Von Irrer Läufer –
Und täglich grüßt das Murmeltier: Aus dem Augenwinkel sehe ich Herrn Perle, der kurz und matt die Hand zum Gruß hebt. Die Uhr zeigt 6:48, Zeit aus dem Bett zu hüpfen und das Tagwerk mit einem kräftigen Frühstück zu beginnen. Selbst der Präsi wundert sich über die Regenerationsfähigkeit seines Körpers und wirft zur Sicherheit jede Energiereserve, derer er ansichtig wird, in seinen Pansenreaktor. Er wird sie (die Energie) heute noch brauchen, geht es doch erstmal 40 km bei Regen aus dem Ötztal raus und dann über den Haiminger Berg und das Kühtai Richtung Innsbruck. Starten also im Regen in Sölden, nachdem wir erfahren haben, dass praktisch rundherum die Sonne scheint. Kann ja nicht schlechter werden. Naja, jedenfalls hab ich nach 10 km gleich mal eine Reifenpanne - zur Sicherheit tausch ich gleich Schlauch und Mantel, wer weiß. Rollen bei starkem (Gegen)Verkehr raus aus dem Tal, kein Wunder, soll ja heute sowohl jedermann bei der T-Mobile-Mountain-Challenge als auch die Deutschland-Tour auf den Rettenbach-Ferner pedalieren. Nehmen in einem Dorf am Weg noch Souvenirs für die Kinder auf, sollen ja alle was von diesem Ausflug haben. Auf die Abzweigung zum Kühtai in Ötz pfeifen wir, wir sind nämlich gescheit und fahren über den verkehrsarmen (kein Wunder!) Haiminger Berg über Ochsengarten auf den Kühtaisattel.
Endlich weist uns ein Schild "Haiminger Berg, Ochsengarten, Kühtai" den Weg. Vorsichtshalber schälen wir uns aus den dicken Regenkleidungsschichten, es scheint ja inzwischen die Sonne, außerdem dürfte es jetzt etwas bergauf gehen, was eventuell Schweiß verursachen könnte. Aber im quäldich ist ja nichts über eine harte Auffahrt gestanden, da kanns doch nicht so schlimm sein, oder? Es ist. Und zwar ein böser Alptraum mit Steigung nicht unter 12%, teilweise mit Spitzen bis 16 %. Kein, wirklich kein Flachstück zum Erholen. Es geht bergauf wie gestern nach Hochsölden, nur viel, viel länger. It never ends. Nach der Kurve ist vor der Kurve, immer in der Hoffnung, ein flacheres Teilstück zu sehen. Fehlanzeige. Nach der Passage einiger freilaufender Kühe und Pferde verfolgen mich auch noch Tausende von irren Fliegen, die einen umschwirren, ganz kirre machen und sich am Salz des Schweißes zu laben scheinen. Davonfahren kann man ihnen bei der Steigung natürlich auch nicht. Schaue zur Perle, dessen Kopf auch einen schwarzen Schleier hat. Bin beruhigt. Schwitze offensichtlich nicht soviel mehr als er, dass die apokalyptischen Fliegenbastarde nur mich als Opfer ansehen. Nachher wird auch der Präsi über die unartigen Fliegen schimpfen.
Komischerweise verlangt der Präsi, der ein gleichmäßiges Tempo von unten nach oben durchzieht, nie nach einer Pause. Erst ganz oben wirds auch ihm recht. Jausnen ein bißchen und wundern uns über die Taschentuchidylle im Tiroler Wald. Alles angeschissen hier. Aber dafür gehts endlich runter. Abfahrt ca. 200 hm nach Ochsengarten. Das tut den Beinen gut! Allerdings überschätzt man gerne die Wirkung von 200 fallenden Metern für den schlanken Radlerfuß, wenn vor einem das Kühtai liegt. Kurz noch geht es leicht steigend dahin, schon beginnen Rampen mit 15 % und mehr. Wahhhhhhhh! Wo sind wir da reingeraten? Das hätte doch der leichteste Tag werden sollen. Gestern 4. am Timmelsjoch und heute urzäh aufs Kühtai? Das kann ja wohl nicht sein. Stufenförmig geht es nach oben, sehr steil, etwas flacher, steiler, kaum flacher, sehr steil etc. Was ich nicht gewußt hab: wenn man am Stausee vorbeikommt, hat man es fast, wenn man den Ort Kühtai durchquert hat (eh schon flach), ganz geschafft. Wechseln uns an der Ortstafel mit einer anderen Radlergruppe beim Beweisfotografieren mit Ortschild und Seehöhenangabe ab. Ziehe mir wieder die Regenhaut (windundurchlässig!) über und werfe mich in die schnellste Abfahrt der Nordalpen. Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa! Bedingt durch die mangelnde Streckenkenntnis und den partiell schlechten Asphalt trau ich mich nicht sooo schnell, aber 80 km/h werden immerhin auch kurz erreicht.
Interessant, wie schnell 30 km Abfahrt vergehen, ab Kematen heißts wieder treten Richtung Innsbruck. Da merkt man jetzt, dass die Luft draußen ist, es fällt immer wieder jemand aus unserer kleinen Gruppe zurück, der Verkehr ist auch wieder erstarkt und überhaupt. Gewinnen Innsbruck, kaufen tüchtig Jause im Spar, deren Verzehr dem Herrn Perle im Businessabteil ein bißchen peinlich sein wird und radeln auf Umwegen zum Bahnhof. Noch schnell ein Sprung in die Lounge, ein schnelles Cola mit Gummibären, dem Präsi springt noch schnell ein Qualitätsmagazin ;-) aus dem Hause Fellner in den Rucksack ("wo kummt des jetzt her??") und ab gehts Richtung Bahnsteig. Ich bin jedenfalls nicht ganz unfroh, endlich nicht mehr selber fahren zu müssen, fläze mich ins Lederfauteuil und genieße die Vorzüge der ersten Klasse. Nachdem der Schaffner die Getränke serviert und die Zeitungen gebracht hat, gibt Herr Perle endlich das Jausenbuffet frei, hach, ist das ein Hauen und Stechen. Kaum satt, werden die Buben träge und dämmern der Ankunft entgegen. War ja auch ein anstrengender Urlaub.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren