Von DragAttack –
Um 4 Uhr klingelt der Wecker. Die Luft ist eisig. Soweit wie möglich verlege ich deshalb alle Vorbereitungen in die Waschräume unseres Campingplatzes, bevor wir nach gut einer Stunde zum Start aufbrechen. Dieser findet um 6 Uhr, etwa eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang statt.
Da sich meine bisherigen Triathlonerfahrungen auf dreimal Roth beschränken, brachte schon das Schwimmen für mich drei Premieren - mein erster Landstart, mein erster Massenstart und erstmals reichte es zur Orientierung nicht aus, in konstantem Abstand zum Kanalufer zu schwimmen.
Um nicht schon vor dem Start auszukühlen, zögere ich den Moment des Umziehens so lange wie möglich hinaus. Nachdem mir das fast unmögliche geglückt war und ich im trockenen Zustand meine Haare fast vollständig unter meiner Kappe verstaut hatte, reihe ich mich recht weit hinten unter die anderen wartenden Athleten. Endlich folgt der Start und 600 Menschen drängen ins Wasser, welches deutlich wärmer als die Luft und somit zunächst angenehm ist.
Als ich das Wasser erreiche ist von dem beleuchteten Boot, das den Weg weisen soll, schon nichts mehr zu erkennen und auch die Bojen sind im Dunkeln keine Hilfe. Im Vertrauen auf die Streckenkenntnisse der strampelnden Masse um mich herum versuche ich meinen Rhythmus zu finden. Klappt erstaunlich gut. Lediglich direkt an den ersten beiden Bojen wird es so eng, das ich mich in meinen Bewegungen beeinträchtigt fühle. Nach gut einem Kilometer passiere ich die dritte von fünf Bojen, die zweite Ecke des zu umschwimmenden Dreiecks, nach knapp 1500m die vierte. Zwischen vierter und fünfter Boje fange ich erstmals an zu frösteln und der Gedanken an die zweite Runde nährt Befürchtungen, die Kälte könne mich zur Aufgabe zwingen.
Nach der fünften folgen die Bojen eins und zwei in jeweils geringem Abstand und sorgen für die momentan dringend benötigten Erfolgserlebnisse. Bis zur dritten sind es noch gut 500m, noch gut 10min, dann befinde ich mich auf der Zielgeraden. Allmählich lässt die Koordination nach und bei jedem Armzug muss ich direkt an der Wasseroberfläche einen eisigen Nebel durchstoßen. In Vorfreude auf die landschaftlich einmalig schöne Radstrecke überstehe ich auch diese letzten 800m. Bei Erreichen der Wechselzone ist meine Zeit mit 1:26:29h weniger schlecht als befürchtet.
Sven: Toll hierbei zuzuschauen. Es gibt einen Steg, an dem die Schwimmer zwei Mal vorbeikommen. Ist eine schöne Atmosphäre aber leider saukalt und komische kleine Viecher schwirren durch die Luft. Nachdem Torsten durch ist, nutze die Zeit für ein Frühstück in der nahe gelegenen Bar.
Völlig durchgefroren bereitet das Umziehen bei 8°C Lufttemperatur koordinative Probleme. Die Vaseline zum Schutz gegen Wundscheuern beim Radfahren und Laufen ist kaum streichfähig, und die Sonnencreme erscheint mir wie ein höhnischer Gruß aus einer anderen Welt. Weitere fast 12min vergehen, bis ich endlich aufs Rad steige und als einer der letzten Teilnehmer die Wechselzone verlasse.
Sven: Ich bin hinterher, kürze aber die ersten 40km ab und fahre direkt zum Izoard. Durch diesen Vorsprung bin ich der Erste auf der Radstrecke. Es dauert nicht lange, da werde ich schon vom Motorrad und einem Spanier überholt. Ich quäle mich den Izoard hoch. Irgendwann stellt sich das Gleichgewicht ein. Die Schnellen sind durch und ich werde nicht mehr so oft überholt. Oben angekommen warte ich auf Torsten und stopfe Käsebaguette in mich hinein.
