Von majortom –
Ich muss ja zugeben, dass ich die Faszination für Kopfsteinpflaster, die viele Rennradfahrer an den Tag legen, nicht so ganz teilen kann. Es ist wie mit Stäbchen im Chinarestaurant, die sind durch die Erfindung der Gabel einfach obsolet geworden. Genauso wie Pavé mit der Erfindung des Asphalts. Welchen Grund kann es schon geben, sich selbst und sein Material freiwillig diesem Gerüttel auszusetzen? Nach dem unerwarteten wallonischen Sneak Preview gestern also heute der flandrische Ernstfall. Das hellingen-Triumvirat der Ronde und die letzten 5 Sektoren von Paris-Roubaix.
Ich muss aber auch zugeben, dass ich neugierig bin. Dass auch ich mich der Faszination dieser Rennen nicht entziehen kann, und gespannt auf die heutige Etappe. Und so rolle ich aus Oudenaarde heraus, wieder bei strahlendem Sonnenschein. Die ersten fünf Kilometer sind noch flach, dann geht es in den Koppenberg, wo mir aus dem Fernsehen noch Bilder von schiebenden Radprofis im Kopf sind. Ich muss nicht schieben, aber steil ist es schon, dafür gar nicht so schwierig zu fahren, wie ich befürchtet hatte. Mache ich etwa doch meinen Frieden mit dem Pavé?
Es geht weiter: Rollen auf verwinkelten Straßen, Abfahrt, Anstieg zum Oude Kwaremont, der deutlich weniger steil, dafür aber doch länger ist. Und es geht auch noch nach der Rampe ein Stück auf Pflaster weiter, so richtig Fahrt aufzunehmen gelingt mir jedoch nicht. Und Schlag auf Schlag gleich hinterher der Paterberg, der ist steil, aber kurz. Hm, so furchterregend war das alles ja gar nicht. Auf Marcels Vorschlag checke ich dann auch noch die Auffahrt zum Fiertelmeers aus, der sich aber zumindest teilweise als rumpeliger Waldweg herausstellt und mein Improvisationstalent so auf die Probe stellt.
Dann wird die Etappe auf einmal wieder zur Übergangsetappe. Ich kehre von Flandern in die Wallonie zurück und bin wieder pflasterlos unterwegs, über herrliche Landstraßen, über die er sich schön Richtung Süden cruist. Bis zum Mittag bin ich schon in Tournai angekommen, kurz vor der französischen Grenze, wo ich auf dem Marktplatz für einen Burger au Bleu de Chimay einkehre. Beste Mittagspause der Tour!
Auf unscheinbarer Route überquere ich die Grenze nach Frankreich, und die Nervosität steigt wieder etwas. Denn praktisch direkt hinter der Grenze wartet der Sektor 5, das Pavé de la Justice. 1,8 km auf Kopfsteinpflaster – wo da die Gerechtigkeit sein soll, erschließt sich mir nicht so ganz. Mit Kraft drüber drücken und die Geschwindigkeit hoch halten, so lautet ja die altbekannte Strategie fürs Kopfsteinpflaster. Was auf sauber verlegtem Altstadtkopfsteinpflaster in deutschen Städten ja noch gut funktioniert, hier verliere ich jedoch recht schnell an Geschwindigkeit, das Gepäck vibriert am Rahmen, es rumpelt und rumpelt und nimmt kein Ende. Kopfschüttelnd fahre ich am Ende des Sektors rechts ran. Die Versuchung ist da, auf der Garmin-Karte nach einer parallelen Route ohne Pflaster zu suchen.
Unser Pavé-Experte Marc schreibt: „20 km vor dem Ziel in läutet der Sektor 5 das Finale von Paris-Roubaix ein, denn die nächsten 3 Sektoren folgen beinahe unmittelbar aufeinander, so dass fast 6 km ununterbrochen auf Pavés zurückzulegen sind.“ Zum Glück weiß ich das nicht, als ich durch Camphin-en-Pévèle fahre. Nur kurz bin ich also auf Asphalt unterwegs, dann geht es in den Sektor 4, Carrefour de l'Arbre, mit dem Prädikat der 5-Sterne-Maximalschwierigkeit. Die gute Nachricht: es wird nicht schlimmer als auf dem Pavé de la Justice (keine Ahnung wie viele Sterne der hat). Die schlechte Nachricht: das ist immer noch übel genug. Ich versuche übers Pflaster zu hoppeln – nervt! Ich versuche den schmalen Erdstreifen am Rand – nervt! Nur Absteigen und Schieben, dazu kann ich mich dann doch nicht durchringen. Pavé – so ein Kack!
Der Sektor 4 ist vom Sektor 3 lediglich durch die Überquerung einer – glücklicherweise asphaltierten – Straße getrennt, das ist wohl die Kreuzung am Baum, was Carrefour de l'Arbre wörtlich übersetzt heißt. Also 30 Meter perfekter Untergrund, dann geht das Gehoppel von neuem los. 1,1 km Pflaster nach Gruson. Selten war ich von 1,1 km Straße so genervt. Dann kann ich mich erstmal ein paar Kilometer wieder erholen, bis der Sektor 2 ansteht, das Pavé de Hem. Hier gibt es glücklicherweise einen Seitenstreifen, auf dem man ganz gut fahren kann. Also gut, vorletzter Sektor, und im Hinterkopf habe ich, dass der Sektor 1, schon innerhalb Roubaix gelegen, nur noch Pillepalle ist. Also habe ich es wohl geschafft. Wow!
Hem ist quasi ein Vorort von Roubaix (was ja wiederum ein Vorort von Lille ist), so dass es nun auf innerstädtischen Boulevards Richtung Vélodrome geht. Ich hoffe, das berühmte Ziel des Klassikers wenigstens mal kurz von außen sehen zu können, und bin sehr überrascht, dass das Tor auf das Gelände des Vélodrome einfach offen steht. Also fahre ich einfach hinein und stelle fest, dass die Wiese in der Mitte des Ovals von ein paar Familien als Picknickfläche genutzt wird, und zwei Jugendliche auf der Bahn ihre Runden drehen. Kann man hier also einfach so rein fahren? wundere ich mich. Und lasse mich natürlich nicht aufhalten und fahre mit meinem bepackten Rad hinein. Ich war noch nie auf einer Bahn unterwegs und erkenne, dass man hier nicht einfach so mit Luschenspeed rumdödeln kann... hier muss natürlich gesprintet werden, auch wenn das mangels Gegner eher lächerlich ausfällt. Aber was für ein Gefühl, hier einfach so seine Runden drehen zu können. Und noch besser fühlt es sich natürlich an, wenn man zuvor auch die Pflasterkacke tapfer weggequetscht hat (auch wenn es in meinem Fall nur ein paar Sektoren waren)...
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren