Von Flugrad –
Auch das Frühstück bei Regina war beachtenswert - nix biscotta. Nachdem wir unsere Velos aus dem Vorratskeller befreit hatten, folgte ein maximal einspuriges Sträßchen am Schlucht-Abhang mit zweifelhaftem Geländer, einigen finsteren Tunnels und natürlich zweistelligen Steigungsprozenten durch eine Art Bannwald. Also: wieder vom feinsten. Und trotz starker Bewölkung hielt der Himmel dicht. Parallel zur österreichischen Grenze erklommen wir so den Passo di Cazon di Lanza. Sinn und Entstehung auch dieses Weges: der österreichischen Militärstraßenbau vor und im 1. Weltkrieg in dieser heftig umkämpften Region. Auf der Passhöhe gibt es immerhin eine bewirtschaftete Herberge. Auf der langen Abfahrt entlang des Torrente Pontebbana fragten wir uns, wie lange diese Straße noch unterhalten wird: an mehreren Stellen war sie erst vor kurzer Zeit von riesigen Murenabgängen verschüttet, und der Hang, an dem sie sich in die Tiefe schraubt, scheint auch aktiv zu sein und hat auf seinem Weg Richtung Talgrund die Straße an einigen Stellen teilweise mitgenommen.
Am Ende dieses herrlichen einsamen Tales erreichten wir die Stadt Pontebba und damit wieder die „Zivilisation“. Der Chronist dachte sich: "Nachdem die „Pontebbana“-Bahnstrecke Wien-Venedig schon vor Jahren in den Berg verlegt worden war, sind die Venetier vielleicht so schlau wie die Südtiroler und nutzen die alte Trasse als Radweg“ - und in der Tat: nach ein wenig Suchen fanden wir die Auffahrt auf die Bahntrasse und konnten - bis auf einen kurzen Abschnitt - ganz entspannt durch Tunnels und über rostige Viadukte durch die Fella-Schlucht Richtung Chiusaforte rollen. (Pontebba-Chiusaforte: abweichend vom TP nahmen wir den direkten Weg).
In Dogna verkündete uns ein Umleitungsschild „Bauarbeiten“ - wir sollten den Rest des Weges wieder auf die Staatsstraße. Gemäß der Devise „jetzt wird’s interessant“ sind wir natürlich auf der Bahntrasse weitergefahren und kamen auf hervorragendem Asphalt bis unmittelbar vor Chiusaforte - dann war fertig: ein Bergrutsch versperrte die Trasse. Doch wir waren wohl nicht die einzigen Mutigen, denn ein Trampelpfad führte vom Bahndamm steil hinunter zur Straße.
In Chiusaforte wechselten wir ins Canale di Raccolana - ein zunächst fast ebenes enges Tal Richtung slowenischer Grenze, eingequetscht zwischen zwei Zweitausender-Bergketten. Rast und Kirchenbesichtigung gab es in Saletto, wenig später kamen einige steilere Kehren im Buchenwald. Und ganz zum Schluss wurde die Sella Nevea (1190 m) sogar noch zum richtigen Gebirgspass mit Serpentinen und halben Kreiskehrtunnels. Die Passhöhe ist ein Skizentrum. Wie bestellt, erwischten uns beim Passfoto die ersten Regentropfen, also schnell hinunter Richtung Lago del Predil, dem Start zum gleichnamigen Grenzpass nach Slowenien.
Doch ehe wir diesen Pass unter die Räder nehmen konnten, holte sich Jürgen einen weiteren Platten an seinem Hinterrad. Ein Alusplitter war der Übeltäter und verschaffte uns eine Zwangspause am See.
Zum Passo del Predil ist zu sagen: kurz und knackig, natürlich auch bis zu 14 % - man kennt das ja inzwischen. Oben eine verlassene Grenzanlage und eine uns leider völlig unbekannte Sprache: wir waren in Slowenien. Und wurden schon nach wenigen km von einer K.u.K.-Festungsanlage empfangen: die Batterie Predilsattel mit einem monumentalen Löwendenkmal für den gegen Napoleon gefallenen k.u.k.-Hauptmann Johann Hermann von Hermannsdorf. Alles schön restauriert. Weiter unten im Tal der Kortinjca erwartete uns die nächste österreichische Festung: das Fort Kluze/Klausen, ebenfalls als Museum hergerichtet. Diese Sperranlage diente noch im 2. Weltkrieg der Verteidigung. Dass wir nun ins Isonzo-Gebiet kamen, eine Region, die seit den napoleonischen Kriegen Schauplatz grausamster Schlachten war, konnte man an etlichen Hinweisschildern zu Soldatenfriedhöfen oder Schützengräben erkennen. Wir peilten die am Fuß des 2585 m hohen Monte Canin gelegene Stadt Bovec an, offensichtlich ein absolutes Zentrum für Kajak- und Canyoningfreunde. Der Isonzo - bzw. nun slowenisch Soca - dient heute friedlicheren Zwecken. Nach einigem Suchen fanden wir mit Hilfe des Touristenbüros ein preiswerte Unterkunft, bei Stefan Cuder in einem Appartement samt angeschlossenem Bio-Bergkäseladen. Kaum da, fing es auch schon an zu regnen. Wir erledigten unsere Lebensmitteleinkäufe (im wesentlichen 1 Kilo Spaghetti, ein Berg Hackfleisch, viel Knoblauch und 2 Flaschen Wein), und Michael testete erfolgreich unsere hypermoderne Küche. Satt, abgefüllt und zufrieden legten wir uns zur Ruhe, nachdem wir beschlossen hatten, angesichts der miserablen Wetterprognose einen Ruhetag einzulegen.
Der Ruhetag.
Der Wetterbericht hatte nicht zuviel versprochen: prasselnder Dauerregen, die Berge in Wolken bzw. weiß gezuckert. Dementsprechend zäh war das Aufstehen und Frühstück. Nach den Anstrengungen des Einkaufs für das Abendessen mussten wir erst einmal Mittagsschlaf halten - und oho: am späten Nachmittag aufgewacht und Regen vorbei! Das nennt man wohl einen Schönheitsschlaf. Da hielt es den Chronisten nicht mehr: Raus und rauf aufs Rad. Die beiden anderen Herren kamen mit. Nach einer Stadtrunde fuhren wir hinunter zur tief eingeschnittenen Soca und ins gegenüberliegende Dorf Cezsoca. „In der Karte gibt es einen Weg links der Soca aufwärts…“ - auf diese Art beginnt meist nichts Gutes. Der besagte Weg war nicht mit einem Sackgassenschild gekennzeichnet (scheint es in Slowenien nicht zu geben), war asphaltiert, führte gut 4 km Socaaufwärts - und endete an einem Bauernhof. Ein Wanderweg führte weiter, und in der Generalkarte war ja eine Brücke eingetragen. Also weiter. Nach weiteren 500 m Rad schieben und tragen folgte ein Abzweig Richtung Soca hinunter. Jürgen war schon ganz aufgeregt und abenteuerversessen, der Chronist eher skeptisch. Erst recht, als er dann die „Brücke“ erblickte: ein wackeliger schiefer Hängesteg mit löchrigen Holzplanken über die reißende Soca. Mir blieb nur noch übrig, eindringlich darauf hinzuweisen, dass hier jeder eigenverantwortlich unterwegs ist und an seine Angehörigen denken möge. Wir könnten ja noch problemlos umkehren.
Nun, der Steg war genau so wie er aussah, nur dass die leicht ins Morsche tendierenden Planken vom Regen auch noch feucht und rutschig waren. Michaels Rad hätte deshalb um ein Haar einen Abgang in den Fluss gemacht. Jürgen war ganz außer sich vor lauter Filmerei dieses Schwachsinnes. Da war die anschließende Felskletterei mit Rad unterm Arm schon wieder ein Vergnügen - leider nicht für den lädierten Achill des Chronisten.
Auf dem Heimweg besuchten wir noch ein österreichisches Gräberfeld, auf dessen Gedenktafel doch tatsächlich zu lesen stand, dass hier anno 1917 die k.u.k.-Armee ihren letzten Sieg überhaupt gefeiert hat - und über 550 Soldaten verlor. Grauenhaft.
Ich bin diese Etappe gefahren und möchte die befahrenen Pässe in mein Palmares eintragen
Ich bin diese Etappe gefahren