Von hagen306 –
Platt, geflashed, begeistert - so lautet der aktuelle Gemüts- und Beinzustand nach zwei weiteren "Hay de todo"-Tagen in Spaniens Norden mitten durch Kantabriens Thronsaal in Gestalt der dermaßen grünen Kantabrischen Kordillere, dass wir alle nur noch rosa sehen durch unsere Brillen.
Nach dem morgendlichen Bade im Kneippesken Pool des Palacio-Hotels hieß es gestern, uns aufzuschwingen auf die legendären, eigentlich immer verregneten Höhen vom Sía und Estacas de Trueba. In voller Vorfreude knallen da am Morgen schon einmal die Korken in Form des zugepappten Verschlusses des Kettenwachses (white rain auf 10m² - aber was sage ich auch "drück mal feste drauf") oder aber in Form des pinkfarbenen unter Druck stehenden Dichtmilschgemischs beim Aufsetzen auf das Tubeless-Ventil. - Gefühlt knallen die Korken jedoch den ganzen Tag: 1km vor dem Sía-Pass durchbrechen wir das Wolkenmeer und sind...ganz oben - Königlich! Doch der nächste Streich wartet schon: Die grüne Wand in Form der Nordseite des Puerto de Estacas de Trueba. Grüner geht´s nimmer - auch nicht in Irland. Euphorisch werden die Regenjacken am food truck in selbigen geschmissen - und schon hat uns im "Muffins-Pass" (Puerto de la Matalena/Magdalena - der einzige in ganz Spanien mit 4 verschiedenen Passchildern verteilt auf 5km) wieder das Wolkenmeer ereilt. Im dichten Nebel sind wir froh, nicht den Kuhslalom machen zu müssen, denn die Viecher dümpeln allesamt ausnahmsweise mal nicht auf der Straße. Und schon fliegen wir am Ebro-Stausee vorbei (nur sehen wir ihn nicht bei all der Kreiselei im Seitenwind). Applaus brandet auf, als die Meute die Fußgängerzone von Reinosa durchquert. Jetzt nur noch so ein fieser 3%er und schon sind wir in Soto, wahlweise am Pool oder der Bar. Frage des Tages: Is it real? Could it be better?
Antwort des heutigen Tages: Natürlich geht es immer noch besser! Mit Hingabe widmen wir uns heute der grünen Trilogie über die der geneigten Rennradgemeinde völlig unbekannten Hügel Carmona, Ozalba, und Hoz. Während über einigen von uns die riesigen Bartgeier kreisen, bekommen andere ein Ständchen bzw. Sängerwettstreit von sicherlich schon leicht "sidrierten" (von sidra = spanish äbbelwoi) älteren Herren im Dorfkrug. Ich selbst kann mich gerade noch aus der Affäre ziehen und muss mit dem Verweis, dies erst ab einer Steigung von 15% zu tun, heute nichts Spanisches singen. Glück gehabt ;-). Zum Kulturteil des Tages gehört natürlich auch, dass wir an der Pause sobaos naschen und gerüchtehalber am Abend uns auch selbst in der traditionellen sidra-Einschenkmethode üben (allerdings schaffen wir es nicht havariefrei, aus einem Meter Höhe ins Glas einzuschenken).
Doch zurück zum Tagesgeschäft: Wir wollen alle Münder offen stehen sehen und tauchen ab in die Deva-Schlucht - gefühlt sind wir nun im Marianengraben. Must have in Cantabria! Und weil der Hals nie voll genug ist, hängen viele von uns noch die Extra-Tour zur Quelle eben jenes Flusses an. Rollt zwar bergauf nicht so sanft, wie meine schüttere Erinnerung mir sagte, aber mit diesem Versprechen bekommen wir eine erkleckliche Zahl an Helden auf die Runde. Kurzes Siegergetränk im bombastischen Talkessel von Fuente De und hinab zurück nach Potes (der Titel KOV - King of Valley für ausuferndes Bergabrasen auf smarten 5% ist uns sicher!)
...und noch mehr Lebensfreude: Die eigentliche Herausforderung des Tages lauert im rustikalen Restaurant am Abend: Cocido liebanés: Fleischeslust en masse mit dicken Bohnen und Co. Alle sollen satt geworden sein - so sagt man. Einige fragen verschämt, ob man aus den Schwartenstücken oder auch der Blutwurst nicht auch Energie-Riegel herstellen könnte. Natürlich - aber sie müssen "fancy" eingepackt und betitelt werden: Wir einigen uns auf eine rosa Verpackung mit Titel "pink power" - somit sollten wir der morgigen Etappe in den Himmel über den San Glorio ganz nah zu den Picos de Europa nun wirklich gewachsen sein!
...und das war der offizielle Plan:
Bereits hier haben wir uns auf unserer Erkundungstour hoffnungslos verliebt: Berge in der Einsamkeit. Und das bei bestem Wetter. Sidra in den Bars. Sanft rollen wir aus der Hochebene auf den Palomberas-Pass, bevor es gefühlt ewig bergab geht bis Sopena. Es folgt die "Grüne Trilogie" aus Carmona, Ozalba und Hoz. Allesamt "nur" Vorpässe in den Hügeln rund um die Picos de Europa. Diese prangen heute schon am Horizont, sind uns aber noch egal, denn unser Augenmerk richtet sich auf die Deva-Schlucht, der wir bis ins charmante Potes folgen. Hier brummt zwar für asturisch-kantabrische Verhältnisse touristisch der Bär, aber es ist zum Glück nicht zu vergleichen mit dem täglichen Zirkus in den Dolomiten oder an manch Alpenpässen. Irgendwo (natürlich wissen wir schon genau wo) müssen wir uns heute noch eine dieser feisten Erbsen-Bohne-Linsen-Suppen ziehen - die Feuertaufe sozusagen, ob wir Nordspanien gewachsen sind...
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren