Von Uwe –
25.08.2011
Nach einer langen Autoanfahrt der aufgehenden Sonne entgegen kann ich endlich um 08:00 Uhr in Canazei auf mein Rad steigen und meine bisher vielleicht schönste Radetappe meines Lebens beginnen. Schon während der letzten Kilometer meiner Anfahrt stieg meine Begeisterung über die tolle Landschaft im frühen Sonnenlicht immer weiter an, dass ich es kaum noch erwarten konnte, endlich auf dem Rad zu sitzen.
Zuerst führt mein Weg durch den Ort Canazei, der mir aber genau so wenig wie andere Touristenzentren gefällt, aber schon bald bin ich im Anstieg zum ersten Pass für heute, dem Passo Fedaia. Warum dem Passbeschreiber bei Quaeldich.de der Pass wohl nicht so gefallen hat wie mir, kann ich nicht nachvollziehen, aber heute im Morgenlicht bei klarem, blauem Himmel, ist die Fahrt durch den lichten Wald einfach super. Immer wieder gibt es Ausblicke auf die Berge der Umgebung und die Kamera muss aus der Oberrohrtasche (TicinoBergler46 nennt sie respektlos „Kamelhöcker“) kommen und die Situation digitalisieren. Da der Passo Fedaia keine nennenswerten Schwierigkeiten zu bieten hat, ist die Passhöhe schon bald erreicht. Bei einem Wetter wie heute ist es fast zu schade, wieder ins Tal weiter zu fahren, aber nach einigen obligatorischen Fotos geht es weiter. Da ich meiner Familie versprochen habe, nicht scharf, sondern maximal flott zu fahren, rolle ich gemütlich ins Tal nach Caprile (Maximum nur 80 km/h, man könnte wahrscheinlich mindestens 95 km/h schaffen).
Aus Caprile steigt sofort schon die Straße Richtung Passo Falzarego an, der ich auch bis zur Abzweigung zum Colle Santa Lucia folge. Auf dem Colle Santa Lucia hat man wieder eine schöne Aussicht über das Tal, in dem man sich soeben noch befand und nach einer kurzen Rast geht meine Fahrt weiter nach Selva di Cadore und dann wohl zum schönsten Pass meiner heutigen Fahrt, dem Passo Giau. Inzwischen ist es auch schon ordentlich heiß geworden und der Schweiß läuft in Strömen aus meinem Helm, leider auch immer wieder in die Augen. Zum Glück hat mein „Kamelhöcker“ einen Regenüberzug, denn sonst würde meine Kamera wohl einen bleibenden Schaden davon tragen.
Auf dem Passo Giau verzehre ich leckeren Kuchen und einige Getränke und staune über die dort abgestellten hochwertigen Räder. Komischerweise fallen die teuren Schätze infolge des Windes immer wieder um und ich überlege mir, wie viel so ein Sturz kosten kann. Mein preiswertes Focus bleibt aber stehen und erleidet keinen Schaden…
Dann geht es in die schöne und abwechslungsreiche Abfahrt Richtung Cortina d’Ampezzo, wo ich aber schon vorher meinen östlichen Wendepunkt Pocol erreiche.
Und schon steht Pass Nummer 4 auf dem Programm, der Passo Falzarego. Inzwischen bin ich ordentlich im Tritt und dieser schönen Umgebung vergesse ich schon fast, dass ich überhaupt trete, und so komme ich schon bald oben an. Die Passhöhe mit ihren Hotels, Ramschbuden und Seilbahneinrichtungen ist genau so hässlich wie alle anderen Rummelplätze, die ich vorher gesehen habe, aber auch hier ist die Landschaft toll. Unterwegs hätte ich einen Abstecher zum Rifugio Cinque Torri machen können, aber mein Programm für heute ist schon voll genug. Immerhin kann man aber die sehr originell aussehenden Cinque Torri sehen und überhaupt ist die Form der Berge sehr verschieden zu dem, was ich sonst in den Alpen gesehen habe. Senkrechte Felswände, freistehende spitze Zähne, fast schon geometrisch geformte Klötze und wilde zerrissene Kämme.
Nach einer obligatorischen Getränkepause (habe das letzte alkoholfreie Bier erwischt), geht die Fahrt ins Tal nach Cernadoi weiter. Dass die Abfahrt schön kurvenreich und angenehm zu fahren ist, muss ich nicht extra beschreiben, denn etwas anderes kann man in der Gegend wohl nicht finden.
Die weitere Strecke nach Arabba kann aber meine Liebe nicht finden. Auch wenn die Landschaft schön ist, so liebe ich diese Hatscher nicht, die weder richtig bergauf noch bergab gehen und ich bin froh endlich Arabba zu erreichen, so dass es wieder richtig bergauf geht.
Inzwischen beginne ich etwas zu lahmen und so kämpfe ich mich von einem Kilometerschild zum nächsten weiter. Immer wieder werde ich von flotteren Radlern überholt, was mich aber sowieso nie stört, da ich immer stur meinen Tritt fahre und keinen Rhythmuswechsel dulde. Unterwegs treffe ich einen älteren Rennradler, der mir schon von Weitem aufgefallen ist, wie schwankend und „sterbend“ er fährt. Leider versteht er kein Deutsch und ich kein Italienisch, sonst hätte ich ihm vielleicht anbieten können, gemeinsam zu „sterben“. Er gibt aber zu erkennen, dass er „nur“ noch zum Passo Pordoi will um dort seine Etappe zu beenden und so zeige ich ihm den „Mutdaumen“ und „zische“ schleppend ab.
Nach einiger Würgerei, auch der Passo Pordoi ist keineswegs schwer zu fahren, erreiche ich doch den letzten Pass und nach den üblichen Fotos stürze ich mich in die sauber fahrbare Abfahrt. Dass ich vielleicht in knapp 2 Stunden wieder fast oben auf der Passhöhe mein Quartier beziehen würde, hätte ich jetzt nicht gedacht, aber gesehen habe ich mein noch unbekanntes Quartier in der Abfahrt schon ;-)
Wenige Kilometer vor Canazei ist plötzlich Stau. Was ist los? Unfall? Es kommt fast kein Gegenverkehr und so beginne ich vorsichtig die Reihe zu überholen. Der Stau führt bis in den Ort, dann durch den Kreisverkehr (hui, Chaos), dann durch den Ort bis zu einem Zebrastreifen, an dem ein in vollendeter Selbstherrlichkeit und in vollem Bewusstsein seiner für die Menschheit bedeutungsvollen, hoheitlichen Aufgabe tätigen Carabinieri den Verkehr ins Chaos regelt. Er führt seine Aufgabe so perfekt aus, dass seine gesamte Umgebung einen Nutzen davon hat, denn als ich eine Stunde später in Gegenrichtung mit dem Auto durchfahre, ist sein Tagespensum erfüllt und er hat seinen wohlverdienten Feierabend angetreten und das Chaos ist einem normalen Verkehrsfluss gewichen.
Nach meiner im Vorwort schon erwähnten Quartiersuche genieße ich einen außergewöhnlich schönen Abend kurz unter der Passhöhe des Passo Pordoi und erwische gerade noch rechtzeitig das noch geöffnete Hotel Pordoi, um dort ein leckeres 4-Gänge-Menue verschwinden zu lassen. Auch die Aussicht aus meinem Zimmer im Hotel Gonzaga ist verrückt schön, nur ist es inzwischen dunkel.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren