Von Apodar –
Am Morgen erwartete uns ein fabelhaftes Frühstücksbuffet, das uns etwas zu lang verweilen liess. Aber noch immer trugen wir das Hochgefühl des gestrigen Tages in uns. Was kann uns denn schon passieren. Das wenig freundliche Wetter würdigten wir keines Blickes. Voller Tatendrang holten wir unsere Räder aus dem Schuppen, mittlerweile bei Nieselregen. Im Nebel konnten wir kaum 100 Meter weit sehen. Für die bevorstehende Abfahrt verhieß das nichts Gutes. Bei nur noch 9 Grad fuhren wir los. Allzuviel Kleidung für Regenwetter hatten wir nicht dabei. Aber wir fahren ja nach Südtirol, jenseits des Reschen empfängt uns sicher herrliches Wetter.
Der Regen wurde stärker, heftiger Wind kam auf. Doch bis zum erlösenden Reschen ist es nicht mehr weit. Dann kommen 170 km Abfahrt, träumten wir. Auf der Passhöhe gab es keinen Wetterumschwung, auch kein Hoch- oder Glücksgefühl. Nur weg in den sonnigen Süden. Doch statt bergab ging es am Westufer des Reschensees erst einmal wieder bergauf. Grundlos und unverständlich. Endlich war der Scheitelpunkt erreicht und es ging abwärts, aber wie! Bei kräftigem Gegenwind, mit Regen vermischt, durften wir fleißig treten, um wenigstens 20-25 km/h zu schaffen. Da das Sträßlein sehr schmal und sehr verwinkelt war, durften wir ständig bremsen. Die kinetische Energie des Aufstiegs verpuffte beinahe wirkungslos. Aber wir hielten uns tapfer und strampelten durch Apfelhaine nach Meran. Der Regen hat inzwischen aufgehört, der Wind nicht. Bei mittlerweile annehmbaren Temperaturen schlenderten wir durch Meran und suchten ein Fahrradgeschäft, um Kettenfutter für das Rad meiner Tochter zu besorgen. Das rege Treiben in Merans beinahe mediterraner Altstadt heiterte uns wieder auf. Trotz der verlockenden Straßencafes war an eine längere Pause nicht zu denken. Auf dem Weg nach Bozen setzte der Regen wieder ein. Doch wir waren schon wettererprobt und lamentierten nicht mehr über unser ungnädiges Schicksal.
So langsam stiegen in mir die Zweifel, ob wir uns Tagesziel Trient noch bei Helligkeit erreichen konnten. Aber alle meine Überredungskünste scheiterten am Ehrgeiz meiner Tochter. Nichts da, wir schaffen das! Und tatsächlich, kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir Gardolo, einen Vorort von Trient.
Klatschnass begann die Suche nach einer Unterkunft. Der Radführer wies mehrere Hotels aus. Das wird ja wohl nicht so schwer werden. Doch dann nahm ein gnadenloses Schicksal seinen Lauf. Mitten im Ort war mein Reifen platt. Nicht weiter schlimm, der Ort ist nicht groß, da können wir laufen. Wir paschten also bei strömendem Regen durch den Ort und klapperten alle Adressen ab. Die erste existierte nicht, die zweite war seit Jahren geschlossen, bei der dritten öffnete niemand. Wir trafen keine Menschenseele auf der Straße. Wohin soll man dem Sauwetter auch gehen! Wenn sich doch jemand nach draußen verirrte, dann wusste er nichts. Einer nannte noch ein Hotel - es gehörte zur teuren Kategorie und lag etwas ausserhalb. Aber das war uns jetzt auch schon egal. Dort angekommen erfreute uns das Schild: Ruhetag. Mittlerweile war es stockfinster. Doch eine Adresse gab es noch auf der Liste. Nur, die Adresse kannte niemand. Letzter Ausweg: wir fahren mit dem Bus nach Trento. Als endlich einer kommt, will uns der Busfahrer wegen der Räder nicht mitnehmen. Etliche Passagiere wollen uns helfen und reden auf den Busfahrer ein. Aber es hilft alles nichts, wahrscheinlich ist der Busfahrer kein Italiener, oder zumindest kein richtiger. Es ist schon 22:00 Uhr und wir unternehmen einen letzten Anlauf. Die Räder werden vor einer Polizeistation angekettet, vielleicht sind sie da ja sicherer. Wir fahren mit dem nächsten Bus. Ein mitfahrender Nordafrikaner errät unsere Schwierigkeiten und will uns helfen. Er kennt da ein Hotel in dem er auch wohnt. Es ist nicht weit. WIr sind sehr misstrauisch und frustiert und wollen kein weiteres Risiko. Aber er beschwatzt uns so lange bis wir einwilligen. Die Bushaltestelle ist neben der Autobahn, wir müssen drüberrennen und kommen sogar lebendig an. Neben einer Autobahn-Tankstelle gibt es tatsächlich die Unterkunft, die wir lange gesucht haben und die niemand kannte. Ein mulmiges beschlich uns schon: abseits der Straße, ein finsterer Winkel, das Haus dunkel und abgeschlossen. Der Nordafrikaner probierte ein paar Telefonnummern durch und wurde schließlich fündig. Nach 10 Minuten sperrte uns eine mürrische, verschlafen wirkende Person auf und gab uns einen Zimmerschlüssel. Unseren Helfer konnten wir leider nicht los werden, er ging mit uns aufs Zimemr und wollte uns auch noch etwas zu Essen besorgen. Wir sehnten uns aber nur noch nach Ruhe. Schließlich wollte unser Helfer doch noch den Lohn für seine Bemühungen einfordern: eine Nacht mit meiner Tochter. Trotz unserer Müdigkeit müssen wir dann doch sehr energisch gewirkt haben. Er zog ab. Endlich! Mit Gardolo werde ich wohl immer diese Nacht in Verbindung bringen, auch wenn der "Coro Alpino Trentino di Gardolo", der meinem Wohnort Altdorf eng verbunden ist, noch so schöne Konzerte zum besten gibt.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren