Gestern abend waren wir alle noch recht aufgeregt, was wohl der heutige Tag
bringen sollte. Ich überlegte mir die ganze Zeit, was ich wohl am Besten
sagen würde, wenn mir Niels vor der Kamera die angekündigten Fragen
stellte.
Als wir am Morgen nach dem Frühstück das Hotel verließen,
hatte die Sonne ihren Weg noch nicht bis in das enge
Tal des Flusses gefunden, der sich hier in Ste-Marie-de-Campan aus den
beiden Armen Adour de Payolle und Adour de Grippe bildet und unter dem
vereinfachten Namen Adour weiter in Richtung Bagnères-de-Bigorre
fließt. Das Wetter war aber hervorragend, die Kirchturmspitze
erstrahlte vor kristallblauem Himmel.
Während Niels an der Kirche seine Interviewpartner stellte, saßen
wir vier - Johannes, Torsten, Martin und ich - gegenüber der Kirche im
Café bei einem Kaffee.
Nachdem auch wir abeschließend interviewt waren, ging es endlich los. Wir
schwangen uns aufs Rad, und auf gings in Richtung
Col du Tourmalet.
Von dieser Seite, von Osten her, war ihn noch keiner vor uns gefahren, nur die
Westseite war mir ein Begriff. Alles, was ich also von der Ostseite kannte, war die rasante Abfahrt,
die sie uns bei unserer Pyrenäentour 2002
ermöglicht hat, und das ließ eine ordentliche Anstrengung erwarten.
Als wir dann aber Ste-Marie-de-Campan entlang der Adour de Grippe verließen,
folgte uns der Wind in Richtung Tourmalet, und blies uns aufwärts.
Was für uns angenehm war, war für Niels, unseren Regisseur, natürlich
enttäschend, denn anstatt angestrengter, Schmerz verzerrter Gesichter konnte
sein Objektiv nur entspanntes Lächeln einfangen, versetzt mit freudiger Erregung, dass
wir in den Pyrenäen sind und bergauf fahren, am Anfang von diesem 1365-Hm-Anstieg.
So fuhren wir locker die ersten 5 km durch offenes Gelände bis Gripp, und erst nach weiteren 2 km, kurz vor der gewaltigen Kehre,
wo die Michelin-Karte 2 Steigungspfeile anzeigt, wurde es anstrengender. Dafür ging es jetzt richtig
los, vorher war es eher lockeres Einrollen. Nunmehr im Fichtenwald wurde die Kehre zügig durchfahren, denn schließlich
waren wir ja noch alle frisch.
Zum Ende der Kehre traten wir wieder aus dem Bewuchs aus - ein wunderschöner Talblick bot sich
zum östlich unter uns gelegenen Gripp, den wir
eine Weile auf uns wirken ließen, bevor wir uns wieder nach Westen wandten, in Richtung la Mongie.
Eine erste Galerie führte uns dann am linksseitigen Hang aufwärts, eine weitere führte uns
nach la Mongie hinein, das wir nur so schnell es ging hinter uns ließen, so hässlich ist
dieser Retortenskiort mit dem scheinbar kilometerlangen Hotelkomplex am linksseitigen Ortsausgang.
Aber ab hier bot die Landschaft einiges mehr. Der zuvor eher schmale Talboden öffnet sich hier zu einem weiten Kessel,
der von einigen Gipfeln um 2500 m Höhe gebildet wird.
Ab la Mongie sind es noch 4 km zum Tourmalet, und die sind nun steiler als vorher, auch wenn uns der Wind weiterhin die Arbeit
erleichterte und richtiger Schweiß nicht aufkommen wollte. Für Niels taten wir dann doch noch einmal angestrengt, als wir
die letzten paar Kehren zum Tourmalet hoch fuhren. Man kann eigentlich kann von einer letzten (Rechts-)Kehre
sprechen, die ca 500 m vor der
Passhöhe liegt. Die ist dann zwar noch nicht in Sicht, aber die Parkplätze rechter Hand deuten schon darauf.
Ein weiterer 90-Grad-Schwenk nach links, und der Tourmalet war erreicht.
Ganz anders als im vernebelten letzten Jahr eröffnete sich hier eine grandiose Aussicht nach Westen in Richtung Luz-St-Sauveur,
zu dem wir aber nicht weiter hinunter fahren wollen. Wir genießen lieber das Wetter und warten ab, bis Niels genug
andere Radler interviewt hat.
Natürlich kreisen die Gedanken auch um die diesjährige Tour, die nur einige Tage später, nämlich am 21. Juli
hier hinauf fährt. Alle hoffen, Ullrich könne angreifen, und auf dem anschließenden Weg nach Luz Ardiden
Lance Armstrong knacken. Die Fahrt nach Luz Ardiden sparen wir uns für heute, denn der Weg zurück würde wieder
über den Tourmalet gehen - das wäre doch zuviel für einen Einrolltag, und ohne Luz Ardiden sind wir auch glücklich
genug.
Wahrscheinlich wäre unsere Euphorie weniger groß ausgefallen, wenn wir heute schon die Ergebnisse dieser 15. Touretappe
gekannt hätten, bei der Lance Armstrong bekanntlich nach seinem Sturz in der Auffahrt nach Luz Ardiden Jan Ullrich die letztlich
entscheidenden 40 Sekunden abgenommen hat.
Wir fuhren noch einige Male auf die Passhöhe, bis Niels mit unserer Ankunft zufrieden war, und ich schnallte mir noch die
Hand-Kamera auf den Kopf, um einige authentische Radbilder zu erzeugen.
Dann ging es aber wieder bergab, und der Gegenwind nahm sich natürlich jetzt das, was er uns vorhin gegeben hatte, und so
wurde die Abfahrt nicht so rasant wie in meiner Erinnerung.
Unten in Ste-Marie-de-Campan angekommen, verabschiedeten wir uns von bikejoe, nicht ohne uns mit ihm
für die morgige Etappe über
Hourquette d'Ancizan,
Col d'Azet und Col d'Aspin
zu verabreden, statt der er eigentlich einen Ruhetag eingeplant hatte.
Aber wer kann da schon nein sagen. Torsten, Martin und ich fuhren noch eine kleine Runde, fuhren zunächst 2 km in Richtung Campan,
um dann in Rimoula links auf die D 154 abzubiegen, einer unglaublich kleinen und unbefahrenen Straße, die uns von den
Steigungsprozenten doch erheblich mehr abforderte als vorher die Autobahn zum Tourmalet. In Lesponne versuchten wir aber vergeblich,
den auf der Karte eingetragenen Fahrweg hinab zur D 29 zu finden, und so mussten wir leider den gleichen Weg zurück fahren,
nachdem wir vorher einen Weg versucht hatten, der immer weiter und immer weiter bergauf führte, und
auch in der Karte eingezeichnet ist. Nur leider endete der irgendwo in einem ungeteerten Weg, und dann entschlossen wir uns,
unsere Abenteuerlust doch lieber für morgen aufzubewahren.
Abends gingen wir noch in das Etablissement des Vorabends und aßen ganz passabel, bevor wir uns im Hotel Deux Cols
noch eine Portion Nudeln auf dem Propanbrenner kochten.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren