Führerschein wie selbstverständlich über die Feldwege mitknattert. Hier an diesem Ort spielt sich alles ab, das Große im Kleinen und das Kleine im Großen.
Die Welt zieht langsam durch den Fluss vorbei, wie die langen Baumalleen, da draußen vor den Toren der kleinen Stadt, die hier Chauseen heißen. Sie führen durch endlose Wälder und staubige Dörfer, deren Häuser mit den niedrigen Fenstersimsen, klein und gebückt längs der Dorfanger stehen, so als würde sie die Zeit drücken und sagen, hier ist der Platz und auf diesem Fleck gibt es für Euch keinen Himmel, denn hier ist nur die Erde. Und aus den Findlingen dieser Erde sind auch die gedrungenen Kirchen gebaut und die Fundamente der alten Kriegerdenkmäler von 1871 und danach. Die mit dem schwarzen Adler oben drauf, der nicht mehr fliegt. Eine Autostunde ist es nur bis Berlin, dessen quirlige Geschäftigkeit von einer anderen Wirklichkeit kündet. Wen es fortzieht, der lernt schnell, dass doch vieles was der Moloch einsaugt und wieder ausspuckt entbehrlich ist und dann ist diese große Stadt von hier draußen auf einmal so weit entfernt wie der Mond oder die Sterne. Die Wahrheit liegt hingegen in den märkischen Feldern verborgen und beim Alten Fritz, dem großen König, der in die trockenen Sandböden die Kartoffeln gesteckt hat und zusammen mit seinen Vorfahren im Geist der Menschen eine Wesensart geprägt hat, die wir heute rückblickend nur noch zwischen Elbe und Oder verschwommen erkennen können, wenn wir sagen, dieses oder jenes sei preußisch. Für Pellkartoffeln schmecken die mehligen Sorten am Besten. Die fest kochenden taugen nüschte, sagt der Vater. Und er sagt es so fest und bestimmt, dass keine Widerrede gilt und gelten kann. So wie beim Fritz. So ist die Erinnerung. So ist das Land. So ist mein Brandenburg.
Auf fünf Etappen geht es in einem großzügigen Bogen einmal rund um Brandenburg. Notizen, Beobachtungen, Spurensuche, Tagträume.
Ein gefahrener Pass
SemmelbergGesamtstrecke
Einzelstrecken

Von Droopy –
Die Regionalbahn hat mich am Morgen aus der sächsischen Residenzstadt Dresden zuverlässig nach Ortrand gebracht. Es ist der südlichste Zipfel Brandenburgs und völlig „jwd“, also janz weit draußen. Ich hätte auch direkt mit dem Rad anreisen können aber dann wäre der Kontrast nicht so stark. Nirgendwo ist der Abstand wohl größer als von den prunkvollen Barockbauten der Dresdner Elbsilhouette zur Brandenburger Kiefer- und Heidelandschaft. Fülle und Überfluss verkünden das eine, Kargheit und Schlichtheit das andere. Wobei es korrekterweise die ersten Kilometer durch die westliche Lausitz geht. Und die Lausitz, das ist von alters her ein Ländchen für sich. Es erstreckt sich von der Neiße bis zur Elster, vom Zittauer Gebirge bis zum Spreewald. Die Ortsschilder sind zweisprachig, deutsch und sorbisch. Vom Brauchtum der Sorben künden heute noch die besondere Betonung des Osterfests oder die Sagengestalt des „Krabat“. In der Alltagskultur ist hingegen wohl manches verloren gegangen, was nicht zuletzt am industriellen Erbe der verwehten DDR liegt. Es waren die Tagebaulandschaften, die sich wie ein Riegel einmal quer durch die Lausitz schoben und über Jahrzehnte die sorbischen Traditionen bedrohten. Dörfer verschwanden, durch Zuzug tausender Arbeiter verwässerten die festen ländlichen Strukturen und formten neue Industriezentren. Gott hat die Lausitz geschaffen, aber der Teufel die Kohle darunter, sagt ein sorbisches Sprichwort. Nur wenige Arbeitsplätze haben überlebt, so wie das riesige Chemiewerk in Schwarzheide an dem die Fahrt vorbeiführt und das heute zum globalen VEB Kombinat BASF gehört.
Eine der westlichsten Tagebaugruben, welche das Gesicht der Lausitz jahrzehntelang prägten ist mein erstes Etappenziel. Das Besucherbergwerk „Abraumförderbrücke F60“, beherbergt das mit 502 Metern Länge größte bewegliche Bergbaugerät der Welt. Der liegende Eifelturm. Damit haben die fleißigen Frauen und Männer der Lausitz einst die Heide umgegraben. So wie der Liedermacher Gundermann. Aktuell wird das Restloch geflutet, eine Bade- und Seenlandschaft ist vieler Orten das Ziel – mit Campingplatz und Freizeitpark. Ich bin mir nicht sicher, ob prekäre Arbeitsplätze im Tourismus die Zukunftschancen hier verbessern können, aber ein Anfang ist gemacht. Die Sanierung der Bergbaufolgelandschaften ist jedenfalls noch ein Projekt für Generationen. Allein mit Geld lassen sich die Narben nicht zukitten. Raus aus der Braunkohle, rein in Hartz IV lautet daher heute ein neues Sprichwort. Aber wen interessieren die Probleme des ländlichen Raums wirklich, wenn in den urbanen Zentren fleißig Schule geschwänzt und gegen die Kohle gehüpft wird. Wer ist heute schon gegen das Klima. Bist Du etwa nicht für den Frieden? Der Liedtext ist ein anderer, gleichwohl ist die Melodie der Heilsbringer gleich und die kenne ich wohl. Während die Edelfedern und Engagierten fleißig im Chor mitbrummen, wartet auf der anderen Straßenseite in Brandenburg bereits grinsend Elon Musk. Ja, die Zukunft ist wahrlich eine Bessere, in dreißig Jahren werden Eure Kinder hüpfen.
Für die Freiheit eine Lanze und weiter nach Norden, bevor ich den Lausitzblues bekomme. Über stille Nebenstraßen geht es vor Calau zum ersten Mal richtig durch die Kiefernheide, unten braun oben grün, die Stämme bilden ein Meer aus abertausenden Rinden. Die Luft fühlt sich trocken an und ein wenig ätherisch, das ist sensationell. Ein spontaner Halt an einer Erdbeerplantage bringt Erfrischung. Fest saftig und mit der richtigen Ausgewogenheit zwischen Fruchtsüße und Säure sind die roten Früchte erntereif. Selbst geklaut schmecken sie immer noch am Besten, es ist ja nur eine Handvoll. Hinter Vetschau wartet das nächste Etappenziel: der Spreewald. Nirgendwo in Deutschland ist Radfahren einfacher wie hier. Brettflach ist es, die Bäume halten den Wind fort und die kleinen Kanäle zwischendrin sind was fürs Auge. Eine einmalige Region. Irgendwann muss ich mir den Spreewald-Radmarathon auf den Zettel nehmen, so eine goldene Gurken-Medaille fehlt mir noch in der Sammlung. Heute jedenfalls sind hunderte Ausflügler mit zwei Rädern auf der Straße unterwegs oder auf dem Wasser mit dem Kahn. Es ist eine Menge los aber es nervt nicht so wie an anderen Orten. Ist das der Zauber des Spreewaldes? An einem Wasserrastplatz nutze ich ein Gasthaus zur Einkehr und nehme eine Fischsuppe. Das passt am besten zur Region. Der Trubel auf dem Kanal spült stetig neue Gäste an die auf Abstand gestellten Holztische. Nach dem großen Pandemie-Lockdown im Frühjahr will scheinbar alles raus und die Bedienung hat mehr als genug zu tun. Glücklicherweise hat sie „Schnauze“ und führt ein hartes Regiment, sonst würde es wahrscheinlich Chaos geben. Dumme Fragen werden dumm beantwortet, wie die allzu offensichtliche Frage eines Gastes, ob denn noch ein Tisch frei wäre. „Sehnse denne noch een?“. Die „bitte aber gerne doch“ Gesellschaft hat mal kurz Pause. Für die resolute Wirtin runde ich großzügig beim Trinkgeld auf.
Über Lieberose und die Reicherskreuzer Heide schlage ich mich bis zur Neiße durch. Ein Stück Nachmittagskuchen am Kloster Neuzelle soll das nächste Ziel sein. Kaum ein Ort liegt dazwischen. Nur endlose Wälder, durch die lange Schneisen geschlagen sind. Die Schaltung liegt seit Ortrand trotz leichten Gegenwindes bereits stetig auf 52-23 oder größer und ich nutze das aktuelle Zwischenstück zum Pacing und drücke noch etwas fester drauf. Der Osten rollt. Das kleine Dorf Reicherskreuz mit den alten Feldsteinhäusern und der Fachwerkkirche liegt wirklich malerisch in der Heide und ich bin froh, dass ich die Route hier entlang gelegt habe. Irgendwann wird der Weg dann hügelig und der Asphalt ist stellenweise noch aus sozialistischen Zeiten. Die Straßen hier scheinen in sich gewellt und gebogen wie Hefeteig vor dem ausrollen und entsprechend kräftig muss ich die Kurbel kneten. Wenn der Hinterreifen greift, klopft der Rahmen schon im nächsten Moment bis zur Bandscheibe durch. Neuzelle ist dann rechtzeitig der richtige Ort für die Labe. An der barocken Klosteranlage ist reichlich Trubel. Das Schwarzbier der Mönche muss ich mit Blick auf die Reststrecke aber links liegen lassen. Etwas Abseits aber mit dem richtigen Ausblick auf das bunte Treiben finde ich einen schönen Sonnenplatz für den Café. Das nenne ich Zufriedenheit.
Die Abkürzung über den Oder-Neiße-Radweg schlage ich aus und nehme noch einen Schlenker ins Umland durch das untere Schlaubetal mit. Durch lichten Mischwald wird es nun belebter und ich weiche auf begleitende Radwege aus. Vorbei am Müllroser See geht es weiter bis zur Helene, der kleinen Ostsee. Auch dies ist ein gefluteter Tagebau und beliebtes Ausflugsziel für die Frankfurter. Wenig später ist die märkische Bürgerstadt erreicht. Mit dem Hotel habe ich Glück, das Rad darf mit aufs Zimmer und der Concierge hat direkt ein paar Tipps auf Lager. Überhaupt trägt er den ortsüblichen Mutterwitz auf der Zunge und wir plauschen noch ein wenig über den üblichen Smalltalk hinaus. Ich mag den Humor der Brandenburger, so wie man einen alten Freund vermisst. Zum Ausklang dann endlich Oderwasser.
Eine der westlichsten Tagebaugruben, welche das Gesicht der Lausitz jahrzehntelang prägten ist mein erstes Etappenziel. Das Besucherbergwerk „Abraumförderbrücke F60“, beherbergt das mit 502 Metern Länge größte bewegliche Bergbaugerät der Welt. Der liegende Eifelturm. Damit haben die fleißigen Frauen und Männer der Lausitz einst die Heide umgegraben. So wie der Liedermacher Gundermann. Aktuell wird das Restloch geflutet, eine Bade- und Seenlandschaft ist vieler Orten das Ziel – mit Campingplatz und Freizeitpark. Ich bin mir nicht sicher, ob prekäre Arbeitsplätze im Tourismus die Zukunftschancen hier verbessern können, aber ein Anfang ist gemacht. Die Sanierung der Bergbaufolgelandschaften ist jedenfalls noch ein Projekt für Generationen. Allein mit Geld lassen sich die Narben nicht zukitten. Raus aus der Braunkohle, rein in Hartz IV lautet daher heute ein neues Sprichwort. Aber wen interessieren die Probleme des ländlichen Raums wirklich, wenn in den urbanen Zentren fleißig Schule geschwänzt und gegen die Kohle gehüpft wird. Wer ist heute schon gegen das Klima. Bist Du etwa nicht für den Frieden? Der Liedtext ist ein anderer, gleichwohl ist die Melodie der Heilsbringer gleich und die kenne ich wohl. Während die Edelfedern und Engagierten fleißig im Chor mitbrummen, wartet auf der anderen Straßenseite in Brandenburg bereits grinsend Elon Musk. Ja, die Zukunft ist wahrlich eine Bessere, in dreißig Jahren werden Eure Kinder hüpfen.
Für die Freiheit eine Lanze und weiter nach Norden, bevor ich den Lausitzblues bekomme. Über stille Nebenstraßen geht es vor Calau zum ersten Mal richtig durch die Kiefernheide, unten braun oben grün, die Stämme bilden ein Meer aus abertausenden Rinden. Die Luft fühlt sich trocken an und ein wenig ätherisch, das ist sensationell. Ein spontaner Halt an einer Erdbeerplantage bringt Erfrischung. Fest saftig und mit der richtigen Ausgewogenheit zwischen Fruchtsüße und Säure sind die roten Früchte erntereif. Selbst geklaut schmecken sie immer noch am Besten, es ist ja nur eine Handvoll. Hinter Vetschau wartet das nächste Etappenziel: der Spreewald. Nirgendwo in Deutschland ist Radfahren einfacher wie hier. Brettflach ist es, die Bäume halten den Wind fort und die kleinen Kanäle zwischendrin sind was fürs Auge. Eine einmalige Region. Irgendwann muss ich mir den Spreewald-Radmarathon auf den Zettel nehmen, so eine goldene Gurken-Medaille fehlt mir noch in der Sammlung. Heute jedenfalls sind hunderte Ausflügler mit zwei Rädern auf der Straße unterwegs oder auf dem Wasser mit dem Kahn. Es ist eine Menge los aber es nervt nicht so wie an anderen Orten. Ist das der Zauber des Spreewaldes? An einem Wasserrastplatz nutze ich ein Gasthaus zur Einkehr und nehme eine Fischsuppe. Das passt am besten zur Region. Der Trubel auf dem Kanal spült stetig neue Gäste an die auf Abstand gestellten Holztische. Nach dem großen Pandemie-Lockdown im Frühjahr will scheinbar alles raus und die Bedienung hat mehr als genug zu tun. Glücklicherweise hat sie „Schnauze“ und führt ein hartes Regiment, sonst würde es wahrscheinlich Chaos geben. Dumme Fragen werden dumm beantwortet, wie die allzu offensichtliche Frage eines Gastes, ob denn noch ein Tisch frei wäre. „Sehnse denne noch een?“. Die „bitte aber gerne doch“ Gesellschaft hat mal kurz Pause. Für die resolute Wirtin runde ich großzügig beim Trinkgeld auf.
Über Lieberose und die Reicherskreuzer Heide schlage ich mich bis zur Neiße durch. Ein Stück Nachmittagskuchen am Kloster Neuzelle soll das nächste Ziel sein. Kaum ein Ort liegt dazwischen. Nur endlose Wälder, durch die lange Schneisen geschlagen sind. Die Schaltung liegt seit Ortrand trotz leichten Gegenwindes bereits stetig auf 52-23 oder größer und ich nutze das aktuelle Zwischenstück zum Pacing und drücke noch etwas fester drauf. Der Osten rollt. Das kleine Dorf Reicherskreuz mit den alten Feldsteinhäusern und der Fachwerkkirche liegt wirklich malerisch in der Heide und ich bin froh, dass ich die Route hier entlang gelegt habe. Irgendwann wird der Weg dann hügelig und der Asphalt ist stellenweise noch aus sozialistischen Zeiten. Die Straßen hier scheinen in sich gewellt und gebogen wie Hefeteig vor dem ausrollen und entsprechend kräftig muss ich die Kurbel kneten. Wenn der Hinterreifen greift, klopft der Rahmen schon im nächsten Moment bis zur Bandscheibe durch. Neuzelle ist dann rechtzeitig der richtige Ort für die Labe. An der barocken Klosteranlage ist reichlich Trubel. Das Schwarzbier der Mönche muss ich mit Blick auf die Reststrecke aber links liegen lassen. Etwas Abseits aber mit dem richtigen Ausblick auf das bunte Treiben finde ich einen schönen Sonnenplatz für den Café. Das nenne ich Zufriedenheit.
Die Abkürzung über den Oder-Neiße-Radweg schlage ich aus und nehme noch einen Schlenker ins Umland durch das untere Schlaubetal mit. Durch lichten Mischwald wird es nun belebter und ich weiche auf begleitende Radwege aus. Vorbei am Müllroser See geht es weiter bis zur Helene, der kleinen Ostsee. Auch dies ist ein gefluteter Tagebau und beliebtes Ausflugsziel für die Frankfurter. Wenig später ist die märkische Bürgerstadt erreicht. Mit dem Hotel habe ich Glück, das Rad darf mit aufs Zimmer und der Concierge hat direkt ein paar Tipps auf Lager. Überhaupt trägt er den ortsüblichen Mutterwitz auf der Zunge und wir plauschen noch ein wenig über den üblichen Smalltalk hinaus. Ich mag den Humor der Brandenburger, so wie man einen alten Freund vermisst. Zum Ausklang dann endlich Oderwasser.

Von Droopy –
Der Blick aus dem Hotelfenster geht aufs Stadion der Freundschaft. Frankfurt war einst die Stadt der Armeesportler. Der bekannteste von ihnen sicherlich Henry Maske. Ich kann mich noch gut an den Kampf in der Leipziger Messehalle 1996 erinnern, alles tobte. Echte Promis saßen auf den VIP-Stühlen in der ersten Reihe neben Halbweltgrößen. Maske war noch vor Jan Ullrich zum gesamtdeutschen Sportstar aufgestiegen. Und dann ging es über zwölf Runden, schwere Kost, ein taktischer Fight, der erhoffte K.O des schwächeren Gegners blieb aus. Ich war etwas enttäuscht, erst später habe ich verstanden, dass Maske keine Ghettofaust war, sondern der wahrscheinlich beste Defensivspezialist seiner Zunft. Ein Konterboxer der mehr ausweicht und Körner spart und dann gezielt seine Treffer anbringt. Es zählte im Ring weniger die Show des „Gentleman“, sondern mehr das gelernte Boxhandwerk des „NVA-Oberleutnants“. In diesem Tun hat er vielen Menschen in den schwierigen neunziger Jahren im neuen Deutschland den Stolz auf die eigene Lebensleistung zurückgebracht. Mehr Sein als Schein, das galt schon immer hier, nur viele hatten es vergessen. Danke Henry.
Nun also Frankfurt. Überhaupt hat hier die Zeit viele Wunden geschlagen. Prächtige Straßenzüge aus der Jahrhundertwende, kleine herausgeputzte Fischerhäuschen, Einfamiliensiedlungen neben Plattenbau am Stadtrand. In der Mitte Beton und Glas, sozialistisch und postsozialistisch, die alte Universität Viadrina im wilhelminischen Repräsentationsbau, ein mittelalterliches Rathaus der Backsteingotik und dazwischen immer wieder riesige Baulücken, Kriegsschäden. Die Stadt passt irgendwie in keine Schublade. So wie ihr berühmtester Sohn, Heinrich von Kleist. Die Welt drängt sich nach Goethe und Schiller aber es müsste eigentlich ein Triumvirat sein und Kleist der dritte Nationaldichter. Ein Außenseiter. Fest verwurzelt steht er mit dem Kohlhaas oder dem Prinz von Homburg aber stofflich eben typisch für die Geschichte dieser Region, ihrer Geisteshaltung und ihren Besonderheiten. "Der Mensch soll mit der Mühe Pflugschar sich des Schicksals harten Boden öffnen, soll des Glückes Erntetag sich selbst bereiten und Taten in die offnen Furchen streun", spricht der Dichter. Wohl an, ich werde nochmal kommen müssen, ein Museumsbesuch im Geburtshaus des großen Aufklärers ist auf dieser Reise leider nicht drin.
Auf dem Oderradweg geht es weiter, zunächst ein Stück landeinwärts nach Lebus. Dort ist nach wenigen Kilometern dann der Fluss wieder in Sicht. Hier am Reitweiner Sporn beginnt der Oderbruch. Herrlich liegt die stille Oder hinter dem Deich im Morgenlicht. Eine mystische Landschaft, das Schilf wiegt sich anmutig im Wind und kein Schiff stört. Am Horizont mächtige einzelne Bäume, Störche. Völlig ungestört kann ich durch die flache Landschaft gleiten und mit ihr eins werden. Wahlweise kann die Route neben dem Deich oder auf der Krone gewählt werden. Ich probiere beides aus. Gibt es das „Runners High“ auch auf dem Rad? Dann ist jetzt der Moment. Meine Landschaft des Jahres und die Entdeckung der Tour. Dabei kann sie auch gefährlich sein, so wie 1997 bei der großen Oderflut, als die Deiche zu brechen drohten. Der Fluss hatte den höchsten Stand seit Beginn aller Messungen, weit über sechs Meter Pegelstand, 20.000 Menschen wurden evakuiert. Die Hilfsbereitschaft damals war grenzenlos, Rückblickend stärker als jeder offiziell zelebrierte Einheitstag. Am Ende ging es für die Meisten glimpflich aus. Das lässt sich von der Schlacht an den Seelower Höhen nicht behaupten. Unter dem stärksten Trommelfeuer der Geschichte starben in den letzten Kriegstagen 1945 hier noch sinnlos zehntausende Soldaten auf beiden Seiten. Das traurigste Kapitel einer Landschaft, die der Alte Fritz rund zweihundert Jahre zuvor erst unter enormen Aufwänden vollständig hatte trockenlegen lassen. Von ihm selbst stolz als der „Gewinn einer Provinz im Frieden“ bezeichnet. Heute ist das Glück in den Oderbruch zurückgekehrt und jeder möge sich selbst ein Bild davon machen.
Hinter Seelow nutze ich einen Plattenweg vorbei an einer alten Friedenseiche, wie passend. Entlang der Bundesstraße geht es dann auf dem begleitenden Radweg weiter nach Neuhardenberg, ein notwendiges Überbrückungsstück. Dort treffen wir Karl-Friedrich Schinkel. Wer ihn nicht kennt, Schinkel hat das historische Antlitz Berlins mit seinen klassizistischen Gebäuden geprägt. Auch die „weissen Städte“ Heiligendamm an der Ostsee und Putbus auf Rügen sind unter diesen Einflüssen von seinen Schülern gebaut. Und hier steht das Schloss Neuhardenberg und die Dorfkirche strahlend, klassizistisch und Schinkel pur am Wegesrand. Heute ein Nobelhotel. Etwas verschämt verbeugen sich die alten Dorfhäuser vor dem Gutsensemble, das durch diesen Kontrast noch etwas heller strahlt. Brandenburg. Leider ist die Zeit für eine Rast noch nicht gekommen und so geht es zügig weiter Richtung Buckower Schweiz.
Am Abzweig Wulkow wird es spannend. Drei Kilometer sind es von hier bis Hermersdorf. Spannend deswegen, weil die Belagdecke wohl auch noch aus der späten Schinkelzeit stammen muss. Wer den Wald von Arenberg in Nordfrankreich bereits kennt, kann dieses Stück gebührend würdigen. Ein fünf Sterne Sektor. Die Spalten sind reifenbreit und das Pflaster übel verworfen. Eine Flucht auf den Randstreifen, der hier noch ein so genannter Sommerweg ist, unmöglich. Die Reifen versinken dort im märkischen Sand, hier braucht es Hufe statt Gummireifen. Also Augen zu und langsam durchrumpeln, heute fahren wir ja mit Gepäck und haben auch noch zu viel Luft im Schlauch. Irgendwann ist es vorbei und auch alles noch dran. Anschließend beginnt das, was die Tourismuswerbung des 19. Jahrhunderts schwärmerisch als Schweiz bezeichnet hat. Eine ziemlich hügelige Kulturlandschaft mit Wald und Flur, durch die jetzt eine einsame schmale Straße zieht. Aufregend hier, fast wie in Appenzell-Innerrhoden. Kleiner Scherz, Touristiker sind meistens Roßtäuscher. Lauschig ist es trotzdem. In Buckow sind dann leider alle Plätze auf den zahlreichen Terassen bereits besetzt, schade, der notwendige Halt verschiebt sich.
In der Folge hören indes die kleinen Eiszeithügel nicht auf, die Wellen werden zwar etwas flacher, dafür aber länger und der Wind bläst über die weiten Ackerflächen des Barnim direkt ins Gesicht. Am zweiten Tag der Reise fällt jetzt der runde Tritt auf dem großen Blatt schwerer. Für die nächsten Kilometer produziere ich Schaltsalat. Ich lasse die Kette vorn aufs Kleine fallen und stelle fest, dass sich das ebenso blöd anfühlt. Dann drücke ich die nächste Welle wieder dick hoch, dann wieder runter auf klein und umgekehrt. Wo ist der verdammte Gang, der passt? Eine gute Stunde später rolle ich endlich bergab zum Oder-Havel-Kanal. Am berühmten Schiffshebewerk ist endlich Gelegenheit für eine Mahlzeit. Ich nehme die kleine Raststätte linker Hand und frage was der Koch heute empfiehlt. „Eene Kohlroulade hätte ick noch“, sagt die Bedienung. „Jebongt, rinn in Topp, dann isse weg.“, sage ich. Aus Erfahrung weiß ich, in Brandenburg ist manchmal Personal der König und nicht der Gast. Mit der Antwort läuft die Einkehr wie geschmiert. Alles wie früher. Zum Tageshotel ist es von hier in der Luftlinie jetzt nicht mehr weit, aber auch heute drehe ich noch eine Schleife extra, denn der Tag ist noch früh. Über Oderberg geht es auf kupierter Strecke weiter bis zum Parsteiner See. Der richtige Gang ist dabei wieder in der Schaltung. Dafür hat das „Menu sportif“ gesorgt. Der Osten rollt wieder. Deswegen ist der Knüppeldamm am See auch kein Hindernis mehr. Anders als in der Buckower Schweiz bügele ich flott über das Pflaster, nächster Halt Chorin. Die ehemalige Zisterzienserabtei ist ein touristischer Anlaufpunkt und wirklich beeindruckend. Auch hier treffe ich wieder auf Schinkel, der hatte nämlich einst die gotische Anlage erst vor dem Verfall gerettet und rekonstruieren lassen. Reisen bildet, obwohl ich das heute Morgen zum Frühstück alles gar nicht wissen wollte. Auf dem Reststück passiert dann nicht mehr viel. Mangels Alternative geht es durch die belebte Kreisstadt Eberswalde zum Werbellinsee komplett auf dem Radweg, was besser als erhofft läuft. Zum Ausklang dann endlich Seewasser.
Nun also Frankfurt. Überhaupt hat hier die Zeit viele Wunden geschlagen. Prächtige Straßenzüge aus der Jahrhundertwende, kleine herausgeputzte Fischerhäuschen, Einfamiliensiedlungen neben Plattenbau am Stadtrand. In der Mitte Beton und Glas, sozialistisch und postsozialistisch, die alte Universität Viadrina im wilhelminischen Repräsentationsbau, ein mittelalterliches Rathaus der Backsteingotik und dazwischen immer wieder riesige Baulücken, Kriegsschäden. Die Stadt passt irgendwie in keine Schublade. So wie ihr berühmtester Sohn, Heinrich von Kleist. Die Welt drängt sich nach Goethe und Schiller aber es müsste eigentlich ein Triumvirat sein und Kleist der dritte Nationaldichter. Ein Außenseiter. Fest verwurzelt steht er mit dem Kohlhaas oder dem Prinz von Homburg aber stofflich eben typisch für die Geschichte dieser Region, ihrer Geisteshaltung und ihren Besonderheiten. "Der Mensch soll mit der Mühe Pflugschar sich des Schicksals harten Boden öffnen, soll des Glückes Erntetag sich selbst bereiten und Taten in die offnen Furchen streun", spricht der Dichter. Wohl an, ich werde nochmal kommen müssen, ein Museumsbesuch im Geburtshaus des großen Aufklärers ist auf dieser Reise leider nicht drin.
Auf dem Oderradweg geht es weiter, zunächst ein Stück landeinwärts nach Lebus. Dort ist nach wenigen Kilometern dann der Fluss wieder in Sicht. Hier am Reitweiner Sporn beginnt der Oderbruch. Herrlich liegt die stille Oder hinter dem Deich im Morgenlicht. Eine mystische Landschaft, das Schilf wiegt sich anmutig im Wind und kein Schiff stört. Am Horizont mächtige einzelne Bäume, Störche. Völlig ungestört kann ich durch die flache Landschaft gleiten und mit ihr eins werden. Wahlweise kann die Route neben dem Deich oder auf der Krone gewählt werden. Ich probiere beides aus. Gibt es das „Runners High“ auch auf dem Rad? Dann ist jetzt der Moment. Meine Landschaft des Jahres und die Entdeckung der Tour. Dabei kann sie auch gefährlich sein, so wie 1997 bei der großen Oderflut, als die Deiche zu brechen drohten. Der Fluss hatte den höchsten Stand seit Beginn aller Messungen, weit über sechs Meter Pegelstand, 20.000 Menschen wurden evakuiert. Die Hilfsbereitschaft damals war grenzenlos, Rückblickend stärker als jeder offiziell zelebrierte Einheitstag. Am Ende ging es für die Meisten glimpflich aus. Das lässt sich von der Schlacht an den Seelower Höhen nicht behaupten. Unter dem stärksten Trommelfeuer der Geschichte starben in den letzten Kriegstagen 1945 hier noch sinnlos zehntausende Soldaten auf beiden Seiten. Das traurigste Kapitel einer Landschaft, die der Alte Fritz rund zweihundert Jahre zuvor erst unter enormen Aufwänden vollständig hatte trockenlegen lassen. Von ihm selbst stolz als der „Gewinn einer Provinz im Frieden“ bezeichnet. Heute ist das Glück in den Oderbruch zurückgekehrt und jeder möge sich selbst ein Bild davon machen.
Hinter Seelow nutze ich einen Plattenweg vorbei an einer alten Friedenseiche, wie passend. Entlang der Bundesstraße geht es dann auf dem begleitenden Radweg weiter nach Neuhardenberg, ein notwendiges Überbrückungsstück. Dort treffen wir Karl-Friedrich Schinkel. Wer ihn nicht kennt, Schinkel hat das historische Antlitz Berlins mit seinen klassizistischen Gebäuden geprägt. Auch die „weissen Städte“ Heiligendamm an der Ostsee und Putbus auf Rügen sind unter diesen Einflüssen von seinen Schülern gebaut. Und hier steht das Schloss Neuhardenberg und die Dorfkirche strahlend, klassizistisch und Schinkel pur am Wegesrand. Heute ein Nobelhotel. Etwas verschämt verbeugen sich die alten Dorfhäuser vor dem Gutsensemble, das durch diesen Kontrast noch etwas heller strahlt. Brandenburg. Leider ist die Zeit für eine Rast noch nicht gekommen und so geht es zügig weiter Richtung Buckower Schweiz.
Am Abzweig Wulkow wird es spannend. Drei Kilometer sind es von hier bis Hermersdorf. Spannend deswegen, weil die Belagdecke wohl auch noch aus der späten Schinkelzeit stammen muss. Wer den Wald von Arenberg in Nordfrankreich bereits kennt, kann dieses Stück gebührend würdigen. Ein fünf Sterne Sektor. Die Spalten sind reifenbreit und das Pflaster übel verworfen. Eine Flucht auf den Randstreifen, der hier noch ein so genannter Sommerweg ist, unmöglich. Die Reifen versinken dort im märkischen Sand, hier braucht es Hufe statt Gummireifen. Also Augen zu und langsam durchrumpeln, heute fahren wir ja mit Gepäck und haben auch noch zu viel Luft im Schlauch. Irgendwann ist es vorbei und auch alles noch dran. Anschließend beginnt das, was die Tourismuswerbung des 19. Jahrhunderts schwärmerisch als Schweiz bezeichnet hat. Eine ziemlich hügelige Kulturlandschaft mit Wald und Flur, durch die jetzt eine einsame schmale Straße zieht. Aufregend hier, fast wie in Appenzell-Innerrhoden. Kleiner Scherz, Touristiker sind meistens Roßtäuscher. Lauschig ist es trotzdem. In Buckow sind dann leider alle Plätze auf den zahlreichen Terassen bereits besetzt, schade, der notwendige Halt verschiebt sich.
In der Folge hören indes die kleinen Eiszeithügel nicht auf, die Wellen werden zwar etwas flacher, dafür aber länger und der Wind bläst über die weiten Ackerflächen des Barnim direkt ins Gesicht. Am zweiten Tag der Reise fällt jetzt der runde Tritt auf dem großen Blatt schwerer. Für die nächsten Kilometer produziere ich Schaltsalat. Ich lasse die Kette vorn aufs Kleine fallen und stelle fest, dass sich das ebenso blöd anfühlt. Dann drücke ich die nächste Welle wieder dick hoch, dann wieder runter auf klein und umgekehrt. Wo ist der verdammte Gang, der passt? Eine gute Stunde später rolle ich endlich bergab zum Oder-Havel-Kanal. Am berühmten Schiffshebewerk ist endlich Gelegenheit für eine Mahlzeit. Ich nehme die kleine Raststätte linker Hand und frage was der Koch heute empfiehlt. „Eene Kohlroulade hätte ick noch“, sagt die Bedienung. „Jebongt, rinn in Topp, dann isse weg.“, sage ich. Aus Erfahrung weiß ich, in Brandenburg ist manchmal Personal der König und nicht der Gast. Mit der Antwort läuft die Einkehr wie geschmiert. Alles wie früher. Zum Tageshotel ist es von hier in der Luftlinie jetzt nicht mehr weit, aber auch heute drehe ich noch eine Schleife extra, denn der Tag ist noch früh. Über Oderberg geht es auf kupierter Strecke weiter bis zum Parsteiner See. Der richtige Gang ist dabei wieder in der Schaltung. Dafür hat das „Menu sportif“ gesorgt. Der Osten rollt wieder. Deswegen ist der Knüppeldamm am See auch kein Hindernis mehr. Anders als in der Buckower Schweiz bügele ich flott über das Pflaster, nächster Halt Chorin. Die ehemalige Zisterzienserabtei ist ein touristischer Anlaufpunkt und wirklich beeindruckend. Auch hier treffe ich wieder auf Schinkel, der hatte nämlich einst die gotische Anlage erst vor dem Verfall gerettet und rekonstruieren lassen. Reisen bildet, obwohl ich das heute Morgen zum Frühstück alles gar nicht wissen wollte. Auf dem Reststück passiert dann nicht mehr viel. Mangels Alternative geht es durch die belebte Kreisstadt Eberswalde zum Werbellinsee komplett auf dem Radweg, was besser als erhofft läuft. Zum Ausklang dann endlich Seewasser.
Ich bin diese Etappe gefahren
am

Von Droopy –
Heute geht es für viele, viele Kilometer durch die Schorfheide. Das phänomenale Waldgebiet war noch nie so frei und friedlich zu besuchen, wie seit den Tagen des Mauerfalls. Im einstigen Jagdrevier Kaiser Wilhelms des Zweiten und seiner politischen Nachfolger aus braunen und roten Bonzen wurde hier jahrzehntelang alles weggeschossen, was ein Geweih hatte und von den Treibern vor die Büchse geschoben wurde. Pilzesammler mussten an vielen Stellen draußen bleiben. Dazu lagen früher noch die Russen zu Tausenden im Wald. Im Norden in Groß Dölln ein riesiger Flugplatz,quasi das Pendant zum pfälzischen Rammstein, bei Vogelsang eine ganze Militärstadt, von der die Leute wenig sahen aber viel munkelten. Hier lagen im Sand der Heide über Jahrzehnte die Nuklearraketen der Sowjetarmee versteckt. Gruselig. Die Politprominenz hat es heute glücklicherweise nicht so mit dem Schießen. Angela berauscht sich ganz gegen ihre Natur in einem schwachen Moment allenfalls am Mythos Bayreuth und selbst Donald Trump aus dem Land der Waffennarren golft lieber. Beim Faktenvergleich lässt sich herausfinden: Unsere Regierenden geben sich, wie die meisten von uns, nur noch als Kleinbürger, beruhigend.
Die Heide ist momentan jedenfalls Staatsjagd- und Atomwaffenfrei und mein Weg zieht eine lange Schneise bis Friedrichswalde und von dort linkerhand auf einen Knüppeldamm. Irgendeinem Investitionsfonds für Strukturschwache Räume sei Dank wurde das Pflaster auf dieser Strecke aber museal eingehegt, nur in der Mitte blieb ein Streifen aus Feldsteinen liegen, rechts und links davon Asphalt und durch das Unterholz der Heide führt zusätzlich ein neuer Radweg. Sowas habe ich auch noch nicht gesehen, fährt sich aber prima. Ab dem Dorf Gollin dann weiter auf schöner Strecke bis Templin. Das ging in Windeseile. Templin selbst ist eine kleine Stadtrundfahrt wert, die Perle der Uckermark ist eine der wenigen vom Krieg unzerstörten Orte im östlichen Brandenburg mit kleiner Stadtmauer, Stadttoren und schönen Gassen. Leider liegt es wie so viele Orte in der Peripherie heute etwas ausgeblutet und verlassen da. Die Russen sind jedenfalls Anfang der neunziger Jahre schon fort und auch Kanzlerin Merkel hat sich in ihrer Heimat lange nicht blicken lassen. Während die einen ihre nüchtern rationelle Art als typisch pietistischen Brandenburger Wesenszug lobend preisen sind andere hier tief enttäuscht. Sie sei geradezu auffällig um Abstand zu ihrer Herkunft bemüht, heißt es. Auch das frühe Framing als "Mutti" passe nicht mehr so recht ins tatsächliche Bild. Meine Beobachtung ist zugegeben ähnlich, in letzter Zeit muss ich häufig an eine gute Bekannte aus derselben Alterkohorte wie die Kanzlerin denken. Kinderlos aber mit Hund, verfällt sie sprachlich unbewusst ins infantile. Wenn ich die unbeholfene Gestik und lautmalerische Rhetorik der Regierungschefin damit vergleiche, ergeben sich erstaunliche Paralellen. Erklärungen in "einfacher Sprache" fürs tumbe Volk. Dazu abwechselnd Ermahnungen und Binsenweisheiten. Aber wozu ärgern, dabei haben doch die Brandenburger schon so wunderbare Mutterfiguren. So wie die romantisch, zart verklärte Königin Luise, das Idealbild einer guten Landesmutter. Und wer noch ein Herz hat, in dem emotionale Leidenschaft brennt, erinnert sich auch lieber an Regine Hildebrandt. Bei ihr war "einfache Sprache" noch sagen, was ist - und zwar deutlich. So geht das alte Brandenburg. Ach Luischen, ach Reginchen, wäre doch schon Morgen.
Mir bleibt ein Achselzucken bevor ich mein Narrenschiff wieder auf Kurs setze. Hier in der Provinz und auf meiner Reise ist mir die mediale und digitale Entschleunigung vom Alltag wichtiger als alles andere und dazu sehr erholsam. Über Nebenstraßen umfahre ich zunächst die Hauptstraße und halte mich über die Dörfer Röddelin und Annenwalde. Das lohnt sich, erlebe ich doch eine schöne Pflastersause durch Annenwalde und eine schmucke Allee wie aus dem Bilderbuch. Das nächste Etappenziel lautet Fürstenberg/Havel. Dazwischen liegt nur Lychen, ein anmutig gelegener Ort zwischen mehreren Seen. Wassersportler müsste man sein, dann böte die Natur dem Betrachter sicher noch den ein oder andere Höhepunkt mehr. Das gilt unisono für das ganze nördliche Brandenburg, Radfahren kann da nur die zweite Geige spielen. Das kann ich ganz ohne Neid bekennen. Hinter Lychen kann ich trotzdem von der ländlichen Infrastruktur profitieren und nutze den asphaltierten Radwanderweg quer durch den Wald nach Himmelpfort zur alten Klosterruine. Das kleine Dorf ist voll mit Ausflüglern und liegt direkt am Radweg Berlin-Kopenhagen. Wenig später geht es an der Gedenkstätte des KZ Ravensbrück vorbei. Das ist leider überhaupt kein erbauliches Kapitel der jüngeren Geschichte. Die Millionen Bäume der Schorfheide haben wirklich schon viel Leid gesehen. Wir lernen bei allem Gemecker über das Heute: Früher war es wirklich beschissen.
Eine Auszeiit wäre jetzt gut. Am Ortseingang von Fürstenberg wartet dafür ein passables Biocafé. Nein, kein abgeranzter Ökoladen. Und auch kein urbaner Hipstertreff mit angesagten Leuten, die sich aus Berlin verirrt haben, um sich drei Stunden bei einer veganer Bowl und einem „Ground Coffee“ aufhalten und dabei geschäftig auf ihren Elektronikspielzeugen rumzudödeln. Eher typisch Brandburg. Das Ganze ist eigentlich eine Reiseagentur mit Cafetreff als zweitem Standbein. Rechts der Schreibtisch für die Reiseberatung, links der Tresen für die Backwaren. Hier bäckt die Chefin noch selbst die Zimtschnecken. Es schmeckt jedenfalls hervorragend und auch die Idee ist richtig gut, jedenfalls so lange keine Viruspandemie ist. Mein Einkehrtipp heute und ein dickes Radlerlob dafür.
Da der Tag ansonsten immer noch jung ist, folgt jetzt die tägliche Zusatzschleife. So fahre ich zunächst weiter westlich im kleinen Grenzverkehr durch die Wälder ins Mecklenburgische. Kleine Reminiszens an die gute Luise. Auch diese Gegend besticht durch ihre zahlreichen Seen, von denen viele bis hoch bis zur Müritz durch Kanäle verbunden sind. Wahrlich ein Paradies für Wassersportler. Auf einem schmalen Plattenweg reise ich wieder unbehelligt, Fuchs und Hase grüßend, nach Brandenburg ein. Vom Zechliner See bis nach Rheinsberg soll es dann auf einem asphaltierten Bahntrassenradweg weiter gehen. Leider entpuppt sich diese Information als Ärgernis. Gegen meinen Grundsatz, Radwege nur an Bundesstraßen oder bei starkem Autoverkehr zu nutzen, falle ich auf das Lockangebot herein. Der Radweg besticht auf den gesamten zehn Kilometern durch hunderte Wurzelbrüche und Asphaltblasen, die im Licht und Schattenspiel des Laubwaldes zudem schwer zu erkennen sind. Ständiges bremsen und beschleunigen ist angesagt und wenn das Vorderrad wieder einen Wurzelbruch erwischt, schlägt es einem fast den Lenker aus der Hand. Dazu kommen jetzt zu allem Unglück noch der Fluch des Hans Maulwurf. Dutzende betagte Radwanderer sind auf der Strecke und treten teilweise so langsam in die Pedale, dass ich mich frage, bei welcher Geschwindigkeit der physikalische Kippunkt einsetzt. Die Angst sich im gesetzten Alter keinen Risiken mehr aussetzen zu wollen, Stichwort Covidinfektionen und Radunfälle, scheint mir eine Erfindung der Medien. Oder trifft sich hier die unheilvolle Melange aus Reichsbürgern, Impfgegnern, Rappern, Coronaleugnern und sonstigen gefährlichen Randgruppen zur Critical Mass? Eine Flucht vom Weg ist jedenfalls nicht möglich, die Trasse führt etwas abseits der Straße und irgendwie finde ich keine Ausfahrt mehr. Die Nerven kann ich dann in Rheinsberg beruhigen. Aus Gewohnheit suche ich das Cafe Götsch in der Seestraße auf. Der Laden steht noch wie eh und je, auch wenn drinnen Corona-bedingt die Stühle hochgestapelt sind. Dafür gibt es draußen ein paar Gartentische und auch der Bienenstich ist noch so hervorragend wie vor zwanzig Jahren. Schön ist die Erinnerung und schön ist es hier immer noch, im Brandenburger Musentempel. Schloss- und Seebesichtigung können heute ausfallen, das kenne ich schon und tausche es gegen ein Nickerchen in der Sonne.
Gut erholt geht es dann Richtung Havel über Menz und Großwoltersdorf weiter. Mit jedem Meter wird es wieder ruhiger. In Marienthal beginnt dann ein wirklich schöner Abschnitt, teils auf der Straße, teils auf dem Fernradweg Berlin-Kopenhagen. Es geht durch die Mildenberger Tonlandschaft und am Ziegeleipark vorbei. Hunderte vollgelaufene Tongruben säumen den Weg, dazwischen die Havel. Hier wurde vor über hundert Jahren das Antlitz des modernen Berlins gebacken, der rötlich glänzend schimmernde Klinker. Abermillionen Ziegel, so viele wie der Himmel Sterne hat. Später lief Wasser in die Gruben und die Kinder hatten ihr Paradies gefunden. Und dann komme ich in die kleine Stadt mit der Eiche auf dem Markt und den Bänken ringsum. Heute sind sie leer. Ausnahmsweise war es hier früher schöner. Zum Ausklang heute Kartoffelsuppe.
Die Heide ist momentan jedenfalls Staatsjagd- und Atomwaffenfrei und mein Weg zieht eine lange Schneise bis Friedrichswalde und von dort linkerhand auf einen Knüppeldamm. Irgendeinem Investitionsfonds für Strukturschwache Räume sei Dank wurde das Pflaster auf dieser Strecke aber museal eingehegt, nur in der Mitte blieb ein Streifen aus Feldsteinen liegen, rechts und links davon Asphalt und durch das Unterholz der Heide führt zusätzlich ein neuer Radweg. Sowas habe ich auch noch nicht gesehen, fährt sich aber prima. Ab dem Dorf Gollin dann weiter auf schöner Strecke bis Templin. Das ging in Windeseile. Templin selbst ist eine kleine Stadtrundfahrt wert, die Perle der Uckermark ist eine der wenigen vom Krieg unzerstörten Orte im östlichen Brandenburg mit kleiner Stadtmauer, Stadttoren und schönen Gassen. Leider liegt es wie so viele Orte in der Peripherie heute etwas ausgeblutet und verlassen da. Die Russen sind jedenfalls Anfang der neunziger Jahre schon fort und auch Kanzlerin Merkel hat sich in ihrer Heimat lange nicht blicken lassen. Während die einen ihre nüchtern rationelle Art als typisch pietistischen Brandenburger Wesenszug lobend preisen sind andere hier tief enttäuscht. Sie sei geradezu auffällig um Abstand zu ihrer Herkunft bemüht, heißt es. Auch das frühe Framing als "Mutti" passe nicht mehr so recht ins tatsächliche Bild. Meine Beobachtung ist zugegeben ähnlich, in letzter Zeit muss ich häufig an eine gute Bekannte aus derselben Alterkohorte wie die Kanzlerin denken. Kinderlos aber mit Hund, verfällt sie sprachlich unbewusst ins infantile. Wenn ich die unbeholfene Gestik und lautmalerische Rhetorik der Regierungschefin damit vergleiche, ergeben sich erstaunliche Paralellen. Erklärungen in "einfacher Sprache" fürs tumbe Volk. Dazu abwechselnd Ermahnungen und Binsenweisheiten. Aber wozu ärgern, dabei haben doch die Brandenburger schon so wunderbare Mutterfiguren. So wie die romantisch, zart verklärte Königin Luise, das Idealbild einer guten Landesmutter. Und wer noch ein Herz hat, in dem emotionale Leidenschaft brennt, erinnert sich auch lieber an Regine Hildebrandt. Bei ihr war "einfache Sprache" noch sagen, was ist - und zwar deutlich. So geht das alte Brandenburg. Ach Luischen, ach Reginchen, wäre doch schon Morgen.
Mir bleibt ein Achselzucken bevor ich mein Narrenschiff wieder auf Kurs setze. Hier in der Provinz und auf meiner Reise ist mir die mediale und digitale Entschleunigung vom Alltag wichtiger als alles andere und dazu sehr erholsam. Über Nebenstraßen umfahre ich zunächst die Hauptstraße und halte mich über die Dörfer Röddelin und Annenwalde. Das lohnt sich, erlebe ich doch eine schöne Pflastersause durch Annenwalde und eine schmucke Allee wie aus dem Bilderbuch. Das nächste Etappenziel lautet Fürstenberg/Havel. Dazwischen liegt nur Lychen, ein anmutig gelegener Ort zwischen mehreren Seen. Wassersportler müsste man sein, dann böte die Natur dem Betrachter sicher noch den ein oder andere Höhepunkt mehr. Das gilt unisono für das ganze nördliche Brandenburg, Radfahren kann da nur die zweite Geige spielen. Das kann ich ganz ohne Neid bekennen. Hinter Lychen kann ich trotzdem von der ländlichen Infrastruktur profitieren und nutze den asphaltierten Radwanderweg quer durch den Wald nach Himmelpfort zur alten Klosterruine. Das kleine Dorf ist voll mit Ausflüglern und liegt direkt am Radweg Berlin-Kopenhagen. Wenig später geht es an der Gedenkstätte des KZ Ravensbrück vorbei. Das ist leider überhaupt kein erbauliches Kapitel der jüngeren Geschichte. Die Millionen Bäume der Schorfheide haben wirklich schon viel Leid gesehen. Wir lernen bei allem Gemecker über das Heute: Früher war es wirklich beschissen.
Eine Auszeiit wäre jetzt gut. Am Ortseingang von Fürstenberg wartet dafür ein passables Biocafé. Nein, kein abgeranzter Ökoladen. Und auch kein urbaner Hipstertreff mit angesagten Leuten, die sich aus Berlin verirrt haben, um sich drei Stunden bei einer veganer Bowl und einem „Ground Coffee“ aufhalten und dabei geschäftig auf ihren Elektronikspielzeugen rumzudödeln. Eher typisch Brandburg. Das Ganze ist eigentlich eine Reiseagentur mit Cafetreff als zweitem Standbein. Rechts der Schreibtisch für die Reiseberatung, links der Tresen für die Backwaren. Hier bäckt die Chefin noch selbst die Zimtschnecken. Es schmeckt jedenfalls hervorragend und auch die Idee ist richtig gut, jedenfalls so lange keine Viruspandemie ist. Mein Einkehrtipp heute und ein dickes Radlerlob dafür.
Da der Tag ansonsten immer noch jung ist, folgt jetzt die tägliche Zusatzschleife. So fahre ich zunächst weiter westlich im kleinen Grenzverkehr durch die Wälder ins Mecklenburgische. Kleine Reminiszens an die gute Luise. Auch diese Gegend besticht durch ihre zahlreichen Seen, von denen viele bis hoch bis zur Müritz durch Kanäle verbunden sind. Wahrlich ein Paradies für Wassersportler. Auf einem schmalen Plattenweg reise ich wieder unbehelligt, Fuchs und Hase grüßend, nach Brandenburg ein. Vom Zechliner See bis nach Rheinsberg soll es dann auf einem asphaltierten Bahntrassenradweg weiter gehen. Leider entpuppt sich diese Information als Ärgernis. Gegen meinen Grundsatz, Radwege nur an Bundesstraßen oder bei starkem Autoverkehr zu nutzen, falle ich auf das Lockangebot herein. Der Radweg besticht auf den gesamten zehn Kilometern durch hunderte Wurzelbrüche und Asphaltblasen, die im Licht und Schattenspiel des Laubwaldes zudem schwer zu erkennen sind. Ständiges bremsen und beschleunigen ist angesagt und wenn das Vorderrad wieder einen Wurzelbruch erwischt, schlägt es einem fast den Lenker aus der Hand. Dazu kommen jetzt zu allem Unglück noch der Fluch des Hans Maulwurf. Dutzende betagte Radwanderer sind auf der Strecke und treten teilweise so langsam in die Pedale, dass ich mich frage, bei welcher Geschwindigkeit der physikalische Kippunkt einsetzt. Die Angst sich im gesetzten Alter keinen Risiken mehr aussetzen zu wollen, Stichwort Covidinfektionen und Radunfälle, scheint mir eine Erfindung der Medien. Oder trifft sich hier die unheilvolle Melange aus Reichsbürgern, Impfgegnern, Rappern, Coronaleugnern und sonstigen gefährlichen Randgruppen zur Critical Mass? Eine Flucht vom Weg ist jedenfalls nicht möglich, die Trasse führt etwas abseits der Straße und irgendwie finde ich keine Ausfahrt mehr. Die Nerven kann ich dann in Rheinsberg beruhigen. Aus Gewohnheit suche ich das Cafe Götsch in der Seestraße auf. Der Laden steht noch wie eh und je, auch wenn drinnen Corona-bedingt die Stühle hochgestapelt sind. Dafür gibt es draußen ein paar Gartentische und auch der Bienenstich ist noch so hervorragend wie vor zwanzig Jahren. Schön ist die Erinnerung und schön ist es hier immer noch, im Brandenburger Musentempel. Schloss- und Seebesichtigung können heute ausfallen, das kenne ich schon und tausche es gegen ein Nickerchen in der Sonne.
Gut erholt geht es dann Richtung Havel über Menz und Großwoltersdorf weiter. Mit jedem Meter wird es wieder ruhiger. In Marienthal beginnt dann ein wirklich schöner Abschnitt, teils auf der Straße, teils auf dem Fernradweg Berlin-Kopenhagen. Es geht durch die Mildenberger Tonlandschaft und am Ziegeleipark vorbei. Hunderte vollgelaufene Tongruben säumen den Weg, dazwischen die Havel. Hier wurde vor über hundert Jahren das Antlitz des modernen Berlins gebacken, der rötlich glänzend schimmernde Klinker. Abermillionen Ziegel, so viele wie der Himmel Sterne hat. Später lief Wasser in die Gruben und die Kinder hatten ihr Paradies gefunden. Und dann komme ich in die kleine Stadt mit der Eiche auf dem Markt und den Bänken ringsum. Heute sind sie leer. Ausnahmsweise war es hier früher schöner. Zum Ausklang heute Kartoffelsuppe.

Von Droopy –
Wenn Du traurig bist, dann schau Dich nicht um und trete fester in die Pedale. Und auch der Wind hat Mitleid, denn zum ersten Mal auf der ganzen Tour schiebt er leicht und elegant mein Rad von der Seite an. So fliegen die ersten Kilometer im Löwenberger Land dahin. Felder und Wiesen, eine schöne Bauernlandschaft und nach all den Kiefern gestern ein Akt der Befreiung. Am Wegesrand finden sich auf kleinen Ansitzen erstaunlich viele Schwarzmilane. Der krumme dunkelgelbe Schnabel und der im Flug leicht gegabelte Schwanz verrät die stolzen Vögel. Die Gattung ist mir gut bekannt, fliegt doch ein Rotmilan, also sozusagen die nahe Verwandschaft, regelmäßig über meinen Garten. Ja, Greifvögel bestimmen und Rennradfahren passt zusammen wie Bolle und der Milchwagen, um mal im Lokalkolorit zu bleiben. Kurz vor Grossmutz werde ich leider recht unsanft aus den Tagträumen geweckt, zwei Rehe schießen aus dem Straßengraben direkt vor mir über die Straße ins Feld. Für die Huftiere ist der Asphalt wie Glatteis. Außer dem Schreck ist aber nichts passiert. Dafür habe ich jetzt einen Ohrwurm im Kopf. „In Brandenburg, in Brandenburg ist wieder jemand gegen einen Baum gegurkt.“ Ein alter Kalauer mit Bart vom Musikclown Rainald Grebe, Glück gehabt.
Über Herzberg steuere ich die Fuhre nun direkt zum Ruppiner See. Den Besuch in der Fontanestadt lasse ich aus, bleibe auf der Strecke und schau dafür in Wustrau beim Zietenschloss vorbei. Denn wenn es einen General gibt, für den es sich lohnt kurz anzuhalten, dann ist es der alte Husar. Sein überliefertes Leben ist an Anekdoten reich und braucht hier nicht nacherzählt werden. Notiz am Rande: Wenn viele heute in Brandburg noch eine gewisse provinzielle Rückständigkeit ausmachen wollen, Stichwort Grebe, so begann hier das Zeitalter der Aufklärung doch deutlich früher als anderswo. Glaubt keiner mehr, ist aber so. Nur eines von vielen Beispielen: das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 war seinerzeit eines der modernsten Gesetzeswerke auf europäischem Boden. Bahnbrechend daran war, dass es für die Untertanen des Staates die Gleichheit vor dem Gesetz garantierte und die Unabhängigkeit der Rechtssprechung, sprich die Gewaltenteilung, sowie einheitliche Rechtsinstanzen einführte. Eine Urfassung unseres heutigen Rechtstaats sozusagen. Der ungleich bekanntere Napoleonische Code Civil kam übrigens erst 1804 "auf den Markt". Zieten reihte sich in diese aufklärerischen Entwicklungen gut ein, lehnte er doch die zeitgenössische Prügelstrafe in seinen Regimentern jedenfalls kategorisch ab. In vielen Teilen der Welt herrscht hingegen heute immer noch das Mittelalter und es scheint auch eine Anziehungskraft in modernen Gesellschaften zu geben, das Rad der Aufklärung wieder zurückdrehen zu wollen. Möge sich jeder selbst seine Beispiele im Alltag hierfür suchen. Weiteren Geschichtsunterricht gibt es im interessanten Brandenburg-Preußen Museum im Dorfzentrum.
Bevor meine Strecke im großen Bogen nun wieder zurück zur Havel verschwenkt, kreuze ich noch ein Stück Ruppiner Land. Nach einem Linksknick der Strecke im Dörfchen Garz gibt es nun zur Belohnung den Wind komplett von hinten. Bis Friesack zieht sich die Landstraße fast schnurgerade entlang schöner Bäume. Tunnelblick auf der Alleenstraße bei Tempo 40, was kann es schöneres geben? Es dreht fast von allein. Der Osten rollt wieder. Mir begegnet an diesem Vormittag hier genau ein Auto. Ich kann mir das deswegen gut merken, da der Chauffeur direkt nach der Passage eine Vollbremsung macht, Gummi quietscht, nur der Rumms bleibt aus. Der zweite Wildwechsel heute. „In Brandenburg in Brandenburg ist wieder jemand voll in die Allee gegurkt“. Mensch Grebe, du alter Prophet, hat ja fast geklappt. Ich halte trotzdem weiter an meinem Reisetempo fest, was soll schon schiefgehen. Eine Gefahr die man kennt, ist keine mehr. Diese Weisheit habe ich vorhin beim ollen Zieten gelernt, also immer feste druff.
Der nächste Schlenker bringt mich wieder von der direkten Route ab. Es ist ja nicht so, dass ich hier nur zum Kilometerabspulen herumfahre, ein paar touristische Impressionen am Rande beleben das Geschäft. Deswegen geht es nun nach Ribbeck zu einem Birnbaum. Den kennen vielleicht zwar nur noch die Älteren aber ich finde die Geschichte vom alten Freiherrn der seinem knausrigen Nachfahren zum Wohle der Dorfkinder ein Schnippchen schlägt, zeitlos schön. Eine Story ohne Haudrauf sondern mit Augenzwinkern und einer Portion Melancholie. Immerhin Theodor Fontanes Bestseller und früher Pflichtlektüre in der Deutschstunde. Auch so geht Brandenburg, müssen ja nicht immer Generals sein, die hier rumspuken.
Passend zur Reiseidee müsste das nächste Etappenziel eigentlich Potsdam heißen, aber mir war die Stadt dann doch zu nah dran an Berlin und dem ganzen Speckgürtel, daher fiel die Wahl im Vorfeld bereits auf Brandenburg/Havel. Also die Stadt, der das Land seinen Namen verdankt, die Wiege der Mark. Mein erster Besuch. Ich komme ohne Erwartungen und finde einen wirklich einladenden Ort. Verteilt auf mehrere Inseln in der Havel, die hier kleine Seen bildet, ist die Stadtanlage über Brücken miteinander verbunden. Quirliges Leben in der City, dazu mit schöner Altbausubstanz und historischen Gebäuden. Dazwischen rumpelt sogar noch eine Tram. Nach einer kleinen Stadtrundfahrt hole ich mir an einem Havelblick ein Fischbrötchen und entspanne. Der Zeitvorsprung ist dank Rückenwind groß. Wiederholt muss ich feststellen, dass Wassersport in Brandenburg eindeutig der Favorit ist und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich noch nie etwas darüber gelesen oder gesehen habe, was die Stadt hier so alles hergibt. Das kann wohl nur daran liegen das Berlin und Potsdam wirklich in Rufnähe sind und touristisch einfach alles andere in den Schatten stellen. Kann auch sein, dass ich ignorant war und es einfach übersehen habe. Wenig später ist schon das Tagesziel erreicht. Die frühe Ankunft erlaubt mir noch einen Besuch in der gut erhaltenen Klosteranlage, die wirklich riesig ist. Fleißige Leute die Zisterzienser. Danach fühle ich mich ein wenig wie ein japanischer Bustourist, zu viele Impressionen an einem Tag. Daher geht es zum Abend heute mal nicht in eine Bürgerstube mit regionaler Küche sondern mit Absicht zum Asia-Imbiss. Da ich zum Mitnehmen bestelle, gibt es zum Ausklang zusätzlich die große ein Liter Dose von Faxe. Sozusagen Husarenmaß und nichts für Anfänger und Fußlatscher. Endlich.
Über Herzberg steuere ich die Fuhre nun direkt zum Ruppiner See. Den Besuch in der Fontanestadt lasse ich aus, bleibe auf der Strecke und schau dafür in Wustrau beim Zietenschloss vorbei. Denn wenn es einen General gibt, für den es sich lohnt kurz anzuhalten, dann ist es der alte Husar. Sein überliefertes Leben ist an Anekdoten reich und braucht hier nicht nacherzählt werden. Notiz am Rande: Wenn viele heute in Brandburg noch eine gewisse provinzielle Rückständigkeit ausmachen wollen, Stichwort Grebe, so begann hier das Zeitalter der Aufklärung doch deutlich früher als anderswo. Glaubt keiner mehr, ist aber so. Nur eines von vielen Beispielen: das Allgemeine Preußische Landrecht von 1794 war seinerzeit eines der modernsten Gesetzeswerke auf europäischem Boden. Bahnbrechend daran war, dass es für die Untertanen des Staates die Gleichheit vor dem Gesetz garantierte und die Unabhängigkeit der Rechtssprechung, sprich die Gewaltenteilung, sowie einheitliche Rechtsinstanzen einführte. Eine Urfassung unseres heutigen Rechtstaats sozusagen. Der ungleich bekanntere Napoleonische Code Civil kam übrigens erst 1804 "auf den Markt". Zieten reihte sich in diese aufklärerischen Entwicklungen gut ein, lehnte er doch die zeitgenössische Prügelstrafe in seinen Regimentern jedenfalls kategorisch ab. In vielen Teilen der Welt herrscht hingegen heute immer noch das Mittelalter und es scheint auch eine Anziehungskraft in modernen Gesellschaften zu geben, das Rad der Aufklärung wieder zurückdrehen zu wollen. Möge sich jeder selbst seine Beispiele im Alltag hierfür suchen. Weiteren Geschichtsunterricht gibt es im interessanten Brandenburg-Preußen Museum im Dorfzentrum.
Bevor meine Strecke im großen Bogen nun wieder zurück zur Havel verschwenkt, kreuze ich noch ein Stück Ruppiner Land. Nach einem Linksknick der Strecke im Dörfchen Garz gibt es nun zur Belohnung den Wind komplett von hinten. Bis Friesack zieht sich die Landstraße fast schnurgerade entlang schöner Bäume. Tunnelblick auf der Alleenstraße bei Tempo 40, was kann es schöneres geben? Es dreht fast von allein. Der Osten rollt wieder. Mir begegnet an diesem Vormittag hier genau ein Auto. Ich kann mir das deswegen gut merken, da der Chauffeur direkt nach der Passage eine Vollbremsung macht, Gummi quietscht, nur der Rumms bleibt aus. Der zweite Wildwechsel heute. „In Brandenburg in Brandenburg ist wieder jemand voll in die Allee gegurkt“. Mensch Grebe, du alter Prophet, hat ja fast geklappt. Ich halte trotzdem weiter an meinem Reisetempo fest, was soll schon schiefgehen. Eine Gefahr die man kennt, ist keine mehr. Diese Weisheit habe ich vorhin beim ollen Zieten gelernt, also immer feste druff.
Der nächste Schlenker bringt mich wieder von der direkten Route ab. Es ist ja nicht so, dass ich hier nur zum Kilometerabspulen herumfahre, ein paar touristische Impressionen am Rande beleben das Geschäft. Deswegen geht es nun nach Ribbeck zu einem Birnbaum. Den kennen vielleicht zwar nur noch die Älteren aber ich finde die Geschichte vom alten Freiherrn der seinem knausrigen Nachfahren zum Wohle der Dorfkinder ein Schnippchen schlägt, zeitlos schön. Eine Story ohne Haudrauf sondern mit Augenzwinkern und einer Portion Melancholie. Immerhin Theodor Fontanes Bestseller und früher Pflichtlektüre in der Deutschstunde. Auch so geht Brandenburg, müssen ja nicht immer Generals sein, die hier rumspuken.
Passend zur Reiseidee müsste das nächste Etappenziel eigentlich Potsdam heißen, aber mir war die Stadt dann doch zu nah dran an Berlin und dem ganzen Speckgürtel, daher fiel die Wahl im Vorfeld bereits auf Brandenburg/Havel. Also die Stadt, der das Land seinen Namen verdankt, die Wiege der Mark. Mein erster Besuch. Ich komme ohne Erwartungen und finde einen wirklich einladenden Ort. Verteilt auf mehrere Inseln in der Havel, die hier kleine Seen bildet, ist die Stadtanlage über Brücken miteinander verbunden. Quirliges Leben in der City, dazu mit schöner Altbausubstanz und historischen Gebäuden. Dazwischen rumpelt sogar noch eine Tram. Nach einer kleinen Stadtrundfahrt hole ich mir an einem Havelblick ein Fischbrötchen und entspanne. Der Zeitvorsprung ist dank Rückenwind groß. Wiederholt muss ich feststellen, dass Wassersport in Brandenburg eindeutig der Favorit ist und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich noch nie etwas darüber gelesen oder gesehen habe, was die Stadt hier so alles hergibt. Das kann wohl nur daran liegen das Berlin und Potsdam wirklich in Rufnähe sind und touristisch einfach alles andere in den Schatten stellen. Kann auch sein, dass ich ignorant war und es einfach übersehen habe. Wenig später ist schon das Tagesziel erreicht. Die frühe Ankunft erlaubt mir noch einen Besuch in der gut erhaltenen Klosteranlage, die wirklich riesig ist. Fleißige Leute die Zisterzienser. Danach fühle ich mich ein wenig wie ein japanischer Bustourist, zu viele Impressionen an einem Tag. Daher geht es zum Abend heute mal nicht in eine Bürgerstube mit regionaler Küche sondern mit Absicht zum Asia-Imbiss. Da ich zum Mitnehmen bestelle, gibt es zum Ausklang zusätzlich die große ein Liter Dose von Faxe. Sozusagen Husarenmaß und nichts für Anfänger und Fußlatscher. Endlich.

Von Droopy –
Der Wetterbericht am Abend hatte nicht gelogen, nach einer Woche Sonnenschein sollte nun endlich ein Atlantiktief ins Reisegebiet vorstoßen. Am Morgen schauerartige Regenfälle, dann trocken und gegen Nachmittag wieder großflächigere Schauer hieß es. Den Nachmittag verbuche ich aus Erfahrung direkt unter Ulk, über die Elbe kommt naturgemäß kaum noch ein Tropfen, wenn die Front nicht stark genug ist, also keine Panik. Und auch der Morgen lässt sich auspendeln, es schüttet pünktlich zum Frühstück und ich genehmige mir noch einen zweiten Kaffee. Als die Tasse leer ist wird es von oben bereits hell und nur noch die Straßen sind nass. Also auf in den Fläming. Kurz vor Treuenbrietzen setzt dann ein Nachschauer ein, da es anfänglich nur tröpfelt fahre ich einfach weiter. Erst als es stärker wird halte ich kurz an und ziehe mir erstmalig auf dieser Reise meine Regenweste an. Eine absolut überflüssige Aktion, denn fünf Minuten später ist es schon wieder trocken und bleibt es auch bis zum Ende. So ist es mir schon häufiger passiert und von anderen Sportkollegen kenne ich das Phänomen auch. Murphys Gesetz für Radfahren im Regen.
Der erste Abschnitt durch dieses Stück märkische Heide und Sand ist generell nicht so prickelnd. Links ein Baum, rechts ein Baum, alles etwas fad und längst nicht so geheimnisvoll wie die Schorfheide oder die Lausitz. Der Fläming fällt in meinem subjektiven Brandenburg-Vergleich leider ziemlich ab. Ein Stück davon macht die Kleinstadt Jüterbog wieder wett. Das mittelalterliche Rathaus ist viel zu mächtig geraten für die heutige Größe der Stadt und zeigt an, dass hier früher mehr los war. Als Stadt der Reformation hatte der Ort überregionale Bedeutung. Tetzel verkaufte hier Ablassbriefe, das Ende der Geschichte ist bekannt. Nun, das Geschäft ist weitergezogen, es haben heute andere übernommen. Jüterbog gehörte damals übrigens noch zum reichen Kurfürstentum Sachsen und nicht zum armen Brandenburg. Erst 1815 mit dem Wiener Kongress verschoben sich hier die politischen Landesgrenzen in Richtung der heutigen Form, Sachsen verlor 60 Prozent seiner Fläche, das meiste an Preußen.
Nun geht es aber strack nach Süden, immer der Sonne entgegen über die Schwarze Elster bis zur Elbe. Knappe 90 Kilometer sind das. Und wieder einer der schöneren Streckabschnitte. Auf verkehrsarmer Landstraße geht es an blühenden Feldern vorbei durch Wald und Flur. Wie vom Schrittmacher gezogen pendel ich mich auf einen flotten mittleren dreißiger Schnitt ein, der leicht seitliche Wind hilft wieder etwas dabei. Kaum eine Kreuzung oder andere Hindernisse machen neue Beschleunigungen notwendig, so hätte ich mir das auf den ersten zwei Etappen schon gewünscht. Obligatorisch nehme ich jetzt noch einen Zipfel Anhalt mit. So wird das eine amtliche Drei-Länder-Fahrt heute.
Bevor sich nachhaltig der Hunger meldet ist von weitem Torgau in Sicht. Nun ist es vorbei mit der schlichten Anmut der Brandenburger Erde, rein ins sächsische Vergnügen. Die Elbe und die ehemalige kurfürstliche Residenzstadt empfangen mich wie eine dicke Mutter mit roten Wangen und drücken mich fest an ihren Busen. Ich halte direkt beim kleinen Privatbäcker Bolde in der Altstadt. Waren die Landbäcker in Brandenburg schon ganz gut, so ist diese Zunft im Freistaat meines Erachtens Weltspitze. Hier gibt es mehr als nur dröge Aufbackbrötchen und Apfeltaschen oder sonstige austauschbare Backkettenware. Hier biegen sich noch ganze Kuchenbleche diverser Sorten und jedes Stück ruft verführerisch „iss mich“. Es duftet nach frischem Sauerteigbrot. Als Liebhaber greife ich mir getreu meiner Ahnen ein Stück Mohnstreusel und eine Stachelbeer-Variante. Es ist auch im Rückspiegel mein köstlichster Backwaren-Stop 2020. Der Mohn ist fein gemahlen, so wie er sein muss und wurde vorher fachgerecht abgebrüht, dazu leicht vermengt mit Grieß. Keine zusätzliche ekelhafte Zuckerkruste zerstört die Aromen, die Streusel sind leicht mürbe und zerfallen im Mund. Der Meister versteht sein Handwerk. Und gatschig ist er, halleluja. Mohn macht nicht dumm, nur süchtig. So schmeckt Heimat und das Himmelreich. Dabei hat Torgau noch so viel mehr zu bieten. Der Stadtkern besticht durch zahlreiche Renaissance-Giebel und auch das Schloss Hartenfels ist aus der gleichen Epoche und eine echte Perle. Hier residierte Friedrich der Weise, bekannt als Förderer Luthers. Als lokale Besonderheit gilt der Bärenzwinger im Burggraben. Seit 1425 werden hier Braunbären gehalten, früher als Delikatesse der Fürsten heute als Wahrzeichen der Stadt.
Die kleinen alten Städte sind Deutschlands wahre Perlen. Hier fällt loslassen schwer, aber es ist noch ein Stück bis zum Ziel. Ich fahre erstmal kurz zurück und setze die Fahrt ostelbisch fort. Grobe Orientierung gibt mir der Elbe-Radweg, den ich aber nur temporär nutze, es ist nicht viel Verkehr auf den Nebenstraßen. Bis zum nächsten Meilenstein Mühlberg/Elbe geht die Fahrt hin und wieder über altes Kopfsteinpflaster. Das Gerumpel sind die Fanfaren in der Melodie des Abschieds. Die Gegend rings um Mühlberg gehört politisch nämlich wieder zu Brandenburg. Auf Höhe von Riesa bleibe ich dann auf dem Radweg, der sich unter der großen Elbbrücke leider als schmal und schlecht gepflegt präsentiert. Überhaupt sind die nächsten zehn Kilometer nichts weiter als eine unvermeidbare Lückenergänzung, irgendwie ist auch die Luft raus. Die kommt erst wieder als das Elbtal seine Weinreben ausstreckt. Kurz vor Meißen ist das und die ein oder andere Buschenschänke und Gastterrasse lassen das Fleisch schon schwach werden. Eine anständige Tour wird bei mir aber erst zu Ende geritten und eine Elbterrasse mit Biergarten findet sich auch noch in Meißen. Mit Kastanien und Burgblick. Was will ein Randonneur mehr verlangen? Zum Ausklang nur eines, Wirtschaft, eine Halbe geht noch!
Epilog
Was bleibt in diesem Fall von der Reise? Nun, es ließe sich ein bedeutungsschweres Fazit ziehen von Aufbau und Niedergang einer Region,von innerer und äußerer Einheit,von Glück und Unglück, was in der Zeit dicht beeinanderliegt und was weiß ich noch alles. Tief muss eine Reise sein, nicht weit, sagt Gundermann. Dafür muss sie persönlich sein und das war sie. Immer wieder wächst das Gras.
Der erste Abschnitt durch dieses Stück märkische Heide und Sand ist generell nicht so prickelnd. Links ein Baum, rechts ein Baum, alles etwas fad und längst nicht so geheimnisvoll wie die Schorfheide oder die Lausitz. Der Fläming fällt in meinem subjektiven Brandenburg-Vergleich leider ziemlich ab. Ein Stück davon macht die Kleinstadt Jüterbog wieder wett. Das mittelalterliche Rathaus ist viel zu mächtig geraten für die heutige Größe der Stadt und zeigt an, dass hier früher mehr los war. Als Stadt der Reformation hatte der Ort überregionale Bedeutung. Tetzel verkaufte hier Ablassbriefe, das Ende der Geschichte ist bekannt. Nun, das Geschäft ist weitergezogen, es haben heute andere übernommen. Jüterbog gehörte damals übrigens noch zum reichen Kurfürstentum Sachsen und nicht zum armen Brandenburg. Erst 1815 mit dem Wiener Kongress verschoben sich hier die politischen Landesgrenzen in Richtung der heutigen Form, Sachsen verlor 60 Prozent seiner Fläche, das meiste an Preußen.
Nun geht es aber strack nach Süden, immer der Sonne entgegen über die Schwarze Elster bis zur Elbe. Knappe 90 Kilometer sind das. Und wieder einer der schöneren Streckabschnitte. Auf verkehrsarmer Landstraße geht es an blühenden Feldern vorbei durch Wald und Flur. Wie vom Schrittmacher gezogen pendel ich mich auf einen flotten mittleren dreißiger Schnitt ein, der leicht seitliche Wind hilft wieder etwas dabei. Kaum eine Kreuzung oder andere Hindernisse machen neue Beschleunigungen notwendig, so hätte ich mir das auf den ersten zwei Etappen schon gewünscht. Obligatorisch nehme ich jetzt noch einen Zipfel Anhalt mit. So wird das eine amtliche Drei-Länder-Fahrt heute.
Bevor sich nachhaltig der Hunger meldet ist von weitem Torgau in Sicht. Nun ist es vorbei mit der schlichten Anmut der Brandenburger Erde, rein ins sächsische Vergnügen. Die Elbe und die ehemalige kurfürstliche Residenzstadt empfangen mich wie eine dicke Mutter mit roten Wangen und drücken mich fest an ihren Busen. Ich halte direkt beim kleinen Privatbäcker Bolde in der Altstadt. Waren die Landbäcker in Brandenburg schon ganz gut, so ist diese Zunft im Freistaat meines Erachtens Weltspitze. Hier gibt es mehr als nur dröge Aufbackbrötchen und Apfeltaschen oder sonstige austauschbare Backkettenware. Hier biegen sich noch ganze Kuchenbleche diverser Sorten und jedes Stück ruft verführerisch „iss mich“. Es duftet nach frischem Sauerteigbrot. Als Liebhaber greife ich mir getreu meiner Ahnen ein Stück Mohnstreusel und eine Stachelbeer-Variante. Es ist auch im Rückspiegel mein köstlichster Backwaren-Stop 2020. Der Mohn ist fein gemahlen, so wie er sein muss und wurde vorher fachgerecht abgebrüht, dazu leicht vermengt mit Grieß. Keine zusätzliche ekelhafte Zuckerkruste zerstört die Aromen, die Streusel sind leicht mürbe und zerfallen im Mund. Der Meister versteht sein Handwerk. Und gatschig ist er, halleluja. Mohn macht nicht dumm, nur süchtig. So schmeckt Heimat und das Himmelreich. Dabei hat Torgau noch so viel mehr zu bieten. Der Stadtkern besticht durch zahlreiche Renaissance-Giebel und auch das Schloss Hartenfels ist aus der gleichen Epoche und eine echte Perle. Hier residierte Friedrich der Weise, bekannt als Förderer Luthers. Als lokale Besonderheit gilt der Bärenzwinger im Burggraben. Seit 1425 werden hier Braunbären gehalten, früher als Delikatesse der Fürsten heute als Wahrzeichen der Stadt.
Die kleinen alten Städte sind Deutschlands wahre Perlen. Hier fällt loslassen schwer, aber es ist noch ein Stück bis zum Ziel. Ich fahre erstmal kurz zurück und setze die Fahrt ostelbisch fort. Grobe Orientierung gibt mir der Elbe-Radweg, den ich aber nur temporär nutze, es ist nicht viel Verkehr auf den Nebenstraßen. Bis zum nächsten Meilenstein Mühlberg/Elbe geht die Fahrt hin und wieder über altes Kopfsteinpflaster. Das Gerumpel sind die Fanfaren in der Melodie des Abschieds. Die Gegend rings um Mühlberg gehört politisch nämlich wieder zu Brandenburg. Auf Höhe von Riesa bleibe ich dann auf dem Radweg, der sich unter der großen Elbbrücke leider als schmal und schlecht gepflegt präsentiert. Überhaupt sind die nächsten zehn Kilometer nichts weiter als eine unvermeidbare Lückenergänzung, irgendwie ist auch die Luft raus. Die kommt erst wieder als das Elbtal seine Weinreben ausstreckt. Kurz vor Meißen ist das und die ein oder andere Buschenschänke und Gastterrasse lassen das Fleisch schon schwach werden. Eine anständige Tour wird bei mir aber erst zu Ende geritten und eine Elbterrasse mit Biergarten findet sich auch noch in Meißen. Mit Kastanien und Burgblick. Was will ein Randonneur mehr verlangen? Zum Ausklang nur eines, Wirtschaft, eine Halbe geht noch!
Epilog
Was bleibt in diesem Fall von der Reise? Nun, es ließe sich ein bedeutungsschweres Fazit ziehen von Aufbau und Niedergang einer Region,von innerer und äußerer Einheit,von Glück und Unglück, was in der Zeit dicht beeinanderliegt und was weiß ich noch alles. Tief muss eine Reise sein, nicht weit, sagt Gundermann. Dafür muss sie persönlich sein und das war sie. Immer wieder wächst das Gras.