Von majortom – In acht Etappen fahren wir vom Breisgau an die Côte d'Azur. Nachdem wir Schwarzwald und Jura durchquert haben, wartet mit der Bergankunft auf dem Col du Grand-Saint-Bernard das erste alpine Highlight. Anschließend folgen wir weitgehend der Route des Grandes Alpes und überqueren so prestigeträchtige Pässe der französischen Alpen wie Col de l'Iséran, Col du Galibier, Col d'Izoard und Cime de la Bonette.
Von Jan – Endlich fahre auch ich nach Nizza! Seit 2017 fahren wir Freiburg-Nizza, und noch nie hat es für mich geklappt. Also endlich 2021, und heute geht es endlich los. Schwarzwald, Jura, Bergankunft am Großen St. Bernhard, und dann runter die Route des Grandes Alpes bis zum Mittelmeer! Der Weg zum Mittelmeer führt uns zunächst über den Schauinsland, den Freiburger Hausberg. Einer der berühmtesten Schwarzwälder Anstiege braucht natürlich keine Einführung. Für uns ist es ein super Auftakt, denn hier kann jede und jeder sein Tempo finden, und die Gruppen 2a und 2b werden noch geringfügig umgruppiert. Das Wetter ist fantastisch, wir können über den Kaiserstuhl in die Vogesen schauen, auch wenn es etwas diesig ist. Oben sammeln wir uns an den Schauinsland-Loren und genießen den Feldbergblick. In rasanter Fahrt schießen wir hinab ins Große Wiesental. Marco lässt laufen, unbehelligt von den Motorradfahrern, die nicht an ihm vorbei kommen, kommt er unten an. Wir hängen hinter ihm im Motorenlärm. Auf der B317 herrscht einiges an Verkehr, zum Glück müssen wir ihr nur wenige Kilometer talabwärts folgen, bevor Isa uns in Wembach von der Straße winkt. Schlagartig lässt der Verkehr nach, und wir schrauben uns nach oben auf die Panoramastraße über Zimmerplatz und Gresgen. Hier haben wir Platz, kaum ein Auto verirrt sich hierher, und wir haben Zeit, uns über dieses und jenes zu unterhalten. Und die schönen Blicke zurück Richtung Feldberg und hinüber auf die andere Seite des Wiesentals zu genießen. So schön ist der Schwarzwald, und so wenig dunkel. Am Zimmerplatz müssen wir anhalten, so schön ist es hier, auch ohne Alpenblick, die heute hinter den Jurafalten im Dunst versteckt bleiben. Schon sind wir in Adelsberg, gleich darauf in Gresgen, und schon nach einer rasanten und technisch-steilen Abfahrt in Tegernau im kleinen Wiesental. Wie schon im großen Bruder müssen wir hier alle Optionen in den Wind schlagen, nach Süden soll es gehen, hinaus aus dem kleinen Wiesental, in Richtung Lörrach, das wir am Unterböllinger Berg erreichen. Rasant schießen wir hinab nach Weil am Rhein, wo schlimmster Samstag-Nachmittag-Verkehr tobt. Die ganze Schweiz ist hier, zum Einkaufen. Und zum Abschluss des stop-and-go-Abschnittes schließe ich dass kleine fehlende Stück bei meiner Grand-Tour-über-viele-Lebensjahre Flensburg-Barcelona. Das kleine Zwischenstück von Tegernau bis zur Dreiländerbrücke fehlt nicht mehr! Das Ballungszentrum Dreiländerregion erweist sich auf der anderen Rheinseite deutlich zahmer, und schon schieben wir uns im idyllischen Elsass auf die erste von drei Jurafalten zu, die wir bis Delemont noch wegdrücken müssen. Zwischen der zweiten (Lange Matten - sehr schön!) und der dritten (Movelier) fahren wir unendlich oft über die Grenze. Lena zählt abends 11 Willkommen-in-Frankreich-und-der-Schweiz-SMS. Hinter einer der Grenzen: ein Selecta-Automat, aus der ich gekühlte Cola ziehe. An einer Tankstelle! Lebensart neu interpretiert! Nun geht es noch hoch nach Movelier und in rasender Fahrt hinab nach Delemont! Ein gelungener Auftakt mit einer tollen Gruppe! Danke an Isa, Kristin, Lena, Jesse, Marco, Matthias und Sven, und kurz auch an Christoph, den wir an Schauinsland an Gruppe 2a verloren. Schön war's! So kann es weiter gehen!
Noch ist Nizza weit weg... Wir starten in der hübschen Universitätsstadt Freiburg am Rande des Schwarzwalds. Und wir starten mit dem Hausberg Freiburgs, gleichzeitig dem wohl bekanntesten Anstieg des Schwarzwalds, dem Schauinsland. Dieser hat mit etwa 1000 Höhenmetern zwar quasi-alpine Ausmaße, ist aber nicht so schwer und sollte sich in der Morgeneuphorie gut wegdrücken lassen. Wir genießen die Panoramastraße zum Notschrei mit tollen Ausblicken auf das Feldbergmassiv. Die Abfahrt führt uns nach Todtnau im Wiesental, dem wir einige Kilometer folgen, bevor wir über eine wunderschöne, einsame Nebenstrecke nach Tegernau ins kleine Wiesental wechseln. Dieses führt uns fast bis vor die Tore von Basel. Wir überqueren den Rhein und erreichen das Elsass. Zunächst flach, dann deutlich hügeliger fahren wir entlang der französisch-schweizerischen Grenze, die wir erst mit dem finalen Anstieg nach Movelier überqueren. Danach folgt nur noch die Abfahrt in den Zielort Delémont.
Von Jan – Vor zwei Tagen war die Wettervorhersage der heutigen Etappe bei Starkregen von früh bis spät. Gestern Abend konnte ich bei der Etappenansprache schon die Hoffnung auf nur noch Nieselregen verkünden, und tatsächlich flaut der nächtliche Weltuntergangsregen gegen 8 Uhr ab, und wir können sogar auf halbwegs trockenen Straßen losfahren. Das war schon deutlich mehr als zu hoffen war, und so starten wir frohen Mutes in den kühlen Morgen. Sofort verlassen wir Délemont und sofort sind wir auf schmalen Straßen durch einsame jurassische Landschaften unterwegs. Noch ist nichts los, und noch können wir ungehindert Zweierreihe fahren. Der erste Anstieg führt uns in die Schlucht des Pichoux, die sich ansehnlich in den Fels gegraben hat.
Wir haben uns etwas Zeit gelassen am Start, so dass wir hier einmal die entspannte Gruppe treffen, sehr nett! Hier ist die erste Passmarke so gut wie erobert, denn der weitere Anstieg Richtung Bellelay folgt vorrangig der Jura-Hochfläche nur leicht bergan. Oben befindet sich eine riesige, aber mittlerweile aufgelassene Klosteranlage und, für uns wichtiger, eine Baustelle, die mit tiefem Schotter und Lehm unsere Räder ordentlich eindreckt. Hier nimmt der Verkehr ordentlich zu, und wir wechseln lieber auf Einerreihe. Dennoch sind die Autofahrer irgendwie aggressiv, eins räumt beinahe die ganze Gruppe ab, als es uns die Vorfahrt nimmt. Erschreckend, und leider trüben diese Erlebnisse die ansonsten schönen Nebeleindrücke der Hochfläche.
Aber wir lassen uns nicht beirren und wechseln im Wind, als wären wir schon immer zusammen gefahren. Die Gruppe harmoniert wirklich toll, und alle übernehmen ihren Teil der Arbeit. Applaus für Isa, Lena, Kristin, Jesse, Marco, Matthias und Sven. In Mont-Tramelan biegen wir nochmals links ab, und endlich können wir den nächsten Anstieg angehen, die kurze Rampe zum Mont Crosin. Noch immer ist es trocken, langsam kommt Hoffnung auf, dass das vielleicht sogar so bleiben könnte. Oben werfen wir schnell eine Windweste über und stürzen und in die rasante Abfahrt. 2012 auf der Schweiz-Rundfahrt sind wir hier schon einmal runter gefahren, aber von damals habe ich nicht in Erinnerung, wie rasant diese Abfahrt ist. Klein machen und rollen lassen... Bremsen muss man fast gar nicht. Unten in St. Imier eingemeißeltes Grinsen allerorten.
So steil wir hinein fuhren, so steil geht es hinaus Richtung Col des Pontins. Marco möchte es heute wissen und stellt seine Leistung auf 300 Watt. Über einige Kehren gewinnen wir rasch an Höhe, erst durch Wiesen, dann durch Wald, und da hier außer treten eigentlich nichts ansteht, folge ich ihm. Sven sieht sein gruppeninternes Bergtrikot in Gefahr und steigt uns nach. Am Pontins fahren wir einfach weiter. Kurz darauf gibt mir der Abzweig nach links auf die Almstraße in Richtung Chasseral eine willkommene Gelegenheit, Marco ziehen zu lassen, denn schließlich hat Lena ja keinen Track, und ich kann mich somit auch mal nützlich machen, indem ich die Gruppe hier einweise. Kurz darauf fahre ich mit Kristin, Matthias und Isa im Gruppetto, was erstaunlicherweise weniger anstrengend ist.
Mittlerweile kommen wir der Wolkendecke immer näher - kontemplative Stille! Hier nimmt der Jura alpine Formen an. Die Passhöhe folgt unvermittelt nach einer Linkskurve, an Panorama eröffnet sich: nichts. Wolken und Alm soweit die Augen reichen. Aber nach der ersten Abfahrtskurve müssen alle anhalten, denn unten glitzern der Neuchâteler und der Bielersee in der Sonne um die Wette. "Und der Murtensee", ergänzt Kristin, die als Bernerin hier fast Lokalmatadorin ist. Wen stört da, dass wir die Alpen nicht sehen, wie damals, 2012, was ich noch wie heute weiß. Kalt ist es, windig ist es, aber immer noch trocken! Also reichen Windweste und Ärmlinge.
Kurz darauf ist es unten in Le Landeron 1100 Höhenmeter tiefer und gefühlt 20 Grad wärmer, es zahlt sich aus, dass wir die Mittagsverpflegung von der Passhöhe nach unten an den Canal de la Thielle verlegt haben. Auf der Satellitenansicht der Fernerkundung war aber der riesige Kiesberg nicht verzeichnet, der das Platzangebot bei Norberts wie gestern formidabel ausgestatteten Verpflegung etwas beengt. Folgerichtig ergreift Gruppe 1 die Flucht bei unserer Ankunft. Nun sind die Highlights der Etappe im Kasten, jetzt müssen wir nur noch nach Bulle, 60 km im Zwischenteil leicht ansteigend. Das klingt machbar, aber das Briefing warnt vor dem kackwelligen Schlussteil.
Um Viertel vor drei sind wir kurz vor Grancourt, als sich vor uns eine dunkle Gewitterwand aufbaut. Das Regenradar zeigt einen Gewitterriegel genau zwischen uns und Bulle, und so kehren wir nach kurzer Recherche zwei Kilometer später in das Café l'Union in Grancourt ein. Die Zelle soll sich bitte vor uns abregnen, und die 41 km werden wir vor dem Abendessen schon noch wegdrücken. Das ist sehr kurzweilig, und schon bald gibt es keine Ausrede mehr am Himmel, länger zu verweilen. Im Folgenden steigt die Straße 300 Höhenmeter auf 10 Kilometern, tatsächlich mit Anstiegscharakter, was ich nicht erwartet hätte.
Jubel brandet auf in der anschließenden Abfahrt: majestätisch thront Romont auf einer Kuppe unter uns! Jetzt sind sogar die Straßen wieder trocken! Routiniert drücken wir die letzten zwanzig Kilometer nach Bulle! Yeah! Und morgen wartet der Große Sankt Bernhard!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Ein paar Flachkilometer zum Auftakt, dann geht es in den Jura hinein, jenes zerklüftete Mittelgebirge, wo es über die Jurafalten hinweg ständig auf und ab geht. Der Jura empfängt uns mit der wildromantischen Pichoux-Schlucht, dann haben wir die hügelige Hochfläche erreicht. Unser Weg führt uns weiter nach Süden, und mit dem Col du Mont Crosin und dem Col de Chasseral folgen die Pässe nun Schlag auf Schlag. Insbesondere der Chasseral weiß mit grandioser Landschaft zu gefallen, und der Blick von der Passhöhe in Richtung Alpen kann bei schönem Wetter absolut atemberaubend sein. Die östlichste Jurafalte fällt steil ins Schweizer Mittelland ab, und so haben wir eine lange Abfahrt in Richtung des Bieler und des Neuenburger Sees vor uns. Auf der zweiten Etappenhälfte ist das Profil zunächst flach, wir fahren entlang des Lac de Neuchâtel. Am Schluss geht es jedoch schon in Richtung der Voralpen, und auf welligem bis hügeligem Terrain ist einiges an Durchhaltevermögen gefragt. Die Etappe endet in Bulle im Kanton Fribourg.
Von Jan – Als Tom und ich uns 2016 Freiburg-Nizza ausdachten, spielte der Große Sankt Bernhard eine wichtige Rolle in den Überlegungen. Eine Bergankunft auf dem Alpenpass mit dem größten Anstieg, eine Übernachtung im Hospiz bei den Bernhardinern, das sollte es sein! Für mich umso attraktiver, als ich den Pass bis dato noch nicht gefahren war (und bis heute immer noch nicht bin) – die gröbste Scharte, die es noch auszuwetzen galt und gilt.
Damals kann ich noch nicht ganz einschätzen, was an den Horrorszenarien dran ist, die von Lebensgefahr! in den Galerien und Tunnels unterhalb des Tunnelportals auf der Martigny-Seite berichten. Tom kann es einschätzen, und natürlich hatten wir dort nie Probleme auf unseren Reisen.
Dass es noch ganze 5 Jahre dauern sollte, bis ich Freiburg-Nizza endlich mal selber leiten könnte, hätte ich damals nicht erwartet. Seit unserer quäldich-internenWestschweiz-Tour 2008 steht auch der Anstieg zum Lac de l'Hongrin auf meiner Todoliste. Umso größer heute morgen meine Vorfreude, beide mit einer Etappe kombinieren zu können...
Dennys Achillessehne bereitet ihm Sorge, so dass er heute Norbert im Begleitfahrzeug Gesellschaft leistet. Damit steht er in guter Tradition von Rainer, der im letzten Jahr wegen Knieproblemen auf dieser Etappe Norberts Beifahrer war. Ich bin somit heute in Gruppe 3 im Einsatz und komme mal wieder in den Genuss, Rüdiger und Brigitte zu guiden, die nach letztem Jahr schon ihre zweite Freiburg-Nizza-Tour bestreiten, und auch schon zum zweiten Mal auf den Col du Grand St. Bernard fahren – nach der Regenetappe bei der Mont-Blanc-Umrundung im letzten Jahr. Sie haben mir also einiges voraus. Auch Oliver hatte ich schon in meiner Gruppe 4 von Basel-Barcelona. Olaf, Sigi, Stephan und Stephan komplettieren die Truppe, die bestgelaunt um 8.30 Uhr in Bulle startet. Bei bestem Wetter, und so soll es heute den ganzen Tag bleiben.
Mein Einstand ist nicht so glücklich, ich lege mich erstmal noch in Bulle mit einem BMW-Fahrer an, der uns ausbremst und auf die Piste cylable, piste cyclable! drängen will. Ich kenne das Konzept, solche Idioten am Besten zu ignorieren, aber es will heute nicht angewendet werden. Etwas peinlich, aber Stephan aus Marienfelde fühlt sich immerhin "fast wie zuhause"!
Auch auf den nächsten 16 Kilometern über die Hauptstraßen des Gruyères machen die Schweizer Autofahrer ihrem Ruf keine Ehre, aber immerhin weiß sich der Neuköllner Asi fortan zu benehmen. Danach nimmt der Verkehr glücklicherweise schlagartig ab, als wir auf den Almweg in Richtung Lac de l'Hongrin einbiegen. Wunderschön! Heidiland pur, ich fühle mich an den Mittelberg (Schweiz) erinnert. Die angekündigten Naturstraßenpassagen gibt es nicht mehr, längere Abschnitte wurden in diesem Jahr neu asphaltiert, nur noch ein kleiner Teil weist einen grenzwertigen Asphaltbelag auf. Bei Erreichen der Staumauer werden schlagartig Handys und Kameras gezückt. Glitzernder See vor Heidialmen und Felsgraten. Wow! Besonders schön ist, dass hier alle Gruppen zusammen sind. Unser Vorsprung ist aufgeschmolzen, und so bekomme ich alle Gruppen vor die Linse.
Am Panzerschrott der Schweizer Armee sammeln wir die Gruppe und biegen auf den Col des Mosses ein. Der ist schnell weg gesnackt. Sanfter Anstieg in schöner Landschaft, und eine Hammer-Abfahrt. Hinter der Gruppenleichtesten mangels Schubmasse nicht schnell, aber dennoch toll! In Aigle folgen wir dem Balades des Fontaines zunächst zu Station 21, wo wir unsere Trinkflaschen auffüllen. Danach folgen wir Toms Track, der kunstvoll in mehreren Schlaufen durch die Innenstadt zirkelt, um möglichst viele Trinkwasserbrunnen einzusammeln. Wir ignorieren allerdings diesen Versuch, uns die Trinkwasserhistorie von Aigle näher zu bringen und kürzen gekonnt in Richtung Rhône ab. Der Rhône-Radweg fährt sich hier unten richtig klasse, es ist an diesem Montagnachmittag nichts los, und trotz einiger Haken und Ösen erreichen wir, mittlerweile allerdings nach 90 km und 900 Höhenmetern recht angezählt, komplikationslos Martigny.
Norberts Picknick am Picknickplatz wird ausgedehnt genossen, das Wasser von Martigny steht am örtlichen Brunnen dem von Aigle in nichts nach, und schon kann man sie nicht mehr länger vor uns her schieben, die längste Passanfahrt der gesamten Alpen (den Colle del Nivolet zähle ich hier mal nicht als Pass, also schränke ich lieber auf den Club 2K ein). Der Verkehr steht schon in starkem Kontrast zur bisherigen Etappe. Ein PKW nach dem anderen rauscht an uns vorbei, auch LKW um LKW strebt gen Tunnelportal. Das Verhalten der Verkehrsteilnehmer ist aber unauffällig bis vorbildlich, so dass wir stetig und unbeirrt Strecke und Höhe gewinnen. Bis Sembrancher zieht es noch mehr als gemächlich hin, nach dem Verbier-Abzweig pendelt sich die Steigung bei 5-6 % ein. Das reicht nicht für rasante Steigleistungen, und in den ersten beiden Aufstiegsstunden schwinden die Kilometer schneller als die Höhenmeter. Orsières liegt hinter uns, als wir die ersten beiden weiten Kehren durchfahren. Oberhalb können wir Champex-Lac erkennen, und den Col de Champex, den wir Heute dann doch lieber ausgelassen haben. Die Hauptstraße erscheint uns doch attraktiver als zusätzliche 500 Höhenmeter. Fontaines Dessous liegt hinter uns, und hinter Rive-Haute auch erst die zweite Doppelkehre. Noch mehr als 1200 Höhenmeter, und wir gehen erstmals aus dem Pedal um den Oberschenkeln etwas Erholung zu gönnen. Die erste Galerie können und müssen Radfahrer noch umfahren, aber hinter Bourg-Saint-Pierre wird es ernst, wir müssen in die berüchtigten Galerien. Rüdiger kommt der rettende Einfall, hier noch eine kalte Cola zu trinken. Passend steht auch Sigi bereit (Stephan und Oliver sind längst Richtung Passhöhe enteilt), und alle bringen ihr zentrales Nervensystem zurück auf Betriebstemperatur.
Dann geht es in die fünf Kilometer lange Galerie, über die wahre Horrorgeschichten kursieren. In unserem Fall: vielleicht zwei knappe Überholmanöver, aber die Galerien sind gut (meist durch Tageslicht) beleuchtet, und als Tunnel verläuft maximal ein Kilometer. Insgesamt viel Lärm um nichts, und der Große Sankt Bernhard ist somit problemlos zu fahren, zumindest an einem Montag zugegebenermaßen recht spät abends. Sicherlich nicht mein Lieblingspass, aber dennoch Pflicht für jedes gut gefüllte Palmares. Ich komme gerne wieder! Dennoch sind wir alle erleichtert, als wir die Galerien verlassen und auf die Passstraße wechseln. Schlagartig ebbt der Verkehr ab, die Szenerie nimmt uns ganz in ihren Bann, in tranceähnlichen Zuständen pedalieren wir dem nur noch 6,5 km entfernten Ziel entgegen.
Um 18.15 Uhr werden wir da sein, wir haben keinerlei Zeitdruck, der halbstündig nach vorne versetzte Aufbruch war gold richtig. Halb zog es uns, halb sanken wir hin – ich für meinen Teil habe diesen letzten Abschnitt sehr genossen. Was für ein unbeschreibliches Gefühl, letztlich das Hospiz am Passeinschnitt auftauchen zu sehen. Endlich oben! Endlich am Großen Sankt Bernhard!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Fast bis nach Italien geht es auf der dritten Etappe. Nach dem Etappenstart in Bulle geht es zunächst durch das Gruyère, der Heimat des vermutlich zweitbekanntesten Schweizer Käses (nach dem Emmentaler). Auf einer herrlich einsamen, abenteuerlichen Nebenstrecke entlang des Hongrin-Stausees steuern wir den Col des Mosses an und haben die Waadtländer Voralpen erreicht. Eine lange Abfahrt führt uns nach Aigle im Rhonetal, wo einige Flachkilometer auf uns warten. Zu sehr sollten wir im Flachen jedoch nicht auf die Tube drücken, denn der Schlussanstieg wird uns heute alles abverlangen. Ab Martigny geht es hinauf zum Col du Grand Saint Bernard, 45 km und 2000 Hm bergauf. Es handelt sich um den wohl höhenmeterreichsten Pass der Alpen. Bis zum Nordportal des Tunnels müssen wir uns die gut ausgebaute Straße zwar noch mit vielen motorisierten Verkehrsteilnehmern teilen, dafür gehört das felsige Schlussstück zu den schönsten Eindrücken, die die Alpen zu bieten haben. Die Etappe ist am Pass zuende - wir übernachten heute auf 2473 m Höhe. Sicher ein eindrückliches Erlebnis, wenn die Sonne untergeht, die Sterne herauskommen, und man die Lichter weit unten im Tal nur noch erahnen kann...
Von Jan – Tom wirft in der Regel nicht so inflationär mit Superlativen um sich wie ich. Wenn er diese Etappe also "Fantastische Route des Salasse" nennt, wird er seinen Grund haben. Ich bin sehr gespannt, weil ich sie noch nicht kenne. Über die Route umfahren wir den ersten Teil des Aostatals bis zur Mittagspause in Morgex. Mit dem Colle San Carlo kann man von dort den zweiten Teil bis La Thuile überbrücken. Den kenne ich auch noch nicht, aber der ist nicht in der Regelplanung dieser Etappe enthalten. Er ist nichtmal in einer Verlängerungsoption dieser Etappe enthalten, und das völlig zurecht, weil die letzten drei Etappen sehr hart waren, vor allem die gestrige. So ganz abgeschrieben habe ich die Befahrung aber dennoch noch nicht, und wir können uns an der Mittagspause in Morgex entscheiden, je nach Wetter, Beinen und Guidebedarf. Ich bin entspannt, mein Egotrip kommt übermorgen.
Die Etappe beginnt aber erstmal mit einer rauschenden Abfahrt. 55er-Schnitt bis zum Kleidungsabwurfplatz in Étroubles, den Denny gestern kompetent fernerkundet hat, und der für diesen Zweck wie geschaffen ist, liegt er doch genau in einer engen Kehre, für die wir eh abbremsen müssen. Natürlich fahren dennoch einige im Abfahrtsrausch vorbei.
Kurz darauf biegen wir rechts auf die Route des Salasses ab. Ich bin heute mal in Gruppe 1 unterwegs, weil es Isa in ihrer Gruppe 2 ohne mich besser gefällt ;) das erste Steilstück drücke ich mit den schnellen Jungs, Christoph, Markus und Werner. Gunnar findet es auch doof, dass ich in seiner Gruppe bin, weil die Schlachtfeste bisher ausblieben und er Angst hat, dass wir gleich eins ausschreiben. Machen wir aber gar nicht, und die zweite Stufe fahre ich dann ganz brav mit Gunnar im Gruppetto, das ist eh angenehmer. Und ich kann hier auch die Blicke hinunter ins Aostatal und auf die Bergwelt der anderen Talseite viel besser genießen. Fantastisch, da hat Tom nicht untertrieben. Mehrfach müssen wir anhalten. Werner sieht hier gar den bisherigen Höhepunkt unserer Reise. Leider habe ich am Hochpunkt nicht genug Netz um mich zu orientieren. Ich weiß nicht, wo das Valsavarenche rein geht, und später in Morgex sehe ich, dass das genau gegenüber war. Mir gefällt die Verbindung zum Nivolet, auch wenn ich die Wanderung bisher nicht für mich auf dem Schirm habe.
Eine rauschende Abfahrt später stehen wir an der Brücke über die Dora Baltea, und schon wieder ertönt die Motivklingel. Gerade schon im schönen Ort Avise, jetzt für das azurblaue Gumpenwasser unter uns.
