Von phil72 –
Nach erholsamen Schlaf war dann erst mal Frühstück angesagt, danach Fertigmachen, Trinkflaschen befüllen und kurz nach acht gings los. Die Königsetappe stand an. Und damit auch die Pässe Bonette und Izoard, die bei den „Grossen“ zur „hors category“ (oder auch hardcore) gehören. Ich benötigte für die Strecke 10 Stunden. Es sollte also über das Dach der Tour gehen, den 2802 Meter hohen Col de la Bonette. Der Pass führt in eine mehr oder weniger menschenleere Bergwelt hinauf und dementspechend sind Ende Saison nur eine Handvoll Touris und die obligatorischen Motorradfahrer unterwegs. Die Cime de la Bonette gilt als die höchste asphaltierte Gebirgsstrasse der Alpen. Völlig allein kletterte ich also, unzählige Murmeltiere aufschreckend, die 1600 Höhenmeter fast leichtfüssig, ja geradezu euphorisch hinauf. Noch ging alles recht locker, und ich hatte Musse und Zeit, das Panorama zu geniessen. Und manchmal gingen mir Gedanken durch den Kopf wie: Hat dieses Erstürmen eigentlich einen praktischen Sinn? Ja hat es. Es hat mit Lust am Widerstand zu tun, mit überschiessender Vitalität. Dann so 2 Stunden stäter, die Passhöhe (2715 m). Mehr eine Scharte in mit Bunkern durchzogenem Bergkamm. Sie ist ausgesprochen nüchtern – ein lappidares Schild „Nice“ das wars. Ich kletterte aber gleich weiter hoch bis zum Schluss, der Cime de la Bonette. Die mir zu Füssen liegenden Berge beflügelten mich. Oben liess ich mein Velo zurück und ging zu Fuss noch bis zur Aussichtsplattform. Oh – quelle grandeur! Ich schoss ein paar Bilder und liess mich ein wenig von der Höhensonne grillieren. Weiter gings dann die 23km hinab nach Jausiers. Es wurde immer wärmer. In Jausiers hiess es wieder die Tanks zu füllen. Das folgende Ubaye-Tal hat ein unverkennbar mediteranes Flair. Wenn man die Route des Grandes Alpes von Nord nach Süd fährt ist das besonders eindrücklich. Aber nun verliess ich das Tal langsam Richtung Col de Vars. Ab der Abzeigung zum Col de Larche sind es nur läppische 800 Höhenmeter. Die Strasse wird schmaler und Verkehr hat es praktisch keinen. Der Wind bliess talaufwärts und es war warm. Ich musste schauen genug zu trinken. Auf der Passhöhe herrschte frohes treiben. Ich hatta Hunger. So gönnte ich mir im Restaurant einen feinen Kuchen. Dann zwei Stunden später: gleiche Bedingungen, anderer Ort. Guillestre. Die Festunganlage auf dem Mont-Dauphin war schon von weit oben zu sehen. Die Festung auf einem Felsplateau wurde 1693 vom französischen Festungsbaumeister Vauban errichtet. Sie diente der Verteidigung der französischen Südostgrenze, indem die Täler der Durance und Guil abgeriegelt werden konnten. Dann ab Guillestre zuerst ein Flachstück. Bis das Chateau Queyras zu sehen war, ging es recht schnell vorwärts. Ab Guillestre bin ich ein paar Zugpferden gefolgt, denen ich bis Arvieux Gesellschaft leistete. Dann musste ich dringend was zum Futtern haben. Auch das Wasser wurde langsam knapp. Denn es war immer noch sehr warm, der Velocomputer meinte noch über 30°C. Und ich hatte mit dem Col d'Izoard, der immerhin über 2300m hoch ist, noch einiges vor mir. Ich fuhr wie in Trance. Ich versuchte nicht zu denken. Keine W-Wörter denken! Kein Warum. Kein Wieso. Kein Wie-lang-noch. Aber die Natur meinte es gut mit mir, denn gelegentlich hält sie unterwegs einige Bäume zur Beschattung bereit. Sehr angenehm. Die Strasse steigt ab Arvieux steil an. Der Izoard ist ein Vorzeigepass, denn es führt auf der Gegenseite von Briancon her kommend sogar ein Radweg hinauf. Das nützt mir heute wenig. Aber Verkehr hat es eh nicht viel. Wer schon mal diesen Pass gefahren ist, weiss was einem kurz unter der Passhöhe erwartet: Die „Casse Deserte“ eine „zerhackte Wüste“, eine trockene Verwitterungslandschaft mit Schutthalden und Felsnadeln. Nach dem Photshooting bei diesem magischen Ort meisterte ich die letzten Höhemeter. Oben auf dem Pass angekommen war ich sehr zufrieden mit mir und der Welt, die mir zu Füssen lag. Wer hier oben angekommen ist, der fühlt sich leicht. Und das Beste kam erst noch: eine lange Abfahrt nach Briancon. Denn wo es rauf geht, da geht es wieder runter. Das ist der Deal des sich Quälens. Auf der Abfahrt ist die Strasse bestens. Ich ducke mich in den Wind. Lasse es einfach rollen. Es ist wie auf der „Chilbi“, wie freier Fall. Es geht rasant ins sehenswerte und charmante Garnisonsstädtchen Briancon, ein Ort zum verweilen. Ich kenne sie schon, die schöne mittelalterliche Altstadt. Mit so 1300m.ü.M. ist sie nach Davos die zweithöchstgelegene Stadt Europs. Im Jahr 1692 zerstörte ein Grossbrand die heutige Oberstadt. Wegen ihrer strategisch wichtigen Lage nach Italien wurde sie jedoch in dieser Zeit von Vauban neu aufgebaut. Die Anlage widerstand 1815 einem Angriff der Österreicher und 1940 den italienischen Angriffen. Seit 2008 gehören grosse Teile zum UNESCO-Weltkulturerbe. Ich schlug um 17 Uhr, nach einer Pause, die Route Richtung Nordosten ein. Zuerst auf der grossen N94 zum Col du Montgenevre, der schon zur Römerzeit eine wichtige Verbindung zwischen dem Rhonetal und der Poebene darstellte. Dann in La Vachette bog ich links auf eine schmale Strasse ab, die zurück nach Italien führt. Voll auf das GPS vertrauend. Denn diese Stracke war Neuland für mich. Nach 16km war der vierte und letzte Pass erreicht. Ein kleiner Übergang, der Col de l’Echelle. Die Sonne war schon hinter dem Horizont verschwunden. Ich brauste hinunter Richtung Bardoneccia, vorbei an noch verwaisten Skipisten und damit leider auch dunklen Hotels. Der Ferienort lag noch im Dornröschenschlaf zwischen Sommer- und Wintersaison und ich konnte mich glücklich schätzen, ein offenes Hotel zu finden. Ich erhielt den Tipp im „Villaggi Olympico“ zu fragen. Ein riesieger Gebäudekomplex zur Unterbringung von Gruppen. Auch die Olympioniken nächtigten 2006 hier. Eine halbe Stunde später sass ich frischgeduscht an einem Tisch, vor mir ein Pasta- und Dessertbuffet und einen halben Liter Wein wurde mir von Chef aufgetischt. Das schöne nach so einem Tag ist ja, dass man ordentlich reinbuttern kann. Und das Tat ich. Zum Dessert gabs dann noch Tiramisu und andere Leckereien. Das war die 3. Etappe: sportlich wie landschaftlich und kulinarisch, einfach bewegend.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren