Alpenbrevet extrem: 10 Pässe, mehr als 11000 Höhenmeter 380,9 km / 11786 Hm
Zentralschweiz, Lepontinische Alpen, Urner Alpen, Alpen, Valle Levantina, Berner Oberland, Berner Alpen, Wallis, Uri, Tessin, Bern
Redaktionell bestätigte Tour von herbertk
Von herbertk –
Nachdem ich 2011 die Platin-Runde des Alpenbrevet mit ihren etwa 7000 Höhenmetern gefahren war, suchte ich nach einer neuen Herausforderung. Das Ziel war es, in einem Tag eine Runde zu fahren, in der man auf maximal viele Höhenmeter kommt. Wenn für mich 7000 Hm in 13-14 Stunden möglich waren, müssten doch 10000 Hm an einem 24h-Tag ganz gut zu machen sein. Aber welche Strecke ist geeignet dafür? Und ist es möglich so zu fahren, dass man keinen Weg doppelt fährt und nie umkehren muss?
Die Platin-Runde hat 7000 Hm verteilt auf 276 km, während die Gold-Runde mit etwa 5200 Hm auf nur 172 km eine deutlich bessere Ausbeute an Höhenmetern pro Kilometer hat. Einfach die Gold-Runde einmal in beide Richtungen fahren? Das würde mehr als 10000 Hm bringen, aber man müsste dabei auf jeden Fall umkehren. Dass man die Pässe dabei doppelt fährt wäre okay, man würde sie ja schließlich in verschiedene Richtungen befahren, es bliebe also nur das Manko mit dem Umkehren. Da fiel mir auf, dass die Gold-Runde eigentlich eine Art Umrundung des Furkapasses darstellt, also baute ich den Furkapass noch mit ein. Das geht aber nur dann ohne umzukehren, wenn man auch den Furkapass in beide Richtungen mitnimmt.
Damit war das Ziel klar. Ich würde alle 5 Pässe: Grimsel, Nufenen, Gotthard, Susten und Furka einmal in beide Richtungen befahren. Insgesamt macht das 10 Passüberquerungen mit 380 km und etwa 11700 Höhenmetern. Letztendlich brauchte ich tatsächlich drei Anläufe um diese Traumrunde wirklich zu fahren. Zweimal scheiterte ich nach etwa 8200 Höhenmetern. Letztendlich gehören aber alle drei Versuche zusammen, deswegen will ich sie alle beschreiben.
1. Versuch:
Meinen ersten Versuch startete ich am 15. August 2012. Ich hatte in 2012 etwa 3000 km in den Beinen und war schon einige andere Pässe gefahren. Damit ich nicht das ganze Essen herumschleppen musste, legte ich bei meiner Anreise mit dem Auto in Gletsch ein Depot an. Hier treffen Grimsel- und Furkapass aufeinander und der Nufenenpass ist auch nicht weit, ein idealer Platz also. Mein Depot war eine Plastiktüte mit vielen Riegeln, einer Riesenportion selbstgebackenem Schoko-Bananenkuchen und einigen Stück Pizza. Auf der anderen Seite des Furkapasses parkte ich mein Auto in Hospental, wo man Richtung Gotthard-, Furka- und Sustenpass fahren kann. Auch im Auto hatte ich ähnlichen Esskram dabei, dazu noch jede Menge dm-Markt-Isopulver und eine Flasche Cola.
Übernachten wollte ich in der Jugendherberge Hospental. Als ich gegen 9 Uhr abends dort ankam war das Haus gespenstisch leer. Die Rezeption war nicht besetzt, nur ganz oben im Dachgeschoss waren ein paar Gäste. Irgendwo musste ich aber ein paar Stunden schlafen, also legte ich mich ohne zu bezahlen mit meinem Schlafsack in eines der leeren Lager. Wegen der Aufregung vor der Tour schlief ich eh schon nicht besonders tief und stand dann wie geplant um 4 Uhr wieder auf. Am Ende fiel es also niemandem auf, dass ich dort übernachtet hatte ohne auch nur einen Rappen zu bezahlen. Wer hätte gedacht, dass Unterkünfte in der Schweiz soo billig sind!
Schnell das Rennrad aus dem Auto rausgeholt und alle Fahrradklamotten angezogen, ging es gegen 4:30 Uhr in Hospental los. Natürlich war es noch stockdunkel. Mein kleines Fahrradlicht reichte gerade so aus um die kurze Abfahrt durch die Schöllenenschlucht nach Wassen zu fahren. Verkehr gab es um die Uhrzeit eh nur minimal. Von Wassen ging es dann gemütlich aber doch zügig den Sustenpass hoch. Während der Auffahrt wurde es langsam heller und heller. Ein schöner Sommertag kündigte sich an. Eine so einsame und doch schöne Stimmung hatte ich noch nie an einem Alpenpass erlebt. Statt Motorradabgase gab es gute Waldluft. Um 6:20 Uhr stand ich an der Passhöhe. War das schon zu schnell? Vielleicht hatte ich hier schon zuviel Gas gegeben und hatte deswegen am Ende nicht mehr soviel übrig?
Die Abfahrt nach Innertkirchen ging sehr schnell. Selten kann man 30 km in so kurzer Zeit zurücklegen. Der Grimselpass fuhr sich anschließend ebenfalls problemlos und dahinter ging es ja auch schon zum Depot in Gletsch, wo ich ein leckeres Frühstück mit Bananenkuchen genießen konnte. Nach einer kurzen Abfahrt nach Ulrichen ging es auch schon wieder hoch Richtung Nufenenpass. Hier zeigte sich, dass ich schon zwei Pässe in den Beinen hatte. Der Nufenen hat im unteren Teil eine lange Rampe, die von unten nicht steil aussieht, es aber doch ist. Zum ersten mal an diesem Tag war ich froh über meine 3-fach-Kurbel, die als kleinste Übersetzung immerhin 30-25 hat. Die Abfahrt Richtung Airolo ging schnell. Nun hieß es in der Mittagshitze die alte Gotthardstraße (Tremola) hochzufahren. Schon im unteren Teil ging mir langsam mein Wasser aus. Ich hoffte irgendwo einen Brunnen, oder eine Quelle zu finden, es gab aber nichts derartiges an der Strecke. Ich überholte einen Italiener, dem es ähnlich ging, auch er hatte nur noch eine halbe Flasche dabei. Es hieß also Wasser sparen bis Hospental. Als 4. Pass ist die Tremola durchaus eine Nummer. Nie wirklich steil, aber durch das Geruckel von den Pflastersteinen ist man doch ein ganzes Stück langsamer.
Endlich in Hospental angekommen, konnte ich am Auto wieder richtig trinken und meine Vorräte auffüllen. Es gab ein richtiges Mittagessen mit vielen Pizzastücken und Bananenkuchen zum Nachtisch. Meine Beine spürte ich schon deutlich, aber ich war guter Dinge und fuhr weiter den Furkapass hinauf und gleich wieder runter nach Gletsch. Jetzt war es so warm, dass man sich für die Abfahrt nichtmal etwas anziehen musste. In Gletsch war schon wieder mein Depot und ich konnte mir wieder etwas zu essen gönnen. Von dort sind es auch nur 400 Hm bis zum Grimselpass. Der 6. Pass war also schnell geschafft und wieder ging es auf eine lange Abfahrt nach Innertkirchen. Danach musste ich erstmal wieder meinen Rücken gerade biegen, aber ich war noch guter Dinge und fuhr zügig weiter.
Den Sustenpass war ich schon zwei Jahre vorher einmal von dieser Seite gefahren, aber ich hatte ihn gar nicht so steil in Erinngerung. Langsam ging auch wieder mein Wasservorrat zur Neige und es wollte einfach kein Brunnen kommen. Außerdem bekam ich einen unglaublicher Hunger nach etwas salzigem, einen süßen Energieriegel kriegte ich einfach nicht mehr runter. Zum Glück landete ich irgendwann endlich in Gadmen, dem letzten Dorf vor der Passhöhe. Der Dorfladen hatte noch offen und ich konnte ein noch nie zuvor so leckeres Stück salzigen Bergkäse kaufen und siehe da, es gab sogar einen Brunnen in Gadmen. Während ich so neben dem Brunnen saß dämmerte mir, dass ich schon ganz schön müde war. Und den 7. Pass hatte ich ja kaum zur Hälfte geschafft. Wie sollte ich da noch drei weitere dranhängen? Mit noch zwei kurzen Pausen schaffte ich es gegen 19 Uhr auf den Sustenpass und stürzte mich noch einmal in eine lange Abfahrt. Unten in Wassen suchte ich wieder nach einem Brunnen, an dem ich eine wieder eine längere Pause brauchte. Langsam wurde mir klar, dass es diesmal nicht zu schaffen sein würde. Es wurde auch dunkel, dunkle Wolken zogen auf, die auf ein baldiges Gewitter hinwiesen. Der Gedanke jetzt auch noch in der Nacht weiterzufahren, womöglich sogar noch in ein Gewitter zu kommen und komplett auszukühlen, schreckte mich doch ziemlich ab. Die 500 Hm durch die Schöllenenschlucht nach Hospental zu meinem Auto schaffte ich noch, dann ging es für mich nicht mehr weiter. Es gelangen mir also 7 Pässe und noch ein halber, nämlich der Anstieg in der Schöllenenschlucht, der ja irgendwie zum Gotthardpass dazugehört. Insgesamt immerhin etwa 8200 Höhenmeter.
Auf der Autofahrt nach Hause gewitterte es dann auch derart heftig, dass ich sehr froh war nicht mehr auf dem Rad zu sitzen. Der Regen war so stark, dass ich sogar eine Pause auf einem Parkplatz einlegte um mich ein wenig auszuruhen. Ich hatte mich so ausgepowert, dass ich sogar im geheizten Auto noch Schüttelfrost bekam. Erst als ich am nächsten Tag bis mittags ausgeschlafen hatte und mir eine gute Hühnersuppe einverleibt hatte, ging es mir wieder besser. Die nächsten Tage erholte ich mich aber doch recht schnell und saß drei Tage später wieder auf dem Rennrad.
Irgendwie war mir klar, dass ich bei diesem Versuch nicht das Optimum herausgeholt hatte. Was waren die Fehler? Am meisten geärgert hatte ich mich über den Startzeitpunkt. Es wäre besser gewesen schon früher zu starten. Für den Kopf ist es viel leichter aus der Nacht herauszufahren als schon übermüdet in die Nacht hineinzufahren. Auch der ausgelaugte Körper kommt schlecht damit klar, dass es dann erneut kalt wird. Ein anderer Fehler ist wohl in der Ernährung zu suchen. Eindeutig zu wenig Salz! Warum sonst hatte ich so einen unglaublichen Heißhunger auf etwas Salziges? Der Salzmangel trug sicher auch dazu bei, dass ich am Ende derartig ausgelaugt war, dass ich sogar im warmen Auto noch Schüttelfrost bekam. Zum Schluss war vielleicht auch noch etwas Pech dabei, dass sich das Wetter am Abend verschlechterte, mit einem früheren Start wäre das aber auch kein so großes Problem gewesen.
2. Versuch
Beim zweiten Versuch wollte ich natürlich alles besser machen. Den Start verlegte ich diesmal auf Punkt 0 Uhr und ich wollte möglichst schon Anfang Juli fahren, wenn die Tage am längsten sind. Salzmangel sollte mit mehr Iso-Pulver, Hühnersuppe und salzigem Appenzeller Käse bekämpft werden. Ein wichtiger Energielieferant war diesmal ein leckerer Schokokuchen (Hiltl-Brownies), Hauptsache es schmeckte so gut, dass ich es jederzeit essen könnte. Der erste mögliche Termin war der 2. Juli 2013. Es war gutes Wetter vorhergesagt, die Pässe waren seit etwa 3 Wochen befahrbar. Diesmal hatte ich zwar mit etwa 1700 noch nicht soviele Rennradkilometer in den Beinen, aber dafür einige Skitouren und einen großen Anteil Bergaufkilometer. Ich war mir nicht 100% sicher, dass die Fitness ausreicht, aber ich wollte einen Versuch starten, zumal sich für mich die nächste Gelegenheit erst Anfang August ergeben würden. Den Startpunkt wählte ich wie beim ersten Versuch in Hospental, das Depot war wieder in Gletsch.
Durch den frühen Nacht-Start um 0 Uhr waren die Temperaturen diesmal noch gar nicht richtig runtergegangen. Am Sustenpass war es mit 12°C noch ziemlich warm. Selbst in der Abfahrt, die übrigens mit einer guten Stirnlampe wirklich problemlos lief, kühlte ich nicht aus. Erst später, gegen 4 Uhr am Grimselpass war es kalt. Dafür aber mit 4°C richtig! In der Abfahrt nach Gletsch fror ich regelrecht ein und auch am dortigen Depot gab es nix zum aufwärmen. Erst als es wieder hoch zum Nufenen ging, hörte das leichte Zittern wieder auf. Der Sonnenaufgang am Nufenen war schön, aber auch dort war es nicht wirklich warm. Im oberen Teil lag noch viel Schnee neben der Straße, man kam sich vor wie in einem Kühlschrank. Am Gotthardpass war es dann endlich wärmer, aber hier merkte ich auch zum ersten Mal, dass meine Fitness noch nicht so gut war wie im letzten Jahr. Ich war deutlich langsamer. Etwas frustriert kam ich nach der Abfahrt bei meinem Auto in Hospental an. Innerlich hatte ich aufgegeben. Jetzt war es schon 10:30 Uhr, mit der Geschwindigkeit würde ich es in 24 Stunden sowieso nicht schaffen. Erstmal kochte ich mir mit einem Gaskocher eine Hühnersuppe und ruhte mich währenddessen eine Weile aus. Wenn ich heute schon zu langsam war für die 10 Pässe an einem Tag, so wollte ich doch wenigstens noch ein wenig fahren. Den Nufenenpass war ich noch nie von Airolo aus gefahren, also ging es von Hospental erstmal zurück über den Gotthard nach Airolo. Von Airolo bis All'Acqua ist die Auffahrt noch recht flach. Am Brunnen in All'Acqua entdeckte ich dann, dass sich nun noch 900 Höhenmeter auf 10,5 km verteilen würden. Es warteten also noch einige steile Rampen und meine Trittfrequenz brach derart ein, dass ich mich nur noch mit einer Geschwindigkeit von 7 km/h fortbewegte. Irgendwann war der Pass aber doch geschafft und da es jetzt angenehm warm war, lief auch die Abfahrt problemlos ohne frieren. Die Weiterfahrt nach Gletsch lief ganz gut, aber es war dann auch schon nach 15 Uhr als ich dort ankam. Ich entschied mich noch zu einer kurzen Stichfahrt auf den Grimselpass und zurück nach Gletsch um dann mit dem Furkapass immerhin noch den 8. Pass anzusteuern. In dem steilen Abschnitt kurz vor dem Belvedère-Hotel quälte ich mich mit Negativrekordgeschwindigkeiten von 5-6 km/h hoch, für mich war heute einfach nicht der Tag um 10 Pässe zu schaffen! Ich schaffte es aber trotzdem noch etwa um 18 Uhr zurück bei meinem Auto in Hospental zu sein. Und ich wusste schon jetzt, dass ich in einigen Wochen wiederkommen würde.
Diesmal hatte das Training wohl noch nicht gereicht. Vielleicht war es aber auch einfach falsches Training. Ich war viel bergauf gefahren und hatte mich dabei mit großer Übersetzung und relativ niedrigen Trittfrequenzen nach oben gedrückt. Bei der Pässefahrt war es dann oft so, dass ich trotz sehr niedriger Trittfrequenz nicht in einen kleineren Gang schalten wollte. Das klingt zwar unlogisch, aber ich fühlte mich in dem Moment bei dieser niedrigen Trittfrequenz wohler, obwohl der Gang so schwer zu treten war. Im Training stellte ich mich nach diesem 2. Versuch um und fuhr jetzt im Gegensatz zu vorher mit kleinen Gängen und hohen Trittfrequenzen die Anstiege hoch. Ich versuchte immer über 80 upm zu bleiben, bei steileren Anstiegen waren auch 70 bis 80 upm erlaubt.
3. Versuch
Erst am 31. August kam es dann endlich zum dritten Versuch. Inzwischen war ich dieses Jahr immerhin 2800km gefahren und eine Woche Kletterurlaub in den Bergen ließ auch noch ein paar Kilos purzeln, die ich nun nicht mehr die Pässe hochschleppen musste. Auch die Akklimatisation an Höhen im Bereich von 2500 m war so natürlich deutlich besser als Anfang Juli. Eine zusätzliche Verbesserung waren Thermoskannen mit heißem Wasser am Auto und im Depot, zum Aufwärmen in der Nacht. Außerdem stieg ich um auf ein besseres Iso-Getränk, das sich auch in Form kleiner Beutel mitnehmen ließ. Den Startpunkt versetzte ich nach Gletsch und die Reihenfolge der Pässe sollte jetzt so sein wie auf dem Bild gezeigt. Das Depot war diesmal also in Hospental und das Auto in Gletsch. Dies hatte den psychologischen Vorteil, dass der steile Nufenenpass und die Tremola am Gotthard gleich zu Beginn abgehakt sein würden. Vorletzter Pass wäre der Sustenpass von Wassen aus, der sich sehr gleichmäßig fahren lässt. Und als letztes käme dann der recht abwechslungsreiche Grimselpass dran, bei dem man sich immer auf die nächste interessante Stelle freuen kann. (z.B. Tunnel, Staumauer, See,..). Die letzte Abfahrt runter nach Gletsch hätte dann auch nur noch 400 hm, kaum Zeit um richtig auszukühlen.
Zunächst lief auch tatsächlich alles wie geplant. Ich startete in der Nacht um 0:10 Uhr. Die Schnelligkeit war da, schon um halb 2 war ich am Nufenenpass angekommen. Die Abfahrt lief problemlos bei sternenklarem Himmel. Anschließend die Tremola im Dunkeln zu fahren war ein echtes Erlebnis. Um die Uhrzeit war einfach gar nix los. Auch auf der Gotthard-Hauptstraße fuhr kein Auto. Als ich um 3:20 Uhr an der Passhöhe war, war diese völlig ausgestorben, kein Mensch war da, wo man sich sonst kaum vor Motorradfahrern retten kann. Im Depot in Hospental wartete heißes Wasser zum Aufwärmen auf mich und jede Menge leckere süße Stücke vom Bäcker. Auskühlen war so kein Thema mehr. Am Furkapass waren gegen halb 5 schon viele Leute unterwegs. Bergsteiger, die sich gerade zu einer Hochtour auf den Galenstock aufmachten. Wieder unten beim Auto in Gletsch bereitete gerade jemand eine Zeitnahmestation für das richtige Alpenbrevet vor. Das Jedermannrennen sollte um 6:15 Uhr starten und der erste Pass, den die Fahrer in Angriff nehmen würden war der Grimselpass. Genau das war auch mein nächster Pass, den ich um kurz nach 6 erreichte. In der Abfahrt hinunter nach Innertkirchen kamen mir im unteren Teil schon viele offizielle Alpenbrevetfahrer entgegen. Irgendwie lustig, genau gegen den Strom zu fahren!
Nach einer Pause am Brunnen in Innertkirchen ging es wie geplant im Sonnenaufgang den Sustenpass hinauf. Obwohl, die Sonne wollte in diesem nach Westen ausgerichteten Tal gar nicht so richtig aufgehen! Erst ganz oben auf der Passhöhe trat ich aus dem Schatten der Berge heraus, nachdem ich schon 9 Stunden gefahren war. Nach der Abfahrt hinunter nach Wassen ging es gleich wieder in der Schöllenenschlucht Richtung Andermatt und Hospental. Ich lieferte mir ein kleines "Rennen" mit einem noch frischen Rennradfahrer, der allerdings mit seiner Heldenkurbel doch etwas zu kämpfen hatte. Die Straße ist durchaus steil, obwohl sie soviel befahren wird. In Hospental genehmigte ich mir nun eine längere Pause. Die lange, warme Nachtkleidung ersetzte ich durch kurze Hose und Trikot, Armlinge, Beinlinge und eine Regenjacke kamen aber zur Sicherheit mit.
Frisch gestärkt fuhr ich dann gegen halb elf weiter zum Gotthardpass. Der Unterschied zu meinem nächtlichen Besuch konnte kaum größer sein. Es war wieder richtig was los auf der Straße. Bei der Abfahrt Richtung Airolo kamen mir wieder viele Alpenbrevet-Fahrer entgegen, die gerade ihren dritten Pass ansteuerten. Für mich ging es in den 7. Pass, den Nufenen. Auch diesmal schien er wieder endlos steil zu sein, ich fühlte mich aber deutlich besser als beim letzten Versuch und konnte in meinem ersten Gang meistens eine vernünftige Trittfrequenz von etwa 70 upm halten. Oben am Nufenen angekommen bemerkte ich, dass ich meinen Autoschlüssel in der Kleidung vergessen hatte, die ich in Hospental am Depot gelassen hatte. Das bedeutete, dass ich keine Chance hatte an das Essen in meinem Auto in Gletsch zu kommen. Das war aber kein echtes Problem, ich kaufte mir in einem Supermarkt in Ulrichen zwei Riegel und ein Apfelschorle, die ich dann bei einer Pause in Gletsch vertilgte. Nun ging es auf der steilen Seite des Furkapasses recht problemlos wieder nach oben. In der Abfahrt nach Realp und weiter nach Hospental freute ich mich schon auf mein Depot und sehnte meine leckeren Salamibrötchen herbei.
Meine Wünsche sollten sich aber nicht erfüllen. Das Depot war verschwunden. Ich hatte eine Einkaufstasche hinter einer Scheune in der Wiese deponiert und sie war einfach nicht mehr da. Da drin war nicht nur mein Essen. Auch meine warme Kleidung für die Nacht, meine Stirnlampe und natürlich der Autoschlüssel waren genau da drin. Und jetzt, alles weg! Erstmal suchte ich die Gegend bei der Scheune ab, vielleicht hatte sie ja jemand im Spaß woanders hingestellt. Das war aber nicht der Fall. Vielleicht hatte sie auch jemand irgendwo abgegeben. Ich hatte zwar einen Zettel mit "Bitte stehen lassen" oben auf die Tasche gelegt, aber man weiß ja nie und so besuchte ich die Restaurants und Hotels in der Nähe, wo aber niemand etwas von meiner Tasche wusste. So verging erstmal eine halbe Stunde mit erfolglosem Suchen. Was jetzt? Eigentlich fühlte ich mich fit und motiviert, ich wollte die zwei letzten Pässe noch fahren. Aber ohne warme Kleidung? Ohne Stirnlampe? Essen könnte ich mir noch irgendwo besorgen, zumindest die Kälte würde aber am Ende ein Problem werden. So rief ich meine Freundin an, die glücklicherweise gerade am Furkapass Klettern war. Sie versprach schließlich mich am letzten Pass, also am Grimselpass, mit einer Jacke und Handschuhen auszustatten. Bis dorthin musste ich irgendwie kommen, auch ohne Stirnlampe.
Inzwischen war es fast 18 Uhr. In drei Stunden würde es wieder ganz dunkel sein. Mein Ziel war es schnell genug zu sein, dass ich im Hellen vom Sustenpass abfahren konnte. Ich füllte nur meine Flaschen mit Wasser und beschloß die Suche nach Essen auf nach dem Sustenpass zu verschieben, ein Notfall-Gel hatte ich noch. Im Aufstieg zum Pass traf ich noch auf einige Nachzügler von der Alpenbrevet-Platin-Runde. Die waren nun auch schon seit 12 Stunden unterwegs. Der Besenwagen sammelte schon einige Fahrer ein, aber ich gehörte ja nicht zum Rennen und durfte unbehelligt weiterfahren. Oben am Pass verschlechterte sich das Wetter. Leichter Nieselregen und Nebel, das hatte gerade noch gefehlt, wo ich doch jetzt keine richtig warme Jacke für die Abfahrt dabei hatte. Oben am Pass gab es dann aber trotzdem zwei gute Überraschungen. Erstens war es erst zehn nach 20 Uhr, also noch hell und zweitens wurde eben erst die Verpflegungsstation vom Alpenbrevet aufgelöst. Da noch einiges übrig war durfte ich mich auch als Nicht-Teilnehmer bedienen und schnappte mir erstmal zwei Becher Cola und fünf Energie-Gels. Das müsste doch irgendwie reichen.
Nun hieß es als Nächstes die Abfahrt bei Nebel und zunehmender Dunkelheit zu meistern. Zum Glück hatte ich wenigstens ein gutes Rücklicht und konnte so von den Autofahrern nicht übersehen werden. Einige Tunnels am Sustenpass sind aber nicht mal beleuchtet, eigentlich ein reines Glücksspiel so ohne Stirnlampe. Ich fuhr langsam durch die Tunnels und hatte Glück. Auch die Kälte war irgendwie noch erträglich. Eine Pause in Gadmen zum Händeaufwärmen reichte und kurz vor 21 Uhr erreichte ich Innertkirchen. Es war jetzt schon wieder stockdunkel und ich war sehr froh heil heruntergekommen zu sein. Jetzt hatte ich noch ganze drei Stunden Zeit für den Grimsel, das musste doch einfach klappen. Voll motiviert ging es weiter.
Etwas leichter hatte ich mir das Fahren nur mit Rücklicht dann aber doch vorgestellt. An manchen Stellen im Wald und in einigen Tunnels sah ich praktisch nur noch schwarz. Ich musste nach hinten schauen um mit Hilfe des Rücklichts zu sehen ob der Mittelstreifen noch da war. Ein langer steiler Tunnel war die reinste Erholung, einfach nur, weil er beleuchtet war. Wenig später kam ein beleuchteter Staudamm. Ein einziges Flutlicht reichte um die Straßenmarkierungen auf den nächsten 4 Kilometern sehen zu können. Bald kamen auch die letzten dunklen Kehren. Nieselregen und Wind zwangen mich schon jetzt im Aufstieg alles anzuziehen. Armlinge, Beinlinge und Regenjacke reichten gerade so. Oben am Pass war dann wie versprochen meine Freundin. Sie rettete mich mit einer warmen Jacke, ein paar Handschuhen und einer Stirnlampe. Die letzten 400 Hm Abfahrt waren dann auch kein Problem mehr. Um 23:35 Uhr war es dann endlich geschafft!
Wie ging es aber nun mit den Sachen aus meinem Depot weiter? Ohne Autoschlüssel musste das Auto erstmal in Gletsch bleiben. Meine Freundin brachte mich zu einem Zeltplatz in Andermatt und am nächsten Tag hatte ich riesiges Glück und wir fanden die Sachen bei zwei Asylbewerbern in Hospental wieder. Sie konnten kein Deutsch und hatten den Zettel deswegen nicht lesen können. Sie hatten sich über ihren tollen Fund gefreut, die leckeren süßen Stücke und Salamibrote aufgegessen und meine Klamotten teilweise sogar schon gewaschen. Sie gaben mir aber außer dem Essen wirklich alles zurück und ich war unglaublich erleichtert.
Als Fazit kann ich noch drei Dinge nennen, die ich für das Gelingen des Projekts wichtig fand:
Eine möglichst gleichmäßige Tritfrequenz, die eher relativ hoch ist. Also lieber kleine leichte Gänge fahren, die man lange treten kann. Das sollte man unbedingt auch im Training so machen.
Gutes Essen und Trinken! Vor allem auch abwechslungsreich. Irgendwann hat man nämlich keine Lust mehr auf klebrige Riegel. Ganz wichtig ist auch die Salzzufuhr, z.B. über einen guten Isodrink. Der dm-Markt-Isodrink hat nicht genug Salz! Mit Nachsalzen könnte man da vielleicht nachhelfen, ich hab das aber noch nicht ausprobiert.
Einfach eine starke Motivation! Das meiste spielt sich im Kopf ab. So ein Körper kann viel mehr als man meistens glaubt. Deswegen helfen auch solche Psychotricks, wie z.B., dass man die vermeintlich schwereren Anstiege zuerst hinter sich bringt.
Hier noch ein Link zu der Tour auf Strava. Die Höhenmeter stimmen dort allerdings gar nicht, mein GPS-Gerät hat sogar nur 11300 Hm angezeigt.
Die Platin-Runde hat 7000 Hm verteilt auf 276 km, während die Gold-Runde mit etwa 5200 Hm auf nur 172 km eine deutlich bessere Ausbeute an Höhenmetern pro Kilometer hat. Einfach die Gold-Runde einmal in beide Richtungen fahren? Das würde mehr als 10000 Hm bringen, aber man müsste dabei auf jeden Fall umkehren. Dass man die Pässe dabei doppelt fährt wäre okay, man würde sie ja schließlich in verschiedene Richtungen befahren, es bliebe also nur das Manko mit dem Umkehren. Da fiel mir auf, dass die Gold-Runde eigentlich eine Art Umrundung des Furkapasses darstellt, also baute ich den Furkapass noch mit ein. Das geht aber nur dann ohne umzukehren, wenn man auch den Furkapass in beide Richtungen mitnimmt.
Damit war das Ziel klar. Ich würde alle 5 Pässe: Grimsel, Nufenen, Gotthard, Susten und Furka einmal in beide Richtungen befahren. Insgesamt macht das 10 Passüberquerungen mit 380 km und etwa 11700 Höhenmetern. Letztendlich brauchte ich tatsächlich drei Anläufe um diese Traumrunde wirklich zu fahren. Zweimal scheiterte ich nach etwa 8200 Höhenmetern. Letztendlich gehören aber alle drei Versuche zusammen, deswegen will ich sie alle beschreiben.
1. Versuch:
Meinen ersten Versuch startete ich am 15. August 2012. Ich hatte in 2012 etwa 3000 km in den Beinen und war schon einige andere Pässe gefahren. Damit ich nicht das ganze Essen herumschleppen musste, legte ich bei meiner Anreise mit dem Auto in Gletsch ein Depot an. Hier treffen Grimsel- und Furkapass aufeinander und der Nufenenpass ist auch nicht weit, ein idealer Platz also. Mein Depot war eine Plastiktüte mit vielen Riegeln, einer Riesenportion selbstgebackenem Schoko-Bananenkuchen und einigen Stück Pizza. Auf der anderen Seite des Furkapasses parkte ich mein Auto in Hospental, wo man Richtung Gotthard-, Furka- und Sustenpass fahren kann. Auch im Auto hatte ich ähnlichen Esskram dabei, dazu noch jede Menge dm-Markt-Isopulver und eine Flasche Cola.
Übernachten wollte ich in der Jugendherberge Hospental. Als ich gegen 9 Uhr abends dort ankam war das Haus gespenstisch leer. Die Rezeption war nicht besetzt, nur ganz oben im Dachgeschoss waren ein paar Gäste. Irgendwo musste ich aber ein paar Stunden schlafen, also legte ich mich ohne zu bezahlen mit meinem Schlafsack in eines der leeren Lager. Wegen der Aufregung vor der Tour schlief ich eh schon nicht besonders tief und stand dann wie geplant um 4 Uhr wieder auf. Am Ende fiel es also niemandem auf, dass ich dort übernachtet hatte ohne auch nur einen Rappen zu bezahlen. Wer hätte gedacht, dass Unterkünfte in der Schweiz soo billig sind!
Schnell das Rennrad aus dem Auto rausgeholt und alle Fahrradklamotten angezogen, ging es gegen 4:30 Uhr in Hospental los. Natürlich war es noch stockdunkel. Mein kleines Fahrradlicht reichte gerade so aus um die kurze Abfahrt durch die Schöllenenschlucht nach Wassen zu fahren. Verkehr gab es um die Uhrzeit eh nur minimal. Von Wassen ging es dann gemütlich aber doch zügig den Sustenpass hoch. Während der Auffahrt wurde es langsam heller und heller. Ein schöner Sommertag kündigte sich an. Eine so einsame und doch schöne Stimmung hatte ich noch nie an einem Alpenpass erlebt. Statt Motorradabgase gab es gute Waldluft. Um 6:20 Uhr stand ich an der Passhöhe. War das schon zu schnell? Vielleicht hatte ich hier schon zuviel Gas gegeben und hatte deswegen am Ende nicht mehr soviel übrig?
Die Abfahrt nach Innertkirchen ging sehr schnell. Selten kann man 30 km in so kurzer Zeit zurücklegen. Der Grimselpass fuhr sich anschließend ebenfalls problemlos und dahinter ging es ja auch schon zum Depot in Gletsch, wo ich ein leckeres Frühstück mit Bananenkuchen genießen konnte. Nach einer kurzen Abfahrt nach Ulrichen ging es auch schon wieder hoch Richtung Nufenenpass. Hier zeigte sich, dass ich schon zwei Pässe in den Beinen hatte. Der Nufenen hat im unteren Teil eine lange Rampe, die von unten nicht steil aussieht, es aber doch ist. Zum ersten mal an diesem Tag war ich froh über meine 3-fach-Kurbel, die als kleinste Übersetzung immerhin 30-25 hat. Die Abfahrt Richtung Airolo ging schnell. Nun hieß es in der Mittagshitze die alte Gotthardstraße (Tremola) hochzufahren. Schon im unteren Teil ging mir langsam mein Wasser aus. Ich hoffte irgendwo einen Brunnen, oder eine Quelle zu finden, es gab aber nichts derartiges an der Strecke. Ich überholte einen Italiener, dem es ähnlich ging, auch er hatte nur noch eine halbe Flasche dabei. Es hieß also Wasser sparen bis Hospental. Als 4. Pass ist die Tremola durchaus eine Nummer. Nie wirklich steil, aber durch das Geruckel von den Pflastersteinen ist man doch ein ganzes Stück langsamer.
Endlich in Hospental angekommen, konnte ich am Auto wieder richtig trinken und meine Vorräte auffüllen. Es gab ein richtiges Mittagessen mit vielen Pizzastücken und Bananenkuchen zum Nachtisch. Meine Beine spürte ich schon deutlich, aber ich war guter Dinge und fuhr weiter den Furkapass hinauf und gleich wieder runter nach Gletsch. Jetzt war es so warm, dass man sich für die Abfahrt nichtmal etwas anziehen musste. In Gletsch war schon wieder mein Depot und ich konnte mir wieder etwas zu essen gönnen. Von dort sind es auch nur 400 Hm bis zum Grimselpass. Der 6. Pass war also schnell geschafft und wieder ging es auf eine lange Abfahrt nach Innertkirchen. Danach musste ich erstmal wieder meinen Rücken gerade biegen, aber ich war noch guter Dinge und fuhr zügig weiter.
Den Sustenpass war ich schon zwei Jahre vorher einmal von dieser Seite gefahren, aber ich hatte ihn gar nicht so steil in Erinngerung. Langsam ging auch wieder mein Wasservorrat zur Neige und es wollte einfach kein Brunnen kommen. Außerdem bekam ich einen unglaublicher Hunger nach etwas salzigem, einen süßen Energieriegel kriegte ich einfach nicht mehr runter. Zum Glück landete ich irgendwann endlich in Gadmen, dem letzten Dorf vor der Passhöhe. Der Dorfladen hatte noch offen und ich konnte ein noch nie zuvor so leckeres Stück salzigen Bergkäse kaufen und siehe da, es gab sogar einen Brunnen in Gadmen. Während ich so neben dem Brunnen saß dämmerte mir, dass ich schon ganz schön müde war. Und den 7. Pass hatte ich ja kaum zur Hälfte geschafft. Wie sollte ich da noch drei weitere dranhängen? Mit noch zwei kurzen Pausen schaffte ich es gegen 19 Uhr auf den Sustenpass und stürzte mich noch einmal in eine lange Abfahrt. Unten in Wassen suchte ich wieder nach einem Brunnen, an dem ich eine wieder eine längere Pause brauchte. Langsam wurde mir klar, dass es diesmal nicht zu schaffen sein würde. Es wurde auch dunkel, dunkle Wolken zogen auf, die auf ein baldiges Gewitter hinwiesen. Der Gedanke jetzt auch noch in der Nacht weiterzufahren, womöglich sogar noch in ein Gewitter zu kommen und komplett auszukühlen, schreckte mich doch ziemlich ab. Die 500 Hm durch die Schöllenenschlucht nach Hospental zu meinem Auto schaffte ich noch, dann ging es für mich nicht mehr weiter. Es gelangen mir also 7 Pässe und noch ein halber, nämlich der Anstieg in der Schöllenenschlucht, der ja irgendwie zum Gotthardpass dazugehört. Insgesamt immerhin etwa 8200 Höhenmeter.
Auf der Autofahrt nach Hause gewitterte es dann auch derart heftig, dass ich sehr froh war nicht mehr auf dem Rad zu sitzen. Der Regen war so stark, dass ich sogar eine Pause auf einem Parkplatz einlegte um mich ein wenig auszuruhen. Ich hatte mich so ausgepowert, dass ich sogar im geheizten Auto noch Schüttelfrost bekam. Erst als ich am nächsten Tag bis mittags ausgeschlafen hatte und mir eine gute Hühnersuppe einverleibt hatte, ging es mir wieder besser. Die nächsten Tage erholte ich mich aber doch recht schnell und saß drei Tage später wieder auf dem Rennrad.
Irgendwie war mir klar, dass ich bei diesem Versuch nicht das Optimum herausgeholt hatte. Was waren die Fehler? Am meisten geärgert hatte ich mich über den Startzeitpunkt. Es wäre besser gewesen schon früher zu starten. Für den Kopf ist es viel leichter aus der Nacht herauszufahren als schon übermüdet in die Nacht hineinzufahren. Auch der ausgelaugte Körper kommt schlecht damit klar, dass es dann erneut kalt wird. Ein anderer Fehler ist wohl in der Ernährung zu suchen. Eindeutig zu wenig Salz! Warum sonst hatte ich so einen unglaublichen Heißhunger auf etwas Salziges? Der Salzmangel trug sicher auch dazu bei, dass ich am Ende derartig ausgelaugt war, dass ich sogar im warmen Auto noch Schüttelfrost bekam. Zum Schluss war vielleicht auch noch etwas Pech dabei, dass sich das Wetter am Abend verschlechterte, mit einem früheren Start wäre das aber auch kein so großes Problem gewesen.
2. Versuch
Beim zweiten Versuch wollte ich natürlich alles besser machen. Den Start verlegte ich diesmal auf Punkt 0 Uhr und ich wollte möglichst schon Anfang Juli fahren, wenn die Tage am längsten sind. Salzmangel sollte mit mehr Iso-Pulver, Hühnersuppe und salzigem Appenzeller Käse bekämpft werden. Ein wichtiger Energielieferant war diesmal ein leckerer Schokokuchen (Hiltl-Brownies), Hauptsache es schmeckte so gut, dass ich es jederzeit essen könnte. Der erste mögliche Termin war der 2. Juli 2013. Es war gutes Wetter vorhergesagt, die Pässe waren seit etwa 3 Wochen befahrbar. Diesmal hatte ich zwar mit etwa 1700 noch nicht soviele Rennradkilometer in den Beinen, aber dafür einige Skitouren und einen großen Anteil Bergaufkilometer. Ich war mir nicht 100% sicher, dass die Fitness ausreicht, aber ich wollte einen Versuch starten, zumal sich für mich die nächste Gelegenheit erst Anfang August ergeben würden. Den Startpunkt wählte ich wie beim ersten Versuch in Hospental, das Depot war wieder in Gletsch.
Durch den frühen Nacht-Start um 0 Uhr waren die Temperaturen diesmal noch gar nicht richtig runtergegangen. Am Sustenpass war es mit 12°C noch ziemlich warm. Selbst in der Abfahrt, die übrigens mit einer guten Stirnlampe wirklich problemlos lief, kühlte ich nicht aus. Erst später, gegen 4 Uhr am Grimselpass war es kalt. Dafür aber mit 4°C richtig! In der Abfahrt nach Gletsch fror ich regelrecht ein und auch am dortigen Depot gab es nix zum aufwärmen. Erst als es wieder hoch zum Nufenen ging, hörte das leichte Zittern wieder auf. Der Sonnenaufgang am Nufenen war schön, aber auch dort war es nicht wirklich warm. Im oberen Teil lag noch viel Schnee neben der Straße, man kam sich vor wie in einem Kühlschrank. Am Gotthardpass war es dann endlich wärmer, aber hier merkte ich auch zum ersten Mal, dass meine Fitness noch nicht so gut war wie im letzten Jahr. Ich war deutlich langsamer. Etwas frustriert kam ich nach der Abfahrt bei meinem Auto in Hospental an. Innerlich hatte ich aufgegeben. Jetzt war es schon 10:30 Uhr, mit der Geschwindigkeit würde ich es in 24 Stunden sowieso nicht schaffen. Erstmal kochte ich mir mit einem Gaskocher eine Hühnersuppe und ruhte mich währenddessen eine Weile aus. Wenn ich heute schon zu langsam war für die 10 Pässe an einem Tag, so wollte ich doch wenigstens noch ein wenig fahren. Den Nufenenpass war ich noch nie von Airolo aus gefahren, also ging es von Hospental erstmal zurück über den Gotthard nach Airolo. Von Airolo bis All'Acqua ist die Auffahrt noch recht flach. Am Brunnen in All'Acqua entdeckte ich dann, dass sich nun noch 900 Höhenmeter auf 10,5 km verteilen würden. Es warteten also noch einige steile Rampen und meine Trittfrequenz brach derart ein, dass ich mich nur noch mit einer Geschwindigkeit von 7 km/h fortbewegte. Irgendwann war der Pass aber doch geschafft und da es jetzt angenehm warm war, lief auch die Abfahrt problemlos ohne frieren. Die Weiterfahrt nach Gletsch lief ganz gut, aber es war dann auch schon nach 15 Uhr als ich dort ankam. Ich entschied mich noch zu einer kurzen Stichfahrt auf den Grimselpass und zurück nach Gletsch um dann mit dem Furkapass immerhin noch den 8. Pass anzusteuern. In dem steilen Abschnitt kurz vor dem Belvedère-Hotel quälte ich mich mit Negativrekordgeschwindigkeiten von 5-6 km/h hoch, für mich war heute einfach nicht der Tag um 10 Pässe zu schaffen! Ich schaffte es aber trotzdem noch etwa um 18 Uhr zurück bei meinem Auto in Hospental zu sein. Und ich wusste schon jetzt, dass ich in einigen Wochen wiederkommen würde.
Diesmal hatte das Training wohl noch nicht gereicht. Vielleicht war es aber auch einfach falsches Training. Ich war viel bergauf gefahren und hatte mich dabei mit großer Übersetzung und relativ niedrigen Trittfrequenzen nach oben gedrückt. Bei der Pässefahrt war es dann oft so, dass ich trotz sehr niedriger Trittfrequenz nicht in einen kleineren Gang schalten wollte. Das klingt zwar unlogisch, aber ich fühlte mich in dem Moment bei dieser niedrigen Trittfrequenz wohler, obwohl der Gang so schwer zu treten war. Im Training stellte ich mich nach diesem 2. Versuch um und fuhr jetzt im Gegensatz zu vorher mit kleinen Gängen und hohen Trittfrequenzen die Anstiege hoch. Ich versuchte immer über 80 upm zu bleiben, bei steileren Anstiegen waren auch 70 bis 80 upm erlaubt.
3. Versuch
Erst am 31. August kam es dann endlich zum dritten Versuch. Inzwischen war ich dieses Jahr immerhin 2800km gefahren und eine Woche Kletterurlaub in den Bergen ließ auch noch ein paar Kilos purzeln, die ich nun nicht mehr die Pässe hochschleppen musste. Auch die Akklimatisation an Höhen im Bereich von 2500 m war so natürlich deutlich besser als Anfang Juli. Eine zusätzliche Verbesserung waren Thermoskannen mit heißem Wasser am Auto und im Depot, zum Aufwärmen in der Nacht. Außerdem stieg ich um auf ein besseres Iso-Getränk, das sich auch in Form kleiner Beutel mitnehmen ließ. Den Startpunkt versetzte ich nach Gletsch und die Reihenfolge der Pässe sollte jetzt so sein wie auf dem Bild gezeigt. Das Depot war diesmal also in Hospental und das Auto in Gletsch. Dies hatte den psychologischen Vorteil, dass der steile Nufenenpass und die Tremola am Gotthard gleich zu Beginn abgehakt sein würden. Vorletzter Pass wäre der Sustenpass von Wassen aus, der sich sehr gleichmäßig fahren lässt. Und als letztes käme dann der recht abwechslungsreiche Grimselpass dran, bei dem man sich immer auf die nächste interessante Stelle freuen kann. (z.B. Tunnel, Staumauer, See,..). Die letzte Abfahrt runter nach Gletsch hätte dann auch nur noch 400 hm, kaum Zeit um richtig auszukühlen.
Zunächst lief auch tatsächlich alles wie geplant. Ich startete in der Nacht um 0:10 Uhr. Die Schnelligkeit war da, schon um halb 2 war ich am Nufenenpass angekommen. Die Abfahrt lief problemlos bei sternenklarem Himmel. Anschließend die Tremola im Dunkeln zu fahren war ein echtes Erlebnis. Um die Uhrzeit war einfach gar nix los. Auch auf der Gotthard-Hauptstraße fuhr kein Auto. Als ich um 3:20 Uhr an der Passhöhe war, war diese völlig ausgestorben, kein Mensch war da, wo man sich sonst kaum vor Motorradfahrern retten kann. Im Depot in Hospental wartete heißes Wasser zum Aufwärmen auf mich und jede Menge leckere süße Stücke vom Bäcker. Auskühlen war so kein Thema mehr. Am Furkapass waren gegen halb 5 schon viele Leute unterwegs. Bergsteiger, die sich gerade zu einer Hochtour auf den Galenstock aufmachten. Wieder unten beim Auto in Gletsch bereitete gerade jemand eine Zeitnahmestation für das richtige Alpenbrevet vor. Das Jedermannrennen sollte um 6:15 Uhr starten und der erste Pass, den die Fahrer in Angriff nehmen würden war der Grimselpass. Genau das war auch mein nächster Pass, den ich um kurz nach 6 erreichte. In der Abfahrt hinunter nach Innertkirchen kamen mir im unteren Teil schon viele offizielle Alpenbrevetfahrer entgegen. Irgendwie lustig, genau gegen den Strom zu fahren!
Nach einer Pause am Brunnen in Innertkirchen ging es wie geplant im Sonnenaufgang den Sustenpass hinauf. Obwohl, die Sonne wollte in diesem nach Westen ausgerichteten Tal gar nicht so richtig aufgehen! Erst ganz oben auf der Passhöhe trat ich aus dem Schatten der Berge heraus, nachdem ich schon 9 Stunden gefahren war. Nach der Abfahrt hinunter nach Wassen ging es gleich wieder in der Schöllenenschlucht Richtung Andermatt und Hospental. Ich lieferte mir ein kleines "Rennen" mit einem noch frischen Rennradfahrer, der allerdings mit seiner Heldenkurbel doch etwas zu kämpfen hatte. Die Straße ist durchaus steil, obwohl sie soviel befahren wird. In Hospental genehmigte ich mir nun eine längere Pause. Die lange, warme Nachtkleidung ersetzte ich durch kurze Hose und Trikot, Armlinge, Beinlinge und eine Regenjacke kamen aber zur Sicherheit mit.
Frisch gestärkt fuhr ich dann gegen halb elf weiter zum Gotthardpass. Der Unterschied zu meinem nächtlichen Besuch konnte kaum größer sein. Es war wieder richtig was los auf der Straße. Bei der Abfahrt Richtung Airolo kamen mir wieder viele Alpenbrevet-Fahrer entgegen, die gerade ihren dritten Pass ansteuerten. Für mich ging es in den 7. Pass, den Nufenen. Auch diesmal schien er wieder endlos steil zu sein, ich fühlte mich aber deutlich besser als beim letzten Versuch und konnte in meinem ersten Gang meistens eine vernünftige Trittfrequenz von etwa 70 upm halten. Oben am Nufenen angekommen bemerkte ich, dass ich meinen Autoschlüssel in der Kleidung vergessen hatte, die ich in Hospental am Depot gelassen hatte. Das bedeutete, dass ich keine Chance hatte an das Essen in meinem Auto in Gletsch zu kommen. Das war aber kein echtes Problem, ich kaufte mir in einem Supermarkt in Ulrichen zwei Riegel und ein Apfelschorle, die ich dann bei einer Pause in Gletsch vertilgte. Nun ging es auf der steilen Seite des Furkapasses recht problemlos wieder nach oben. In der Abfahrt nach Realp und weiter nach Hospental freute ich mich schon auf mein Depot und sehnte meine leckeren Salamibrötchen herbei.
Meine Wünsche sollten sich aber nicht erfüllen. Das Depot war verschwunden. Ich hatte eine Einkaufstasche hinter einer Scheune in der Wiese deponiert und sie war einfach nicht mehr da. Da drin war nicht nur mein Essen. Auch meine warme Kleidung für die Nacht, meine Stirnlampe und natürlich der Autoschlüssel waren genau da drin. Und jetzt, alles weg! Erstmal suchte ich die Gegend bei der Scheune ab, vielleicht hatte sie ja jemand im Spaß woanders hingestellt. Das war aber nicht der Fall. Vielleicht hatte sie auch jemand irgendwo abgegeben. Ich hatte zwar einen Zettel mit "Bitte stehen lassen" oben auf die Tasche gelegt, aber man weiß ja nie und so besuchte ich die Restaurants und Hotels in der Nähe, wo aber niemand etwas von meiner Tasche wusste. So verging erstmal eine halbe Stunde mit erfolglosem Suchen. Was jetzt? Eigentlich fühlte ich mich fit und motiviert, ich wollte die zwei letzten Pässe noch fahren. Aber ohne warme Kleidung? Ohne Stirnlampe? Essen könnte ich mir noch irgendwo besorgen, zumindest die Kälte würde aber am Ende ein Problem werden. So rief ich meine Freundin an, die glücklicherweise gerade am Furkapass Klettern war. Sie versprach schließlich mich am letzten Pass, also am Grimselpass, mit einer Jacke und Handschuhen auszustatten. Bis dorthin musste ich irgendwie kommen, auch ohne Stirnlampe.
Inzwischen war es fast 18 Uhr. In drei Stunden würde es wieder ganz dunkel sein. Mein Ziel war es schnell genug zu sein, dass ich im Hellen vom Sustenpass abfahren konnte. Ich füllte nur meine Flaschen mit Wasser und beschloß die Suche nach Essen auf nach dem Sustenpass zu verschieben, ein Notfall-Gel hatte ich noch. Im Aufstieg zum Pass traf ich noch auf einige Nachzügler von der Alpenbrevet-Platin-Runde. Die waren nun auch schon seit 12 Stunden unterwegs. Der Besenwagen sammelte schon einige Fahrer ein, aber ich gehörte ja nicht zum Rennen und durfte unbehelligt weiterfahren. Oben am Pass verschlechterte sich das Wetter. Leichter Nieselregen und Nebel, das hatte gerade noch gefehlt, wo ich doch jetzt keine richtig warme Jacke für die Abfahrt dabei hatte. Oben am Pass gab es dann aber trotzdem zwei gute Überraschungen. Erstens war es erst zehn nach 20 Uhr, also noch hell und zweitens wurde eben erst die Verpflegungsstation vom Alpenbrevet aufgelöst. Da noch einiges übrig war durfte ich mich auch als Nicht-Teilnehmer bedienen und schnappte mir erstmal zwei Becher Cola und fünf Energie-Gels. Das müsste doch irgendwie reichen.
Nun hieß es als Nächstes die Abfahrt bei Nebel und zunehmender Dunkelheit zu meistern. Zum Glück hatte ich wenigstens ein gutes Rücklicht und konnte so von den Autofahrern nicht übersehen werden. Einige Tunnels am Sustenpass sind aber nicht mal beleuchtet, eigentlich ein reines Glücksspiel so ohne Stirnlampe. Ich fuhr langsam durch die Tunnels und hatte Glück. Auch die Kälte war irgendwie noch erträglich. Eine Pause in Gadmen zum Händeaufwärmen reichte und kurz vor 21 Uhr erreichte ich Innertkirchen. Es war jetzt schon wieder stockdunkel und ich war sehr froh heil heruntergekommen zu sein. Jetzt hatte ich noch ganze drei Stunden Zeit für den Grimsel, das musste doch einfach klappen. Voll motiviert ging es weiter.
Etwas leichter hatte ich mir das Fahren nur mit Rücklicht dann aber doch vorgestellt. An manchen Stellen im Wald und in einigen Tunnels sah ich praktisch nur noch schwarz. Ich musste nach hinten schauen um mit Hilfe des Rücklichts zu sehen ob der Mittelstreifen noch da war. Ein langer steiler Tunnel war die reinste Erholung, einfach nur, weil er beleuchtet war. Wenig später kam ein beleuchteter Staudamm. Ein einziges Flutlicht reichte um die Straßenmarkierungen auf den nächsten 4 Kilometern sehen zu können. Bald kamen auch die letzten dunklen Kehren. Nieselregen und Wind zwangen mich schon jetzt im Aufstieg alles anzuziehen. Armlinge, Beinlinge und Regenjacke reichten gerade so. Oben am Pass war dann wie versprochen meine Freundin. Sie rettete mich mit einer warmen Jacke, ein paar Handschuhen und einer Stirnlampe. Die letzten 400 Hm Abfahrt waren dann auch kein Problem mehr. Um 23:35 Uhr war es dann endlich geschafft!
Wie ging es aber nun mit den Sachen aus meinem Depot weiter? Ohne Autoschlüssel musste das Auto erstmal in Gletsch bleiben. Meine Freundin brachte mich zu einem Zeltplatz in Andermatt und am nächsten Tag hatte ich riesiges Glück und wir fanden die Sachen bei zwei Asylbewerbern in Hospental wieder. Sie konnten kein Deutsch und hatten den Zettel deswegen nicht lesen können. Sie hatten sich über ihren tollen Fund gefreut, die leckeren süßen Stücke und Salamibrote aufgegessen und meine Klamotten teilweise sogar schon gewaschen. Sie gaben mir aber außer dem Essen wirklich alles zurück und ich war unglaublich erleichtert.
Als Fazit kann ich noch drei Dinge nennen, die ich für das Gelingen des Projekts wichtig fand:
Eine möglichst gleichmäßige Tritfrequenz, die eher relativ hoch ist. Also lieber kleine leichte Gänge fahren, die man lange treten kann. Das sollte man unbedingt auch im Training so machen.
Gutes Essen und Trinken! Vor allem auch abwechslungsreich. Irgendwann hat man nämlich keine Lust mehr auf klebrige Riegel. Ganz wichtig ist auch die Salzzufuhr, z.B. über einen guten Isodrink. Der dm-Markt-Isodrink hat nicht genug Salz! Mit Nachsalzen könnte man da vielleicht nachhelfen, ich hab das aber noch nicht ausprobiert.
Einfach eine starke Motivation! Das meiste spielt sich im Kopf ab. So ein Körper kann viel mehr als man meistens glaubt. Deswegen helfen auch solche Psychotricks, wie z.B., dass man die vermeintlich schwereren Anstiege zuerst hinter sich bringt.
Hier noch ein Link zu der Tour auf Strava. Die Höhenmeter stimmen dort allerdings gar nicht, mein GPS-Gerät hat sogar nur 11300 Hm angezeigt.
6 gefahrene Pässe
Furkapass, St. Gotthardpass, Grimselpass, Sustenpass, Nufenenpass, SchöllenenschluchtStrecke
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren
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