Von Apodar – Mein Radlerleben begann im Herbst 2005 im zarten Alter von 50 Jahren: ich begleitete meine Tochter mit dem Fahrrad zum Bahnhof in Nürnberg. Das waren für mich immerhin 25 km einfach. Bitte nicht lachen, ich weiß selbst, wie lächerlich das ist. Ich habe es aber einigermaßen gut gemeistert - beim dringend nötigen Zwischenhalt in einem Cafe ließ ich mir bei Kaffee und Kuchen die Herbstsonne auf den Kopf scheinen und fasste den festen Entschluss: das machst du öfter. EIne Triebfeder war auch mein fortgeschrittenes Alter bei dem Mann sich und dem Interessierten Rest der Welt beweisen muss, dass er noch etwas taugt.
Als erstes braucht der Mensch ein Ziel: einmal über die Alpen in mein geliebtes Venedig. Der bikeline-Führer über die Via Claudia Augusta wurde fortan zu meiner Nachtlektüre. Meine sportbegeisterte Tochter konnte ich schnell als Begleiterin gewinnen. Aus heutiger Sicht war mein Trainingspensum sehr bescheiden, doch damals konnte ich einen höheren Umfang nicht leisten: zweimal pro Woche mit dem Rad zur Arbeit (macht 52 km) einmal pro Monat eine Radtour am Wochenende (macht 100km). Die Höhenmeter habe ich damals noch nicht gezählt, es wären auch nicht sehr viele zusammengekommen.
Im August 2006 war es endlich soweit, in mehreren Monaten Vorbereitungs- und Planungszeit habe ich unseren Wegeplan und die voraussichtlichen Übernachtungsorte ausgetüftelt, in Venedig für drei Tage eine Wohnung gemietet, für meine zweite Tochter einen Flug nach Venedig organisiert, bei dem sie uns anständige Kleidung nachliefern sollte, und den Rückflug nach München gebucht, der uns für EINEN Euro pro Person inkl. Steuern in die Heimat bringen sollte. DieFahrradtickets kosteten 50 Euro. Als umweltbewusster Mensch sollte man so ein unmoralisches Angebot eigentlich nicht annehmen.
Auch unsere beiden Tourenräder - nicht die leichtesten - waren überprüft und startbereit, der Rucksack schwer, die Kondition schlecht und die Vorfreude riesig. Aber mit einem flauen Gefühl in der Magengegend, da wir beide ja Neuland betraten. Die Wetterprognose verhieß kein Traumwetter, eher durchwachsen, nicht ganz gut, aber auch nicht ganz schlecht: Für eine Radtour ist das ja beinahe ideal.
WIr haben die Tour mit etlichen Abenteuern überstanden, meine Tochter gut, ich weniger. Aber unser Stolz über die vollbrachte Leistung (ca. 550 km Entfernung, knapp 5000 Höhenmeter) ließ uns Flügel wachsen, und so konnten wir den Aufenthalt in Venedig in vollen Zügen genießen. Nach unserer Heimkehr kam für mich jedoch der Tiefschlag: zufällig entdeckte ich die quaeldich-Seite und war schockiert. Was da an Pässen und Streckenlängen geleistet wird! Unsere Alpenüberquerung war nicht einmal leicht, sie war federleicht, Fliegengewicht!! Nichts war es mit meinem Beweis, noch etwas zu taugen. Das muss beim nächsten Mal besser werden. Und das wurde es auch, allerdings erst vier Jahre später.
Von Apodar – Unser auserkorener Startpunkt war meine Heimatstadt Königsbrunn. Der Marschplan sah den Start für 8:00 Uhr vor. Daraus wurde natürlich nichts. Wenn man schon mal zu Hause ist, wird viel zu viel erzählt, gegessen, ... Um die fehlende Stunde auszugleichen fuhr uns mein Bruder bis nach Hurlach, auch um uns den langweiligen Touranfang durch das brettebene Lechfeld etwas zu verkürzen. Ehrlich gesagt wurde es auf den nächsten 50 Kilometern auch nicht spannender.
Zuerst nahm uns ein unbeliebter Begleiter in Empfang, den wir den ganzen Tag nicht abschütteln konnten. Gegenwind hat der Radler ja fast immer um die Nase, aber der Südwind blies uns so kräftig ins Gesicht, dass wir nur langsam vorankamen. Da half auch der schöne Sonnenschein nicht. Das lockere Einrollen zum Tourauftakt haben wir uns schöner ausgemalt. Die vielen Zwischenstopps, um den Tourenplan zu studieren, und auch das langsame Tempo wirbelten meinen fein ausgetüftelten Plan gehörig durcheinander. Irgendwann fuhren wir dann frei Schnauze in Richtung Füssen und kümmerten uns nicht mehr so sehr um die authentische Via Claudia.
Die Umgebung bot uns anfangs nicht viel Abwechslung, an Wiesen und Feldern vorbei, hin und wieder ein Wäldchen, unspektakulare Dörfer. Ab Dessaufuhren wir am Lech entlang, die Landschaft wurde welliger und so konnte auch das Auge beglückt in die Umgebung schweifen. Doch in Füssen drohte neues Ungemach. Tiefschwarze Wolken drohten unsere Weiterfahrt zu überfluten. Zu allem Überfluss riss auch noch mein Schaltkabel. Es war auch höchste Zeit, unsere Ausstattung zu vervollständigen. Die (geliehenen) Turnschuhe meiner Tochter hielten selbst die geringe Belastung aus, ausserdem brauchte sie nach meiner Überzeugung einen Helm. Während unseres ausgiebigen Aufenthalts im Fahrradgeschäft ging draußen ein recht heftiger Gewitterregen nieder. Merke: so eine Panne kann auch ihre guten Seiten haben. Allerdings hielt unsere Freude über den ersparten Regenguss nicht lange, denn die nassen Straßen und der leichte Nieselregen reichten aus, um uns in kurzer zeit bis auf die Haut zu durchnässen. Aber es gab keine Gnade, wir müssen unser Tagesziel noch erreichen. Nur nicht schon am ersten Tag schlapp machen! Unser Magen meldete such mit immer größerem Nachdruck, doch die Zeit reichte nur für kurze Verpflegungspausen. Nach Bichlbach war es ja nicht mehr weit, aber was für eine hinterhältige Strecke. Es ging mit konstant 3% bergauf, eine Steigung die man nicht richtig wahrnimmt, die aber schon gehörig bremst. Meine Tochter wurde zunehmend lustlos und fiel immer wieder zurück. Sie hatte keinen Höhenmesser am Lenker, der den Fortschritt anzeigt, es ging einfach nur nicht so richtig vorwärts. Doch irgendwann - es war schon beinahe 7 Uhr - erreichten wir unser Tagesziel. Das avisierte Nachquartier hatte Ruhetag - sehr schlecht recherchiert! Ansonsten war in dem Dorf auch nicht viel los. Ausserdem wollten wir schnell unterkommen, uns etwas Trockenes anziehen und den leeren Bauch füllen. So gerieten wir in einen wenig attraktiven Gasthof der zu den 22 Euro Zimmerpreis einen happigen Aufschlag von 7 Euro für die einmalige Übernachtung kassierte. Zur Strafe gingen wir dort nicht zum Abendessen.
Von Apodar – Das Frühstück passte zur Unterkunft: nicht erwähnenswert und auch schon längst vergessen. Aber das Wetter meinte es heute gut mit uns. Warm aber nicht heiß, ganz leichte Bewölkung. Für micht ideal. Gut erholt begannen wir unsere erste Alpenetappe. Da wir die Hauptstrasse auf Grund des hohen Verkehrsaufkommens auf der Fernpassstrecke vermeiden wollten, fuhren wir hauptsächlich auf Nebenstraßen und Radwegen. Mit unseren Tourenrädern war das auch kein Problem, mit Rennrädern wäre das nicht immer angenehm gewesen. In Biberwier gab es erst einmal einen ungeplanten Aufenthalt. Die Polizei sperrte die Straße wegen eines Dorfumzuges, es war Maria Himmelfahrt und der ganze Ort auf den Beinen. Irgendwie konnten wir uns an den Schaulustigen vorbeimogeln und Fahrt zum Fernpass fortsetzen. Aber das Mogeln nimmt auch einige Zeit in Anspruch. Wenigstens mussten wir uns nicht um die Suche nach der richtigen Strecke kümmern, es gab ja nur die eine. Gemäß unserem Anspruch, auf der Via Claudia zu pedalieren, bogen wir am Weissensee auf die alte Römerstraße ab. Die Strecke ist allerdings nur mit dem Mountainbike ein Vergnügen, anfangs über Wurzelwerk durch den Wald, später über Geröll auf einem Forstweg. Uns blieb nur das Schieben. Plötzlich wurde mein Ärger noch größer. Was bin ich für ein Rindvieh! heute ist doch Feiertag, da gibt es keinen Schwerverkehr auf der Fernpassstrasse. Aber jetzt war es schon zu spät. Wir rollten ja schon auf einer Schotterpiste zur Bundesstraße hinab. Und wieder haben wir die Sollzeiten meines Planes deutlich überschritten. Und auch der Spaßfaktor litt unter der Schiebestrecke erheblich.
Doch dann kam das Vergnügen der errsten rasanten Abfahrt nach Imst. So ganz traute ich meinen Bremsen nicht und ich erreicht keine wirklichen Spitzengeschwindigkeiten, aber zu einem leichten Rausch taugte es dennoch. Die Anstrengungen des ersten Tages waren wie weggeblasen, der Ärger über den Aufstieg am Fernpass verflogen. Wir sind bereit für neue Taten! Und die erste kam gleich in Form eines überraschenden Anstiegs hinter Imst. Aber mit unserem frisch erworbenen Selbstvertrauen war die Hürde gleich genommen. Zügig folgten wir dem Lauf des Inns über Landeck Richtung Schweiz.
So ganz leise schlichen sich neue Hindernisse an. Einmal war es der Hintern, der so lange Passagen im Sattel nicht gewohnt war. Dagegen half unsere Popo-Creme, die uns mit einem Duft nach Nadelwald umgab. Und eine Zeitlang linderte die Creme den Druck tatsächlich. Das zweite Problem war mein linkes Knie, das nicht mehr mittreten wollte. Immer wieder musste das rechte Bein die gesamte Last leisten. Immer wieder musste ich kurze Ruhepausen einlegen. Wie soll ich da den Pass hochkommen? Zwei Effekte halfen mir aus der Klemme. Zum einen kann man sich an Schmerzen gewöhnen - aber nur wenn sie nicht zu stark sind. Zum anderen lenkte mich die schöne Umgebung und auch die gute Stimmung von den Strapazen ab. Kurve um Kurve zogen wir Norbertshöhe hinauf, schauten den flinken Rennradlern hinterher, die uns ob unseres Gepäcks, unserer schweren Räder oder unseres schleppenden Tritts belächelten oder bemitleideten. Meine Tochter zeigte mir am Berg jedenfalls, dass sie mir drauf hatte als ich. Sie zog mit konstanter Geschwindigkeit den Berg hinauf. Mein Rückstand wurde immer größer, immer häufiger musste ich kleine Pausen einlegen, um mein Knie zu schonen, der Puls war am Anschlag. Doch wir haben das Ziel schneller erreicht als erwartet. Unser erster Pass mit dem Rad war geschafft. Ein erhebendes, fast feierliches Gefühl. Gegenseitiges Schulterklopfen. Der Fernpass zählt nicht, da habe ich das letzte Stück ja geschoben.
Nun noch schnell hinab nach Nauders auf Herbergssuche. Die gestaltete sich erfreulich einfach. Im Hotel Löwen bekamen wir ein wunderschönes Zimmer zu einem günstigen Preis (28 Euro) und für 7 Euro Aufschlag gab es auch noch ein umfangreiches Abendessen. Mir schmeckte das Essen vorzüglich, meine Tochter war aber scheinbar zu müde, um noch Hunger zu haben. Trotz allen Schwierigkeiten war es für uns ein herrlicher Tag.
Von Apodar – Am Morgen erwartete uns ein fabelhaftes Frühstücksbuffet, das uns etwas zu lang verweilen liess. Aber noch immer trugen wir das Hochgefühl des gestrigen Tages in uns. Was kann uns denn schon passieren. Das wenig freundliche Wetter würdigten wir keines Blickes. Voller Tatendrang holten wir unsere Räder aus dem Schuppen, mittlerweile bei Nieselregen. Im Nebel konnten wir kaum 100 Meter weit sehen. Für die bevorstehende Abfahrt verhieß das nichts Gutes. Bei nur noch 9 Grad fuhren wir los. Allzuviel Kleidung für Regenwetter hatten wir nicht dabei. Aber wir fahren ja nach Südtirol, jenseits des Reschen empfängt uns sicher herrliches Wetter.
Der Regen wurde stärker, heftiger Wind kam auf. Doch bis zum erlösenden Reschen ist es nicht mehr weit. Dann kommen 170 km Abfahrt, träumten wir. Auf der Passhöhe gab es keinen Wetterumschwung, auch kein Hoch- oder Glücksgefühl. Nur weg in den sonnigen Süden. Doch statt bergab ging es am Westufer des Reschensees erst einmal wieder bergauf. Grundlos und unverständlich. Endlich war der Scheitelpunkt erreicht und es ging abwärts, aber wie! Bei kräftigem Gegenwind, mit Regen vermischt, durften wir fleißig treten, um wenigstens 20-25 km/h zu schaffen. Da das Sträßlein sehr schmal und sehr verwinkelt war, durften wir ständig bremsen. Die kinetische Energie des Aufstiegs verpuffte beinahe wirkungslos. Aber wir hielten uns tapfer und strampelten durch Apfelhaine nach Meran. Der Regen hat inzwischen aufgehört, der Wind nicht. Bei mittlerweile annehmbaren Temperaturen schlenderten wir durch Meran und suchten ein Fahrradgeschäft, um Kettenfutter für das Rad meiner Tochter zu besorgen. Das rege Treiben in Merans beinahe mediterraner Altstadt heiterte uns wieder auf. Trotz der verlockenden Straßencafes war an eine längere Pause nicht zu denken. Auf dem Weg nach Bozen setzte der Regen wieder ein. Doch wir waren schon wettererprobt und lamentierten nicht mehr über unser ungnädiges Schicksal.
So langsam stiegen in mir die Zweifel, ob wir uns Tagesziel Trient noch bei Helligkeit erreichen konnten. Aber alle meine Überredungskünste scheiterten am Ehrgeiz meiner Tochter. Nichts da, wir schaffen das! Und tatsächlich, kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir Gardolo, einen Vorort von Trient.
Klatschnass begann die Suche nach einer Unterkunft. Der Radführer wies mehrere Hotels aus. Das wird ja wohl nicht so schwer werden. Doch dann nahm ein gnadenloses Schicksal seinen Lauf. Mitten im Ort war mein Reifen platt. Nicht weiter schlimm, der Ort ist nicht groß, da können wir laufen. Wir paschten also bei strömendem Regen durch den Ort und klapperten alle Adressen ab. Die erste existierte nicht, die zweite war seit Jahren geschlossen, bei der dritten öffnete niemand. Wir trafen keine Menschenseele auf der Straße. Wohin soll man dem Sauwetter auch gehen! Wenn sich doch jemand nach draußen verirrte, dann wusste er nichts. Einer nannte noch ein Hotel - es gehörte zur teuren Kategorie und lag etwas ausserhalb. Aber das war uns jetzt auch schon egal. Dort angekommen erfreute uns das Schild: Ruhetag. Mittlerweile war es stockfinster. Doch eine Adresse gab es noch auf der Liste. Nur, die Adresse kannte niemand. Letzter Ausweg: wir fahren mit dem Bus nach Trento. Als endlich einer kommt, will uns der Busfahrer wegen der Räder nicht mitnehmen. Etliche Passagiere wollen uns helfen und reden auf den Busfahrer ein. Aber es hilft alles nichts, wahrscheinlich ist der Busfahrer kein Italiener, oder zumindest kein richtiger. Es ist schon 22:00 Uhr und wir unternehmen einen letzten Anlauf. Die Räder werden vor einer Polizeistation angekettet, vielleicht sind sie da ja sicherer. Wir fahren mit dem nächsten Bus. Ein mitfahrender Nordafrikaner errät unsere Schwierigkeiten und will uns helfen. Er kennt da ein Hotel in dem er auch wohnt. Es ist nicht weit. WIr sind sehr misstrauisch und frustiert und wollen kein weiteres Risiko. Aber er beschwatzt uns so lange bis wir einwilligen. Die Bushaltestelle ist neben der Autobahn, wir müssen drüberrennen und kommen sogar lebendig an. Neben einer Autobahn-Tankstelle gibt es tatsächlich die Unterkunft, die wir lange gesucht haben und die niemand kannte. Ein mulmiges beschlich uns schon: abseits der Straße, ein finsterer Winkel, das Haus dunkel und abgeschlossen. Der Nordafrikaner probierte ein paar Telefonnummern durch und wurde schließlich fündig. Nach 10 Minuten sperrte uns eine mürrische, verschlafen wirkende Person auf und gab uns einen Zimmerschlüssel. Unseren Helfer konnten wir leider nicht los werden, er ging mit uns aufs Zimemr und wollte uns auch noch etwas zu Essen besorgen. Wir sehnten uns aber nur noch nach Ruhe. Schließlich wollte unser Helfer doch noch den Lohn für seine Bemühungen einfordern: eine Nacht mit meiner Tochter. Trotz unserer Müdigkeit müssen wir dann doch sehr energisch gewirkt haben. Er zog ab. Endlich! Mit Gardolo werde ich wohl immer diese Nacht in Verbindung bringen, auch wenn der "Coro Alpino Trentino di Gardolo", der meinem Wohnort Altdorf eng verbunden ist, noch so schöne Konzerte zum besten gibt.
Von Apodar – Das miese Nachtlager kostete uns 32 Euro pro Nase! Bisheriger Rekordpreis. Zum Frühstück gab es einen Espresso und ein abgepacktes billiges Muffin. Gestern abend hatten wir schon fast nichts gegessen. Die Müsliriegel und das Trockenobst waren auch schon aufgefuttert. Wie sollten wir da weiterkommen. Zuerst liefen wir zur Polizeistation, um unsere Räder abzuholen. Das zog sich recht lange hin. Zum Glück gab es in der Nähe ein großes Fahrradgeschäft. Die Panne war schnell behoben und dann nichts wie weg aus diesem unseligen Gardolo.
Der Radführer empfahl für die Weiterfahrt nach Pergine den Zug, da dorthin nur eine vierspurige Schnellstraße durch einen Tunnel führte. Für uns kam das nicht in Frage. Wir mogelten uns durch kleine Gäßchen, fuhren steile Rampen hoch (14 % und mehr) und näherten uns mehr und mehr Pergine. Irgendwann wussten wir nicht mehr weiter, eine detaillierte Karte hatten wir auch nicht, so benutzten wir für zwei Kilometer die Autobahn. Einige Autofahrer haben uns schon entgeistert angehupt, aber das konnten wir locker wegstecken. Dann waren wir im Paradies!
Herrliches Wetter, wie es sich für Italien gehört, eine wuselige Kleinstadt mit vielen Läden, Obstständen, Bäckereien, Eisdielsen. Wir hatten viel Nachholbedarf und packten 3 Einkaufstaschen mit italienischen Genüssen aufs Rad. Den Wein verkniffen wir uns dann doch, den gibt es erst am Abend. Am Caldonazzo-See fanden wir ein lauschiges Plätzchen für unser ausgedehntes Frühstück. Herrlich! Was für ein Gegensatz zum gestrigen Tag.
Frisch gestärkt und mit reichlich Verspätung machten wir uns auf den weiteren Weg. Aber Zeit zählte für uns nicht mehr. Der Weg führte durch ein schönes Tal locker dahin. Die Brenta, das kleine Flüßchen im Val Sugana begleitete uns. Ums uns gab es zwar keine schneebedeckten Bergriesen zu bestaunen, doch auch die Zweitausender sorgten für ausreichendes Alpengefühl, für uns echte Glücksgefühle. Ab Castelnuovo ging es noch einmal kräftig bergauf nach Bieno. Bei der größeren Belastung machten sich auch meine Knieprobleme wieder bemerkbar. Aber nach etlichen kleinen Päuschen war auch ich oben. Meine Tochter ruhte sich schon ein Viertelstündchen am Dorfbrunnen aus. Uns gefiel es dort so gut, dass wir nach eine halbe Stunde Pause dranhängten. Das Hochplateau zog sich bis Pieve Tesino hin, dem Ausgangspunkt des Passo di Brocon. Für uns war das jetzt noch eine Nummer zu hoch. Wir zogen die herrliche Abfahrt nach Lamon vor. Sie führte uns über schmale, verkehrsarme Sträßchen durch den Wald ins Tal. Unterwegs kamen wir an vielen einsam gelegenen Gehöften vorbei. Überall Kindergeschrei, im Wind flatternde Wäsche und vieles mehr, was man von Italien erwartet. In Lamon war di Idylle leider vorbei. Auf breiter Straße fuhren wir in dichtem Autoverkehr nach Feltre. Zum Glück ging es flott vorwärts, so dass wir keine Vergiftungsgefahr fürchten mussten. In feltre suchten wir uns ein nobel wirkendes Hotel aus. Wir wollten uns nach dem Reinfall von Gardolo etwas Luxus gönnen. Wir schritten durch die Automatiktür des Hotelportals über dicke Teppiche, alles bestens beleuchtet. Die Hotellobby war mit bequemen Ledersesseln möbliert, am Hoteltresen eine freundliche ältere Dame, die uns den Preis nannte: 30 Euro pro Person inklusive Frühstück!! Das haute uns fast um. Schnelle zogen wir uns in unserem geräumigen Zimmer um, schlenderten vergnügt durch das Städtchen Feltre und fanden ein gemütliches Lokal für unser mehrgängiges Abendmenue. Nochmals Glücksgefühle.
Von Apodar – Heute kommt unsere Tour d'Honneur nach Venedig (ca. 90 km). Schwierigkeiten sind nicht mehr zu erwarten, sondern nur noch Genuss. Ein echter Quäldich-Recke wählt für die letzte Etappe natürlich den Weg über den Monte Grappa, doch diese Seite und sein Motto waren uns damals (leider) noch nicht bekannt. So verlassen wir locker tretend Feltre und erreichen bald das Tal der Piave, die sich durch felsiges Gelände ihren Weg bahnt. Bei Pederobba treten die Berge zurück und wir strampeln durch die endlosen Weiten der Poebene. Mit den Alpen hat uns auch der Spass verlassen. Einfach nur so dahinrollen ist ziemlich langweilig, da wächst der Wunsch nach einer richtigen Herausforderung, bei der die Schweißperlen wegen der Anstrengung und nicht wegen der Hitze über die Backen rinnen. Ich werde kein Fahrer für die Flachetappen werden, da kannst du hinterher nicht einmal sagen, warum du müde bist. Es gibt keinen Punkt, auf den du zeigen kannst: da war ich oben, mit eigener Kraft. Mein Entschluss steht fest, ich werde Quäldich-Fahrer, obwohl ich das Wort damals noch gar nicht kenne.
Das einzige schöne Ereignis des letzten Tages, das mir in Erinnerung blieb, war die Fahrt auf der Brücke von Mestre nach Venedig. Es war das Siegergefühl, wir haben geschafft, was wir uns vorgenommen haben. Es ist der gleiche Zauber, der einem auf der Passhöhe neue Flügel verleiht. Die Schmerzen und Niederlagen der vergangenen Tage sind vergessen. Trotzdem humple ich in den nächsten Tagen durch Venedig, aber ich ignoriere die Stiche im Knie. Ich bin ja ein Sieger.
Nach unserer Rückkehr war es mit dem Pathos schnell vorbei. Auf den Quäldich-Seiten entdeckte ich die Lächerlichkeit unserer Tour und strebte ein neues Leben an: als echter Bergfahrer.