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majortom – Tja, Alpe dHuez...
An wohl kaum einem Anstieg scheiden sich die Geister von Radsportfans wohl mehr, als an dieser
Skistation in den französischen Dauphiné-Alpen. Für die einen ist es der Radsport-Mythos schlechthin, der „Berg der Holländer“, die Bergankunft der Bergankünfte, das Sinnbild für das Spektakel Tour de France. Für die anderen nur schnöder Rennrad-Mainstream, eine überbewerte Auffahrt in eine potthässliche Retortensiedlung. Die Wahrheit liegt wohl – wie üblich – irgendwo dazwischen.
Unumstößlicher Fakt ist hingegen, dass Alpe dHuez ohne die Tour de France eigentlich völlig uninteressant wäre. Kein Mensch würde dann in Erwägung ziehen, beispielsweise beim Abfahren der Pässe der bekannten
Route des Grandes Alpes nach dem
Galibier vom
Lautaret ins Oisans abfahren, um die Auffahrt in einen Skiort in Angriff zu nehmen – man würde gleich mit dem
Izoard weitermachen.
Aber wie kam es überhaupt dazu? Anfang der 50er-Jahre suchten findige Geschäftsleute in lAlpe dHuez, einer Skistation im Grandes-Rousses-Massiv nördlich des Romanche-Tals, nach einer Möglichkeit, auch im Sommer Übernachtungsgäste anzulocken. Sie einigten sich auf einen Deal mit den Organisatoren der Tour de France: würde man Zielort einer Etappe, könnte das gesamte Peloton auch am folgenden Ruhetag kostenlos im Ort übernachten. Voilà, die erste Bergankunft der Tour de France war 1953 geboren. Premierensieger damals war
il campionissimo Fausto Coppi. Zwar kam die Tour erst 1976 wieder nach Alpe d'Huez, seitdem stand sie doch in den meisten Jahren auf den Plan und ist zu einer der prestigeträchtigsten Etappenankünfte geworden. Im Jubiläumsjahr 2013 – es wurde die 100. Tour ausgetragen – trieben die Organisatoren es sogar nochmal auf die Spitze: auf der 18. Etappe wurden die 21 Kehren gleich zwei Mal hintereinander gefahren, dank einer zwischengeschalteten Abfahrt über den
Col de Sarenne.
Die lokalen Verantwortlichen haben es allerdings nicht nur in den frühen 50ern verstanden, einen Radsport-Mythos zu kreieren, dies hält auch bis heute an. So sind z.B. die berühmten 21 Kehren mit den Namen der jeweiligen Etappensieger versehen. Inzwischen ist Alpe dHuez der Allgemeinheit wohl eher für Rad- als für Skisport bekannt. Und das zeigt sich, wenn Hunderttausende für die Tour-Bergankunft ins Oisans gepilgert kommen, den Anstieg mit Zelten und Wohnmobilen bevölkern und eine ganz einzigartige Freiluft-Volksfest-Stimmung entsteht.
So weit, so gut – wer jedoch einen hammerharten und gleichzeitig wunderschönen Anstieg erwartet, wird unweigerlich enttäuscht werden. Sicher, die Auffahrt ist nicht ohne, insbesondere wenn der Südhang im Sommer der prallen Sonne ausgesetzt ist und die Temperaturen in der ersten Rampe die 30 Grad weit übersteigen. Es gibt jedoch deutlich härtere, und vor allem gibt es deutlich schönere. Eine breit ausgebaute Autobahn hinauf zu drücken ist eben trotz allem viel beschworenen Mythos nicht so schön wie ein schmales Sträßchen in einsamer, spektakulärer Hochgebirgskulisse. Und auch die betongrauen Bettenburgen im Zielort selbst sind nicht gerade eine Reise wert.
Interessanterweise findet man solche schönen Bergstraßen in der näheren Umgebung durchaus – beispielsweise der schon erwähnte
Sarenne, der es ermöglicht, Alpe dHuez auch in einen Rundkurs einzubauen, die Verlängerung zum
Lac Besson oder die Höhenstraße über
Villard-Reculas. Und zu guter letzt bleibt auch noch die Möglichkeit, Alpe dHuez im Rahmen einer wahren Hammerrunde über die Pässe
Croix de Fer und
Galibier zu erklimmen – das wären allerdings wahrhaft mythische 175 km und inklusive Bergankunft über 5000 Hm.
(Wir danken Till für die ursprüngliche, inzwischen überarbeitete Beschreibung.)