Zum Glück steigt die Radstrecke auf den ersten 8km zunächst mit bis zu 9% recht steil, anschließend mäßig steil auf 1200m an und hält dieses Niveau beim Wechsel kurzer An- und Abstiege über Les Mean bis St. Appollinaire bei km 20. So kann ich mich in der ersten Stunde nahezu fahrtwindfrei mit wunderschönem Ausblick auf den unter uns liegenden Stausee "Lac de Serre Poncon" aufwärmen. Auf der Sonnenseite des Tales steigt die Temperatur auf inzwischen fast 15°C. Nach zügiger Abfahrt zum See fahren wir - der unattraktivste Teil der Strecke - gut 10km der Hauptstraße folgend zurück Richtung Embrun und passieren dieses nach etwa 45km Strecke.
Ab Pont Neuf, einer Holzbrücke über die Durance am Stadtrand Embruns, folgt - zunächst mit einem 3km langen Anstieg - eine 15km lange Strecke oberhalb der Durance bis St Clement. Die Zuschauer in den Ortsdurchfahrten sind überwiegend mit Fernglas und Starterlisten ausgerüstet und mit Hilfe der Startnummer schaffen sie es, fast jeden Teilnehmer namentlich anzufeuern.
Bevor wir auf derselben Strecke wieder zurück nach Embrun fahren werden, folgt ab St. Clement (bei km61) ein 100km langer Rundkurs über Guillestre zum Col d'Izoard, hinunter nach Briancon und durchs Durance Tal auf Nebenstraßen parallel zur N94 zurück nach St. Clement.
Col d'Izoard
Nach knapp 3km Hauptstraße biegen wir rechts ab nach Guillestre. Allmählich beginnt der Anstieg zum Col d'Izoard. Auf den ersten 20km ist die Steigung überwiegend gering. Bei meistens 0-3% führt die Strecke am Fluss entlang talaufwärts. Bei Km 84 verlassen wir den Flusslauf. Scharf links zweigt die Passstraße zum Izoard ab und der eigentliche Anstieg beginnt. Dabei sind auf den kommenden 15 km Strecke gut 1000m Höhe zu überwinden, auf den letzten 10km mit durchschnittlich 8% Steigung.
Als schlechter Schwimmer war ich am Ende des Feldes auf die Radstrecke gestartet. Da sich die guten Radfahrer somit überwiegend schon vor mir befanden, habe ich die gesamte bisherige Strecke fast ausschließlich überholen können. Auch hier am Hauptanstieg muss ich niemanden vorbei lassen. Während ich beständig meine Platzierung verbessere, fällt, von den Zuschauern angefeuert, der Anstieg wesentlich leichter als letztes Jahr, als ich den Wettkampf als Zuschauer verfolgt und am nächsten Tag die Radstrecke abgefahren habe. Die Serpentinen während der zweiten Hälfte des Anstieges sind atemberaubend und die Casse Deserte, eine bizarre Gerölllandschaft etwa 2km vor dem Pass - wunderschön.
Nach exakt 5h Fahrzeit und knapp 100km Strecke erreiche ich auf 2360müNN den Col d'Izoard. Während ich die ersten vier Stunden des Wettkampfs etwa bis St. Clement mit der Kälte zu kämpfen hatte, sind es sogar hier oben noch fast 30°C.
Hier erwartet mich Sven. Gut 5min gönne ich mir hier oben als Verpflegungspause. Mein Freund kann mich für die kommende Strecke motivieren, bevor ich die Abfahrt nach Briancon in Angriff nehme. Auf breiter, für den Gegenverkehr gesperrter Straße verlieren wir auf den folgenden 20km etwa 1100m Höhe. Hier hinunter rasen zu können, und dabei ohne Rücksicht auf Gegenverkehr die gesamte Straßenbreite auszunutzen, entschädigt für alle bisherigen Strapazen - ein 30-minütiger Orgasmus.
Jetzt geht's auf den Weg zurück. Ich bin guter Dinge alles problemlos zu schaffen. Der Wind legt sich aber auch ins Zeug und macht es mir nicht leicht.
Bei weiteren 350m Höhenverlust sind die folgenden 40km bis St. Clement theoretisch einfach. Zu überwinden sind hierbei drei nennenswerte Anstiege, von denen lediglich der zweite mit dauerhaft über 10% Steigung auf knapp 1500m Länge nach gut 140km Strecke anstrengend zu werden droht. Praktisch jedoch haben wir die gesamte Strecke Gegenwind. Unangemessen mühsam müssen wir uns auf diesem Streckenabschnitt vorankämpfen. Die Anstiege sind zum Glück weitgehend windgeschützt.Außerdem sind sie für mich psychologische Highlights, da ich immer noch wesentlich öfter überhole als überholt werde.
Nach St. Clement führt die Strecke wieder oberhalb der Durance entlang auf bekannter Strecke bis Pont Neuf, über die Brücke und nach erneutem kurzen Anstieg erreichen wir nach 178 km Embrun. Bis zur Wechselzone am See wären es noch etwa 3min Fahrzeit - stattdessen jedoch biegt die Strecke im Ort rechts ab und führt in einem 5km langen Anstieg durch die oberhalb von Embrun am Hang gelegenen Siedlungen. Bei ungleichmäßiger Steigung sind hierbei nochmals 300m Höhe zu bezwingen, bevor wir endlich hinunter zur Wechselzone fahren.
Diese erreiche ich nach 8:47:15h Fahrzeit - inkl. Schwimmen und Wechseln 10:25:39h.
Sven meint: Auch für einen Rad fahrenden Zuschauer ist die Strecke ideal. Alle Kreuzungen sind abgesperrt und am Straßenrand stehen häufig Zuschauer, die einen auch dann kräftig anfeuern, wenn man keine Nummer am Rahmen hat. Irgendwie kann man da gar nicht langsam fahren.
Laufstrecke
Nach weiteren gut 7min fürs Umziehen beginne ich den dritten Abschnitt des heutigen Wettkampfes. Obwohl ich eigentlich vom Laufen komme, ist es mir noch nie gelungen, bei einem Triathlon den abschließenden Marathon durchzulaufen, ohne die zweite Hälfte fast vollständig zu wandern. Herausgekommen sind dabei jeweils Zeiten um 6h. Entsprechend groß ist mein Respekt vor diesem Abschnitt - obwohl die Streckenführung mit insgesamt ca. 400m Höhe sowohl in Anbetracht des in der Region Möglichen als auch im Vergleich zur Radstrecke harmlos ist. Zu laufen sind abwechselnd drei Runden um den See mit jeweils knapp 3km sowie zwei Runden durch Embrun sowie umliegende Dörfer inkl. einer 2*2km Wendepunktstrecke an der Durance von jeweils ca. 17km Länge.
Bei noch immer gut 30°C nehme ich mit gemächlichem Tempo die erste Seerunde in Angriff. Von einem kurzen (max. 100m) steilen Anstieg abgesehen, ist diese eben und - Laufen geht problemlos. Nach etwa 3km, ich habe gerade den See verlassen und entlang der Durance die Hauptstraße unterquert, um auf die erste große Runde einzubiegen, passiere ich einen Verpflegungsstand mit Schmelzkäsepackungen. Da wir uns die gesamte Radtour über hauptsächlich von Baguette mit Käse ernährt haben, ist mein Magen daran gewöhnt und ich hoffe, dass er dieses auch unter Wettkampfbelastung verträgt. Auf Nachfrage bekomme ich zum Käse noch ein halbes Baguette. Den nächsten Kilometer wandernd stärke ich mich mit den unverhofften Köstlichkeiten. Den anschließenden Anstieg nach Embrun hoch - der einzig harte Anstieg der gesamten Runde und in meinem Zustand nach inzwischen fast 11h Wettkampfzeit nicht laufbar - nutze ich als Verdauungsspaziergang.
Oben angekommen, lasse ich mich widerwillig von den Anfeuerungsrufen - allez Torsten, allez, allez - zum Weiterlaufen motivieren. Svens aufmunternde Worte beim durchlaufen(/wandern) habe ich dringend nötig.
Kurz hinter der Fußgängerzone führt die Strecke in entgegengesetzter Richtung zur Radstrecke hinab nach Pont Neuf. Während des Gefälles finde ich endlich meinen Rhythmus, den ich die restliche erste Runde durchlaufen kann: Hinunter bis kurz vor Pont Neuf zum Eingang in die Wendepunktstrecke, 2*2km zum Wendepunkt und zurück, über die Holzbrücke und sogar den lang gestreckten Anstieg auf der anderen Flussseite nach Baratier kann ich, von kurzen steileren Passagen abgesehen, durchlaufen.
Meine Geschwindigkeit liegt bei etwa 6:30min/km - inkl. der Zeitverluste an den Verpflegungsstellen knapp 7min/km. Es gelingt mir recht gut auszublenden, dass noch fast 30km vor mir liegen. Stattdessen freue ich mich auf den bald greifbaren ersten Zieldurchlauf nach etwa 20km: Von Baratier wieder hinab zum Fluss, über die Brücke, unter der Brücke hindurch am Fluss entlang durchs Ziel und die Wechselzone zu meiner zweiten Seerunde.
Bei inzwischen angenehmen Temperaturen zwingt mich der kurze Anstieg diesmal beinahe zum Gehen. Anschließend finde ich jedoch gleich den Rhythmus wieder und komme ohne Schwierigkeiten zurück auf die Hauptrunde.
Am selben Verpflegungsstand wie vor gut zwei Stunden decke ich mich wieder mit Brot und Käse ein, wandere bis zum Ende des Anstiegs, und wesentlich bereitwilliger als in der ersten Runde schaffe ich es, wieder zum Laufen zu wechseln. In der Fußgängerzone erwartet mich Sven. Mit ihm vereinbare ich, dass er mich in 40min am Ausgang der Wendepunktstrecke erwartet um mich den letzten Anstieg nach Baratier zu begleiten. Auf dem Weg hinab merke ich, wie sich meine Waden bedrohlich verhärten - bis zum Ziel sind´s noch etwa 15km. Zum Glück entspannen sie sich auf dem folgenden ebenen Abschnitt wieder und ich komme problemlos zum Wendepunkt und wieder zurück zum vereinbarten Treffpunkt.
Noch 10km. Allmählich wächst die Überzeugung ohne Probleme das Ziel erreichen zu können. Durch dieses Wissen beflügelt und durch Svens Begleitung unterstützt, fällt bei einbrechender Dunkelheit der Anstieg erstaunlich leicht. Immer wieder schaffe ich es, andere Teilnehmer zu überholen: Hinunter zum Fluss, über die Brücke - hier verabschiede ich mich von Sven, der direkt zum Ziel fährt - unter der Brücke hindurch und, in entgegengesetzter Richtung zu den ersten beiden, auf meiner dritten Runde um den See dem Ziel entgegen. Mit schweren Beinen fällt es kurz vorm Ziel nicht leicht die kurze Rampe dieses Mal hinunter zu laufen. Nachdem dieses letzte Hindernis überwunden ist und nach 15:24h das Ziel sichtbar wird, versuche ich noch einen Endspurt um unter 15:30 das Ziel zu erreichen. Diesen gebe ich jedoch schnell verloren, als ich eine Minute später die noch-1km-Marke passiere. Noch einmal um die Wechselzone herum. Am Beginn der Zielgeraden erwartet mich Sven und gemeinsam laufen wir nach 15:31:20h ins Ziel.
Wie ich erst am nächsten Tag anhand der Ergebnisliste feststellen werde, habe ich nicht nur einen der schwersten LD-Triathlons gefinished und dabei erstmals den abschließenden Marathon nahezu ohne zu wandern laufen können. Mit 4:59:30 habe ich dabei meine triathloninterne Marathonbestzeit um 55 Minuten verbessert.
Leider lohnt die Zielverpflegung keinen längeren Aufenthalt. Nachdem ich meine Sachen aus der Wechselzone geholt habe, lassen wir uns auf der Wiese am See nieder und erwarten das Abschlussfeuerwerk. Offizieller Zielschluss ist nach 16:30h, d.h. um 22:30. Bis kurz nach Mitternacht werden die letzten Finisher begeistert empfangen, bevor das Feuerwerk einen unvergesslichen Tag beendet.
Sven: Ich war nun noch damit beschäftigt, Torsten und seine zahllosen Wechselbeutel zum Campingplatz zu befördern. Die Frage "Trägst du mich?" musste ich leider mehrmals mit "nein" beantworten.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren