Von majortom –
Tag zwei, gut geschlafen, gutes Frühstück. Ein paar Nebelschwaden wabern noch durchs Drome-Tal, als ich wieder im Sattel sitze, aber die Morgensonne klettert langsam über die Berge empor und beschert mir wieder eine sehr gute Stimmung. Heute ist mal etwas Zeit zum Einrollen, die Beine lockern, das Drome-Tal geht es hinauf, dann in ein Seitental nach Châtillon-en-Diois, malerische Weinberge passierend, wo wohl die Trauben für die doch eher gewöhnungsbedürftige Spezialität Clairette de Die angebaut werden. Ich genieße die südländische Stimmung, definitiv ein Hauch von Provence, auch wenn diese erst noch weiter südlich beginnt. Das Diois, das Voralpenmassiv, dass sich hier südlich anschließt, scheint auch eine Reise wert zu sein. Schön ruhig, und eine Vielzahl kleinster Passstraßen habe ich am Vorabend beim Studium der Michelin-Karte ausgemacht.
Die Entdeckung des Diois wird jedoch noch einmal verschoben, da mich mein Weg heute nach Osten führen soll. Der Col de Menée überquert den südlichesten Ausläufer des Vercors-Hauptkamms, und er stellt sich – obwohl ich von ihm nicht so viel erwartet hätte – als ein Pass nach meinem Geschmack heraus. Gemütliche, regelmäßige, aber nicht luschige Steigung, kaum Verkehr, zunehmend schöne Ausblicke zurück ins Tal. Meine Beine finden ein gut zu fahrendes Tempo. Eigentlich erinnern nur die mit Warnwesten und Gewehren an der Straße postierten Jäger daran, dass es schon Herbst ist; die Bäume sind hier größtenteils noch grün.
Ein Scheiteltunnel am Menée führt mich auf die andere Seite, und es geht in eine schöne Abfahrt, die vor allem durch die markante Silhouette des Mont Aiguille, die in der Vormittagssonne erstrahlt. In Clelles quere ich die stark befahrene N75 und fahre weiter nach Osten. Wieder ist es sehr heiß geworden, es geht auch schon auf den Mittag zu, und wieder ist die Landschaft entlang des Ebron wesentlich schöner als erwartet. Zur Mittagspause kehre ich in Mens ein, eine Pizza auf der Terrasse ist schnell verdrückt. Das Verlangen ist groß, noch ein wenig in der Sonne sitzen zu bleiben, doch ebenso groß ist der Drang, noch weitere Kilometer zu machen, und so nehme ich bald die Schlusskilometer zum Col St. Sebastien unter die Räder, der allerdings nur ein kleiner Hügel ist und deswegen auch nicht von quaeldich.de als Lexikons-Eintrag erfasst. Die Beine sind ein wenig müde, der Kopf aber immer noch euphorisiert.
Dann die Schlüsselstelle der Etappe. Links geht es direkt in den Etappenort Corps, meine Planung jedoch geradeaus weiter, denn ich möchte noch ins Dévoluy vordringen und mit dem Col du Noyer noch einen potenziellen Geheimtipp erkunden. Kurz meldet sich die angeborene Faulheit, doch ich widerstehe der Versuchung, hier abzukürzen. Mein Weg führt mich also wieder südwärts, entlang des Souloise-Tals, das sich wiederum als eine malerisch-wildromantische Schlucht entpuppt. Schon wieder ein Streckenabschnitt, den es unmöglich war, aus der Karte als so schön herauszulesen.
In St. Etienne-en-Dévoluy beginnt dann der Anstieg zum Col du Noyer. Es soll ein Wintersportgebiet sein, und das nahe Superdévoluy hat tatsächlich auch einmal eine Tour-Bergankunft beherbergt, aber so richtigen Skitouristentrubel kann ich mir in dieser abgelegenen Ecke eigentlich kaum vorstellen. Wie dem auch sei, die Auffahrt zum Noyer ist eine einspurige Straße, die größtenteils in freiem Gelände umgeben von kahlen Gipfeln durch herrliche Almlandschaft führt. Die Straße ist zwar nicht so gleichmäßig trassiert wie die großen Alpenpässe, und die immer wieder auftretenden Rampen und Rhythmuswechsel machen mir sehr zu schaffen, doch das kompensiert der Pass mühelos durch die großartige Landschaft. In der Abendsonne ist es fast schon ein magischer Moment, als ich an der Passhöhe stehe, und auch die Serpentinenabfahrt in rötlich-bunter Herbstoptik ist toll. Heute jagt wirklich ein unerwartetes Highlight das nächste.
Definitiv kein Highlight ist allerdings das, was noch folgt: entlang der Route Napoléon Richtung Norden nach Corps. Teilweise kann ich die Hauptstraße zwar über Le Glaizil umfahren, doch das letzte Stück muss ich dann durch die Verkehrshölle. Total fertig kämpfe ich mich mit 8 km/h über einen letzten Hügel, während die Motorradfahrer mit gefühlten 180 km/h an mir vorbei rauschen. Seis drum, davon lasse ich mir den schönen Tag auch nicht mehr verderben und komme kurz darauf in Corps an. Hier gibt es keine schnuckigen Gässchen wie noch gestern in Die, der Ort lebt von seiner Durchgangslage an der Route Napoléon, so dass flanieren auf ein Minimum reduziert wird und die Kalorienzufuhr und Regeneration im Vordergrund stehen.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren