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Was ist ein Pass?


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    die Passhöhe
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    19.02.2022, Jan:

    Im quäldich-Pässelexikon wird alles aufgenommen, was nicht bei 3 auf den Bäumen ist. So scheint es. Die Qualitätsanforderungen fordern zwar eine gewisse Mindestrelevanz, schweigen sich aber darüber aus, was das eigentlich ist: ein Pass. Und eins sei vorweg genommen: eigentlich müsste das Pässelexikon Pässe-, Berg-, Höhenstraßen- und Sackgassenlexikon oder so ähnlich heißen. Denn im Pässelexikon finden sich natürlich Hochpunkte aller Art. Hauptsache bergauf eben.

    Insbesondere durch die Passjagd hat sich hier und da der Eindruck eingeschlichen, dass wir von quäldich jede Art von Anstieg für einen Pass halten, aber bei allem Selbstbewusstsein über unsere Deutungshoheit gehen wir doch nicht über objektive Definitionen hinweg, wo sie bestehen.

    In diesem Blogartikel möchte ich darauf eingehen, was einen Pass im geographisch/topographischen Sinne ausmacht, und in welche andere Kategorien von Bergstraßen die anderen Anstiege im Pässelexikon fallen. Siehe dazu zum Beispiel auch die Wikipedia: Gebirgspass. Eine topographische Passhöhe oder auch Sattel markiert den tiefsten Punkt auf einem Gebirgskamm, von dem aus es in zwei benachbarte Täler hinuntergeht. Für uns Rennradfahrer kommt eine weitere Eigenschaft hinzu: es führt eine komplett asphaltierte Straße über den Sattelpunkt hinweg von einem Tal ins andere.

    Gebirgspässe

    Die Passhöhe eines Gebirgspasses erfüllt also zwei Voraussetzungen:

    1. Die Passhöhe liegt auf dem (lokal) tiefsten Punkt eines Gebirgskamms.
    2. Die Passhöhe stellt den höchsten Punkt einer Straße dar, die zwei Täler verbindet. 

     

    Solcherartige Passhöhen von Gebirgspässen liegen immer auf einer Wasserscheide. Auf beiden Seiten des Passes fließt das Wasser und fahren wir RennradfahrerInnen in unterschiedliche Richtungen ab, in unterschiedliche Täler. Diese Situation ist im Hauptbild dieses Artikels an der Passhöhe des Col Agnel gut zu sehen: die Passhöhe bildet den tiefsten Punkt des Gebirgsgrats. Der Pass ist bezwungen, links im Bild geht es hinunter nach Frankreich, rechts geht es hinunter nach Italien.

    Dieses objektive Verständnis von Pass liegt auch dem Club 2K zugrunde, dem Lebensziel aller 2000er-Alpenpässe. Hier kommt nur herein, was ein Pass im obigen Sinne ist.

    Wer weiter liest, findet heraus, was für andere Sorten von Gebirgsstraßen es noch gibt, und warum eine davon demnächst aus dem Club 2K ausgeschlossen wird.

     

     

    Welche Arten von Hochpunkten gibt es noch?

    Alles, was diese beiden Voraussetzungen erfüllt, ist also ein Pass, genauer ein Gebirgspass, und eine darüber führende Straße eine Passstraße. Für uns Rennradfahrer muss sie zusätzlich noch komplett asphaltiert sein. Alles andere ist also kein Pass im eigentlichen topographischen Sinne, im Zweifel für uns Rennradfahrer dennoch höchst interessant, und insofern im quäldich-Pässelexikon auch bestens aufgehoben. Das bedeutet nicht mal, dass man oben zwingend umdrehen muss, denn auch an Bergen und Höhenstraßen gibt es ggfs. noch andere Wege hinunter.

    Bevor wir dazu kommen, erlaube ich mir aber ein paar

    Nebenbemerkungen

    Nebenbemerkung 1: der Begriff Pass wird bei gleichsam synonym sowohl für Passhöhe als auch für Passstraße verwendet.

    Nebenbemerkung 2: häufig führt die Passstraße nicht genau über den topographischen Sattel, sondern aus straßenbaulichen Gründen etwas oberhalb am Hang entlang, wie beispielsweise am Sellajoch . Das ändert natürlich nichts an dem Umstand, dass das Sellajoch ein echter Pass ist. Es kann bei der Bewertung der Höhe aber eine Rolle spielen, wenn die Höhe aus marketingtechnischen oder touristischen Gründen künstlich über 2000 m gelegt wird wie beispielsweise an der Eisentalhöhe (2042 m) an der Nockalmstraße, die als Höhenstraße über dem deutlich tieferen Sattel verläuft, der zwischen dem Peitlernock (2244 m) und dem eigentlichen Berggipfel der Eisentalhöhe (2180 m) liegt. Der Name dieses Sattels ist mir unbekannt, auf Basis der topographischen Karte Österreichs liegt die Höhe des Sattels bei knapp unter 1890 m. Sollten wir uns zukünftig dazu entschließen, die Nockalmstraße aufzuteilen, ändert sich nichts an der Anzahl der Pässe im Club 2K, weil nur die Schiestlscharte (2024 m) über einen 2000 m hohen Pass führt.

    Nebenbemerkung 3: oben war von der Wasserscheiden-Eigenschaft des Passes die Rede. Man beachte, dass die obige Definition einer Passhöhe eine rein lokale Eigenschaft ist. Wie weit entfernt die an der Passhöhe geschiedenen Wasser wieder zusammenfließen, ist also unerheblich. Die Moosalp hat eine ähnlich räumlich beschränkte Wasserscheiden-Funktion wie der Col de Sarenne. Hier vereinigen sich die Wasser über Sarenne und Ferrand in der nahen Romanche, dort über nicht erkennbare Bachläufe, südseitig aber über die Vispa im nahen Rotten, wie die Rhône im deutschsprachigen Teil des Wallis heißt.

    Nun also zu den verschiedenen Kategorien von Anstiegen. Eine sehr akribische Auflistung verschiedenster Anstiegsarten findest du übrigens auf Jerry Nilsons Seite cycloclimbing.com. Danke an artie_1970 für den Hinweis.

    Talpässe

    Wenn wir oben von Gebirgspass sprechen, dann liegt dass daran, dass Passstraßen nicht nur gebaut werden, um Gebirgskämme zu überwinden. Auch andere Hindernisse werden von Passstraßen passiert, wie zum Beispiel eine Schlucht oder ein sonstiges enges Flusstal, wie am Koppenpass, am Pass Lueg, an der Aareschlucht oder auch über Versam. Das sind echte Passstraßen, die aber nicht über geographische Sattel führen. Es sind aber keine Gebirgspässe, die über einen Gebirgskamm führen. Der Fachbegriff dafür ist Talpass, siehe Wikipedia

    Steigen

    Führt ein Anstieg zum Beispiel aus einem eingeschnittenen Flusstal heraus auf das umgebende Grundniveau, oder vom Grundniveau auf eine Hochfläche, so endet diese Straße nicht an einem Sattel oder Pass, sondern eben auf dem höher liegenden Geländeniveau. Beispiele gibt es zuhauf am Albtrauf, aber auch an anderen Gebirgen, die einseitig jäh abbrechen, wie zum Beispiel im Erzgebirge, das in Richtung Deutschland hochplateauartig ausläuft, in Richtung Tschechien aber jäh zum böhmischen Becken abbricht.

    In Ermangelung eines besseren Begriffs haben wir uns in der Diskussion zu diesem Blogartikel auf den Oberbegriff Steige geeinigt, wie er im Schwäbischen geläufig ist.

    Auch der Malojapass hat aus quäldich-Sicht Steigen-Charakter. Das Engadin wirkt aus dem Bergell kommend wie eine Hochfläche, und die Ostauffahrt ab Silvaplana fällt unter die quäldich-Kackwellen-Verordnung. Aus geomorphologischer Sicht ist es natürlich ein echter Gebirgspass, der sogar auf dem Alpenhauptkamm liegt.

    Gebirgspässe, Talpässe und Steigen erschließen ein neues Gebiet. Das ist für die nun folgenden Kategorien nicht notwendigerweise der Fall.

    Berge

    Straßen führen aber, man glaubt es kaum, auch auf Berggipfel und darüber hinweg. Der Mont Ventoux ist das berühmteste Beispiel eines Berges, über den eine Straße hinweg führt. Beispiele für auf Berggipfel endende Sackgassen sind die Edelweißspitze am Glockner oder der Große Speikkogel, der östlichste Punkt der Alpen, an dem man die 2000er-Marke knacken kann.

    Auch der höchste mit dem Rennrad erreichbare Punkt Europas liegt am Ende einer Sackgasse auf einem Berg: dem monumentalen Pico del Veleta auf 3384 m Höhe.

    Höhenstraßen

    Höhenstraßen sind Bergstraßen, die nicht aus dem Tal heraus führen. Sie führen am Hang hinauf und den gleichen Hang auf einer anderen Straße wieder ins gleiche Tal hinunter. Die vielleicht signifikanteste Höhenstraße der Alpen ist die Zillertaler Höhenstraße mit mehreren monumentalen Anstiegen, die aber alle im Zillertal ihren Ausgang nehmen. Der berühmteste deutsche Vertreter einer Ringstraße ist die Roßfeld-Höhenringstraße mit Start und Ziel bei Berchtesgaden. Als einen weiteren Vertreter dieser Kategorie kann man den französischen Skiort La Toussuire nahe St-Jean-de-Maurienne ansehen, den man auf zwei verschiedenen Straßen aus dem Arvan-Tal erreichen kann, das vom Col de la Croix de Fer hinunterfließt.

    Die Route des Salasses ist eine Höhenstraße über dem Aostatal, über die man den starken Verkehr auf der Hauptstraße im Tal entgehen kann, für uns Rennradfahrer also so etwas wie ein Talpass, wenn man die Hauptstraße als unfahrbar einstuft.

    Kammstraßen können sicherlich auch als Höhenstraßen eingestuft werden. Bei näherer Betrachtung fällt aber auf, dass auch sie die obige Charakteristik aufweisen, wenn sie nicht über einen Berggipfel oder einen Sattel führen. Sie bringen also kein weiteres Unterscheidungsmerkmal mit.

    Die Schleife zur Cime de la Bonette (ausgehend vom vierthöchsten Alpenpass, dem Col de la Bonette) entspricht nicht dieser Charakteristik, eher kann man sie mit der oben genannten Eisentalhöhe vergleichen, weit über dem Faut Col de Restefond gelegen. Das würde ich allerdings in einem weiteren Blogartikel näher beleuchten.

    Sackgassen

    Nur selten enden Straßen an Pässen. Häufiger schon endet dort der Asphalt, so dass es für uns Rennradfahrer dennoch Sackgassen sind. Auch Steigen machen kaum Sinn, wenn oben die Straße endet. Berge hingegen werden aus touristischen (Aussicht) oder wirtschaftlichen (Sendemast) Gründen häufig mittels Sackgassen erschlossen. Die "irgendwo am Hang" endenden Sackgassen lassen sich weiter in zwei Kategorien einteilen.

    Talauffahrten

    Die Kaunertaler Gletscherstraße ist eine der monumentalsten Sackgassen, die dem Flusslauf der Fagge durch das namensgebende Kaunertal folgt und am Talschluss in einem Skigebiet auf 2750 m endet. Ein lohnenswertes Ziel für den Rennradfahrer, der natürlich oben umdrehen muss und den gleichen Weg zurück fährt. Ein möglicher Begriff für Sackgassen dieser Art wäre Talauffahrt, oder, wie Uwe sagt, Talhatscher. Weitere Beispiele für Talauffahrten sind das Martelltal, das Schnalstal und das Ultental, um nur ein paar berühmte Südtiroler Vertreter aufzuzählen.

    Hangauffahrten

    Die wenigsten Sackgassen folgen dabei natürlich der Richtung des Haupttals, rechts und links der Haupttäler führen häufig unzählige Straßen zu Weilern und Höfen am Hang. Das Kaunertal stellt hier eine Ausnahme dar. Willkürlich greife ich die Lienzer Dolomitenhütte heraus, weil sie so schön steil ist. Und Sankt Martin im Kofel, weil Uwe den Anstieg so mag. Der Arbeitstitel dieser Art von Sackgassen ist derzeit Hangauffahrt. An den oben aufgeführten Talauffahrten zweigen einige weitere dieser Hangauffahrten ab.

    Warum also Pässelexikon?

    Natürlich könnten wir einfach Bergstraßen oder Anstiege schreiben statt Pässe. Machen wir aber nicht, und zwar nicht, weil Bergstraßenlexikon schlechter von der Zunge geht, sondern weil historisch ausschließlich Pässe im Pässelexikon waren, als Ergebnis unserer Alpentouren von 1998 bis 2000. Die Touren bildeten weite Schleifen durch Frankreich, Italien und die Schweiz, und Sackgassen hätten unseren Vorwärtsdrang nur gebremst.

    Kulturhistorisch haben Pässe genau diese verbindende Bedeutung: Saumwege bildeten die kürzesten Wege von einem Tal ins andere und über Gebirgszüge hinweg und schufen somit die Grundlage für regionale und überregionale Wirtschaftsbeziehungen. Niemand wäre damals freiwillig über einen Berg gegangen, der wirtschaftlich sinnvollste Weg ging über die Pässe. Niemand wäre auf die Idee gekommen, einen Umweg einzuschlagen, und ein Berg bedeutet zwangsläufig einen Umweg. Am Mont Ventoux  zum Beispiel führt keiner der schnellsten Wege zwischen den drei Startorten über den Berg. Pässe bedeuteten Leben, für die Säumer im wörtlichen Sinne.

    Über den Sinn des Lebens streiten sich die Gelehrten seit Menschengedenken, und auch ich weiß, dass erst das Wort sinnlos großen Rennradträumen den Ritterschlag verleiht. Und ich wäre der letzte, der sinnlosen Umwegen über Berge und Sackgassen mit dem Rennrad den Sinn abspricht.  Wer also würde den Mont Ventoux umfahren auf dem Weg von Malaucène nach Sault? Kein eingefleischter Rennradfahrer, so sinnlos die Befahrung aus ökonomischer Sicht erscheinen mag. Auch ich bin von Berlin auf die Schneekoppe gefahren, ein Lebenshöhepunkt für mich. Dessen ungeachtet ist für mich, und das mag jeder anders sehen, das Pässefahren die erfüllendste Form des Bergfahrens, eben weil mich der Pass voran bringt, in ein neues Tal, in eine neue Welt. Passstraßen sind für mich die Bergstraßen par excellence.

    Und so steht pars pro toto das Pässelexikon als zungenschmeichelnder Ersatz für das Wortungetüm Pässe-, Berg-, Höhenstraßen- und Sackgassenlexikon.

    Das Unschärfe-Problem der Schartenhöhe

    Wenden wir also die Aufmerksamkeit wieder den Passstraßen zu. Eine Passhöhe liegt also immer zwischen zwei Bergen. Der Höhenunterschied zum tieferen der beiden nennt man die Schartenhöhe des Passes. Je Schartenhöhe, desto Pass könnte man sagen, und natürlich eröffnet das einen Unschärfe-Raum für Diskussionen, wie zum Beispiel bei der Moosalp, die nur eine sehr geringe Schartenhöhe von 76 m zum Goldbiel aufweist, wie ArminHuber in den Club-2K-Diskussionen aufgeklärt hat. In dieser Diskussion vertrete ich den Standpunkt, dass auch eine geringe Schartenhöhe ausreicht, wobei dies auch für mich eine Grenze hätte. Wo?

    Und wer fliegt jetzt aus dem Club 2K?

    Der Col de la Loze. Er ist nämlich, wie das abgebildete Hauptbild des Passes im Pässelexikon nahelegt und eine Inaugenscheinnahme im letzten Juli bestätigt hat, kein Pass, weil die Straße am höchsten Punkt keine Scharte durchfährt. Schartenhöhe 0. Es ist einfach eine Höhenringstraße, die von Brides-les-Bains an die Felswand des Dente de Burgin heran, daran entlang, und wieder davon zurück führt, hinunter nach Brides. Eine tolle Sache, sehr anspruchsvoll, aber einfach kein Pass. Und daher im Club 2K fehl am Platze.

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