Von Pocatky –
Der Bericht von unseren letzten Etappen sollte ,,Die Reise nach Nizza und zu uns selbst heißen". Doch in unserer Redaktionskonferenz am letzten Abend blieb mir nichts anderes übrig, als mich der Meinung meiner Mitarbeiter zu fügen. Ich hatte leider auch nichts entgegen zu setzen, als die Frage aufgeworfen wurde, ob wir denn wirklich angekommen sind? Ja, in Nizza schon, da hatten wir bereits bei einem Bad im Mittelmeer sehen können, wo normalerweise die Radhose unseres Reiseleiters endet, aber auch bei uns selbst?
Nach dem Ende der Etappe 7, als wir nicht nur die Monumente der Dauphine mit dem Col d'Izoard und dem Col de Vars sondern auf den letzten 20 Kilometern von oben auch die Hochdruckvorwäsche, Felgenwäsche mit Intensivschaum und Unterbodenwäsche (alles bei Quäl.dich im Preis mit drin) genießen konnten, trafen wir uns in der Lobby des Hotels. Wieder aufgewärmt, versuchte ich rauszufinden, warum man eine solche Reise bucht. Und ist es denn auch eine Reise zu sich selbst?
Wir waren eine sehr heterogene Gruppe und so waren auch die Antworten. Von der Erfüllung eines Lebenstraums bis zur Flucht vorm Home-Office und Corona, von der Trauerbewältigung bis zum Ersatz für die Reise Füssen-Pisa. Michael wollte ,,mit fantastischen Menschen in einer fantastischen Natur eine Reise zu sich selber machen", Volker hatte Bock ,,sich zu quälen", einige wollten endlich wieder radfahren und ein Ziel haben. Also von A nach B, mit Kraft der eigenen Beine die Alpen überqueren, einige der längsten, der schwersten Pässe fahren und auch da mal beschleunigen, wo es die Tour der France Profis sonst tun. Patric begeisterte Idee, von Freiburg nach Nizza einfach mit dem Rad zu fahren und Wolfgang wollte sehen, ob nach seinem Sch... Jahr 2019 ,,etwas geht". Und wie, Kompliment an Dich Wolfgang!
Der Tag 7 startete mit einem direkten Anstieg, mit einem Kaltstart. Der Col d'Izoard begann praktisch am Frühstücktisch und somit mussten wir direkt 1.219 Hm kurbeln, um das erste Col-Foto zu machen. Beim blauesten Himmel ging es dann runter zu Verpflegung, Burghardt fuhr heute bei Norbert und brachte eine sehr angenehme Kundenorientierung mit. Zwischen Baguette 8 und 9 - der Käse war vorzüglich heute - wurde Markus ein meteorologisches Zeitfenster von 4 Stunden von der Quäl.dich Wetterzentrale gemeldet, um das Etappenziel in Jausiers noch trocken zu erreichen. 20 Kilometer zum Col de Vars mit 21 Kilometer Abfahrt ins Hotel erschienen machbar und da machten wir uns alle gemeinsam mit einer rudimentären Regenausstattung auf den Weg zum Gipfel. Der Anstieg ging auch direkt steil los, die Baguettes meldeten sich und auf einmal trübten neben hässlichen Orten auch die schwarzen Gewitterwolken unseren Blick. Kurz vorm Gipfel fing dann das o. g. Wäsche-Programm an, wir zogen das an, was wir mithatten und bereuten alles, das im Wagen blieb. Bis auf Jörg, der sich freute, seine gesamte 20-teilige Regenausstattung nicht umsonst mitgenommen zu haben, ich glaube, er steht immer noch oben und zieht sich an. Ein Teil von uns blieb im Col-Kaffee sitzen, leider ungeheizt, der Rest machte sich bremsend auf den Weg ins Tal. Aber dann kam Graupel (leider nicht Greipel), Kälte und immer stärker werdender Regen und die bereits bekannte Stimme der Vernunft. Am Ende des Tages sind wir alle gesund und gesäubert im Hotel angekommen, das die Größe der Zimmer durch das leckere Abendessen auszugleichen schaffte.
Am Tag 8 startete die Gruppe 3 als erste in den Berg, wir wollten den letzten Anstieg zum Col de la Bonette mit einem Verfolgungsrennen auch für die Gruppen 1 und 2 spannend gestalten. Patric ging vom Start sofort in die Führung und konnte sie bis zum Col halten, hinten genossen wir die Weite der Landschaft und die Fauna und Flora der Bergwelt, zu Murmeltieren haben wir auf dieser Reise eine enge Bindung aufbauen können. Die letzten Meter zum Cime de la Bonette waren steil, man sieht es uns auf dem Gipfel-Foto jedoch nicht an. Von da runter zur letzten Verpflegung - auch wieder vorzüglich, danke Norbert. Und dann kamen sie, die letzten 80 Kilometer dieser Reise, einfach 1.000 Hm runterrollen. Wenn aber nicht der Wind wäre. Der von vorne-Wind. Der sehr starke von vorne-Wind. Wir beschließen, unsere Rückfahrt aufzuteilen und nach 40 Kilometern stillvoll unsere Reise mit einem Pausen-Kaffee in einem schönen Kaffee im Tinée-Tal oder in einer Boulangerie ausklingen zu lassen. Mit Macarons und Eclairs mit Vanillecreme Füllung, mit eiskalten und warmen Getränken. Und dann geht es los. Jungs im Wind, Patric vorne, Thomas im Unterlenker, an Kaffees, Boulangeries wird wahrscheinlich aufgrund einer Vigilanzstörung vorbeigeflogen und wo wir am Ende verspätet unsere nicht vorhandenen Reserven aufgefüllt und unsere Bedürfnisse gestillt haben, darüber hüllen wir uns besser in Schweigen.
Und auf einmal sind wir da. Am Strand. In der Sonne, bei 30 Grad. In Nizza. Nach 948 km und 19.200 Hm und 21 Pässen. Wir haben es geschafft. Und dies wird auch gefeiert. Zuerst mit Kauf von neuen Poloshirts und neuen Badehosen. Dann mit einem Bad im Meer. Und dann mit einem finalen Abendessen.
Ob wir bei uns angekommen sind? Das muss jeder für sich selbst beantworten. Ja, wir waren mit fantastischen Menschen in einer fantastischen Natur, wir waren mit und für uns selbst. Wir waren unten und wir waren oben, es schien die Sonne und es regnete. Es ging uns schlecht, es ging uns gut, wir hatten gute aber auch mal schlechte Beine. Aber wir haben es alle geschafft. Wir sind angekommen, wo auch immer.
Danke an das Team, denn dies hat es möglich gemacht, dass wir uns um vieles nicht kümmern mussten. Markus hat ein Guide-Start wunderbar gemeistert, Thomas wollte einfach mal Guide sein und konnte es gleich und Rainer schaute, dass sich alles zusammenfügt. Norbert kümmerte sich nicht nur um unsere muskulären Glykogenspeicher, sondern um Taschen, Flaschen und spielte die Bergwacht und rettete verlorene Radfahrer - danke an Euch!
Ursprünglicher Etappenbericht:
Durchatmen, letzte Kräfte mobilisieren, denn heute Abend wartet das Mittelmeer auf uns. Ein Hindernis gilt es jedoch noch zu überwinden, und das ist nicht irgendein Hindernis, sondern der höchste Punkt der Woche. Der Col de la Bonette ist 2715 m hoch, was auf der Rangliste der Alpenpässe immerhin noch zu Platz vier reichen würde, doch das hat den Erbauern der Straße im Mercantour-Nationalpark wohl nicht gereicht. Und so musste es noch eine Panoramaschleife sein, die Cime de la Bonette, die die Marke von 2800 m Höhe überschreitet. Bei all dieser Diskussion um Höhensuperlative darf man jedoch nicht vergessen, was für ein grandioses landschaftliches Erlebnis der Pass ist. Die lange Abfahrt vom Pass führt uns dann sozusagen direkt bis nach Nizza. Sie führt zunächst ins Tinée-Tal, das ins Var-Tal mündet, und der Var mündet bei Nizza ins Mittelmeer. So können wir wahlweise nochmal richtig Tempo aufnehmen, oder aber unsere Fernfahrt gemütlich ausklingen lassen. So oder so, nach der Ankunft an der Promenade des Anglais in Nizza winkt ein Bad im azurblauen Meer. Und am nächsten Morgen optional der Rücktransport per Reisebus nach Freiburg.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren