Von Reinhard – Dass die höchste – wenigstens rudimentär – asphaltierte Straße Europas eine magische Anziehungskraft auf Rennradfahrer des ganzen Kontintents besitzt, dürfte selbsterklärend sein. Der Reiz, den der Pico del Veleta mit seinen 3396 m Höhe ausmacht, wird durch den großen Höhenunterschied von 2700 m, den man auf überschaubarer Strecke von Granada aus zu überwinden hat, noch verstärkt. Granada hat mit der maurischen Festungsanlage Alhambra zudem eine kulturelle Attraktivität, die einen zusätzlichen Anreiz für den Besuch der Region darstellt.
Bis auf über 2000 m Höhe führen verschiedene Straßen in Richtung Gipfel, so dass ein abwechslungsreicher Rundkurs gefahren werden kann. Wir wählen für die Auffahrt die etwas längere Strecke über Cenes de la Vega und Pinos Genil, wo nach 8 km der Anstieg endlich richtig beginnt und der motorisierte Verkehr stark nachlässt. Das nächste Zwischenziel ist der Stausee Embalse de Canales auf etwa 1000 m Höhe, den wir nördlich umfahren. Immer wieder ergeben sich eindrucksvolle Blicke über den See, während mit Güéjar Sierra bereits der letzte Ort erreicht ist. In der Ortsmitte führt die unscheinbare, nach rechts abzweigende Straße gleich hinter der Kirche weiter zu den höchsten Gipfeln der Sierra Nevada, doch zunächst erst einmal wieder ein Stück bergab.
Es folgen 2300 Höhenmeter am Stück, eingeläutet vom mit teils 15 % steilsten Abschnitt und einem Warnschild, das – so man des Spanischen mächtig ist – Begeisterung und Abenteuerlust weckt: „Sehr gefährliche Bergstraße – 20 km/h den ganzen Weg“. Neben den letzten Kilometern zum Gipfel, wo es aufgrund der dünnen Luft und des schlechten Belags noch einmal richtig anstrengend wird, ist dieser Abschnitt wegen der auf 1000 bis 1500 m Höhe noch sehr hohen Temperaturen im Sommer der herausforderndste. Mit Nachlassen der Steigung nach etwa 2 km können wir die quasi unbefahrene Straße richtig genießen und von Zeit zu Zeit zurück auf den Stausee und auf das inzwischen am Gegenhang liegende Güéjar Sierra blicken. Bei Kilometer 27 berühren sich auf 1670 m Höhe Auf- und Abfahrt. Wir wählen weiterhin die schwächer befahrene östliche Variante, die nun immerhin wieder zweispurig ist und bei nachlassender Vegetation zum Collado del las Sabinas (2173 m) führt, an dem wir in die den Wintersportort Pradollano umfahrende Hauptstraße einmünden.
Unmittelbar vor dem Parkplatz Hoya de la Mora passieren wir die 2500-Meter-Marke und lassen gleichzeitig den motorisierten Verkehr an der Schranke hinter uns, um ihn gegen eine beachtenswerte Zahl von Wanderern einzutauschen. Man wähnt sich fast am Ziel und hat doch noch einen vollwertigen 900-Meter-Anstieg vor sich. Der schwächende Einfluss der Höhenluft lässt sich jetzt nicht mehr leugnen. Über eine Vielzahl von Kehren rückt die markante Spitze des Veleta bei schlechter werdendem Asphalt Stück für Stück näher. Das Befahren des Schotters auf dem letzten Kilometer ist mit dem Rennrad zumindest grenzwertig. Doch wer so hoch gekommen ist, schiebt sein Rad auch noch den Rest und trägt es über die Felsbrocken auf den ultimativen Gipfel.
Die Abfahrt beginnt zwangsläufig verhalten auf der schlechten Straße zurück zum Parkplatz, doch dann kann man es fast bis zum Ausgangspunkt rollen lassen. Am Collado del las Sabinas verlassen wir die bei der Auffahrt befahrene Strecke, indem wir auf der Hauptstraße Richtung Granada bleiben. Mit einem winzigen Gegenanstieg nehmen wir noch den Collado del Muerto (1493 m) mit, bevor wir durch Monachil und Barrio de la Vega wieder in Granada einrollen und die womöglich höchste Radfahrt unseres Lebens bewältigt haben.