Gunnar glaubt, im folgenden leicht ansteigenden Talstück sein fehlendes Abfahrtstempo kompensieren zu müssen und leitet mit einem Windsolo den mit Abstand anstrengendsten Tagesabschnitt ein. Drei Kilometer vor Morgex (Mont-Blanc-Blick und Wasserfallblick auf dem Weg dorthin) erbitte ich Gnade, und ich darf für das Schlussstück die Führung übernehmen, bei ca halbiertem Tempo.
Norbert gefällt es auch nicht, als ich ihn am Mittagspausenplatz begrüße. Niemand will mich heute. Zum Glück hatte ich eine glückliche Kindheit, und ich erinnere mich, anstatt in Depression zu verfallen, an gigis Empfehlung, in Morgex ins da Beppo einzukehren. Er meinte natürlich zum Mittagessen, aber so gekränkt bin ich nun nicht, dass ich Norberts Mittagsbuffett nun ganz ausschlage. Aber um ihm etwas Zeit für den Aufbau zu gönnen, gönnen wir uns ebendort einen caffè doppio. Und keine Angst, natürlich haben wir Norbert Hilfe angeboten, aber mal ehrlich... keiner hier kann das besser als er, und wir sind im caffè trinken auch einfach besser als im Mittagsbuffet aufbauen.
Als wir eine halbe Stunde später wiederkommen, ist Gruppe 2 schon eifrig am mampfen, und Norbert freut sich nun auch, mich zu sehen. Alle wieder versöhnt, wie schön! Auch Gruppe 3 kommt, und Denny gibt mir die Freigabe für den San Carlo. Das Wetter sieht auch noch gut aus, also wagen Christoph und ich uns an den Colle San Carlo. 1000 Höhenmeter auf 10,6 km – eine ehrliche Sache. Die Blicke halten sich wie bekannt in Grenzen, unsere Steigleistung ist zumeist um die 1000 Hm/h, und somit stehen wir ziemlich genau eine Stunde später am Passschild. Schönes Ding! Die Stichstraße zum Tête d'Arpy, wie von artie_1970 empfohlen, muss ich heute auslassen. Die Wolken würden den Mont Blanc sicher verdecken, und immer dickere, dunkle Wolken bauen sich über dem Aostatal auf. Nichts wie weiter. Nach einer rasanten Abfahrt trinken wir in La Thuile eine Druckbetankungscola und eilen dem Kleinen Sankt Bernhard zu. Christoph macht Druck wie vorher. Das wird mir zu viel, ich lasse ihn ziehen. Dieser Pass könnte unterschiedlicher kaum sein im Vergleich zum San Carlo. Die Steigung liegt immer zwischen 5 und 6 Prozent, nur die abschließenden Kehren sind mit 9 % etwas steiler. Schön ist es auch, offene Almen und freie Blicke statt Wald! Nördlich dräuen die Gewitterwolken, auch östlich Richtung Bourg St Maurice sieht es nass aus. Also weiter, weiter! Den Gruppenkopf von Gruppe 3 in Form von Rüdiger, Sigi und Oliver sehen wir noch vor der Passhöhe, aber von Gruppe 2 ist nichts zu sehen, ich vermute sie vor uns. Also weiter. Auch am Passschild nur Christoph. Ein schnelles Selfie und hinunter in die Abfahrt, die im oberen Teil mit Pylonen auf der Mittellinie bestückt ist. Sehr irritierend. Die Straße ist nass, vor uns scheint es hier geregnet zu haben. Die Falllinie in Richtung Bourg St-Maurice erscheint trocken, wir sehen die Stadt weit unter uns in der Nachmittagssonne. Es könnte genau aufgehen, und wir lassen es laufen. 1000 m vor dem Ziel fallen dicke Tropfen. Als Christoph und ich das Rad im Radraum abstellen, können wir unser Glück kaum fassen. Aber nur Gruppe 1 ist da. Wo ist Gruppe 2? Im Hagel hinter uns. Völlig durchgefroren erreichen sie das rettende Hotel. Auch Gruppe 3 wird nass, ohne Hagel. Aber alle sind gesund angekommen und freuen sich auf die heiße Dusche! Ich bin gespannt, wie danach die Meinung zu der Etappe ausfällt. Ich fand sie toll!
Nach der schweren Bergankunft gestern ist die heutige Etappe deutlich leichter. Sie ist zwar lang, aber die ersten etwa 25 km sind rauschende Abfahrt - am frühen Morgen natürlich entsprechend warm angezogen. Allzu unaufmerksam sollte man allerdings nicht ins Tal jagen, denn sonst verpasst man den Abzweig auf die Route des Salasses, die oberhalb des Aostatals am Hang entlang führt und uns einige Kilometer auf der viel befahrenen Hauptstraße erspart. Und zudem noch hübsche Ausblicke auf die umliegende Bergwelt serviert. Ein Stück Hauptstraße bis Pré-Saint-Didier bleibt uns dann jedoch nicht erspart. Ab hier allerdings geht es wieder in die Berge, der kleine Bruder des Grand Saint Bernard steht auf dem Programm. Auch der Col du Petit Saint Bernard ist lang, und man muss sich die Kräfte gut einteilen, dafür hat man von oben einen der schönsten Blicke auf den Montblanc. Die Abfahrt vom Pass führt uns bis ins savoyardische Seez, oberhalb von Bourg-Saint-Maurice gelegen, wo wir die Nacht verbringen.
Von Jan – Vor 23 Jahren, am 6.8.1998, war der Col de l'Iseran mein erster 2000er-Alpenpass, und seitdem bin ich nicht mehr von Bourg St Maurice hoch gefahren. Entsprechend gespannt bin ich, meine Erinnerungen sind allenfalls schemenhaft. Heute schließe ich mich wieder Isas Gruppe an. Sven und Jesse sind heute morgen im Schongang unterwegs. Das passt mir gut, schließlich habe ich gestern Abend einen Ruhetag ausgerufen, und die gestern geschundenen Beine können ein lockeres Einrollen gut verkraften.
Die erste Welle über Montvalezan ist schnell weg gedrückt. Krass, schon 400 Höhenmeter im Kasten, die aber gleich wieder verbrannt werden, denn erst 350 Höhenmeter tiefer treffen wir auf die Iseran-Passstraße. Hier gibt's noch einiges an Verkehr, aber er stört nicht wirklich. Meist können wir nebeneinander fahren und reden. Schon sehen wir vor uns die Staumauer des Lac de Cevril, an der die unangenehmen Galerien am Stausee entlang beginnen. Die sind mittlerweile gut beleuchtet, eine Baustelle war nur im Bereich darunter, und schon sind wir in Val d'Isère auf 1850 m Höhe. Wir checken in die Patisserie Maison Chevallot Val d'Isère "Les Clarines" ein, wo wir köstliche Törtchen und Quiches zu gutem Kaffee konsumieren. Wir sitzen in der Sonne und genießen. Urlaub!
Nun sind es nur noch 950 Höhenmeter auf 16,5 Kilometern. Der Wind weht günstig von hinten, er bläst uns geradezu Richtung Pass. Die Bergwelt hinter Val d'Isère ist fantastisch, wir fahren in ein regelrechtes Felsatrium hinein. Tief hinten im Tal erreichen wir die erste Kehre. Sven hat gestern recherchiert, dass man von hier zum Lago Serru innerhalb vom Nivolet wandern kann. Die Passhöhe vom Nivolet ist ja nur ca zwanzig Kilometer Luftlinie von der des Iseran entfernt! Tatsächlich finden wir hier die Wandertafel "Lago Serru 5h" - das mache ich irgendwann zu Fuß! Nun ist uns die Gruppe enteilt, und wir müssen uns ordentlich sputen. Als wir Lena wieder einholen, bleibe ich bei ihr, und wir fahren den Rest zusammen. Sogar als ich zwei Holländern beim Beheben ihres Plattens helfe, wartet Lena. Vermutlich will sie dem Eindruck entgegen wirken, ich sei nicht willkommen in Gruppe 2. Danke, Lena!
Dass der Col de l'Iseran so schön ist, hatte ich in den letzten 23 Jahren vergessen.
Oben machen wir das erste Passschildbild der Reise, dann rumpeln wir runter nach Bonneval-sur-Arc. Diese Seite könnten sie mal neu asphaltieren. Es ist schon frisch im Ort, und wir fahren lieber weiter. Auf der Hochebene bis zum Col de la Madeleine kämpfen wir uns gegen den Wind, und wir beenden die Etappe mit einer rauschenden Abfahrt. "Es wird jeden Tag schöner", sagt Isa. Finde ich auch.
Und darauf schmeißt Alexander eine Runde Chartreuse!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Nur ein Pass steht heute wiederum auf dem Programm, aber der hat es so richtig in sich, handelt es sich doch beim Col de l'Iséran um den höchsten echten Alpenpass. Die Cime de la Bonette, die uns am letzten Tag erwartet, ist zwar nochmal ein paar Meter höher, aber sie ist eben kein echter Pass, und der Superlativ gebührt dem Iséran. Und man spürt auch irgendwie, dass dieser Pass etwas besonderes ist - während man auf anderen Pässen immer noch von höheren Bergen umgeben ist, wähnt man sich hier mit ihnen auf Augenhöhe. Auf einen langen Anstieg folgt eine lange Abfahrt, zunächst nach Bonneval-sur-Arc und dann dem Arc-Tal entlang bis nach Lanslebourg.
Wer am Ende der vergleichsweise kurzen Etappe noch überschüssige Energie hat, kann noch auf den Col du Mont Cenis fahren und nochmal nach Italien hinunter winken.
Von majortom – Die Etappe beginnt mit gemütlichem Einrollen die Maurienne hinab. Bis Saint-Michel-de-Maurienne haben wir dann ein stärker befahrenes Stück vor uns, können auf der leicht abfallenden Strecke aber hoffentlich ein hohes Tempo treten. Dann geht es als Vorgeschmack auf den Galibier hinauf auf den Col du Télégraphe – der jedoch nicht nur Vorgeplänkel ist, sondern auch landschaftlich zu gefallen weiß. Eine kurze Abfahrt in den Skiort Valloire, und dann wartet der Galibier auf uns. Hier ist Ausdauer und Zähigkeit gefragt, aber die grandiose Alpenkulisse und die Vorfreude auf ein herrliches Alpenpanorama an der Passhöhe sollte schon für ordentlich Motivation sorgen. Vom Galibier geht es dann zunächst bergab auf den Col du Lautaret, den wir sozusagen im Vorbeifliegen mitnehmen. Eine langgezogene Abfahrt später erreichen wir den Etappenort La-Salle-les-Alpes.
Von Jan – Gestern Abend hatte ich bei der Etappenansprache betont, dass mit der heutigen Etappe wohl letztlich die Spannungskurve nicht mehr weiter aufgebaut werden könnte. Die bisherigen Etappen waren immer eine noch besser als die andere gewesen, das würde wohl heute nicht mehr möglich sein.
Zunächst geht es auf den Col d'Izoard, der mich noch nie recht begeistert hat, auch wenn alle davon schwärmen. Danach durch die spektakuläre Guil-Schlucht nach Guillestre zu Norberts schon vorletzter Verpflegung (unglaublich), und dann in den Col de Vars, der als des hässliche Entlein der Route des Grandes Alpes verschrien ist. Völlig zu Unrecht, wie ich mich erst letztes Jahr auf der Seealpenreise überzeugen konnte.
Der Tag beginnt mit einer Suchaktion für gigi am Kreisverkehr in Briançon, der dort vor einigen Tagen seinen Handschuh hat liegen lassen. Es hätte ja sein können, dass wir ihn finden, und die ganze Gruppe hat eifrig mitgesucht. Leider nichts zu finden, gigi!
Nun geht es in den Col d'Izoard. Schlagartig lassen wir den morgentlichen Berufsverkehr Briançons hinter uns und tauchen in die Stille der Passstraße ein. Kaum Autos stören uns!
In Cervières biegt die Passstraße nach Süden ab, und bald tauchen wir in den kühlen Kiefernwald ein, in dem wir uns Kehre um Kehre nach oben schrauben. Schön ist es hier, unaufgeregt schön. Der Wald wird lichter, bald tauchen wir in den Almenbereich ein, in dem sich die Passstraße am Refuge Napoléon vorbei in weiten Kehren nach oben windet. Im Westen überragen die Grate des Crêtes des Granges die Szenerie, im Norden ragt eine massive Schuttwand in den Himmel, über der kaum noch Fels zur weiteren Erosion vorhanden ist. Dazwischen wir auf einem makellosen Asphaltband unter blauem Himmel. Richtig schön, viel schöner finde ich diese Seite als die berühmte Südseite über die Casse déserte.
Oben ist es warm, es weht kaum ein Lüftchen, wir machen Bilder und lassen uns Zeit, bevor wir usn in die rauschende Abfahrt stürzen. Hochgeschwindigkeitspassage am Ende der Kehren, dann passieren wir gerade gemütlich das Izoard-Dörfchen Arvieux, als zwei Tieffflieger gefühlte 50 Meter über dem Boden über uns hinwegdonnern.
Am Abzweig in Richtung Agnel sammeln wir uns, aber von unserer Gruppe fährt keiner links, wie Christoph zuvor aus Gruppe 1. Wir wenden uns nach rechts und kämpfen uns die Guil hinab gegen den Wind Richtung Guil-Schlucht, über der wir nochmals für 3 km leicht ansteigen. Tolle Ausblicke tief hinab in die Schlucht, die sich die Guil hier in den Sandstein gefressen hat.
Am Kreisverkehr wartet Norbert mit der Verpflegung. Vor ungefähr vier Wochen hat uns hier noch Natascha bei der Dauphiné-Rundfahrt verpflegt. Diesmal aber verlassen wir den Kreisverkehr in Richtung Süden, in Richtung Col de Vars, wo ich letztes Jahr bei den Monumenten der Südalpen schon ein Shooting mit Mark, Martin und Thomas veranstaltet habe. Heute fotografiere ich Isa, Lena und Kristin, bis Isa die Lust vergeht und die Flucht nach vorn antritt. Danke auch an Sven! Du hast die Rolle des müde abgeschlagenen Quotenmannes gekonnt ausgefüllt.
Nach der Durchfahrung der diversen Ortsteile von Vars wird es zäh. Isa und Kristin sind enteilt, und ich sage Lena, dass sie zufahren soll. Ich bin ziemlich fertig. Netterweise bleibt sie aber bei mir, und ziemlich abgekämpft erreiche ich den Col de Vars, wo auch die komplette Gruppe 1 noch in der Sonne sitzt. Zwei Tonics und eine Cola später kehren auch in meine müden Glieder langsam die Lebensgeister zurück.
Ewig sitzen wir in der Sonne und genießen den fehlenden Zeitdruck.
Als Christoph von seinem Agnel-Ausflug die Passhöhe erreicht, machen wir uns gerade fertig zur Abfahrt. Rauschend fallen wir gen Tal. Von hier muss ich auch nochmal auf den Vars fahren, da gebe ich gigi Recht!
Wir sammeln uns am Abzweig zum Col de Larche und drücken die letzten 8 km konzentriert weg.
Nun ist auch die vorletzte Etappe beendet. Wieder eine tolle Etappe, die meine eigenen eher niedrigen Erwartungen weit übertroffen hat! Wartet morgen wirklich schon der letzte, der allerletzte Anstieg der Tour? Ja, morgen geht's nach Nizza!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Zwei Pässe stehen heute auf dem Programm. Der Anstieg zum Col d'Izoard beginnt direkt in Briançon, so dass die Beine schnell auf Hochtouren kommen müssen. Dafür können wir nun spüren, dass wir so langsam in den Süden kommen, die Gegend wird trockener und mediterraner. Am Col d'Izoard sollte man sich dann nicht allzu schnell in die Abfahrt stürzen, denn die verwitterte Landschaft, die Casse Déserte, auf der Südseite will entsprechend gewürdigt werden. Die Abfahrt führt uns bis nach Guillestre, wo es nahtlos in den zweiten Anstieg des Tages über geht: den Col de Vars. Dieser wird auf der Route des Grandes Alpes immer nur als Übergangspass angesehen, da der Skiort Vars nicht gerade schön ist, doch mehr als 1000 Höhenmeter wollen überwunden werden, so dass man ihn nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte. Dann erreichen wir das Ubaye-Tal und können bis zum Etappenort Jausiers gemütlich ausrollen lassen.
Von Jan – Bericht von Samstag, 28.8.2021. Heute morgen also wartet tatsächlich schon der allerletzte Anstieg der Tour, der es natürlich noch einmal in sich hat, die Befahrung eines der höchsten asphaltierten Punkte der Alpen zur Cime de la Bonette (2802 m). Die Touristiker geben sich ja alle Mühe, hier die Plus haute Route d'Europe zu verkünden, und auch wenn das einfach falsch ist, ist die Aussage immer noch in aller Köpfe. Es ist ja nicht mal die Plus haute Route des Alpes, denn die liegt am Tiefenbachferner an der Ötztaler Gletscherstraße mit 2830 m, war aber immerhin mal der Plus haute Rond Point des Alpes. Aber auch das nicht mehr, seit die Einbahnstraßenregelung auf der Gipfelschleife zur Cime aufgegeben wurde. Hier ein Superlativ zu finden ist also nicht so einfach, und so behauptet man einfach etwas Eingängiges.
Nicht so wir auf unserer letzten Etappe von Freiburg-Nizza 2021! Wir müssen nichts erfinden für Superlative. Wir hatten eine der besten denkbaren Reise-Gruppen. Wir hatten das beste Alpentourenwetter von 2021, ohne Regen, zumindest nicht dort, wo ich gefahren bin. Und die gesamte Reise von Freiburg nach Nizza, oder zunächst einmal nach Jausiers, von wo aus wir unsere letzte Etappe angehen, ist reich gespickt mit Superlativen.
Etwa für Marco. Auf Marco wartete der erste persönliche Superlativ schon nach 5 Kilometern Einrollen, noch auf dem Stadtgebiet von Freiburg. 900 Höhenmeter am Stück auf den Schauinsland – persönlicher Rekord! Für mich wartete die am stärksten erwartete Aussicht des Rennradjahres 2021 am Col du Chasseral, wo ich 2012 im Zuge unserer Schweiz-Rundfahrt einer der eindrücklichsten Momente meines Rennradlebens und den besten Ausblick auf die Alpenkette erlebt habe (dieses Jahr tief hängende Wolken, aber Blick auf die Seen). Auf Etappe 3 dann (man denke an Marco) Weltrekord für die gesamte Reisegruppe: der höchste Anstieg am Stück auf die großen Alpenpässe: 2009 Höhenmeter ab Martigny auf den Col du Grand St. Bernard. Da waren wir von Freiburg durch Schwarzwald, Jura und die Voralpen bis in die Hochalpen vorgedrungen. Was für ein majestätisches Gefühl, was für ein Erlebnis, was für eine Bereicherung! Auch für mich persönlich, der ich noch nie hier oben war! Auf Etappe 4 eine rasante Abfahrt, die königliche Route des Salasses und die Erkenntis von Werner, dass es ja jeden Tag noch schöner werde! Täglicher Superlativ! Dann die gemeinsame Bezwingung des wirklich höchsten Alpenpasses, dem Col de l'Iséran, auch hier mussten wir nichts erfinden. Zugleich die kürzeste und somit urlaubsgleichste Etappe mit Ziel am Wellnesshotel. Hier fand nun Isa, dass es ja nun nochmal schöner geworden war, und in der Abendansprache konnte ich einen der schönsten Alpenpässe für den Folgetag ankündigen, den Col du Galibier, fünfthöchster seiner Zunft! Für mich folgte stattdessen die emotionalste Etappe des Jahres, mein Egotrip zum Club-2K-Abschluss gemeinsam mit Sven. Tränen vom Chef in Sestriere. Und dann die überraschend schöne Auffahrt zum Col d'Izoard gestern, die ich auch seit 21 Jahren nicht mehr gefahren war. Oder lag es an den bezaubernden Damen in Gruppe 2, an Isa, Kristin und Lena, die mir den Blick vernebeln?
Eine Reise der Superlative liegt also schon hinter uns heute morgen, als wir in Jausiers die letzte Etappe angehen, und für den ein oder anderen auch eine Reise zu sich selbst, denn wo lernt man sich besser kennen als im Angesicht der Erschöpfung? Heute genau vor einem Jahr waren Lena und ich schon einmal hier, auf der vorletzten Etappe der Monumente der Südalpen 2020. Das Wetter ist heute noch besser. Wir hören die Lok auf Zwei Beinen von Peter Fox, und Marco lässt seine Pleuelstangen gen Gipfel rotieren. Ein Hund kann nicht krähen, ein Fisch kann nicht schreien, und er kann nicht stehen bleiben, er ist ein rollender Stein!
10,5 km vor dem Col de la Bonette passieren wir einen Trinkwasserbrunnen, der mir vorher nicht bekannt war, und ab hier tauchen wir ein in die wunderschöne Hochgebirgswelt am Bonette. Heute bleibe ich hinten, und die Höhen der großen Alpenpässe liegen nach und nach unter uns: Furkapass (2436 m), Col du Grand St. Bernard (2473 m), Timmelsjoch (2474 m), Nufenenpass (2478 m), Umbrailpass (2503 m), Großglockner-Hochalpenstraße (2504 m), Passo di Gavia (2618 m), Col du Galibier (2645 m). Dann erreichen wir (ganz faktisch) den Faux Col de Restefond (2656 m), den eigentlichen Passübergang zwischen Ubaye- und Tinéetal, von dem eine geschotterte Piste zum Col de la Moutière (2454 m) führt und ab da asphaltiert ins Tinéetal. Ohne jede Mogelei wäre das eine beeindruckende Höhe, und ebenso der vierthöchste Alpenpass wie der kurz darauf erreichte Col de la Bonette (2715 m)! Aber wir wollen höher, an der Höhe des Col Agnel (2744 m), Stilfser Joch (2757 m) und Col de l'Iséran (2764 m) vorbei bis zur Cime de la Bonette (2802 m). Tolles Wetter, Jubel, Gipfelfotos! Ich passe auf die Räder auf, viele gehen noch hoch zur wirklichen Cime de la Bonette mit fantastischem Panorama-Rundumblick auf 2860 m. Hier oben denkt keiner daran, Superlative zu erfinden.
Nun liegen 116 km finale Abfahrt vor uns, erst hinunter zur Tinée, dann die Tinée und den Vars hinunter zum Mittelmeer. Das lässt bei mir schon Gänsehaut aufkommen, denn die letzte Abfahrt ist immer die gefährlichste, und diese letzte Abfahrt ist lang. Natürlich habe ich die gesamte Gruppe heute noch einmal darauf eingeschworen, die Konzentration hoch zu halten, bis das Fahrrad im Hotel abgestellt ist. Vorsichtig fahren wir entsprechend nach St. Etienne de Tinée hinab und lassen uns nochmals von Norbert verwöhnen! Obwohl es vornehmlich sonnig ist, ist die Abfahrt doch sehr kalt, und wir stehen bei Norbert am Stehtisch in der Sonne und wärmen uns auf. Noch 91 km! Der Wind meint es mal wieder nicht gut mit uns, windstille Bereiche wechseln sich mit heftigen Gegenwindpassagen ab. Manchmal sieht man in den Linkskurven entlang der Tinée schon, wie sich die Grashalme nach rechts biegen. Lenker festhalten und in die Kurve legen! Dennoch werden die leichteren Frauen ordentlich durchgeschüttelt. Masse wächst im Kubik, die Angriffsfläche nur im Quadrat, hier liegen die schweren Jungs klar im Vorteil.
Tunnel, vierspurige Straße, Radweg, dann wieder Nebenstraßen durch wenig anheimelnde Industriegebiete. Egal, Konzentration hochhalten. Endlich hat ein Boulangère offen, wo wir Törtchen und Café bekommen, 30 km vor dem Ziel. Dann Schaulaufen auf dem Radweg vom Flughafen zur Promenade des Anglais! Nice! Arrivés a Nice! Fahrrad abstellen! Alle heile geblieben! Was für eine Reise! Freiburg-Nizza, ein Superlativ!
Ab ins Mittelmeer!
Ursprüngliche Etappenbeschreibung
Durchatmen, letzte Kräfte mobilisieren, denn heute Abend wartet das Mittelmeer auf uns. Ein Hindernis gilt es jedoch noch zu überwinden, und das ist nicht irgendein Hindernis, sondern der höchste Punkt der Woche. Der Col de la Bonette ist 2715 m hoch, was auf der Rangliste der Alpenpässe immerhin noch zu Platz vier reichen würde, doch das hat den Erbauern der Straße im Mercantour-Nationalpark wohl nicht gereicht. Und so musste es noch eine Panoramaschleife sein, die Cime de la Bonette, die die Marke von 2800 m Höhe überschreitet. Bei all dieser Diskussion um Höhensuperlative darf man jedoch nicht vergessen, was für ein grandioses landschaftliches Erlebnis der Pass ist. Die lange Abfahrt vom Pass führt uns dann sozusagen direkt bis nach Nizza. Sie führt zunächst ins Tinée-Tal, das ins Var-Tal mündet, und der Var mündet bei Nizza ins Mittelmeer. So können wir wahlweise nochmal richtig Tempo aufnehmen, oder aber unsere Fernfahrt gemütlich ausklingen lassen. So oder so, nach der Ankunft an der Promenade des Anglais in Nizza winkt ein Bad im azurblauen Meer. Und am nächsten Morgen optional der Rücktransport per Reisebus nach Freiburg.